Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Neuschweizerin Roberta Close aus Rio de Janeiro – Amerikas berühmteste Transsexuelle. YouTube. „Brasilien ist primitiv und rückständig, dort lebe ich nie mehr – mein Bruder wurde in Rio erschossen.“

„Ich bin Geschichte Brasiliens”

1981, während der Militärdiktatur, geht ein Siebzehnjähriger namens Luiz Roberto Gambine Moreira auf die rauschendsten Karnevalsbälle unterm Zuckerhut, wird zum Ereignis und weiblichen Sexsymbol, beginnt eine kometenhafte Karriere als lateinamerikanisches Schönheitsideal, Fotomodell, Mannequin. (Anhang-Link: Schweizer Forschung und Transsexuelle)

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Werbung – Ausriß.

http://cidadaoquem.blogspot.com/2009/05/uau-roberta-close-fazendo-streap-tease.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/28/brasiliens-abgebrochene-schul-aufklarungskampagne-uber-schwule-lesben-transvestiten-wir-machen-keine-propaganda-fur-sexuelle-optionen-laut-staatsprasidentin-dilma-rousseff-morde-an-homosexu/

 Die Rekrutenmusterung mit achtzehn  wird zur filmreifen Posse –  mißtrauische , verunsicherte Offiziere schreien „halt, es reicht”, als Roberta Close ihre Bluse öffnet. Sie wird Miss Gay , ist 1984 erstmals Playboy-Titel –  nach drei Tagen ist in ganz Brasilien keine Ausgabe mehr aufzutreiben. Psychologen, Sozialwissenschaftler, Literaten, Poeten befassen sich mit ihr, die gläubige Katholikin tritt in den beliebtesten TV-Unterhaltungsshows auf, Roberta-Close-Gassenhauer werden landesweit gesungen: ”Die schönste Frau Brasiliens ist ein Mann/wo sie geht, werden Frauen böse und Männer ganz verrückt… ”Mit Cindy Crawford, Linda Evangelista und Naomi Campbell präsentiert „La Close” für Guy Laroche, Thierry Mugler und Jean-Paul Gaulthier extravagante Mode in Paris, spielt 1988 in einem französischen Streifen mit, tourt mit Brazil-Revuen durch ganz Europa, auch durch die Schweiz. Noch 1984 lehnt sie eine Geschlechtsumwandlung als „wenig intelligent” ab: ”Ich habe mir ein Image als Transvestit aufgebaut –  die Operation würde alles wieder kaputtmachen.” August 1989 dann doch der schmerzhafte, komplizierte Eingriff  –  ganz Brasilien leidet mit, begutachtet danach eingehend in Tageszeitungen und Zeitschriften, was er ergab. Und der Orgasmus?” Klar habe ich einen, die Medizin ist heute weit fortgeschritten. Mein Orgasmus ist jetzt viel intensiver, weil ich all mein weibliches Potential freisetzen kann.” Schätzungsweise 1500 Brasilianer taten den gleichen Schritt wie Roberta Close. Viele Transsexuelle sagt sie, sind unglücklich, haben Angst, scheuen noch das Risiko. In der internationalen Pop-und Künstlerszene verkehrt sie seit Jahren; Gerard Depardieu, Boy George, Brasiliens erste Garnitur “ alles gute Bekannte. Dann ein wichtiger Sprung auf der Karriereleiter – allabendlich Hauptattraktion einer populären TV-Serie,  erstmals als richtige, echte Frau, Kabarettsängerin, die Männern einer Stadt den Kopf verdreht. Auf Europas Flughäfen immer das gleiche: Die Beamten wollen die tropische Schönheit nackt sehen, weil in ihrem brasilianischen Reisepaß eigenartigerweise ein Männername steht. Roberta Close wird in einen Nebenraum geführt, muß sich ausziehen.”Sie lachten sich tot, während ich vor Wut und Demütigung weinte.“ Denn damals hat das Schönheitsideal, Sexsymbol der Brasilianerinnen zwar wohlausgebildete Brüste, aber immer noch einen Penis. Eine Geschlechtsumwandlung, seit Jahren erwogen, würde erniedrigende Airport-Szenen ausschließen, glaubt Roberta Close. Ein Wunschtraum. 1989 die Operation für 20 000 Dollar im Londoner Charing-Cross-Hospital –  doch weiterhin verweigert ihr Brasiliens Justiz die ersehnte Namensänderung. In der Schweiz lebt sie amtlich registriert als Luiza Gambine, läßt den famosen Künstlernamen beiseite, doch im Paß steht Luiz Roberto Gambine Moreira –  auf den Flughäfen dieselben absurden Dramen. Mit einem beginnt die 240-seitige Autobiographie “ Schauplatz Heathrow-Airport, April 1997. Der Polizeibeamte entzückt sich an der sinnlichen Brasilianerin, öffnet den Paß: ”Mr. Luiz Roberto, erklären sie mir diesen Unsinn!”  „Ich wurde als Hermaphrodit geboren, bin jetzt eine Frau –  haben sie Zweifel?”, fragt Roberta Close, hält dem Verdutzten schrille Illustriertenfotos vor die Nase. Ohne Erfolg. Wieder ein unfreiwilliger Striptease vor einem Beamten, und dann noch einer, vor einer ganzen obszönen Horde. Im gespannten Klima nach IRA-Attentaten bellt ein Beamter: ”Wir glauben ihrer Story nicht. Sie könnten ein irischer Terrorist sein, als Frau verkleidet.” Roberta Close landet im Gefängnis, kommt erst nach langem Hin und Her frei. 1997 lebt sie bereits mit einem Züricher zusammen, genießt die unaufgeregte Schweiz, die Anonymität, gewinnt Abstand, kommt zur Ruhe, macht sich an das wegen vieler verständlicher Ängste aufgeschobene Buch. Seriös, nicht sensationalistisch soll es sein, die menschliche Seite ihrer Geschichte zeigen. Nur –  von Kindesbeinen an reihen sich nun einmal dramatische, bizarre, groteske, deprimierende und spektakuläre Episoden aneinander. Mit sieben Jahren entdeckt der kleine Roberto, daß er anders ist; möchte mit Puppen, den gleichaltrigen Mächen spielen, deren Kleider tragen. Fürchtet, daß die anderen Schulbuben sein unterentwickeltes Geschlecht entdecken könnten –  der Penis wie bei einem Kleinkind, die Hoden nicht sichtbar. Der Vater, ein Offizier, schlägt zu, wenn er ihn mit Mädchenspielzeug, gar Röcken erwischt.Bereits ab zehn mischt sich Roberto unter die Homosexuellen der Copacabana, taucht in die Subkultur der risikofreudigen Randexistenzen, rennt mit ihnen vor der Diktatur-Militärpolizei davon. Mit dreizehn, vierzehn trägt er Bikinis, nimmt Hormone, damit die Brüste schneller wachsen, hat das erstemal Sex, wird kurz darauf brutal vergewaltigt, beinahe noch einmal, in Copacabana öfters brutal zusammengeschlagen, getreten, bespuckt, lernt Intoleranz, Diskriminierung, Vorurteile kennen.

Analverkehr –  im bisexuellen Brasilien, wo die brillant geschriebene Novelle „Brokeback Mountain“ von Pulitzerpreisträgerin Annie Proulx in der Realität millionenfach ihre Entsprechung fände –  anders als in Europa absolut nichts besonderes, als Troca-Troca zumeist die erste sexuelle Erfahrung der heranwachsenden Brasilianer. Viele bleiben dabei, sagen Frau oder Freundin nichts davon, gehen später zu den Transvestiten vom Strich. Mit einem „Travesti”, der mit seinen Silikonbusen wie eine Superfrau aussieht, sagen Experten, fühlen sich die Machos nicht als Homosexuelle, obwohl sie nur zu gerne den passiven Teil spielen, phantasieren, daß eine Frau sie besitzt. Über dreitausend Travestis prostituieren sich allein in Rio, geben Shows  –  ein Teil unweit von Robertos Elternhaus, im alten Boheme-Stadtteil Lapa. Bei ihnen fühlt er sich wohl, trägt wie sie aufreizende, tiefdekolletierte Kleider. ”Der Transvestit agiert beim Geschlechtsakt wie ein Mann”, erläutert  Skorpion Roberta Close “ nicht ihr Fall. Auf  Seite 201 zeigt sie ihr operiertes, weibliches Geschlecht: ”Die brasilianischen Machos suchten in mir stets den Mann, der garnicht existierte. Da sie ihn nicht fanden, baten sie mich, einen Freund zu rufen… Sie wollten penetriert werden.” Jene Phase, in der sie, bereits Star, viele Partner hatte, ist ihr heute widerwärtig –  mit Ekel denkt sie an die High Society, Industrielle, Politiker: ”Je reicher, desto schlimmer. Die Mehrheit ist pervertiert, kokainsüchtig, wollte mich nur benutzen, um Phantasien zu befriedigen. Ein Gouverneurssohn empfing mich im Palast bereits voll mit Drogen, fand sich nicht damit ab, daß ich nicht wie ein Travesti agierte. Sex zu machen, reichte ihm nicht, er wollte auch der passive Part sein –  ein Gefallen, den ich niemandem tun konnte. Auch deshalb habe ich mich operieren lassen. Ich war immer passiv, hatte keine andere Option außer Analsex…” Der zwar lustvoll war, bei dem sie sich aber gleichzeitig auch schämte. Einen anderen Reichen, Mächtigen mußte sie durchpeitschen, treten –  er auf den Knien vor ihr, wollte wissen, wie man sich als Untergebener fühlt; Roberta Close just in der Boß-Rolle, die er im brutalen brasilianischen Arbeitsalltag innehatte.

1989 endlich die Umwandlung, kompliziert, therapeutisch begleitet. Sie verläßt das Charing-Cross-Hospital  noch im Rollstuhl, bleibt für einige Zeit bei zwei transsexuellen Freundinnen in der Schweiz, kann es kaum erwarten, ihr neues Geschlecht auszuprobieren. Doch mit wem? „Eine ganze Schlange von Männern bot sich an. Aber ich wollte jemanden, der meine Geschichte nicht kennt, mich wie eine wirkliche Frau begehrt.” Ein junger Schweizer wars, es ging phantastisch gut, immense Lustgefühle. Und er hatte nichts gemerkt. In Zürich lernt Luiza Gambine, unbekümmert, energiegeladen und noch unentdeckt, ganz normal Frau zu sein, kreuzt schließlich ihren „Traummann”, lebt mit ihm, voller Angst, daß er ihre Geschichte erfährt, davonläuft. Ein Jahr lang sagt sie nichts, täuscht die Menstruation, Koliken vor. Bis eines Tages alles heraussprudelt. Seine erste Reaktion –  Angst, Konfusion, Verlorenheit. Dann mag er Roberta noch mehr, ist in Brasilien jetzt prominent, öfters auf Titelseiten. Dort wird sie weiterhin als Femme fatal behandelt, in Europa dagegen ernstgenommen; tritt im Bildungsfernsehen auf, sitzt mit Pfarrern , Therapeuten, Juristen, Gynäkologen bei Rundtischgesprächen, gibt TV-Interviews über Transsexualismus. Durch ihren Mann und die Schweiz wurde sie anders, sicherer: ”Mich zur Schau stellen, im Karneval entblößen –  das brauche ich nicht mehr so nötig.” Und die Schweizer Männer? „Sie sind ruhige Leute –  wahrhaftig, aufrichtig, echt, wenn sie jemanden mögen. Sie betrügen einen nicht, wie Italiener oder Brasilianer, die verheiratet sind und gleichzeitig noch zwei, drei Frauen nebenbei auf der Straße haben.” Mit dem Buch, betitelt „Muito Prazer, Roberta Close”, mehrdeutig als „Sehr angenehm, viel Vergnügen und viel Lustgewinn, Roberta Close” übersetzbar, will sie Brasiliens Machismus, die Erniedrigung der Frauen anprangern, Berichte der Skandal-und Qualitätsmedien dementieren. Nach der Operation war in ihrer Heimat zu lesen, sie sei ohne Penis frustriert, habe Aids, sei gar tot. Die Italienischstämmige wolle ein Kind, gezeugt mit eigenem Samen, der in einem Schweizer Labor lagere.  Der größte Schock: Transvestiten, ihre Freunde von einst, erklärten der Presse, Roberta sei jetzt amputiert, kastriert. Kein Wunder, daß sie ein gespaltenes Verhältnis zu Brasilien hat. „Europa gab mir Gelegenheit, mein Leben in Ordnung zu bringen, dort bin ich keine Randexistenz. Brasilien ist primitiv und rückständig, dort lebe ich nie mehr –  mein Bruder wurde in Rio erschossen.”

Inzwischen kommt Roberta Close nicht einmal mehr zum Karneval nach Rio.

(Anmerkung: Mit Roberta Close habe ich mich auf einem Karnevalsball von Rio tanzend köstlich amüsiert – hielt sie für eine außerordentlich entzückende Brasilianerin)

Schweizer Forschung und Transsexuelle: http://www.unipublic.unizh.ch/magazin/wirtschaft/2003/0730.htmlÂ

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/09/analsex-haufig-erste-sexuelle-erfahrung-von-mannlichen-jugendlichen-in-brasilien-troca-troca-brasil-ato-sexual-em-que-parceiros-masculinos-se-alternam-na-penetracao-anal/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/06/aids-in-brasilien-nicht-unter-kontrolle-gesundheitsministerum-weist-auf-deutlichen-anstieg-bei-jungen-homosexuellen/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/22/viele-aids-infizierte-brasilien-stecken-aus-rache-und-wutgefuhlen-heraus-sowie-aus-bosartigkeit-ganz-bewust-andere-menschen-mit-dem-hiv-virus-an-patienten-des-franziskaner-aids-projekts-in-sao-pa/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/05/bye-bye-brasil-weltsozialforum-erfinder-oded-grajew-aus-sao-paulo-zum-massenexodus-von-brasilianern-in-die-erste-welt/

Köln schließt eine Städtepartnerschaft mit Rio de Janeiro:

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/rio-film-tropa-de-elite-2-fur-oscar-nominiertbester-auslandischer-streifen-stadtepartnerschaft-koln-rio-de-janeiro-trailer-anklicken/

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, 02. März 2008 um 22:42 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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