Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasiliens angesehenste Candomblé-Priesterin: Mae-de-Santo Sylvia de Oxalá. Die Situation der afrobrasilianischen Religionen. Rituale, Homosexuelle und Aids.

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http://brightsblog.wordpress.com/2008/06/25/der-kult-der-schwarzen-gotter/

Die Yalorixá Sylvia de Oxalá, 70, Präsidentin des „Instituto Axé Ilé Obá“, in ihrem Kabinett neben dem Candomblé-Kultraum des denkmalsgeschützten Terreiro der Megacity Sao Paulo.Sylvia de Oxalá war Kinderärztin und Besitzerin von Exportunternehmen, machte den Außenhandels-Hochschulabschluß, bevor sie zur Candomblé-Priesterin berufen wurde. Zu ihren zahlreichen internationalen Auszeichnungen zählt auch der „Humanismus-Preis“ der Lomonossow-Universität in Moskau. Zweimal jährlich fliegt sie nach New York,  zelebriert  Candomblé-Rituale, trifft  zahlreiche Anhänger in Privatkonsultationen, praktiziert mit ihnen u.a. Jogo de Buzios und Numerologia.

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/10/umbanda-in-sao-paulo-gesichter-brasiliens-wir-wahlen-nur-kandidaten-die-unsere-rechte-vertreten/

Die afrobrasilianischen Religionen: Komplexe Transformationsprozesse, Abwehr von Sektenattacken, überraschende Ausbreitung auf Argentinien und Uruguay, Rituale und Aids

Die rund fünf Millionen nach Brasilien verschleppten Negersklaven praktizierten einst im Geheimen ihre traditionellen Religionen weiter, huldigten ihren Gottheiten, den Orixas, pflegten ihre Trance-Tänze. Heute sind diese afrobrasilianischen Religionen im größten katholischen Land der Erde immer noch erstaunlich lebendig, haben Millionen von Anhängern, stehen indessen in einem tiefgreifenden Transformationsprozeß. Die Religionsexperten überrascht vor allem eine Intellektualisierung, die Ausbreitung nach Argentinien und Uruguay sowie andere lateinamerikanische Länder.  „Die Situation der afrobrasilianischen Religionen erscheint auf den ersten Blick recht widersprüchlich”, sagt Afonso  Ligorio Soares, Professor an der Katholischen Universität von Sao Paulo und Präsident der brasilianischen Gesellschaft für Theologie und Religionswissenschaft(SOTER) im Exklusivinterview. „Jahrhundertelang wurden die afrobrasilianischen Religionen erdrückt und sogar polizeilich verfolgt, mußten sich verstecken.  Ab 1947 trat glücklicherweise ein Gesetz über die Religionsfreiheit in Kraft, prügelte auch die katholische Kirche nicht länger auf Kulte wie Candomblé und Umbanda ein, sondern setzte plötzlich radikal auf den Dialog. Volkszählungen belegten eine wachsende Anhängerzahl “ die afrobrasilianischen Religionen wurden auf einmal viel stärker öffentlich wahrgenommen. Selbst die Rolling Stones interessierten sich während ihrer Brasilienreisen intensiv für Candomblé und Umbanda: Als sie im Januar 1969 auf einer Farm bei Sao Paulo ihren Hit „Honky Tonk Woman“ komponierten, ging es zwischendurch mit dem Wagen immer wieder zu Umbanda-Kultstätten.  „Sympathy for the Devil“, ein anderer Rolling-Stones-Hit, war von Candomblé-Ritualen Bahias inspiriert.

Der Zensus vom Jahre 2000 zeigte indessen eine deutliche Abnahme, Schwächung, die uns alle überrascht hat.”Selbst die berühmteste afrobrasilianische Priesterin von Bahia, Mae Menininha de Gantois, hatte sich als Katholikin registrieren lassen. Für Professor Soares  aus Sao Paulo weist dies auf interessante Transformationsprozesse der afrobrasilianischen Religionen –  und auf deren veränderte Eigendefinition. ”Entgegen den amtlichen Zahlen ist evident, daß heute mehr Menschen afrobrasilianische Kulte praktizieren als früher. Zudem hat eine Intellektualisierung stattgefunden –  erstmals gibt es Priesterinnen und Priester, die Doktortitel tragen,  Soziologen, Theologen und Anthropologen sind. Und von all diesen hört man auf einmal: Wir sind keine Religion, das ist ein westliches, ein europäisches Konzept –  in diese Schublade lassen wir uns nicht pressen. Wir sind eine Tradition, verehren unsere Gottheiten, wir setzen auf die Magie. Religionen werden als Institutionen gesehen, mit Dogmen und Gesetzen, mit einer gewissen Strenge, die man ablehnt. Und bei den Volkszählungen wird ja nach der Religionszugehörigkeit gefragt, nicht nach Traditionen.”Besonders im letzten Jahrzehnt sind in Brasilien die evangelikalen Sekten enorm gewachsen und attackieren die afrobrasilianischen Religionen vor allem dort, wo sie am stärksten verankert waren –  an den Slumperipherien, in der dunkelhäutigen Unterschicht. Sekten kooperieren sogar mit den hochgerüsteten Banditenkommandos der Slums, damit afrobrasilianische Kultstätten geschlossen werden. ”Die starke Universalkirche vom Reich Gottes ist dabei am aggressivsten, setzt auf Einschüchterung, Angst. Auch dies kann erklären, warum sich deutlich weniger Menschen zu den afrobrasilianischen Religionen bekennen. Über vierhundert Jahre lang haben diese nur Hiebe bekommen, sogar von den Katholiken –  und deshalb reagiert man jetzt wie gewohnt, durch geschickteste Anpassung. Priesterinnen des Candomblé wechseln pro forma zu diesen Sekten, werden deren Angestellte. Weil sie wissen: Andernfalls bin ich hier in diesem Slum von Rio erledigt, habe ich hier keinen Platz mehr. Der Sektenpastor läßt sie in Ruhe –  und siehe da –  diese Frauen sind de facto weiterhin Priesterinnen des Candomblé und kultivieren weiter ihre afrikanischen Gottheiten, afrikanischen Traditionen.”

Sylvia de Oxala : „Die Sekten werfen uns vor, dem Teufel zu huldigen, kopieren aber ganze Kulte und Feste von uns, um daraus Profit zu schlagen. Die Sekten betrachten uns als Konkurrenten fürs Geschäft, wir sollen verschwinden.  Man schaue sich nur deren alberne Massenwunderheilungen an. Da schreit der Führer, werft die Krücken und die Brillen weg – und danach tritt einer auf den anderen, fallen deren Anhänger übereinander. Man muß sich das mal vorstellen – Millionen von Krücken und Brillen!“

Gerade in der Megacity Sao Paulo, Lateinamerikas wichtigstem Wirtschaftsstandort, schließen sich immer mehr weiße Mittelschichtler den afrobrasilianischen Religionen an. Während in den über zweitausend Slums viele dunkelhäutige Arme und Verelendete abspringen, weil ihnen bestimmte Rituale mit Opfertieren wie Ziegen einfach zu teuer oder zu zeitaufwendig sind, haben viele weiße Freiberufler, wie Anwälte oder Ärzte, damit keine Probleme. Zumal Candomblé-Priester inzwischen gestatten, daß das Ziegenfleisch auch aus dem nächsten Supermarkt sein kann. Angesichts des irrsinnigen Verkehrschaos von Sao Paulo kämen viele Anhänger gar nicht zu den Ritualen in den Kultstätten. Daher läuft es häufig schon so, daß jene Mittelschichtler vorgeschriebene Riten zuhause im Appartement absolvieren “ und die Priester per Webcamera und Internet kontrollieren, daß alles seine Ordnung hat. Religionsexperte Soares betont zudem, daß sich gemäß brasilianischer Logik keineswegs ausschließt, überzeugter Katholik zu sein und gleichzeitig in buddhistische Tempel zu gehen, an Ritualen von Candomblé und Umbanda teilzunehmen. Die Logik sei nicht „entweder “ oder”, sondern „sowohl als auch”.  Ein neues, kurioses Phänomen ist der Export der afrobrasilianischen Religionen nach Argentinien und Uruguay, die Eröffnung vieler Kultstätten in Buenos Aires und Montevideo. „Candomblé und Umbanda beispielsweise waren nie missionarisch wie etwa das Christentum –  jetzt auf einmal sind sie es, verbreiten ihre Religion bis nach Italien oder Miami. Alles auch eine Auswirkung der globalisierten Gesellschaft.” Und auch dies zählt zu den neuen Phänomenen: In dem von deutschen Einwanderern stark geprägten südbrasilianischen Teilstaat Rio Grande do Sul ist die Zahl der Candomblé-und Umbanda-Anhänger am höchsten, gibt es an die fünfzigtausend Kultstätten. Das so afrikanisch geprägte Bahia folgt erst an neunter Stelle.  In Candomblé-Kultstätten Sao Paulos werden auch Eheschließungen zwischen Homosexuellen zelebriert. Bei der jüngsten vom April 2008 handelte es sich um zwei Homosexuelle, die bereits seit fünf Jahren Candomblé-Adepten waren.

–Rituale und Aids–

Nach Angaben von Homosexuellen-Organisationen mußten die afrobrasilianischen Religionen bestimmte Blut-Riten wegen der Aidsgefahr modifizieren. Verschiedene Götterwesen und Geister sind danach bi-und homosexuell, viele irdische Priester und Würdenträger ebenfalls. Bei Ritualen ist es u.a. üblich, mit Rasiermessern  und-klingen an Körperstellen so tief in die Haut einzuschneiden, bis das Blut herausströmt.  Weil mehrere dieselbe Klinge benutzten, wurde HIV übertragen. Hinweis auf einen kaum beachteten Aspekt der Aids-Ausbreitung in Afrika.

Das für die Kulte so heikle Thema ist längst nicht mehr tabu – auch die Grupo Gay de Bahia, älteste Homosexuellenorganisation Lateinamerikas, empfiehlt auf Faltblättern, daß jeder Candomblé-Anhänger nur noch seine eigenen Schnittwerkzeuge benutzt – oder sie vor der Weitergabe gründlich desinfiziert. Die Filmemacherin Tania Cipriano, die darüber in Salvador de Bahia den ersten Dokumentarfilm drehte, warnte eindringlich:“Aids befällt über Candomblé in Wahrheit eine ganze afrikanische Kultur, eine Religion, eine Tradition!“

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Religionsexperte Afonso Ligorio Soares von der Katholischen Universität in Sao Paulo

Hintergrund:

Afrobrasilianische Religionen Brasiliens vom organisierten Verbrechen verfolgt – zugunsten der Sekten **

In den Slums der brasilianischen Großstädte verbieten die Banditenkommandos des organisierten Verbrechens zunehmend afrobrasilianische Religionen wie Umbanda und Candomblé, um damit Sekten zu begünstigen. So wird laut jüngsten Presseberichten in den ausgedehnten Ghettos von Rio de Janeiro das in der Verfassung verankerte Recht auf Religionsfreiheit durch die Normendiktate der Gangstersyndikate außer Kraft gesetzt.

Seit mehreren Jahren würden systematisch Kultstätten geschlossen, religiöse Führer vertrieben und rituelle Alltagspraktiken der Gläubigen untersagt. Nach Aussagen von Religionsexperten stehen dahinter evangelikale Sekten, die seit jeher afrobrasilianische Kulte bekämpfen und sich in den Slums rasch ausgebreitet haben. Diese Sekten nehmen die Mitglieder der Banditenkommandos auf, geben den Gangsterchefs pseudoreligiösen Rückhalt und Prestige, versprechen sogar ”spirituellen Schutz und Beistand für deren kriminelle Aktionen. Als Gegenleistung vertreibt das organisierte Verbrechen die afrobrasilianischen Religionen, welche von den Sekten als unliebsame Konkurrenz angesehen werden. Wie es in den Berichten weiter heißt, werden von den Sektenpastoren sogar die Waffen der Banditenkommandos ”gesegnet. In letzter Zeit hatte die Polizei bei Razzíen wiederholt Maschinenpistolen beschlagnahmt, die religiöse Beschriftungen und Aufkleber der Sekten trugen. ”Ich glaube an Gott zählte dazu ebenso wie ”Die Engel begleiten mich.

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/06/aids-in-brasilien-nicht-unter-kontrolle-gesundheitsministerum-weist-auf-deutlichen-anstieg-bei-jungen-homosexuellen/

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 15. April 2008 um 17:48 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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