Baile Funk – Rio de Janeiro
Hintergrund:
Der dokumentarische Berlinale-Gewinner ”Tropa de Elite zeigt auch exemplarisch, was unter Staatschef Lula und Kulturminister Gilberto Gil in der größten Demokratie Lateinamerikas zu den Manifestationen  populärer Jugendkultur zählt. Auf einer vom organisierten Verbrechen veranstalteten Favela-Disko namens ”Baile Funk pflügen Banditen mit hochgereckter Heeres-Mpi durch die Menge der Tanzenden – die Rap-und HipHop-Titel verherrlichen Gewalt, harte Drogen, die Banditenkommandos und Sexismus. Hauptdarsteller Wagner Moura, der Capitao Nascimento, erläutert, daß es sich um moderne Waffen handelt, die anderswo in Kriegen eingesetzt werden, hier jedoch zur Grundausstattung der Slum-Diktatoren gehören, enorme Durchschlagskraft besitzen.
Die Zahl der Samba-und Bossa-Nova-Bälle wurde die letzten Jahre in Brasilien stark reduziert, während die Bailes Funk und deren Musik sogar häufig öffentliche Förderung erhielten. Politiker der Arbeiterpartei wie Benedita da Silva sprachen wiederholt von einem lobenswerten genuinen ”Movimento der Armenviertel. Alle paar Tage berichten die Medien vor allem aus Rio und Sao Paulo von Schießereien mit mehreren Toten auf Bailes Funk. Zu den Idolen der Baile-Funk-Szene zählt u.a. der Rapper Mr. Catra. ”Er hat zwölf Kinder, von sieben verschiedenen Frauen, schreibt die Qualitätszeitung ”O Globo. Besser als eine Frau sei für Mr. Catra eine Lesbe. ”Du greifst dir eine und hast dann gleich zwei. In jüngster Zeit sei die Gewaltverherrlichung auf den Bailes Funk schwächer, dafür Sexistisches mehr in Mode. Nichts Neues also aus der Szene – diese Trends wechselten seit jeher einander ab. Nach wie vor warnen Kultursoziologen wie Rufer in der Wüste vor den Wirkungen solcher Favela-Jugendkultur, die längst auch die Mittelschicht erreicht, auf Psyche und Wertvorstellungen. Nach Rio de Janeiro ist die Baile-Funk-Kultur unterdessen auch an der Peripherie von Sao Paulo fest installiert. Laut Presseberichten werden vom organisierten Verbrechen sogar auf zu diesem Zweck gesperrten Straßen Bailes Funk veranstaltet, zu denen jeweils über dreitausend Jugendliche und Kinder strömen. Wie es heißt, konsumieren dort bereits Kinder Crack, Kokain und Marihuana, trinken Wodka und Zuckerrohrschnaps. In einem Falle öffnete eine angrenzende städtische Schule stets die Tore, damit die Jugendlichen im Hof und in den verdunkelten Gängen harte Drogen konsumieren, urinieren sowie Geschlechtsverkehr praktizieren konnten. Die öffentliche Schule im Stadtteil ”Parque da Primaveira“ hieß deshalb in der Funkeiro-Sprache treffend ”Transodromo“. Die Baile-Funk-Veranstalter nehmen nirgendwo in Brasilien Rücksicht auf Anwohner, die den Lärm in Hardrock-Laustärke bis zum Morgengrauen ertragen müssen. Aus Angst vor Gewalt-Repressalien beschwert sich niemand. Eine zitierte Anwohnerin:Niemand hier ist so verrückt, zu reklamieren – selbst wenn diese Jugendlichen sich mit soviel Rauschgift geradezu umbringen und mit jedermann Sex machen.
HipHop und Rap zum Draufschlagen – Brasiliens Massendiscos ”Baile Funk
Millionen von dunkelhäutigen Kids strömen jedes Wochenende an den Slum-Peripherien der brasilianischen Großstädte zu ihren gewalttätig-machistischen HipHop-und Rap-Feten – Verletzte und Tote sind normal. Die nie auf kommerzielle CDs gepreßten Texte der populären Gangsta-Raps sind weit brutaler, sadistischer als die Vorbilder aus den USA.
In der Escola Estadual „Julio Ribeiro” von Sao Paulo heizen die Rapper oben von der Bühne ein, unten im Publikum beginnt irgendwann die übliche Massenschlägerei, Revolver werden gezogen, der 24-jährige Funkeiro Carlos Roberto Marino fällt nach einem Kopfschuß tot um “ in Rio de Janeiro werden am selben Tag gleich drei Funkeiros erschossen, dort ist die Todesrate stets höher. Schauplatz Nordzone, weitab von Copacabana und Ipanema. Mehrere tausend Dunkelhäutige drängen in den Clube Chaparral des Viertels Bonsuccesso nahe Rios internationalem Flughafen, schwülheiße Luft um dreißig, vierzig Grad, Adrenalin. Rechts von der Bühne mit den Lautsprechertürmen konzentrieren sich Kids jener Elendsviertel, die vom Verbrechersyndikat” Comando Vermelho”, Rotes Kommando, dominiert werden, links bauen sich feindselig Heranwachsende aus dem Herrschaftsbereich des rivalisierenden „Terceiro Comando”, Drittes Kommando, auf. Die DJs starten mit HipHop, Techno, neuesten Gangsta-Raps, die Lautstärke übertrifft Hardrock-Konzerte. Auch sinistre Töne werden angeschlagen: „Jetzt wirst Du sterben, sterben, sterben “ wenn Du weißt, was ein Neunziger-Patronengurt ist.”
Die Spannung steigt, der freie meterbreite „Corredor da Morte” zwischen den Tänzermassen von rechts und links wird enger, erste Fausthiebe, Tritte, Schlägereien zwischen Gruppen, den Galeras. Sicherheitspersonal geht nach einer Weile dazwischen, trennt die Gegner “ bis zum nächsten Gewaltausbruch, im Slang „Saddam Hussein” genannt. . Die Kids springen ähnlich Boxern beim Kampf, doch stets im Rap-oder Techno-Rhythmus, versuchen auch, dem Feind, der im Rio-Slang stets „Alemao”, Deutscher, heißt, irgendetwas zu entreißen. Vor Mitternacht hat die Baile-Funk-Ambulanz schon Arbeit, blutende Kopfwunden, ein Knochenbruch. Bis zum Baile-Schluß wird hier Bruno Lopes Escobar, 16, erschlagen, Braulio Vieira dos Santos, 12, und Bruno de Souza Machado, 15, werden erschossen.
Die DJs stimulieren auch auf den anderen über 150 Massendiscos der Sieben-Millionen-Stadt zur selben Zeit Gewalt meist direkt, fordern, falls der Baile Funk „mole”, lahm zu werden droht, per Mikro zu Attacken auf, widmen Titel nur den Galeras einer Hallenseite, was die andere in Rage bringt. Als das Ganze auf ein „Massacre” zudriftet, wie man im Baile-Funk-Slang sagt, verstummen die Wummerbässe abrupt, leiten die DJs zu sexistischen Einlagen über, folgt Sacanagem, Sauerei. Der MC in den gleichen Rapperklamotten wie an der US-Westküste schreit ins Mikro ”Eta, eta, eta” “ aus tausenden Kehlen kommt „Pau na Buceta” zurück. Auf der Bühne beginnen minderjährige Mädchen Striptease, manchmal ist es auch nur eine Professionelle, mit deren Auftritt ein Erektionswettbewerb gekoppelt wird. Hit der Bailes Funk sind auch superfeminine Gays, die auf der Bühne mit Partnerinnen einen Coito simulieren. Elf-Zwölfjährige schauen reichlich zu, eigentlich dürften auch im Clube Chaparral nur fast Erwachsene sein. Koitus-ähnliche Bewegungen der Jugendlichen, zu zweit, zu dritt sind normal. Mädchen in knappen Tops, mit superkurzen Röcken provozieren die Jungs vor ihnen, indem sie sich immer wieder raffiniert so in die Hocke fallen lassen, daß für einen Moment ihr winziges Tangahöschen sichtbar ist. Obszönitäten beinahe jeder Art am laufenden Band. Claro, daß selbst Zwölfjährige auf Bailes Funk schon zur Prostitution oder für Pornofilme angeworben werden.
In den Hallenecken dealen sie Kokain und Crack, der DJ jagt das Rap-Stakkato „Vai dancar”, x-mal viederholt, mit finsterem Höllenecho in die Menge. Klingt mechanisch übersetzt harmlos, dieses vai dancar, du wirst tanzen – doch alle Welt in Rio nutzts im Slang-Sinne: Du wirst sterben, gekillt werden, Blei fressen. Tudo mundo vai dancar “ alle sind dran.
Brasiliens Bailes Funk, Bailes do Corredor enden meist gegen fünf “ davor liegen noch einmal Stunden mit Tumult, Risiko, Enthemmung, mit ritualisierter Macho-Gewalt und der sogenannten „Viertelstunde der Fröhlichkeit”. Das häufig sogar mit Revolvern bewaffnete Hallenpersonal zieht sich zurück “ zu den härtesten, aggressivsten Hits schlagen die Funkeiros ungehindert aufeinander, auch Mädchen sind darunter. Funkeiros sagen es offen:”Die Disco ist gut, weil es Schlägereien gibt, die gehören einfach dazu. Wir imitieren hier das Videospiel „Mortal Kombat”. Wer zu einer Galera gehört, muß zum Schlagen und sogar Töten bereit sein.” Und wenn es am berühmten Ipanema-Strand von Rio ist, wo sich häufig verfeindete Funkeiro-Haufen bekämpfen. Schüsse fallen, Omnibusse gehen zu Bruch oder in Flammen auf – die romantischen Girl-from-Ipanema-Zeiten sind lange vorbei
Schwer zu übersehen, daß blutende Baile-Wunden Eindruck bei vielen Mädchen Eindruck schinden, die dann nicht selten „Siegertrophäen” werden. ”Mir gefällt das, mit dem Gewinner zu bleiben”, meint eine Vierzehnjährige. Eine Freundin widerspricht:”Die Typen sind unheimlich machistisch “ es gibt welche, die dich schlagen, wenn du nicht einwilligst. Dann muß man einen vom Sicherheitspersonal rufen. Mist, wenn mein Klo ausgerechnet neben der gegnerischen Galera liegt.” Baile Funk ist Rivalenkampf, auch um den schärfsten Typen. „Ich ziehe immer ganz enge Sachen an, das macht mich sinnlich”, erklärt Ana Paula, „anders gehts garnicht, würde ich mir niemanden angeln, keinen abkriegen.” Sie blinkert einen Jungen an, damit der weiß, daß sie will. Denn noch schmust er mit der Freundin. Kein Hinderungsgrund, in der Erwachsenenwelt außerhalb der Bailes Funk ja auch nicht: Für viele brasilianische Frauen ist es geradezu ein Sport, die „Treue” verheirateter Männer zu testen, mit ihnen zu schlafen “ wegen der Genugtuung, es „geschafft” zu haben. Oder der anderen den Partner wegzuschnappen. Ein Ehering gilt gewöhnlich als Beleg dafür, daß dieser Mann bereit ist, feste Beziehungen einzugehen, es ernst meint. Einer in Sao Paulo kommentiert:”Einen Ehering anzustecken, zieht Frauen magisch an, da kommen sie in Scharen und greifen an.”
Wie Soziologen herausfanden, hat die Mehrheit der weiblichen Funkeiros von elf, zwölf Jahren an Geschlechtsverkehr, verzichtet meist auf Verhütung – Frühschwangerschaften sind entsprechend häufig. Es gibt Bailes Funk, bei denen draußen in heißer Tropenluft Matratzen ausgelegt werden.
Mädchen betreiben sogar Gruppen-Mobbing gegen mißliebige Funkeiras, haben dafür drastische, unerhört sexistische Songs, die man nur übelsten Machos zutrauen würde.
Die Rhythmen der Bailes Funk wurden in Los Angeles und der Bronx erfunden, von der Musikindustrie auch nach Brasilien durchgeschaltet. Die Texte der US-Gangsta-Rapper sind verglichen mit denen Rios eher fürs Poesiealbum. Unterlegt mit Geräuschen von Mpi-Salven und Granatenexplosionen, singen Rios Rapper übers Töten, lebendig Verbrennen, Stapeln von Leichen, den Spaß am Kidnappen , Foltern. Im „Rap da Bandida” ist vom Vergnügen die Rede, Leute mit der Mpi zu durchsieben, sie aufzuhängen. Zitat:”Ich bin Rauschgifthändler und Straßenräuber, mache massenhaft Entführungen “ ich will dich an meiner Seite, Banditin von guter Rasse.” Solche Songs sind auch in Kolumbien und Mexiko populär, gehören inzwischen zur Alltagskultur. Rapper Jefferson Sapao in Rio, derzeit superbeliebt bei den Kids, gehört selber zu einer Banditenmiliz, mag besonders das deutsche Bundeswehr-Sturmgewehr „G 3” “ wie das wohl in so großer Zahl in die Hände der Gangster gerät? Rappend preist er natürlich die brutalsten Banditenchefs über alle Maßen:”Wenn die Polizei sich in einem Slum wagt, muß sie mit Mpi-Salven empfangen werden.” Was ja auch stets passiert.
Schauplatz Antares, ebenfalls Rio-Peripherie. Das lokale „Radio radical”verbreitet auf UKW und übers Lautsprechernetz den neuesten Gangsta-Rap, nachts läuft er auf den Bailes “ eine Botschaft des Banditenbosses Magno vom Comando Vermelho an einen Rivalen:”Es gibt ein Blutbad, wenn er nicht Antares in Ruhe läßt “ die Leute von Magno werden töten, köpfen, vom Friedhof bis zur Gerdau-Fabrik Leichen stapeln.” Die Drohungen sind kaum übertrieben “ in der Woche vor der ersten Rap-Ausstrahlung fallen sechsundzwanzig Gangster bei Schießereien, für die Slumbewohner Tage und Nächte des Terrors. Flüchtet ein bekannter Gangster aus den Hochsicherheitstrakten Rios, meist durch Wärterbestechung, feiern die Slums seines Comando tagelang, machen frischkomponierte Gangsta-Raps die Runde, werden von den Heranwachsenden gleich in Gruppen, auch in Bussen und Vorortzügen gesungen, rühmt man die „Heldentaten” des Entwichenen.
Kein Rio-Wochenende ohne tote Funkeiros. Im Slum Formiga gegenüber Borel werden auf einer einzigen Massendisco elf Minderjährige, Mädchen und Jungen, darunter eine Elfjährige, mit großkalibrigen Waffen erschossen. Der Polizeichef reagiert vor den Journalisten grob:”Soll ich eine Atombombe auf Rio werfen, damit sowas aufhört?” Auf einem anderen Baile sterben sechs. Einmal wirft eine Funkeiro-Gruppe drei selbstgebastelte Bomben am „Todeskorridor” in tanzende Gegner “ zwei vierzehnjährige Mädchen sterben, eines verliert das Augenlicht, ein weiteres den rechten Arm. Schon in den Zubringerbussen, oft von Gangstersyndikaten gesponsert, ist die Stimmung aufgeheizt. Die in einen überfüllten Funkeiro-Bus geschleuderte Spezialgranate der Armee hätte gemäß einem Offizier alle getötet, explodiert gottseidank nicht. Molotov-Cocktails auf Rivalen-Busse zu werfen, ist nichts Besonders mehr Auch das gibts: Funkeiros wollen den von einem rivalisierenden Verbrechersyndikat beherrschten Slum Antares provozieren, hängen beim Vorüberfahren aus dem Busfenster die nackten Hintern heraus. Auf diese schießen Banditen sofort mit Mpis “ neun Funkeiros landen schwerverletzt im Hospital. Eine schwarze Menschenrechtsanwältin kennt einen Zeugen, demzufolge inmitten von Bailes Funk Jugendliche lebendig verbrannt wurden. Fotos verkohlter Opfer veröffentlichen die Horror-und Crime-Boulevardblätter Rios allen Ernstes fast jeden Tag. Funkeiro-Galeras haben nach der Disco wiederholt Bettler verbrannt. Die Reste des vierzigjährigen Joel da Silva aus dem Rio-Slumgürtel Baixada Fluminense werden in Großaufnahme abgebildet. Kirchliche Sozialarbeiter sagen, auch andere Obdachlose endeten genauso.
Seit Jahren lassen die Baile-Veranstalter Tote, Schwerverletzte, Jugendliche im Koma, clever „verschwinden”: Ein Spezialteam, genannt „Servica de Desova”, schafft sie in öffentliche Hospitäler, gibt dort stets zu Protokoll, alle irgendwo in dunklen Straßen aufgefunden zu haben , weit entfernt vom nächsten Baile Funk. Gleice, 16, ließ man liegen. Auf dem berüchtigten Baile des Country Club von Jacarepaguà wird sie von einer gegnerischen Galera zuerst zusammengeschlagen, dann ins Klo geworfen. Das reichte nicht “ auf Gleice wird uriniert, man beschmiert sie mit Kot. Julio, 15, wird beim „Mortal Kombat” im Country Club erschlagen, Mauricio, 16, erschossen “ in wenigen Jahren sterben allein auf diesem Wochenend-Baile über zwanzig Jugendliche.
Das organisierte Verbrechen finanziert, veranstaltet viele Bailes Funk, läßt sogar populäre Sambistas gegen Höchstgage auftreten, wirbt dort Bandenmitglieder an. Kokain, Crack oder Heroin werden selbst an Kinder häufig kostenlos verteilt, bis es zum verführerischen Angebot kommt:”Wenn du mitmachst, kriegst du die Drogen immer gratis, hast viel Geld und eine Waffe, kannst dich schick anziehen, nimmst dir die Frauen, die du willst.”Comando-Leute sind in der Menge leicht zu erkennen “ sie tragen Goldkettchen und teure Ringe, sind am besten gekleidet, werden als Idole, Aufsteiger angesehen und behandelt, „erobern” die meisten Mädchen. Üblich ist, der Logik des Bosses der jeweiligen Favela auch in puncto Machismo zu folgen: Man hat drei bis vier Geliebte, die voneinander wissen, und eine Namorada de Fè, Geliebte des Vertrauens, zum Heiraten, mit der man Kinder haben will.
Die Baile-Funk-Realität erscheint absurd bis irrsinnig, zumal sie von den Autoritäten hingenommen wird. Marcia ist Soziologin, forscht in der Baile-Funk-Szene, dachte anfangs, mit progressiven Baile-Projekten ein Gegengewicht, Alternativen schaffen zu können. An einer Straßenbar von Lapa schüttet sie mir ihren Frust vor die Füße, ist nur noch pessimistisch. „Das alles ist die Antwort unseres neoliberalen Staates auf die Verhältnisse “ es gibt keine Politik, um die Jugendlichen für die Gesellschaft zurückzugewinnen. Fast dreißig Prozent der Heranwachsenden Rios sind ins organisierte Verbrechen verwickelt, hier geschieht ein Genozid an den jungen Leuten!” Die Kugel sei die erste Todesursache in dieser Altersgruppe.
Nach jahrelangem Zögern haben auch andere brasilianische Sozialwissenschaftler das Kulturphänomen Baile Funk schließlich intensiv untersucht. Selbst Therapeuten und Musikexperten nennen die Massendiscos Feste einer „Jugend ohne Perspektive”, die zynisch-nihilistische Antwort der jungen Generation auf eine Gesellschaft ohne Projekte “ eine Ablehnung sozialer Werte und eine Form der Entfremdung. Inzwischen frequentieren auch zunehmend weiße Jugendliche der Mittelschicht die Bailes Funk, damit, so heißt es, wollten sie eine tiefe innere Leere und Einsamkeit überdecken..”Die gefährliche Seite dieser Annäherung”, so der renommierte Jugendpsychiater Christian Gauderer, „ist die Anziehungskraft, die der Kriminelle auf die Mittelschichtskids ausübt “ diese versuchen, Freunde der Drogengangster zu werden, um Waffen und Status zu bekommen.”
Claro, die Bailes Funk machen an der Peripherie dem Samba den Garaus.
Wieder dröhnt mir auf einem Baile Sinistres um die Ohren “ die „Montagem do Aviso”. Monoton die zigmal geflüsterte, geschriene Botschaft „Paß sehr gut auf”, gewöhnlich die Ankündigung, daß man der nächste ist, der umgelegt werden soll. Aviso “ das kennen die im Slum sehr gut. Dann heißt es nur, alles stehen und liegen lassen, sofort abhauen, nie mehr in der Gegend auftauchen.
Österreicher, Schweizer, Deutsche, die Leme, Laranjeiras oder im Bergstadtteil Santa Teresa wohnen, hassen die Bailes Funk der umliegenden Favelas, besonders jene vom Morro da Coroa. In einer Novembernacht werden dort vier Funkeiros angeschossen, in Bauch und Rücken, eine Zwölfjährige und ein etwas älterer Junge fallen tot auf den Baile-Beton. „Guilherme Augusto Salvador hat einen Schuß in die Eier gekriegt”, amüsiert einen von der gegnerischen Galera. Eigentlich sind die Lärmschutzgesetze streng, ist Rios Umweltchef immerhin ein sogenannter Grüner, dennoch dröhnen HipHop und Rap von Freitagnacht bis Montagmorgen in Hardrock-Lautstärke über die Hügel. Ausländerinnen fliehen deshalb regelmäßig mit ihren brasilianischen Geliebten in die Bungalows außerhalb der Stadt, andere schlafen bei Freunden. Und alle fragen sich, wie eigentlich die Slumbewohner mit dem Krach klarkommen, all die Kranken, Alten, am Schlafen gehinderten Babies. In einem Hangslum des Mittelschichtsviertels Tijuca ist der Chef der Bewohnerassoziation, mit schwerkranker Frau in der Kate, mehr als genervt, hat wegen der letzten Baile-Funk-Nacht Ringe unter den Augen, erklärt mir die Lage:”Was soll ich machen? Die Leute kommen zu mir, wollen, daß ich mich bei den Veranstaltern beschwere. Mache ichs, werde ich erschossen. Denn der Veranstalter hier ist das Comando Vermelho.” In einer Uni-Fakultät Tijucas unterrichtet ein auswärtiger Dozent den ersten Tag, fährt sechs Uhr abends wegen einer nur zweihundert Meter entfernt abgefeuerten Mpi-Salve erschreckt zusammen. Seine Studenten im Hörsaal klären ihn lachend auf. Gerade hat in der nahen Favela der Baile Funk begonnen, die Gangster schießen deshalb immer am Anfang in die Luft, tuns auch zwischendurch, mitten in der tanzenden, wogenden Menge. In Sichtweite ist das weltgrößte Fußballstadion Maracanà . Als drinnen beim Baile Funk mit sieben DJ-Teams unter den über 6500 Jugendlichen die ersten Massenschlägereien losbrechen, mache ich mich lieber aus dem Staub, komme aber nicht weit. Denn rund ums Maracanà bekämpfen sich bereits über zweitausend Funkeiros, sogar Schüsse fallen. „Bleib lieber drin, Gringo, bist du verrückt!”, sagt der Stadionwächter, öffnet aber das dicke Vorhängeschloß, damit ich rauskann. Wenige Sekunden später flehe ich ihn an, mich wieder reinzulassen, denn eine Galera rennt auf mich zu, sichtlich nicht in friedlicher Absicht. Das geht über eine Stunde so, bis das Abtauchen in dunkler Nacht gelingt. Hinter mir werden noch Autos umgeworfen, Busse und Telefonzellen ruiniert, angeblich gibt es nur Angeschossene, keine Toten. Mir gellen die Galera-Schlachtrufe noch in den Ohren “ auf Comando Vermelho oder Terceiro Comando gemünzt. Besonders aktiv ist mal wieder die über hundertzwanzig Köpfe starke Galera des Borel-Slums, in Tijuca besonders gefürchtet. „Wir schlagen zu, weils uns gefällt”, sagt Pedro, siebzehn. „Unsere Galera hat die öffentlichen Busse im Griff “ steigt ein Alemao zu, hauen wir ihn zusammen.” Borels berühmteste Rapper waren das Duo Willian und Duda, die zum Karrierestart vom Comando Vermelho bezahlt wurden, auf deren Bailes auftraten, deren Taten verherrlichten. Reich geworden, zogen beide in bessere Viertel.
Als sich erster öffentlicher Protest gegen die Bailes Funk regt, auf Verwicklungen zwischen Politik, Gangstern und Disco-Betreibern verwiesen wird, wollen Funkeiro-Galeras spätnachmittags vor Oper und Parlamentspalast im Stadtzentrum aller Welt zeigen, was für grundfriedliche, harmoniebedürftige Jungs sie sind. Der Evento mit Rappershow geht nach hinten los, ich sehs mir aus der Nähe an, renne vor fliegenden Pflastersteinen davon. Wie auf den Bailes kriegen sich die Galeras sofort in die Haare; wer nicht mitprügelt, reißt solange schwangeren Frauen, alten Leutchen die Taschen weg, macht teils bewaffnet Straßenüberfälle. Ein Greis wird direkt vorm Parlament nicht nur beraubt, sondern auch noch zu Boden gestoßen und getreten, Hunderte, auch Zufallspassanten, schauen zu.
Natürlich sind die Bailes Funk auch ein Riesengeschäft, eine Industrie, an der wenige verdienen. Monatsumsatz in Rio “ umgerechnet weit über dreißig Millionen Mark. Soziologin Marcia erklärt mir die Strukturen:”Romulo Costa, Pastor einer Sektenkirche, ist Marktführer, hat sogar eine mehrstündige TV-Sendung. Das ist dermaßen absurd “ fast schon komisch bis grotesk, wenn nicht alles so tragisch wäre.” Auf einem Video ist zu sehen, wie Prediger Romula Costa ungerührt einer Massenschlägerei auf einem seiner Bailes zuschaut, der im Maracanà war auch sein Werk. Anfang Zweitausend findet man seine Firma erstmals schriftlich in der Buchhaltung einer Gangstermiliz festgehalten, die zu selber Zeit dem Militärpolizisten Marco de Oliveira den Kopf abschlägt. In den Zeitungen steht, für Romulo Costas längst fast jedermann bekannte Verwicklungen gebe es damit erstmals einen „technischen Beweis”. Folgenlos. Seine DJs schreien in die Massen:”Tötet die Deutschen, schnappt euch die dort, bildet Gruppen!” Romula Costa konkurriert mit Josè Claudio Braga, der sich ironisch-zynisch selber einen „Empresario des Teufels” nennt. Über seinen Bailes schwebt eine fünf Meter lange Riesenpuppe, die den berüchtigten Gangster Bagulhao verherrlicht. Bragas tägliche Seite im Sex-, Crime-und Horror-Blatt „O Povo de Rio”, Volk von Rio, ist aufschlußreich. Ein mit Bild vorgestelltes Galera-Mitglied erklärt:”Unser Wahlspruch ist Terror”. Und ein Kommentar von Veranstalter Braga beginnt so:”Die schönste Waffe, die es gibt, ist die nordamerikanische Heeres-Mpi AR “ 15. Schön in Größe und Form, auch der Art, wie sie zerstört, nämlich auf der Stelle. Vapt-vupt “ und die getroffene Person leidet nicht einmal, fühlt keinerlei Schmerz.” Wenn ihm Konkurrent Romulo Costa öffentlich vorwirft, Gewalt-Bailes zu veranstalten, haut Braga in seiner Kommentarspalte zurück, beschreibt Panik und Schießereien auf dessen Discos.
Funkeiros tragen massenhaft Gewalt in die Stadien, was selbst Multimillionär und Ex-Fußballstar Pelè hart reagieren läßt: „An den Schlachtrufen ist zu erkennen, daß viele Gewalttäter zu den Fans der Bailes Funk zählen, sich kaum für Fußball interessieren, dafür um so mehr für Brutalitäten.” Schuld an den Zuständen sind die führenden egoistischen und korrupten Politiker, donnert Pelè, denen die Zukunft des Landes schlichtweg egal ist. Was sich bei europäischen Fußballmatchs abspielt, sind Peanuts gegen die brasilianischen Verhältnisse: In Rio oder Sao Paulo gehen Hunderte, oft sogar Tausende mit Revolvern, Molotovcocktails, selbstgebastelten Bomben und Messern aufeinander los “ Busse von Fanclubs werden sogar mit Maschinenpistolen beschossen. Üblich sind inzwischen sogenannte Arrastoes, Fischzüge, in den Stadien: Einer Menschenwalze gleich fallen Ungezählte über zumeist ältere, friedfertige Fußballanhänger her und rauben diese unter Schlägen restlos aus. Ein Glück, daß wenigstens in Sao Paulo die Rap-und Funk-Szene teilweise politisiert ist, radikalen Protest äußert. Keine Rappertruppe agiert radikaler, erfolgreicher als die „Racionais MC`s”, aus den gefährlichsten, elendesten Favelas der reichsten lateinamerikanischen Metropole, unweit von VW, Mercedes-Benz und Ford. Grünenpolitiker wollen nicht anders als ihre Klientel der weißen Mittelschichtsviertel die Freigabe und Entkriminalisierung von Drogen “ die „Racionais MC`s” sind radikal dagegen, sehen in Rauschgifthandel und “ konsum das Hauptübel der armen Vorstädte Brasiliens. Bereits Kinder unter zehn Jahren rauchen Crack, nehmen Kokain, Heroin, LSD, ganz zu schweigen von den Älteren “ und überhaupt kein Vergleich mit Europa. Im Drogenrausch wird Entsetzlichstes begangen “ kaum ein Tag ohne Zerstückelte, lebendig Verbrannte. Die Besserbetuchten, auch jene der Ersten Welt, verdrängen diese Realität, die Rapper von Racionais MC`s haben sie kontinuierlich vor Augen, sehen in Aufklärung, Politisierung ihre Mission. Sänger Mano Brown, der früher mit einem Revolver am Gurt herumlief, schreit von der Bühne, daß Drogen betäuben, debil und stupide machen. „Das System hat kein Interesse an Armen, die intelligent sind!” Die Schwarzen müßten endlich erkennen, in welch tiefer Dekadenz sie stecken “ und die Dinge ändern. Lernen, zum Buch greifen, anstatt in die Kriminalität abzurutschen. Zwar rasch mehr Geld zu haben, dafür aber früh, mit zwanzig, fünfundzwanzig Jahren bereits ins Gras zu beißen. Die Racionais MC`s wollen ein Beispiel geben, rauchen nicht, trinken nicht, manche wurden Vegetarier. Drogen sind sowieso out. Die CDs der Gruppe verurteilen nicht nur Drogen, deren Nutzer und Profiteure, sondern vor allem die Eliten, die sozial unsensible Mittelschicht. Biblische Salme über göttliche Gerechtigkeit fehlen nicht “ Slumbewohnern, meint Mano Brown, bleibt heute im Grunde nur die Alternative, kriminell zu werden, mit dem Crime organizado zu kollaborieren “ oder sich entschieden der Kirche zuzuwenden. Im „Tagebuch eines Gefangenen” rappt Mano über den ersten Oktober 1992, als eine Spezialeinheit der berüchtigten Militärpolizei im Carandirù-Gefängnis von Sao Paulo mindestens 111 Insassen erschießt, in weniger als dreißig Minuten auf die Unbewaffneten über dreitausend Schuß abfeuert, viele durch Bluthunde zerreißen läßt:”Du weißt nicht, wie das ist, ein deutsches oder israelisches Maschinengewehr auf deinen Kopf gerichtet, das einen Dieb in Stücke fetzt wie Papier¦ Der Mensch ist Wegwerfware in Brasilien, wie Slipeinlage, das System verheimlicht, was die TV-Serien nicht zeigen. Blut rinnt wie Wasser aus Ohren, Mund und Nase, der Herr ist mein Hirte, Kadaver im Brunnen, im ganzen Gefängnishof, Adolf Hitler lacht in der Hölle, Gouverneur Fleury und seine Gang werden in einem Becken voller Blut schwimmen, aber wer wird meinen Worten glauben?” Das Massaker blieb bisher ungesühnt, der befehligende Offizier wurde Politiker, Abgeordneter. Interessant, bezeichnend “ die so hochpopulären Racionais MC`s schaffen es nicht, an der Rio-Peripherie aufzutreten. Denn die soziale Kontrolle der Gangstersyndikate ist so effizient, daß Rapper-Kritik an Banditen und Drogen nirgendwo zugelassen wird, wirklich sozialkritische Bands keine Auftrittschancen haben. Wenige Jahre zuvor gibts dort ein großes Rapper-Festival, die Banditenmilizen machen den Ordnungsdienst. Also wagt niemand, etwa die massenhaft Anwerbung von Straßenkindern für Verbrechen zu kritisieren. Um so heftiger wird der Polizeiterror angeprangert, das gefällt den Comandos. Daß Banditen Rios minderjährige Mädchen vergewaltigen, zum Mitmachen bei Pornofilmen zwingen, die man später in ihrer eigenen Favela öffentlich zeigt, ist ebenfalls kein Thema. Wenigstens rappt „Justica Negra”, Schwarze sollten sich nicht gegenseitig, wegen ein paar Tennisschuhen, einer Uhr, einer schicken Rappermütze umlegen, zuviele seien deshalb schon im Knast. Auf den Bailes Funk in Sao Paulo manifestiert sich in Ansätzen wachsendes Selbstbewußtsein der dunkelhäutigen Unterschicht, kaum aber in Rio. Sänger Ice Blue von den Racionais MC`s ist lieber vorsichtig, spricht nur von einer gewissen „Bequemlichkeit”der Slumjugend am Zuckerhut. Arnaldo Jabor, Starkolumnist von Brasiliens auflagenstärkster Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo” nimmt dagegen kein Blatt vor den Mund, reflektiert den Abstand der Reichen, der Mittelschichtler, der Intellektuellen wie er selber, von der Peripherie-Realität: ”Auf den Bailes Funk pulsiert ein brutaler Strom des Wollens, der Lust “ die Gewalt als Hunger nach Ausdruck, das Töten als Erleichterung, Trost, Erholung nach Erniedrigungen. Eine Normalität des Mordens entsteht, bar jeder Schuld und Sünde. Die Masse der Unglücklichen wächst jeden Tag, wir können sie nicht mehr ignorieren. Erinnert sich jemand an den Videoclip der Racionais MC`s im MTV, die Faszination der privilegierten Mittel-und Oberschichtskids für die rohe, viehische, brutale Ethik der Slumkids? Die Peripherie wird zur Avantgarde der Verhaltensnormen. Unser hübschen kleinen Sozialprojekte -“wie sind die doch lächerlich. Aber die Regierung steht nun einmal zur Avenida Paulista(Sao Paulos Straße der Großbanken, Konzerne und Multis, der Verf.). Wahrscheinlicher ist, daß dort in ein paar Jahren eine Wissenschaft der Ausrottung hochsprießt, entwickelt wird “ anstatt eines radikalen Projektes zur Rettung dieser Unglücklichen. Die Idee einer Lösung ist immer weiter weggerückt. Eine Lösung? Zu spät, vorbei¦”Â
”Terror und Aktion wie Osama Bin Laden, Gegner köpfen, lebendig verbrennen
 Brasiliens mächtigste Verbrecherorganisation ”Primeiro Comando da Capital/PCC(Erstes Kommando der Hauptstadt), die in Sao Paulo 2006 eine Welle von Attentaten und Häftlingsrevolten auslöste, hat auch ihre Hauskomponisten und Musiker, die zumeist in Raps die Anschläge auf den Staat und seine Polizei, auf öffentliche Gebäude, Busse und Metro ebenso wie die Gangsterbosse verherrlichen, sich auf Osama Bin Laden und selbst die Taliban berufen. Detailliert geschildert werden zudem die häufigen bewaffneten Überfälle auf Autofahrer, die auf Straßen und Autobahnen der Städte gestoppt – und beim Versuch der Gegenwehr oder der Flucht gewöhnlich erschossen werden. Die Raps reflektieren zudem die Lage, das soziokulturelle Klima in den Unterschichtsvierteln. Überall in Brasiliens Großstädten werden die CDs mit den Gewalthymnen an Ständen der Straßenhändler für umgerechnet nicht einmal einen Euro verkauft.Renatinho und Alemao(der Deutsche) aus Sao Paulo gelten als die beiden Hitmacher und wichtigsten Musikproduzenten des PCC. „Ich bin Terrorist, ich bin ein Taliban”, rappen sie auf einer ihrer populärsten CDs, in der beinahe in jedem Titel Bomben und Granaten explodieren, MG-Salven zu hören sind. „Unsere Terrororganisation ist der Staatsfeind Nummer Eins.” In der Live-Version singt ihr Publikum lauthals mit. In Raps wie „Alta Voltagem”, Hochspannung, oder „Bonde dos Guerreiros” wird das Vorgehen der PCC-Kommandos ausführlich beschrieben:
„Im Morgengrauen rücken wir aus, dann singt das MG/ Messer an die Kehle, Schuß ins Genick, Terror und Aktion,mancher Gegner wird geköpft/ Der Unterdrückte gegen die Unterdrückung/Wir glauben an Gott und Christus/ Krieger und Kriegerinnen sind furchtlos/Wir hacken Köpfe ab, stecken Gegner in die Mikrowelle¦” Damit ist eine der grauenhaftesten Hinrichtungsmethoden des organisierten Verbrechens gemeint, die Jugendliche selbst in brasilianischen Dokumentarfilmen ohne Hemmungen, lachend, als modernen Scheiterhaufen schilderten: Über das gefesselte Opfer werden Autoreifen gestapelt, diese werden mit Benzin übergossen und angezündet.
Auf einer PCC-Rap-CD wird das Verbrennen von Gegnern sogar zynisch als „Grillfest am Flußufer” angekündigt: „Doch dieses Fleisch will niemand essen, weil es drittklassig ist, von üblen Figuren stammt “ von diesem Fleisch würde einem schlecht¦”
“moderne Waffen aus NATO-Staaten”
Im Straßenhandel Sao Paulos sind Tonträger mit Gangsta-Rap zwischen den Samba-oder Sertaneja-CDs nicht zu übersehen. Auf den Covern prangen schwerbewaffnete Gangster, Totenköpfe, Leichen, das World Trade Center von New York in Flammen, MGs, Granaten, Osama Bin Laden und die Initialen der nationalen Verbrechersyndikate. Auf einer neuen CD steht schwarz auf weißem Grund: „PCC “ nur Terroristisches “ live in Santos”. Gemeint ist Brasiliens wichtigste Hafenstadt bei Sao Paulo, wo der in Brasilien produzierte VW Fox, dazu Kaffee, Zuckerrohrschnaps und Obst nach Europa verschifft werden. Auch in den Slums von Santos veranstaltet der PCC jene berüchtigten, häufig machistisch-gewalttätigen Bailes Funk, Brasiliens Rap-und HipHop-Massenfeten, auf denen nicht selten gleich Tausende von tanzenden jungen Leuten die viehisch-rohen Gangsta-Raps mitgrölen, sich offen mit dem PCC identifizieren. Auf diesen Bailes Funk wurden die jüngsten Attentate gefeiert, stellten die Rapper wie stets das verwendete Waffenarsenal, das „Material belico” heraus:„Wir sind Soldaten, wir haben das deutsche G3-Maschinengewehr, aber auch Kalaschnikoffs, Granatwerfer, die israelische Uzi-Mpi, das schweizerische Sig-Sauer-Sturmgewehr, nordamerikanische M-16-MGs und österreichische Glock-Pistolen, Handgranaten aus Argentinien/ Ja, wir sind finstere Typen, richtige Banditen/ Wir machen Terror wie in Bagdad, ganz im Stile Bin Ladens, halten auf die Würmer feste drauf/ Wir sind Falken, immer wach/ Her mit einem deutschen G-3 und einem vollen Magazin¦” Mit Würmern, Vermes, sind stets die Polizisten gemeint.Eine schwarze Menschenrechtsanwältin Rio de Janeiros kennt einen Zeugen, dem zufolge inmitten von Bailes Funk Jugendliche der Zuckerhutstadt den Feuertod starben. Fotos verkohlter Opfer werden von Zeitungen Rios beinahe täglich veröffentlicht. Gruppen junger Männer haben nach Bailes Funk wiederholt Bettler verbrannt.Rivalisierende Gangsterorganisationen wie das Terceiro Comando (Drittes Kommando) werden in den Raps ebenso wie deren Bosse beschimpft. Die Chefs gewöhnlich als „Schwule”, deren Milizen obszön nicht selten als „Pau no Cù”.
 “Ivete-Sangalo-Hit als Gangsta-Hymne”
Zur Fußball-Weltmeisterschaft singt Ivete Sangalo in Berlin und anderen deutschen Städten ihren „Festa”-Hit. Die Gangsta-Rapper der Banditensyndikate haben für die Bailes Funk in ganz Brasilien längst eine Version mit anderem Text produziert:”E vai rolar a guerra, wir mähen alle nieder¦”Daß der rund 640000 Mitglieder zählende PCC mit Sitz in Sao Paulo seit Jahren mit Brasiliens zweitwichtigster Verbrecherorganisation, dem Roten Kommando, Comando Vermelho, aus Rio de Janeiro zusammenarbeitet, erfährt man auch aus den Gangsta-Raps. PCC und Comando Vermelho kooperieren im Drogengeschäft, bei Entführungen, Überfällen auf Banken und Geldtransporter “ und natürlich borgt man sich bei Bedarf spezielle Waffen aus, feiert in zahlreichen Raps die Bluts-und Waffenbrüderschaft.Brasiliens Gangstersyndikate beherrschen die Slums neofeudal wie einen Parallelstaat, terrorisieren die Bewohner “ in zahlreichen Gewalthymnen werden die entsprechenden Armenviertel von Rio und Sao Paulo aufgezählt, die jeweiligen Banditenbosse ausdrücklich gewürdigt. „Nos comandamos as favelas¦” Slums wie Rocinha, Mangueira, Vila Ideal, Turano, Borel, Formiga oder Pantanal sind ebenso dabei wie jene Cidade de Deus, Gottesstadt, von der jener auch in Deutschland gezeigte Spielfilm „City of God”, nach dem Buch von Paulo Lins, handelt. Slumradios spielen auf Wunsch von inhaftierten PCC-Mitgliedern besonders oft einen Rap über die grauenhafte Lage in den Gefängnissen, in dem sogar ein Hit des bekannten brasilianischen Popsängers Jorge Ben Jor zitiert wird:”Unsere Stunde kommt, wir wollen die Freiheit, wollen hier raus, denn das Leben im Knast ist furchtbar¦”Warum identifizieren sich so viele junge Brasilianer auch per Gangsta-Rap mit dem organisierten Verbrechen? „Da das Gesellschaftssystem kalt und berechnend ist, grausam mit den Verlierern, dazu hierarchisch, machistisch und autoritär”, so der Anthropologe Luiz Eduardo Soares, „reproduzieren jene Jungen, die beim Verbrechen mitmachen, dieses System exakt so wie in der Gründerzeit des wilden, kolonialen Kapitalismus.” Ihre Gewalthymnen dokumentierten das „Inferno unseres alltäglichen Krieges”, die Spaltung der Gesellschaft, die perversen Sozialkontraste.
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