http://www.zeit.de/2007/07/Schreiadler?page=all
Hintergrund:
Den Schreiadler gabs in Deutschland mal fast flächendeckend bis zum Rhein und an die Alpen, doch dann sucht er sich merkwürdigerweise eben nicht die BRD der Grünen und Greenpeace, sondern die DDR als letztes nationales Revier. Zur Wende sind im Westen gar keine Brutpaare mehr, dafür in Sachsen-Anhalt an die fünf, in Brandenburg um die zwanzig, in Mecklenburg-Vorpommern aber über neunzig. Nur von dort aus könnte er sich also wieder gen Westen ausbreiten, doch die Reproduktionsraten sinken. „Bis 1989 hatten wir gute Zahlen, bis zu einundzwanzig Adlerjungen jährlich ”, so der Rostocker Experte Martin Neubauer über sein Untersuchungsgebiet, „danach wurde das nie mehr erreicht.” Wo früher bis zu zehn Schreiadler flügge wurden, sind es bereits 1999 nur eins bis zwei, Tendenz weiter fallend. „Naturschutz ist sehr schwierig geworden”, kritisiert Neubauers Kompagnon Joachim Matthes, ”obwohl die Bedrohung des Schreiadlers bekannt ist, reagieren die Umweltministerien in Berlin und Schwerin einfach nicht.”
Zu den vielen bestgehüteten Tabus der deutschen Naturschutzpolitik zählt die Tatsache, daß in Ostdeutschland vor 1989 aus den bekannten Gründen die Artenvielfalt erheblich höher war als in Westdeutschland. Der international anerkannte Greifvogelexperte Dr. Michael Stubbe von der Universität Halle betonte: „Im Naturschutz brachte die Wende einen Rückfall in die Steinzeit.” 2002 erklärte das Bundesamt für Naturschutz, daß große Teile der „ostdeutschen Agrarlandschaft” im Vergleich zu Westdeutschland gemäß einer Studie immer noch eine relativ hohe Biotop-und Artenvielfalt aufweisen. „Es wird allerdings auch deutlich, daß gegenwärtig in Ostdeutschland eine zunehmende Angleichung an die arten-und individuenarmen westdeutschen Verhältnisse zu beobachten ist.” Artenvielfalt ist ein Hinweis darauf, wie es nicht nur ökologisch um die Qualität einer Region bestellt ist. Dr. Stubbe hat genaue Angaben zur Biodiversität vor dem Anschluß. Nach seinen Worten war die Artenvielfalt auf den Agro-Ökosystemen zur DDR-Zeit um das Zehnfache(!) höher als auf ”westdeutschen Gefilden.” Fachleute in ostdeutschen Umweltämtern haben die Angaben Stubbes bestätigt und immer wieder die zielstrebig nach der Wende betriebene Biotop-und Artenvernichtung beklagt. Zahlreiche DDR-Gesetze und Regelungen, die die gegenüber Westdeutschland weit höhere Biodiversität sicherten, seien radikal abgeschafft, außer Kraft gesetzt worden. „Viele hauptamtliche Naturschutzbeauftragte in Ostdeutschland kündigten von selbst, weil sie die Naturvernichtung nicht mehr mittragen wollten, erklärte ein angesehener Umweltexperte im Exklusivinterview. ”Für sensible Arten wird das Ende eingeläutet – in sehr kurzer Zeit wurden sehr bedenkliche Entwicklungen durchgepeitscht. Aufschlußreich, daß dieselbe Region Deutschlands sowohl von Artenrückgang als auch von Geburten-und Bevölkerungsrückgang betroffen ist. In vielen ostdeutschen Regionen wirken heute im Vergleich zu früher nicht nur die Gemeinden tot, sondern auch die Landschaften. Zehnfach höhere Artenvielfalt – eine interessante Tatsache, die indessen in den heißen medialen Umweltdiskussionen des Kalten Krieges nicht vorkam.
Ein weiteres, vor der UNO-Naturschutzkonferenz wohlgehütetes Medien-Tabu ist die Tatsache, daß als ökologisch gefeierte Windkraftwerke die Artenvernichtung keineswegs verringern, sondern fördern. Geradezu infantil mutet der Versuch an, den Zusammenhang zwischen flächendeckend aufgestellten Windkraftwerken und Artenrückgang leugnen zu wollen. Entsprechende Studien, die Kollisions-und Vertreibungswirkungen belegen, liegen längst auf dem Tisch, sind im Internet abrufbar.
Zu den interessantesten, hervorstechenden Sachverhalten der UNO-Naturschutzkonferenz in Bonn wird gehören, ob die einmalig brachiale Naturzerstörung im Nachwende-Ostdeutschland analysiert werden darf und die Medien ausnahmsweise darüber berichten – oder ob das brisante Thema schlichtweg wiederum unter den Tisch gekehrt wird.
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