Die katholische Kirche Brasiliens, aber auch Teile der Landeseliten haben sich scharf gegen die geplante Schaffung einer nationalen Atom-U-Boot-Flotte gewandt. Angesichts des fortdauernden Massenelends, der krassen Sozialkontraste im größten lateinamerikanischen Staat sei der Einsatz von Steuergeldern für derartige militärische Zwecke falsch und absurd.
”Wenn Brasilien aufrüstet, militärische Macht anstrebt und damit auf militärische Konfrontationen zusteuert, ist dies ein schwerer Fehler und völlig abwegig”, sagt der brasilianische Caritas-Präsident Demetrio Valentini, der zur Führungsspitze der Bischofskonferenz im größten katholischen Land gehört.
„Die Wirtschaftskraft Brasiliens, die Naturreichtümer dürfen nicht für militärische Zwecke vergeudet werden, sondern müssen zuallererst dem Kampf gegen Armut und Misere dienen. Man schaue nur auf die Grundbedürfnisse unseres Volkes, auf die Ernährungsprobleme “ da sind unsere Prioritäten, dorthin müssen die Mittel fließen.”Brasiliens Vize-Staatschef, der Milliardär Josè Alencar, hatte ein Marine-Forschungszentrum bei Sao Paulo besucht und sich dort für eine Beschleunigung des militärischen Atomprogramms ausgesprochen. Das Land brauche eine Atom-U-Boot-Flotte, brauche militärische Macht, um Bedroher abschrecken zu können. Für den Atom-U-Boot-Bau seien mehr Mittel und kürzere Fristen nötig. Brasilien besitzt bereits eine Urananreicherungsfabrik, dazu große Uranvorkommen und hatte während der Militärdiktatur sogar ein Atomtestgelände in Amazonien errichtet, das später wieder geschlossen worden war. Mit deutscher Hilfe wird jetzt das dritte brasilianische Atomkraftwerk bei Rio de Janeiro errichtet.Bischof Demetrio Valentini warnt die brasilianische Regierung davor, zum „Förderer militärischen Ungleichgewichts” zu werden, sieht die zivile Nutzung der Atomenergie aber durchaus positiv.”Moderne Technologien wie die Atomkraft müssen dem gesellschaftlichen Fortschritt, der Hebung des Lebensniveaus dienen und dürfen nicht für kriegerische Zwecke, für den Rüstungswettlauf eingesetzt werden. Was wir brauchen, sind Fortschritte bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie auf der ganzen Welt. Sollte Brasilien jetzt aber die USA, Rußland und die Europäische Union imitieren und sogar mit Atom-U-Booten aufrüsten, um sich durchzusetzen, wäre dies der falsche Weg, verlöre unser Land an moralischer Autorität “ sei es nun beim Einsatz für einen gerechteren Welthandel oder einen besseren Umweltschutz. Die Phase des Wettrüstens zwischen den Staaten sollte doch heute überwunden sein. Was wir brauchen, ist eine solidarische Wirtschaft auf der ganzen Erde und Initiativen für ein friedliches Zusammenleben der Nationen. Dafür sollte Brasilien beispielgebend sein!”Oded Grajew ist ein jüdischer Unternehmer und wird zur progressiven Elite des Tropenlandes gerechnet. Grajew hatte die Idee zum Weltsozialforum und war bei allen bisherigen Foren stark engagiert. Der 64-Jährige leitet das von über eintausend Unternehmen getragene überparteiliche Ethos-Institut in Sao Paulo und wendet sich ebenfalls scharf gegen das militärische Atomprogramm Brasiliens.”Wen interessiert denn eine solche Atom-U-Boot-Flotte? Unser Volk jedenfalls nicht, das Hunger leidet und keine gute Ausbildung erhält. Die Gelder für U-Boote sollten vielmehr ins Bildungs-und Gesundheitswesen, in öffentliche Transportmittel investiert werden. Vize-Staatschef Josè Alencar spricht für die ganze Regierung und vertritt eine Regierungspolitik, die nicht in nachhaltige Entwicklung investiert und auch die Abholzung der Amazonas-Urwälder nicht stoppt. Wir denken nicht, daß eine andere Regierung es anders machen würde “ das ganze System hier ist einfach verfault.”Oded Grajew, in Tel Aviv geboren, konstatiert derzeit eine deutliche Spaltung der brasilianische Elite und rechnet Vizestaatschef Josè Alencar, einen Milliardär und früheren Diktaturaktivisten, zum konservativen bis reaktionären Lager. Auch in der Atom-U-Boot-Frage zeige sich dies sehr deutlich.”Hier haben wir es mit einem Teil der Elite zu tun, der bestimmte Wirtschaftsinteressen vertritt und auf öffentliche Gelder schielt. Denn wenn man Atom-U-Boote baut, müssen viele Dinge angekauft werden, müssen Mittel fließen. Und genau da erkennen wir jene Partnerschaft zwischen den Finanziers von Wahlkampagnen und ihren politischen Repräsentanten, die eben ganz bestimmten Interessen dienen. Bis zu neunzig Prozent der Wahlkampfgelder sind in Brasilien ja illegal, stammen aus schwarzen Kassen, teils aus kriminellen Aktivitäten. Daher ist meine Idee, jenen Teil der brasilianischen Elite zusammenzubringen, der solche Interessen nicht hat, sich durch solche Zustände geschädigt sieht. Wir haben derzeit eine tief gespaltene Elite “ viele Unternehmen beispielsweise bleiben öffentlichen Ausschreibungen fern, um sich nicht am Schema von Korruption und Korrumpierung beteiligen zu müssen “ und verlieren daher gute Geschäfte.”Vor den brasilianischen Kommunalwahlen im Oktober führt Oded Grajew zudem in Lateinamerikas Wirtschafts-und Kulturhauptstadt eine überparteiliche Bewegung namens „Movimento Nossa Sao Paulo”, die den Kandidaten Vorschläge für soziale Gerechtigkeit und eine nachhaltige, umweltfreundliche Stadtpolitik macht. ”Brasiliens gesellschaftliches Klima ist derzeit von Apathie und Hoffnungslosigkeit geprägt “ das ist die Wahrheit “ und wir wollen dies ändern. Wir haben ein absurd klingendes Programm, es heißt `Gesetze einhalten” “ und dürfte Deutschen und Schweizern schwerlich zu vermitteln sein. Komplexe, weitreichende Gesetze werden einfach nicht respektiert “ aber genau dies wollen wir durchsetzen. Und das heißt auch: Ein Teil der Elite stellt sich klar gegen den anderen Teil.”
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