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Brasiliens Lepra-KZs – späte Wiedergutmachung für die Opfer

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„Man hat uns wie Versuchsratten traktiert, uns keine Medikamente gegeben“, erinnert sich Sebastiao dos Santos, heute über siebzig, von Lepra gezeichnet. „Wer wie ich gegen die Zustände, gegen die Autoritäten aufbegehrte, wurde für geistesgestört erklärt und in die psychiatrische Anstalt dieser Leprakolonie gesperrt“, bricht es aus ihm heraus. „Ich war dort jahrelang, es war schrecklich.“

Die „Vila Padre Bento“ nahe der Megacity Sao Paulo ist nach einem katholischen Priester benannt, der sich dort um 1800 als erster aufopferungsvoll den Leprakranken widmete, aus eigener Tasche sogar ein Hospital errichtete und bis zu seinem Tode unterhielt. Danach wurde die „Vila Padre Bento“ jedoch vom Staat in eines der vielen brasilianischen Lager für Aussätzige umgewandelt, pferchte die Seuchenpolizei etwa 5000 Menschen hinein. „Ich war damals verheiratet, durfte meine Frau, meine Kinder aber nie sehen“, so Sebastiao dos Santos. Abscheu, Verachtung, Vorurteile gegen Lepröse waren enorm – nur zu oft brachen die Angehörigen jeglichen Kontakt zu den Kranken ab. Viele heirateten in der Kolonie erneut, deren Kinder wurden sofort zur Adoption freigegeben. „Hier drinnen gab es kein Pflegepersonal – wir mußten uns gegenseitig betreuen, sogar unsere Toten selber begraben.“ Ärzte blieben auf Distanz, Polizisten und Gefängniswärter waren böse und brutal, mitleidlos. Der mittelalterlich wirkende Kerker steht immer noch – Wagner Marques war dort mehrfach inhaftiert: „Ich konnte fliehen, wurde in Sao Paulo wegen meines Anstaltshemds erkannt, geschlagen, schon als Dreizehnjähriger über 120 Tage in den Koloniekerker gesperrt.“

Jetzt werden die Überlebenden aller Aussätzigen-Kolonien eine geringe Wiedergutmachung erhalten. Denn 1959 hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO allen Staaten empfohlen, Leprakranke nicht länger gewaltsam von der Außenwelt, von ihren Mitmenschen zu isolieren. Denn es gab inzwischen hochwirksame Medikamente, die den Leprabazillus in wenigen Tagen abtöteten. Für ein Wegsperren der von Lepra Betroffenen fehlten daher jegliche Argumente. Länder wie Brasilien und selbst Japan behielten indessen gegen die WHO-Empfehlung noch Jahrzehnte die grausame Praxis bei, beraubten Hunderttausende ihrer grundlegenden Menschenrechte. Nach Japan hat sich nun auch der brasilianische Staat zu einer Opferentschädigung entschlossen. „Dafür haben wir jahrelang gekämpft“, sagt Artur de Sousa, Präsident des brasilianischen Lepraopfer-Verbandes MORHAN. „2005 holten wir sogar die UNO-Menschenrechtskommission in die Leprakolonien, setzten die Regierung in Brasilia unter öffentlichen Druck.“

Die „Vila Padre Bento“ macht einen deprimierenden Eindruck, Krankengebäude und Wohnhäuser wirken heruntergekommen. Im armseligen Versammlungsraum hocken über einhundert Lepraopfer auf Bänken und können kaum glauben, was ihnen MORHAN-Präsident Sousa da erklärt: „Mit einer monatlichen Pension bittet der Staat um Verzeihung für all das, was er euch zugefügt hat. Ihr wurdet gejagt, auf Müllautos geworfen und in diese Konzentrationslager verschleppt, aller Bürgerrechte beraubt.“ Als 1986 in Brasilien die Zwangsisolierung endgültig aufgehoben wurde, habe man die Leprakolonien einfach sich selbst überlassen, seien manche zu Slums geworden. Dann spielt Sousa den Koloniebewohnern von Pirapitingui ein Video von der jüngsten Audienz bei Staatschef Lula vor. Der Verband, so Lula, habe die Regierung, die Politiker sensibilisiert. Ein Leprageschädigter im Rollstuhl: „Diese Pension ist nur zu gerecht – denn man hat uns in wahre Konzentrationslager gesperrt, uns aus der Gesellschaft ausgestoßen!“

Die Pension beträgt umgerechnet rund 300 Euro monatlich. „Viele Betroffene müßten mehr erhalten“, kritisiert Artur de Sousa. „Doch mehr konnten wir bei der Regierung nicht erreichen.“ Die Wiedergutmachung bekommen maximal zwanzigtausend. „Alle sind bereits sehr alt und werden von dem Geld kaum noch viel haben.“

Im Mittelalter wütete die Lepra auch in Deutschland, wurden die Kranken in über 20000 Siechhäusern isoliert. Lediglich durch verbesserte Lebensbedingungen, mehr Hygiene und ohne jegliche Therapie konnte die Lepra bereits vor zweihundert Jahren endgültig ausgerottet werden. „Erschreckend ist, daß in Brasilien die Lepra wieder zunimmt“, sagt Sousa. „2006 wurden 52000 neue Fälle registriert, bei hoher Dunkelziffer. Damit ist Brasilien laut Weltgesundheitsorganisation als zehnte Wirtschaftsnation auch das Land mit der höchsten Lepradichte.“

Dieser Beitrag wurde am Freitag, 29. Februar 2008 um 12:33 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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