Bei der brasilianischen Bischofskonferenz hat Entsetzen ausgelöst, daß die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung zu einer am 24. und 25. April in Berlin stattfindenden deutsch-brasilianischen Sicherheitstagung auch Paulo Celso Pinheiro Sette Camara für einen Vortrag eingeladen hat. Wie die bischöfliche Bodenpastoral CPT in einer Note erklärt, habe Camara 1996 als Sicherheitschef des nordbrasilianischen Teilstaates Para eine Polizeiattacke gegen Landarbeiter angeordnet, die eine Straße besetzt hatten.
Strategieminister in Berlin:
„Resultat dieser Attacke war das Massaker an 19 Landlosen – ein Fakt, der nationales und internationales Echo fand.” Von der Konrad-Adenauer-Stiftung, die sich durch humanitäre Aktionen der Solidarität in Brasilien Ansehen erworben habe, werde erwartet, daß sie die Einladung an Camara rückgängig mache. Die Agrarreform zähle weiterhin zu den großen Aufgaben, damit öffentliche Sicherheit in den Landregionen Brasiliens herrsche, hieß es weiter in der Note.
Bis heute sind alle Tatbeteiligten des Massakers auf freiem Fuß: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/04/19/das-massaker-von-eldorado-de-carajas-vor-14-jahren-bis-heute-auch-unter-lula-alle-tatbeteiligten-auf-freiem-fus/
Hintergrund:
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Mit einer Serie landesweiter Protest-und Besetzungsaktionen erinnert Brasiliens Landlosenbewegung MST derzeit im ”Roten April(Abril Vermelho) an das nach wie vor ungesühnte Massaker an Landlosenfamilien vom 17. April 1996. Die Proteste richten sich zudem gegen die Privatisierung der weltgrößten Eisenerzmine ”Vale, deren Schienenwege in letzter Zeit mehrfach blockiert worden waren. In einem von der katholischen Bischofskonferenz mitorganisierten Plebiszit hatten sich über 94 Prozent dafür ausgesprochen, den Minen-Multi, der Jahr für Jahr Rekordprofite einfährt, rückzuverstaatlichen.
Laut Demetrio Valentini, Bischof und Brasiliens Caritas-Präsident, war ”Vale“ zu einem Dreißigstel des tatsächlichen Wertes verhökert worden.
Im April 1996 hatten Hunderte von verelendeten Landlosenfamilien in Eldorado de Carajas im Amazonasteilstaate Parà eine Straße besetzt – eine Sondereinheit der Militärpolizei schoß daraufhin mit Maschinenpistolen in die Menge. Laut amtlichen Angaben wurden neunzehn Menschen getötet und über fünfzig teilweise schwer verwundet. Die Beamten und Offiziere der Sondereinheit sind ebenso wie die politischen Verantwortlichen des Blutbads weiterhin auf freiem Fuß – auch die Proteste internationaler Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty blieben erfolglos.
Mehrere Dutzend der Überlebenden sind schwerbehindert, vielen wollte oder konnte man die Kugeln in Kopf, Brust oder Beinen nicht herausoperieren. Wer damals bei der Straßenblockade in Eldorado de Carajas dabei war, erinnert sich an schreckliche Szenen: Der neunzehnjährige Oziel Pereira, so Augenzeugen, mußte sich vor den mit Mpis bewaffneten Militärpolizisten hinknien, wurde gezwungen, laut auszurufen:”Es lebe die Landlosenbewegung MST!” Dann liquidierten sie ihn mit einem Genickschuß. Andere Landlose werden sogar totgeschlagen, erstochen, die meisten Opfer aber mit Mpi-Salven niedergemäht. Nur zwei Offiziere, die das Massaker geleitet hatten, wurden zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt, legten jedoch Berufung ein und blieben daher bis heute auf freiem Fuß. Joao Paulo Rodrigues zählt zu den Führern der Landlosenbewegung, koordiniert in diesen Tagen und Wochen auch die Besetzung brachliegender Ländereien in ganz Brasilien. ”Das Massaker von Eldorado de Carajas wurde zwar von den Großgrundbesitzern der Region organisiert, zu unserer Überraschung jedoch nicht etwa durch deren Pistoleiros, sondern durch den brasilianischen Staat, dessen Repressionspolizei ausgeführt. Wir hatten die Hoffnung, daß wenigstens die Auftraggeber, darunter der Gouverneur des Teilstaates Parà , Almir Gabriel, sowie der Chef der Militärpolizei, verurteilt würden “ aber dies geschah nicht. Deshalb sind wir empört, wütend. Wenn zehn Jahre nach dem Blutbad niemand von den Schuldigen hinter Gittern ist, muß man sich fragen: Wem dient diese Demokratie, diese Justiz? Für die Überlebenden des Massakers gibt es weder eine Entschädigung noch medizinisch-psychologische Betreuung “ der Staat fühlt sich zu nichts verpflichtet.”
“Über einhundert Ermordete?”
Zehn Jahre nach dem Blutbad steht laut Joao Paulo Rodrigues zudem die Opferzahl immer noch nicht fest. Laut amtlichen Angaben wurden neunzehn Männer getötet. Gemäß Zeugenaussagen starben indessen über einhundert Menschen, möglicherweise auch Frauen und Kinder. Der MST zitiert Josè Carlos Agarito, 27:”Ich denke, mehr als hundert hat man getötet. Wo sind all die Kinder und Frauen geblieben, die damals am Tatort waren? Niemand von diesen zählte man später offiziell zu den Opfern, nur ausschließlich Männer. Viele sagten, ein LKW mit blutbefleckter Plane sei damals in Richtung Xinguara davongefahren.” MST-Führer Rodrigues: ”Wir wissen immer noch nicht, was mit den Toten geschehen ist, da sie von der Militärpolizei in einer verdeckten Aktion sofort weggeschafft worden sind. Es gibt Informationen, daß man Landlose auf dem Weg zum Hospital exekutiert hat. Alles ereignete sich ja in einer schwer zugänglichen, unübersichtlichen Region. Wäre nicht die Presse, hätte das Massaker kaum Aufmerksamkeit erregt. In Parà sind die letzten zehn Jahre bei Landkonflikten über 130 Menschen ermordet worden “ nur in zwölf Fällen wurde ermittelt, niemand kam ins Gefängnis. ”
“Mitschuldiger ist FU-Berlin-Ehrendoktor”
Zwei internationale Tribunale in Brasilien mit Vertretern der UNO und des Weltkirchenrates hatten auch den damaligen Staatschef Fernando Henrique Cardoso von der sozialdemokratischen Partei(PSDB) zum Mitschuldigen erklärt “ er ist weiterhin Ehrendoktor der Freien Universität Berlin. Wie stehen deren Studenten dazu? Gouverneur Almir Gabriel hatte dem Vernehmen nach das harte Vorgehen gegen die Landlosen mit seinem Parteifreund Cardoso abgestimmt.Â
Von Cardosos Amtsnachfolger Luis Inacio Lula da Silva hatte sich die Landlosenbewegung ein Ende der Straflosigkeit erhofft, wurde jedoch enttäuscht. Wahlversprechen in Bezug auf die gravierende Menschenrechtslage wurden fast durchweg gebrochen. Joao Paulo Rodrigues: ”Die Lula-Regierung hätte im sehr konservativen Justizapparat intervenieren können “ doch dazu fehlt ihr leider die politische Courage. Es ist eine schwache Regierung, die zudem zugelassen hat, daß in ihrer Amtszeit bisher bei Landkonflikten über einhundert Menschen ermordet wurden “ und in allen Fällen Straffreiheit herrscht.”
 Bischofskonferenz Brasiliens für Rückverstaatlichung von Minenkonzern
Die katholische Kirche Brasiliens hat das Plebiszit von 2007  über eine Rückverstaatlichung des Minenkonzerns „Vale” als Erfolg bezeichnet. Gegen den scharfen publizistischen Widerstand aller kommerziellen Medien sowie gegen den Willen der Regierung hatte die Bischofskonferenz(CNBB) gemeinsam mit den nationalen Sozialbewegungen die einwöchige Aktion gestartet. Gemäß den vorläufigen Resultaten votierten über vier Millionen Brasilianer. Rund 97 Prozent sind dafür, daß das zweitgrößte Bergwerksunternehmen der Welt, zugleich größter Eisenerzexporteur der Erde, wieder in öffentlichen Besitz übergeht. Gemäß einer neuen Studie ist über die Hälfte der Brasilianer ebenfalls dieser Auffassung –  in einem Land mit extrem niedrigem Bildungsniveau wußten mehr als zwanzig Prozent bei der Meinungsumfrage keinerlei Antwort. Laut einer anderen seriösen Studie sind 62 Prozent der Brasilianer gegen Privatisierungen staatlicher Unternehmen und nur 25 Prozent dafür. Brasiliens Caritas-Präsident, der für die CNBB-Sozialpastoralen verantwortliche Bischof Demetrio Valentini und Joao Pedro Stedile, Führer der Landlosenbewegung MST, sowie der katholische Jurist Fabio Konder Comparato hatten  bei Audienzen im Präsidentenpalast, im Nationalkongreß und im Obersten Gericht die Plebiszitergebnisse erläutert und entsprechende politische Schritte gefordert. Valentini und Stedile hatten zuvor in einer gemeinsamen Erklärung betont, ein strategisches, mit öffentlichen Geldern errichtetes Unternehmen wie ”Vale dürfe niemals privatisiert werden. Die ”phantastischen Gewinne des Konzerns müßten allen Brasilianern zugute kommen und nicht nur einer Gruppe von Investoren und Banken. Mit den derzeit realisierten Profiten könnte man 167 Krankenhäuser und über 200000 Wohnungen bauen sowie 1,6 Millionen Landlose ansiedeln. Nach Darstellung renommierter Rechtsexperten, hieß es in der Erklärung weiter, basierte die Privatisierung von 1997 auf Betrug. ”Dies bedeutet Landesverrat durch einen Teil der damaligen sozialdemokratischen Regierung, die sich dafür eines Tages vor den Gerichten dieses Landes verantworten muß. Zudem werden die Argumente des früheren, inzwischen verstorbenen CNBB-Präsidenten Luciano Mendes bekräftigt, der die Privatisierung als antiethisch und unverantwortlich bezeichnet hatte. Das Unternehmen, so Bischof Valentini,  sei für ein Dreißigstel des tatsächlichen Wertes verhökert worden. So habe man allein die Eisenerz-und Bauxitvorkommen bei der entsprechenden Ausschreibung fälschlich um zehn Milliarden Tonnen niedriger angegeben. Die Regierung von Präsident Luis Inacio Lula da Silva unterwerfe sich nach wie vor dem internationalen Finanzkapital. Dadurch werde eine echte Sozialpolitik nahezu verhindert.Chico Whitaker, Träger des Alternativen Nobelpreises von 2006 sowie Mitglied der CNBB-Konferenz für Gerechtigkeit und Frieden, sagte:Vale sollte wieder ein Staatsunternehmen werden – die Gewinne könnten dann sozialen Zwecken dienen.Angesichts der öffentlichen Kritik hatte sich der Bergbaukonzern immer wieder als patriotisch, sozial und umweltfreundlich bezeichnet, für entsprechende landesweite PR-Kampagnen auch den in Europa sehr bekannten Weltmusik-Star Carlinhos Brown eingespannt.Das Plebiszit wurde vor allem in katholischen Kirchengemeinden, aber auch auf öffentlichen Plätzen abgehalten.Laut Presseberichten hatte Lula im Präsidentschaftswahlkampf von 2002 versprochen, den Konzern wieder zu verstaatlichen, war indessen später davon abgerückt. Zu Lulas Überraschung hatte ein Kongreß seiner Arbeiterpartei im September mit großer Mehrheit eine Beteiligung an dem Plebiszit beschlossen. Lula selbst und die gesamte PT-Führung lehnten es dagegen öffentlich als schädlich und „irreal” ab. Der Minenkonzern hatte 2006 Lulas Wiederwahlkampagne mitfinanziert. Seit 1997 erfuhr „Vale” gemäß Börsenangaben einen Wertzuwachs von über 3000 Prozent.
FDCL, KoBra, Amigos do MST/Freundinnen und Freunde der MST:
PRESSEMITTEILUNG ZUM TAG DER LANDLOSEN
12 Jahre nach dem Massaker von Eldorado dos Carajás wird einer der politisch Verantwortlichen
für das Massaker auf eine Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung als Gastredner eingeladen
Berlin/Freiburg/Frankfurt, 17.April 2008
Am 17. April 1996 wurden 19 Landarbeiter nahe der Stadt Eldorado dos Carajás im brasilianischen Bundesstaat Pará von Polizisten erschossen. Die 19 Personen waren Teilnehmer des ”Marsches für eine Agrarreform, der am 10. April von 1.500 Familien landloser Arbeiter ins Leben gerufen wurde, und dabei blockierten sie die Bundesstraße PA-150. Paulo Sette Câmara war im Jahre 1996 Staatssekretär für öffentliche Sicherheit im brasilianischen Bundesstaat Pará und erteilte am 17. April 1996 an die Polizei die Anweisung, ”unter Anwendung notwendiger Mittel, inklusive Schusswaffengebrauch die Bundesstraße PA-150 von den Demonstranten zu räumen. 19 Landarbeiter wurden erschossen, 81 Personen wurden verletzt. Seit diesem Massaker wird jährlich der 17. April als ”Tag der Landlosen in Erinnerung an die Opfer weltweit begangen.
Am 24. April 2008 ist Paulo Sette Câmara nun geladener Gast einer Veranstaltung der Konrad Adenauer Stiftung und der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft in Berlin. Auf dem IX. Deutsch-Brasilianischen Symposium unter dem Titel ”Innere Sicherheit und Demokratische Gesellschaft in Brasilien und Deutschland wird Paulo Sette Câmara am 24. April 2008 um 15:00 Uhr im ”Hotel Berlin, Lützowplatz 17, D-10785 Berlin zum Thema ”Kriminalität und Gewalt als Herausforderungen für die Demokratie in Brasilien als Gast der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) sprechen.
FDCL, KoBra und die Amigos do MST / Freundinnen und Freunde der MST protestieren auf schärfste gegen die Einladung von Paulo Sette Câmara als Gast der Konrad-Adenauer-Stiftung. ”Die Einladung von Herrn Sette Câmaras durch die Konrad-Adenauer-Stiftung als Gastredner auf dem IX. Deutsch-Brasilianischen Symposium ist ein Skandal, sagt Christian Russau vom Berliner Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), ”Herr Sette Câmara gab die polizeiliche Anweisung für das Massaker und trägt somit die volle politische Verantwortung. ”Die Konrad-Adenauer-Stiftung lädt den politisch Verantwortlichen für das Massaker als Gast zu ihrer Tagung ein und tritt damit das Angedenken der erschossenen Landarbeiter mit Füßen, kritisiert Kirsten Bredenbeck von der Nichtregierungsorganisation KoBra aus Freiburg. ”Es kann nicht sein, dass 12 Jahre nach dem Massaker, dessen politisch Verantwortliche noch immer nicht zur Verantwortung gezogen wurden, Herrn Sette Câmara als vermeintlicher Experte für ”Innere Sicherheit auf einer Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung über Demokratie ein Podium gegeben wird, ergänzt Thomas Schmid von den Amigos do MST/Freundinnen und Freunde der MST.
Für weitere Informationen und Interviews kontaktieren Sie:
Christian Russau, FDCL, TEL: 030-693 40 29
Kirsten Bredenbeck, KoBra, TEL: 0761-600 69 26
Thomas Schmid, Amigos do MST/Freundinnen und Freunde der MST, e-mail: ts.amigos.mst@t-online.de
Weitere Informationen finden sich auf der Internetseite des FDCL unter: http://fdcl-berlin.de/index.php?id=1400
ZUM HINTERGRUND
Aus: Justiça Global / Hrsg. v. FDCL e.V. : Menschenrechte in Brasilien, (Titel des brasilianischen Originals: Direitos Humanos no Brasil – 2003), Lusophonie – Verlag portugiesisch-sprachiger Länder, in Kooperation mit FDCL, Freiburg/Berlin/Sáo Paulo/Rio de Janeiro 2004, S.124-127
Das Massaker von Eldorado dos Carajás
Am 17. April 1996 wurden 19 Landarbeiter von Polizisten nahe der Stadt Eldorado dos Carajás (Bundesstaat Pará) hingerichtet. Die 19 Männer waren Teilnehmer des šMarsches für eine Agrarreform™, der am 10. April von 1.500 Familien landloser Arbeiter ins Leben gerufen wurde. Die Familien hatten am Vortag des Massakers gegen 15.00 Uhr ihr Lager am Kilometerpunkt 96 der Fernstraße PA-10, in der sogenannten S-Kurve, unweit der Stadt Eldorado dos Carajás, aufgeschlagen. Die Arbeiter sperrten die Straße und forderten von den sie begleitenden Militärpolizisten Nahrungs- und Transportmittel.
Das 4. Bataillon der Militärpolizei von Marabá stand zu diesem Zeitpunkt bereit, um die Straße frei zu räumen. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Teilnehmern der Landlosenbewegung MST und der Militärpolizei wurde die Operation gegen 20.00 Uhr abgesagt. Major José Maria Pereira de Oliveira, der die Verhandlungen mit der MST führte, hatte zugesagt, die Forderungen der Landlosen an die Verantwortlichen auf Landes- und Bundesebene weiterzureichen. Am folgenden Tag gegen 11.00 Uhr, dem Tag des Massakers, ließ Leutnant Jorge Nazaré Araújo dos Santos verlautbaren, die Verhandlungen seien abgeschlossen, und man würde keiner der Forderungen nachkommen, nicht einmal der nach einer Lebensmittelspende.
Währenddessen wies der Gouverneur von Pará Almir Gabriel den Staatssekretär für öffentliche Sicherheit Paulo Sette Câmara, den staatlichen Leiter der Landreformbehörde INCRA Walter Cardoso und den Präsidenten des Grundstücksinstituts von Pará Iterpa Ronaldo Barata an, die Straße PA-10 frei zu räumen.
Zu Beginn ihrer Aktion setzte die Militärpolizei Tränengas gegen die Landlosen ein und schoss mit scharfer Munition in die Luft. Anschließend benutzten sie ihre Maschinengewehre. Die Teilnehmer des Marsches verteidigten sich mit Stöcken, Steinen, Sensen, und aus einem Revolver wurden einige Schüsse abgegeben. Außer 19 Toten forderte die Polizeiaktion 81 Verletzte: 69 Landlose und 12 Polizisten.
Hintergrund
Die Ermordung der 19 Männer steht in direkter Verbindung mit einem vorangegangenen erfolglosen Versuch der MST, Verhandlungen mit der Regierung von Pará zu führen. Am 5. März 1996 entschieden 3.500 Familien von landlosen Bauern, die am Rande der Straße zwischen Marabá und Paraupebas lagerten, den Großgrundbesitz šMacaxeira™ zu besetzen und in Verhandlungen mit der Landreformbehörde INCRA zu treten. Am darauf folgenden Tag versprach die Regierung von Pará, den Familien innerhalb von 30 Tagen 12 Tonnen Lebensmittel und 70 Kisten mit Medikamenten zu liefern.
Im gleichen Monat traf sich das Bündnis der Großgrundbesitzer mit dem Gouverneur und dem Staatssekretär für öffentliche Sicherheit in Belém. Die Großgrundbesitzer hatten mehrere Gewerkschaftspräsidenten der Großgrundbesitzer aus der Region um Marabá mitgebracht, um so den Druck auf die MST zu erhöhen. Sie reichten eine Namensliste von 19 Personen ein, die verschwinden sollten, damit „der Frieden in die Region zurückkehre”. Die Liste enthielt die Namen der wichtigsten Anführer des MST.
Als die 30-Tage-Frist abgelaufen war und die Regierung immer noch nicht die versprochenen Lebensmittel und Medikamente geschickt hatte, entschieden sich die Landlosen von Marabá für den Marsch in die 800 km entfernte Hauptstadt Belém, um die Regierung zu beeindrucken.
Die Verfahren
Die polizeilichen Ermittlungsverfahren endeten mit der Anklageerhebung gegen die beiden Kommandanten der Operation Major Mário Colares Pantoja und Major José Maria Oliveira und gegen 153 Militärpolizisten wegen Mord und Körperverletzung. Ebenso sollten sich drei Landarbeiter wegen leichter Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und illegalem Waffenbesitz vor Gericht verantworten.
Der Prozess sollte vor dem Strafgericht in Marabá eröffnet werden. Da bei der Vorauswahl der Geschworenen jedoch mehr als die Hälfte der Kandidaten Großgrundbesitzer oder deren Gefolgsleute waren, beantragte die Staatsanwaltschaft erfolgreich die Verlegung des Verfahrens nach Belém (Hauptstadt von Pará).
Während des Prozesses schränkte der verhandlungsführende Richter Ronaldo Valle systematisch die Rechte der Anklage ein. Eingereichte Dokumente durften nicht verwendet werden, trotz fristgemäßem Eingang. Richter Valle ließ öffentliche Kritik der Geschworenen an den Staatsanwälten zu und schritt auch nicht ein, als Verteidiger die Staatsanwaltschaft unflätig beschimpften. Daher war es aufgrund der Parteilichkeit des Richters nicht überraschend, dass die Geschworenen die Angeklagten mit vier zu drei Stimmern freisprachen.
Hiergegen legten die Staatsanwaltschaft, die Landlosenbewegung MST und zahlreiche Menschenrechtsorganisationen Protest ein. Die unrechtmäßige Prozessführung war so eindeutig, dass das Landgericht von Pará das Urteil noch im April 2000 annullierte und die Wiederaufnahme des Verfahrens für den Monat Oktober ansetzte.
Richter Ronaldo Valle bat um Absetzung von dem Verfahren. Bei der Suche nach einer Neubesetzung erklärten 17 von insgesamt 18 im Gerichtsbezirk von Belém tätigen Strafrichtern dem Präsidenten des Landgerichts, dass sie für die Fortsetzung des Prozesses nicht zur Verfügung ständen, da sie mit den angeklagten Polizisten sympathisieren würden.
Im April 2001 wurde die Richterin Eva do Amaral Coelho zur neuen Verhandlungsführerin ernannt. Amaral Coelho hatte sich im Juni 2000 geweigert, einem Gerichtsverfahren gegen den Großgrundbesitzer Jerônimo Alves do Amorim vorzustehen, der sich wegen Mord an dem Präsidenten der Landarbeitergewerkschaft von Rio Maria Ribeiro de Souza zu verantworten hatte.
Die Richterin Eva do Amaral Coelho setzte das Verfahren für den 18. Juni 2001 an. Den drei Offizieren, die im August 1999 einen Freispruch erlangt hatten, sollte erneut der Prozess gemacht werden. Einige Tage vor Verhandlungsbeginn entschied die Richterin die Nichtzulassung des Hauptbeweismittels der Anklage: Ein gerichtsmedizinisches Gutachten von Prof. Ricardo Molina, Universität UNICAMP in Campinas (Sáo Paulo). Die Staatsanwaltschaft und die den Prozess begleitenden Menschenrechtsorganisationen protestierten gegen diese Entscheidung, woraufhin die Richterin ihre Entscheidung zurücknahm und den Termin für das Verfahren verlegte.
Mitte Februar 2002 wurde die Weiterführung des Prozesses auf den 8. April 2002 anberaumt. Am 4. April 2002 forderten Anwälte der Nebenkläger vom Bundesverfassungsgericht die Aussetzung des Verfahrens und die Absetzung der Richterin Eva do Amaral Coelho. Während das Bundesverfassungsgericht dem Antrag nachkam, entschied das Oberlandesgericht von Pará, dass die Richterin weiterhin die Verhandlungen führen solle. Neue Verhandlungstermine waren der 14. und 27. Mai und der 10. Juni 2002.
Da von den ehemaligen 154 Angeklagten bereits einige verstorben oder verschollen waren, wurde der Prozess nur noch gegen 146 Militärpolizisten eröffnet. Die Verhandlungen erstreckten sich über 135 Stunden. Am Ende wurden Oberst Pantoja zu 228 Jahren Haft und Major José Maria Oliveira zu 158 Jahren Haft verurteilt. Die anderen 144 Angeklagten wurden für nicht schuldig befunden.
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