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Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasilien: Ethanolgier bedroht den Amazonas, doch zuerst stirbt der Cerrado! Zuckerrohr-Flächenbrände – Dioxin in rauhen Mengen.

Von Umweltjournalist Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Die Zerstörung des brasilianischen Amazonas-Regenwaldes hat nach einer zweijährigen ”Verschnaufpause“ in den vergangenen Monaten wieder drastisch zugenommen. Wie ein Regierungssprecher kürzlich  bekannt gab, wuchs die monatliche Zerstörungsrate von 234 Quadratkilometern im August 2007 auf 948 Quadratkilometer im vergangenen Dezember.
Neben Holzfällern, Rinderbaronen und Sojafarmern sind es jetzt Ethanolproduzenten, die im Amazonas zu einer weiteren Zerstörungsorgie antreten.

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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/09/dioxin-in-rauhen-mengen-warum-brasiliens-regierung-soviel-lob-fur-klimaschutz-erhalt-massenhaftes-abbrennen-von-zuckerrohrblattern-in-nordostbrasilien-im-wirtschaftlich-fuhrenden-teilstaat-sao-pa/


Überall im größten Regenwaldgebiet der Erde schießen Zuckerrohrplantagen zur Treibstoffgewinnung wie Pilze aus dem Boden. „Wenn die Ölpreise weiter steigen, wird die Ethanolproduktion im Amazonas explodieren”, warnte Mitte Januar 2008 Carlos Nobre, Wissenschaftler am Nationalen Weltraum-Forschungsinstitut, nach Auswertung von Satellitenbildern. Nur einer hat offenbar die dramatische Entwicklung noch nicht mitbekommen – Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.

„Wenn Amazonien zum Zuckerrohranbau taugen würde, dann hätten die Portugiesen, die Zuckerrohr vor vielen Jahrhunderten in Brasilien einführten, längst mit Amazonien Schluss gemacht”, beruhigte der Präsident im Sommer 2007 die EU-Minister während des internationalen Agrartreibstoffkongresses in Brüssel. Und sein Landwirtschaftsminister Reinhold Stephanes versicherte: ”Es existiert kein Zuckerrohr in Amazonien, Wir wissen von keinem einzigen Projekt in der Region.

Nur einen Tag nach Lulas Aussage in Brüssel berichtete die Tageszeitung Diário do Pará, dass die Polizei über 1000 wie Sklaven gehaltene Feldarbeiter befreit hat, die auf einer fast 12.000 Hektar großen Zuckerrohrolantage nahe der Stadt Ulianópolis im Amazonas-Staat Pará schuften mussten. ”Es ist eine Lüge zu behaupten, dass sich Zuckerrohr nicht an das amazonische Klima anpassen könnte, sagt Sérgio Nunomura, Forscher des Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia (Inpa) und fügt hinzu, dass es selbst im Bundesstaat Amazonas bereits Zuckerrohrplantagen gibt. Nach offiziellen Daten des brasilianischen Landwirtschaftsministeriums wird sich die Zuckerrohrernte in den Amazonasstaaten Maranháo, Mato Grosso, Pará, Tocantins und Amazonas in der Saison 2007/2008 von 17 Millionen Tonnen auf 19,3 Millionen Tonnen erhöhen.

Zuckerrohrethanol fließt aber längst auch im kleinen, westlichen Bundesstaat Acre mitten im Regenwald. Die dortige Ethanolfabrik der Industriegruppe Farias mit einer geplanten Anbaufläche von fast 40.000 Hektar heißt ironischer Weise „Álcool Verde” (Grüner Alkohol). Zeitungsberichte zitierten den Firmenchef  Ezequiel Alves da Silva mit den Worten: Präsident Lula „hat Unsinn in Brüssel geredet, als er behauptete die Böden in Amazonien taugten nicht für Zuckerrohr.” Der Präsident verstehe nichts von Zuckerrohr. „Unser Zuckerrohr hier ist von bester Qualität.” Weshalb auch das Unternehmerforum in Acre eine zweite Ethanolfabrik angekündigt hat.

Hauptgrund der raschen Expansion von Zuckerrohr in den Amazonasstaaten ist die globale Nachfrage nach dem vermeintlich Klima schonenden Agrarsprit. Millionen Investitionen aus aller Welt schüren den Ethanolwahn. So kündigte die Brazilian Renewable Energy Company (BRENCO) den Bau ihrer ersten Ethanolfabrik in Mato Grosso knapp 500 Kilometer südlich von Cuiabá an, weil die Region fruchtbare Böden und eine maschinengerechte Topographie habe. Wie der Chef von Brenco, Henri Philippe Reichstul, weiter mitteilte, wolle die Firma bis 2009 insgesamt zehn große Ethanolfabriken auf Basis von Zuckerrohr in Brasilien errichten. Dazu seien derzeit 2,2 Milliarden US-Dollar an Investitionen vorgesehen. Hauptinvestoren Brencos: Ex-Weltbank-Präsident James Wolfensohn sowie Steve Case, Mitbegründer von AOL und der Filmproduzent Steven Bing.

Im Süden des Amazonasstaates Pará hat der Millionär Daniel Dantas bereits seine Claims abgesteckt, um eine der größten Zuckerrohrplantagen des Landes plus einer Fabrik zum Ethanolexport zu errichten. Auch der nordamazonische Bundesstaat Roraima ist vom Agrarspritboom bedroht. Das Unternehmen Biocapital will von dort Ethanol über das Nachbarland Guyana zollfrei in die USA verschiffen. Brasiliens Regierung forciert diese Exportpläne, in dem sie gerade eine Straße zu den Häfen Guyanas erweitert. Roraimas Klima und Böden seien ideal für Zuckerrohr, erklärte vergangenen September Alvaro Callegari, Landwirtschaftsminister von Roraima. Freilich werde kein Regenwaldbaum für die Zuckerrohrplantagen gefällt, versicherte er. Die vorgesehenen Flächen seien ausschließlich bisher für Rinderzucht genutzte Naturgrasgebiete und Savannen (Cerrado). „Quasi vier Millionen Hektar”, so Callegari.

 Zum Abschuss freigeben: Brasiliens Savannen 

Der Landwirtschaftsminister macht damit deutlich, dass obwohl die Ethanolfront weiter nach Amazonien vordringt, zusätzlich andere einzigartige Ökosysteme vernichtet werden, vor allem der Cerrado. Biologen ihn inzwischen als das artenreichste Savannenökosystem der Erde geadelt. Obwohl die Wissenschaft bislang erst wenige Flächen untersucht hat, wurden bereits über 10.000 Pflanzenarten im Cerrado identifiziert, von denen 4.400 endemisch sind. Außerdem ist das sich einst auf rund zwei Millionen Quadratkilometer vornehmlich im Herzen Brasiliens erstreckende Ökosystem reich an großen Tierarten wie Jaguar, Mähnenwolf oder Ameisenbär. Der Cerrado ist schlichtweg Lateinamerikas Serengeti, die freilich nicht menschenleer ist. Im Gegenteil: So wie alle anderen brasilianischen Ökosysteme und Kulturlandschaften ist  auch der Cerrado Heimat Dutzender Indianervölker bietet zugewanderten traditionellen Bevölkerungsgruppen Lebensraum und Existenz.

„Im Cerrado”, sagt der Geograph Klemens Laschefski von der brasilianischen Bundesuniversität in Minas Gerais, „ leben Menschen, die in den Statistiken und der Politik nicht wahrgenommen werden, weil sie nicht zur Wirtschaftskraft beitragen, da sie Subsistenzproduktion betreiben. Es gibt die Illusion, dass dieses Gebiet ökologisch nicht wertvoll sowie sozial untergenutzt ist.” Dies sei eine alte Ideologie, mit der schon das Vordringen in den Amazonas begründet wurde. Laschefski: „Paradoxerweise wird nun die Erschließung des Cerrados mit der Rettung des Amazonas begründet.”

Südamerikas Serengeti stirbt für Agrarsprit

So ist es dieses Trockenwald-Ökosystem, das im Zuge der industriellen und oft gewalttätigen Agrarexpansion während der vergangen dreißig Jahre am stärksten gelitten hat. Weite Teile des Cerrado sind heute Sojaplantagen und Rinderweiden oder wurden rücksichtslos abgeholzt und als Holzkohle in brasilianischen Stahlwerken verfeuert. Die Schätzungen, wie viel dieses Ökosystems bereits verloren sind, reichen von 40 bis über 60 Prozent “ und jetzt kommt der Ethanolfluch hinzu. Fast immer, wenn davon die Rede ist, dass es in Brasilien noch Dutzende bis Hunderte von Millionen Hektar „degradiertes” oder so genanntes Brachland zum Anbau von Agrarsprit gebe, dreht es sich um Cerrado.

„Die Umweltministerin Marina Silva behauptet immer, die Expansion der landwirtschaftlichen Nutzfläche zur Ethanolproduktion werde auf bereits degradierten Gebieten geschehen”, kritisiert der erfahrene Journalist und Koordinator des Umweltinformationsplattform EcoDebate, Henrique Cortez. „Tatsache aber ist, dass die Agrarfront voranschreitet ohne so genannte degradierte Flächen zu nutzen. Warum? Weil die Wiederherstellung von degradierten Flächen teuer ist und viel Zeit beansprucht.” Es sei schlichtweg billiger und einfacher für die Agrarindustrie den Cerrado abzuholzen und die Agrarfront weiter nach Amazonien zu treiben.

Davon unbekümmert spricht gleichfalls der Präsident von Sáo Paulos Union der Zuckerrohrindustrie, Eduardo Pereira de Carvalho, von rund 100 Millionen Hektar Land, dass in den nächsten 15 Jahren in Zuckerrohrmonokulturen umgewandelt werden könnte, vor allem in Mato Grosso do Sul, Mato Grosso, Tocantins und Goias. Dies entspricht exakt dem zentralen Verbreitungsgebiet des Cerrado. „In unseren Feldstudien haben wir festgestellt, dass die Viehfarmer im Cerrado ihr Land an die Zuckerrohrproduzenten verkaufen und den Erlös in neue Viehweiden in Amazonien investieren”, erläutert Laschefski. „ Der Raubbau am Amazonas geht also weiter und wird durch die Erschließung des Cerrados verschärft. In manchen Gebieten wandert der ganze Sektor der Milchwirtschaft inklusive der Verarbeitungsbetriebe in Richtung Amazonien.”

Szenenwechsel: Mato Grosso do Sul, 12. November 2005. Ein Mann, 65 Jahre alt, parkt kurz vor 12 Uhr Mittags seinen VW-Transporter im geschäftigen Stadtzentrum von Campo Grande, lädt zwei Kissen aus und legt sie auf den Boden. Dann überschüttet er sie mit Benzin, dem Ethanol beigemischt ist, setzt sich darauf und zündet sich an. Der Mann hieß Francisco Anselmo Gomes de Barros, genannt Francelmo, war Umweltjournalist, Begründer der Umweltbewegung Mato Grosso do Suls und kämpfte ein Viertel Jahrhundert gegen die Ethanolproduktion in seinem Bundesstaat. 1982 hatte er das Gesetz Nummer 328 zum Schutz des größten Feuchtgebiets der Erde, dem Pantanal, durchgefochten und damit den Bau einer der größten Ethanolfabriken Brasiliens im Südosten des Pantanals in der Gemeinde Miranda verhindert. Francelmo wollte mit seiner Selbstverbrennung ein ultimatives Zeichen setzen, um die von der Ethanol-Lobby geplante Änderung des Umweltschutzgesetz zu verhindern. Vergeblich! Die Regierung Mato Grosso do Suls schoss im Dezember 2006 Francelmos Gesetz Nr. 328 ab und machte damit den Weg frei für die bis dahin größten Ethanolinvestitionen des Landes.

Pantanal: Größtes Feuchtgebiet der Erde bedroht

Bislang war der Bundesstaat Sáo Paulo Landesmeister in der Ethanolproduktion. Doch die Zukunft des brasilianischen Agrarsprits liegt nach Meinung von Milliardären wie George Soros in Mato Grosso do Sul. Denn für die Ausweitung des Zuckerrohranbaus verfügt der Bundesstaat, der international aufgrund des größten Süßwasserfeuchtgebiets der Erde, dem Pantanal, bekannt ist, über drei wichtige Voraussetzungen: Billige, relativ fruchtbare und ebene Böden, gute klimatische Bedingungen und ausreichend Wasser. Soros lässt gerade Zuckerrohrmonokulturen auf 150.000 Hektar anpflanzen und neue Ethanolfabriken bauen. Angestrebte Verarbeitungskapazität: 11 Millionen Tonnen Zuckerrohr pro Jahr. Noch in diesem Jahr soll der erste Soros-Ethanol aus Mato Grosso do Sul fließen und seine Investitionen vergolden.

Insgesamt rechnete 2007 die Regierung des Bundesstaates mit Investitionen von rund zwei Milliarden US-Dollar und einer Ausweitung des Zuckerrohranbaus auf 710.500 Hektar bis 2009 sowie mit wenigstens 31 neuen Ethanolfabriken. Die Zuckerrohrproduktion Mato Grosso do Suls soll nach Meinung der Regierung bis 2012 um 620 Prozent steigen. Der Pantanal ist durch diesen Ethanolwahn massiv bedroht.

Trotz Lulas Beteuerungen, das Pantanal nicht zu opfern, vollzieht sich an seinem Rande noch eine andere Tragödie. Betroffen sind diejenigen, die seit jeher in Brasilien keine echte Lobby haben. Die letzten indigenen Völker Mato Grosso du Suls. Laut vorläufiger Statistik des Indianermissionsrats (CIMI) wurden 2007 in ganz Brasilien 76 Indianer umgebracht – über die Hälfte davon, 48, in Mato Grosso do Sul. Eine der Ursachen: Kampf um Land!

„Die Herren des Agrobusiness behaupten, sie wollten Zuckerrohr nur auf degradierten Flächen Mato Grosso du Suls anpflanzen. Aber mit der Perspektive ständig steigender Profite haben sie ihre Ansicht geändert und kämpfen nun um die besten Flächen der Region, die Gebiete der Guarani-Kaiowá”, erläutert Egon Heck, CIMI-Koordinator von Mato Grosso do Sul. ”Auf den weniger produktiven Böden kann man 70 bis 80 Tonnen Zuckerrohr je Hektar erzielen, aber auf den Flächen der Guarani-Kaiowá bis zu 120 Tonnen je Hektar.” Für die Elite des Agrobusiness seien die Guarani-Kaiowá schlichtweg ein unliebsames Hindernis, das es zu beseitigen gelte, so Heck. Große Konzerne kauften strategisch wichtige Flächen auf, um die Naturressourcen des Landes, darunter Wasser, zu kontrollieren.

Unabhängig davon, dass Zuckerrohr ohne ausreichend Wasser nicht anzubauen ist, benötigen auch Ethanolfabriken das kostbare Nass: Drei bis fünf Liter je Liter Alkohol. Ethanolwahn und sein Durst auf Wasser ist auch der entscheidende Punkt im Streit um die von der Regierung Lula durchgepeitschte Teilumleitung des Rio Sáo Francisco im Nordosten Brasiliens, die umgerechnet weit über zwei Milliarden Euro an öffentlichen Geldern verschlingen wird. Zu den Hauptprofiteuren des Projektes zählen die Zucker- und Ethanolbarone des Nordostens. Schon 2005 frohlockte der Präsident ihres Industrieverbandes, Renato Cunha, die Flussumleitung werde eine deutliche Ausweitung des Zuckerrohranbaus um bis zu 130 000 Hektar in den Bundesstaaten Pernambuco und Bahia ermöglichen.

Neben Kleinbauernfamilien, die ihre Äcker und Häuser bereits haben räumen müssen, sind die Leidtragenden rund 9000 Tumbalalá- und Truká-Indianer. Der Schamane der Truká-Gemeinde von Cabrobó, Antônio Cirilo de Sá, klagt: „Seit dem Bau des Staudammes von Sobradinho leben wir unter größten Schwierigkeiten. Wir verloren unsere fruchtbaren Felder an den Ufern des Sáo Francisco und die Fische im Fluss wurden weniger.” Die Teilumleitung und das Absenken des Flusses werde noch mehr Hunger bringen, sowie das Fischen und den Reisanbau weiter erschweren. Auch der Vizepräsident der Vereinigung der Fischer im Bundesstaat Alagoas, Antonio Gomes dos Santos, kritisiert das Lula-Projekt: „Ich bin gegen den Zuckerrohranbau vor allem in den Wassereinzugsgebieten der Flüsse und Lagunen, weil es schon zu viel Zuckerrohr gibt. Wir brauchen diese Gebiete in Fluss- und Lagunennähe, um Nahrungsmittel wie Reis, Mais, Bohnen, Kartoffeln und Fruchtbäume anzubauen. Zuckerrohr bringt auch keine Arbeitsplätze. Was den Gemeinden Jobs gibt, ist die traditionelle Flussfischerei.”

„Brasilien besitzt sechs große Biome: Amazonien, Pantanal, Cerrado, Caatinga, Mata Atlântica e Pampa. Eines davon wurde bereits durch Zuckerrohr vernichtet – die Mata Atlântica (Atlantischer Regenwald)”, resümiert der Koordinator der Comissáo pastoral da Terra, Roberto Malvezzi. „Heute bestimmt Zuckerrohr den Staat Sáo Paulo und will nun den Cerrado, das Pantanal und in einer perversen Form der Bewässerung die besten Böden der Caatinga übernehmen. Das Volk verdurstet, aber das Zuckerrohr bekommt Wasser im Überfluss.”

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 14. Februar 2008 um 16:36 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Naturschutz abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen. Du hast die Möglichkeit einen Kommentar zu hinterlassen, oder einen Trackback von deinem Weblog zu senden.

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