Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasilien. Die Franziskaner und der „Aufschrei der Ausgeschlossenen“ 2008 in Sao Paulo. „Befreiungstheologe Frei Betto hat recht – unter Lula hat die soziale Ungleichheit zugenommen. Vor wenigen Tagen wurde wieder ein Obdachloser lebendig verbrannt.“

franziskleinextrajpg.jpgFrei Valnei Brunetto, ein großartiger Franziskaner, federführend beim „Aufschrei der Ausgeschlossenen“, am Unabhängigkeitsmonument vor dem Gouverneurspalast Sao Paulos.

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/05/13/leben-einer-sklavin-120-jahre-nach-der-abschaffung-der-sklaverei-in-brasilien-o-globo-berichtet-uber-kinder-als-sklavenarbeiter-unter-der-lula-regierung/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1421022/

Etwa zehntausend sozial engagierte Gläubige aus den Pastoralen der katholischen Kirche, zudem Aktivisten der Sozialbewegungen Brasiliens, viele Regierungsgegner. Frei Valnei Brunettos Mitbruder Marcus Estevan de Mello im Website-Exklusivinterview:“Die Lula-Regierung hat sich mit dem Neoliberalismus verbündet und uns verraten – das haben wir nicht erwartet. Sie hat schlichtweg den Traum von einem besseren Brasilien zerstört. Die wirkliche Lage des Landes wird vertuscht, wird beschönigt – die soziale Ungleichheit ist unter Lula größer geworden. In Sao Paulo werden jene, die auf der Straße leben müssen, verfolgt und eliminiert, wie Müll behandelt. Der Aufschrei der Ausgeschlossenen soll die Empörung des brasilianischen Volkes über seine Lebenssituation sichtbar machen, zum Nachdenken über unhaltbare Zustände anregen.“

waldemarkleinjpg.jpgWaldemar Rossi, legendärer Führer der brasilianischen Arbeiterpastoral – beim Besuch von Papst Johannes Paul dem Zweiten während der Diktaturzeit sprach er bei einem Gottesdienst in einem Fußballstadion Sao Paulos vor den Massen zu ihm, prangerte mutig die Lage unter dem Folterregime der Generäle an. Am Unabhängigkeitsdenkmal betont Rossi 2008 im Exklusivinterview:“Lula hat das brasilianische Volk verraten, ist eine Kanaille. Der Aufschrei der Ausgeschlossenen – das ist Befreiungstheologie in der Praxis! Wir alle wissen hier, wie das ist: Hunger zu leiden, verfolgt zu werden – oder abhängig zu sein von so einem armseligen Mindestlohn wie dem heute gezahlten. So geht es Millionen von Brasilianern.“

eduafrokleinjpg.jpgAktivistin von EDUCAFRO, der auch von einer deutschen NGO unterstützt wird

grito2kleinjpg.jpgGewerkschaftsaktivisten vor dem Franziskanerkloster Sao Paulos beim „Grito dos Excluidos“

grito3.JPGEin Schwarzenaktivist erinnert daran, daß die Franziskaner für die gesellschaftliche Integration der Dunkelhäutigen arbeiten.

obdachlose.JPGVerelendete Obdachlose hausen auf dem Platz gegenüber der Franziskanerkirche, unweit der Kathedrale, in der City Sao Paulos. Die Deutsche Hedwig Knist aus der Diözese Mainz, Leiterin der Obdachlosengemeinde Sao Paulos, erklärt während des „Grito dos Excluidods“ im Website-Interview: „Diese Woche hatten wir ganz extreme Angriffe gegen Obdachlose – Menschen, die verbrannt wurden, Menschen, die erschossen wurden. Für einen lebendig Verbrannten werden wir einen Gottesdienst abhalten. Obdachlose werden mit Wasserwerfern vertrieben, weggeknüppelt.Wir sehen in Brasiliens reichster Stadt entsetzliches Elend. Ich stehe dazu, daß ich auch arm bin. Alle, die in dem Demonstrationszug mitlaufen, sind Arme. “

Auch aus Rio de Janeiro wird eine deutliche Zunahme der Obdachlosen gemeldet.

Hedwig-Knist-Projekt: http://www.ycare.de/de/project/project_detail.jsp?projectId=11602

grito6.JPGMassen nach dem „Grito“-Gottesdienst vor der Kathedrale auf der Praca da Sé, vor dem Marsch durch die Stadt zum Unabhängigkeitsdenkmal.

gritoindio.JPGIndios tanzen auf der Freitreppe der Kathedrale während des „Grito“

gritoiren.JPGZwei irische katholische Priester, Michael Foody und Noel Coogan,  aus einem Slum Sao Paulos, beim Marsch zum Unabhängigkeitsdenkmal, im Website-Interview:“Seit Lula Präsident ist, hat sich für die Menschen in unserem Ghetto die soziale Lage, das Leben nicht verbessert. Befreiungstheologen wie Frei Betto und Leonardo Boff hatten große Hoffnungen, sind jetzt enttäuscht, entmutigt. Ich hoffe, daß unser Aufschrei von den Autoritäten Brasiliens gehört wird. Bisher bekommen die Menschen von der Regierung doch nur Almosen, die die Menschenwürde verletzen. Es fehlen Programme für eine gerechtere Verteilung der Einkommen.“

gritodorothy.JPGWährend des „Grito“ am Unabhängigkeitsdenkmal wird auch  kirchlicher Märtyrer wie der Urwaldmissionarin Dorothy Stang gedacht, die im Folter-und Scheiterhaufen-Land Brasilien unter der Lula-Regierung 2005 im Amazonas-Bistum des aus Österreich stammenden Bischofs Erwin Kräutler ermordet worden ist

gritoobdachmord.JPGMenschenrechtsaktivisten erinnern vor dem Unabhängigkeitsdenkmal an die fortgesetzten Massaker an Obdachlosen und anderen gesellschaftlich Ausgeschlossenen

gritoobdachmord2.JPGMenschen, die auf der Straße leben, sind kein Müll“

gritomonu.JPGGrito“-Abschlußkundgebung vor dem Unabhängigkeitsdenkmal Sao Paulos

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/09/25/brasiliens-befreiungstheologen-demonstrieren-mit-obdachlosen-tagesschaude/

Unabhängigkeitstag offiziell in Brasilia: Auf dem Foto links neben Lula die argentinische Regierungschefin Kirchner, neben ihr Lulas Vize, der Großunternehmer und Milliardär José Alencar von der von einer evangelikalen Wunderheilersekte dominierten Republikanischen Partei(PRB):

http://g1.globo.com/Noticias/Politica/0,,MUL751196-5601,00-PETROLEO+E+DESTAQUE+NO+DESFILE+DA+INDEPENDENCIA+EM+BRASILIA.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/09/04/befreiungstheologe-frei-betto-widerspricht-lula-und-uno-soziale-ungleichheit-in-brasilien-nahm-unter-lula-nicht-ab-sondern-zu/

Die Franziskaner in Sao Paulo: http://www.franciscanos.org.br/

-und in Deutschland: http://www.franziskaner.de/

Franziskaner-Bischof Cappio: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/07/pax-christi-international-verleiht-friedenspreis-an-brasilianischen-hungerstreik-bischof-cappio-regierungskritische-sozialbewegungen-begeistert/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/17/lynchland-brasilien-meiste-opfer-lebendig-verbrannt/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/10/23/parabens-carla-rocha-und-kollegen-noch-ein-medienpreis-fur-artikelserie-uber-brasiliens-slum-diktatur-unter-lula/

Hintergrund von 2004: http://www.labournet.de/internationales/br/bassegio.html

http://www.ila-bonn.de/brasilientexte/saopaulo.htm

http://www.bpb.de/themen/AG8OHL,0,Brasiliens_Widerspr%FCche.html

Brasiliens erster Heiliger “ der Franziskaner Frei Galvao

Padre, Poet, Maurer, Wundertäter

Der Papst hat während seines Brasilienbesuchs von 2007 in der Megacity Sao Paulo vor über einer Million Gläubigen Frei Galvao(1739-1822), eine der populärsten religiösen Persönlichkeiten des Tropenlandes heilig gesprochen. Auf dem Weg zur feierlichen Messe auf dem „Campo de Marte” fährt Benedikt XVI. im „Papamobil” direkt am Kloster „Mosteiro da Luz” vorbei, das Frei Galvao einst im barocken Kolonialstil entworfen hatte und in dem er auch begraben ist. Und weil der Franziskaner nicht nur die Bauarbeiten leitete, sondern auch als Maurer Stein auf Stein setzte, ist er in Brasilien schon seit vielen Jahren Schutzpatron der Bauleute. Gerade die Armen, selbst die Sklaven liebten den Priester schon zu Lebzeiten, weil er sich ihnen besonders widmete, den Herrschenden aber stets die Stirm bot. 1780 verteidigt Frei Galvao öffentlich einen Soldaten, den Gouverneur Lobo de Saldanha aus nichtigem Anlaß hinrichten lassen will. Der künftige Heilige wird aus der Stadt verbannt, der Soldat erhängt. Daraufhin belagert das Volk, darunter auch bewaffnete Großgrundbesitzer und ihre Sklaven, das Haus des Gouverneurs, bis er die Verbannung zurücknimmt. Frei Galvao, ein eleganter, schöner Mann mit für die damalige Zeit weit überdurchschnittlicher  Körpergröße von 1.90  ist indessen auch Poet, Literat, gehört Brasiliens erster Dichterakademie an, deklamiert bei seiner Aufnahme 1770 vier Stunden lang eigene Poesien “ in Latein! Doch verehrt wird er von den Brasilianern bis heute vor allem als Wundertäter in schier ausweglosen Situationen. Das Volk spricht ihm zehntausende Wunder zu, vor allem Heilungen und Hilfe bei kompliziertesten Schwangerschaften. 1998 erkennt der Vatikan nach eingehender Prüfung das erste Wunder an: Ein vierjähriges Mädchen, das wegen schwerer Hepatitis, Infektionen und  Herzstillstand bereits verloren schien, wird binnen kurzem völlig gesund. Papst Johannes Paul der Zweite spricht noch im selben Jahr Frei Galvao selig. 1999 ein zweites Wunder, das den Vatikan überzeugt: Eine Frau aus Sao Paulo, die bereits drei Fehlgeburten erlitt, übersteht eine Risikoschwangerschaft, aber die Ärzte sagen, ihr infiziertes Kind werde sterben. Doch es überlebt, wird rasch kerngesund “ der Junge ist inzwischen sieben. In beiden Fällen werden die Wunder auch den begehrten, berühmten „Pilulas de Frei Galvao” zugeschrieben: Als der Padre nicht sofort zu einem Schwerkranken und einer Gebärenden eilen kann, schreibt er ein kurzes Gebet auf zwei Papierzettel, schneidet diese jeweils in drei Stückchen,  rollt sie wie zu einer Pille zusammen und bittet die Angehörigen, die ihn aufsuchten, diese „Pilulas” dem Kranken und der Frau zu verabreichen. Beide überleben und werden gesund, ebenso das Baby “ die Kunde von den Wunderpillen des Frei Galvao verbreitet sich rasch über das Riesenland. Jeden Morgen bildet sich vor dem „Mosteiro da Luz” von Sao Paulo eine lange Schlange von Gläubigen, die just auf die Verteilung der täglich über 5000 Pillen warten. Wohl kaum ein Brasilianer, der noch keine genommen hat. Im Kloster werden sie von Nonnen treu dem Original hergestellt, in Frei Galvaos Geburtsstadt Guaratinguetà von Ordensschwestern in der Kathedrale. Dort zelebrierte der Franziskaner seine erste Messe, nur einige hundert Schritte entfernt steht sein schmuckes Geburtshaus. Thereza und Tom Maia, die Nachfahren der Galvao-Familie sind, haben es zu einem kleinen Privatmuseum umgebaut und können sich jetzt, kurz vor der Heiligsprechung, vor Besuchern, Buskarawanen kaum retten. Sogar aus den USA und Südafrika, Portugal und Spanien kommen jetzt immer mehr Anhänger des künftigen „Santo”, dessen offizieller Name Antonio de Sant` Ana Galvao lautet. „Für uns hier in Guaratinguetà ist er seit jeher ein Heiliger”, sagen beide. „Da er zehn Brüder hatte, ist beinahe jeder irgendwie mit der Galvao-Familie verwandt.” Guaratinguetà hat immerhin an die hunderttausend Einwohner und ist nur einen Katzensprung vom berühmten Wallfahrtsort Aparecida entfernt, den der Papst vom 11. bis 13. Mai 2007 besuchte. „Unter uns gibt es viele Heilige, die indessen nicht heiliggesprochen werden”, betont Sao Paulos deutschstämmiger Erzbischof Odilo Scherer. „Dazu rechne ich die 2005 ermordete Amazonas-Missionarin  Dorothy Stang, eine Märtyrerin.” 

Die Fazenda der Hoffnung in Brasilien

Rio de Janeiro und der Wirtschaftsmoloch Sao Paulo sind die beiden wichtigsten “ und grauenhaftesten Umschlagplätze für Crack, Kokain, Heroin und LSD in Lateinamerika. Den Drogenhandel managen Verbrechersyndikate, deren Banditenmilizen im Parallelstaat der Slums über Millionen von Armen, Verelendeten in Feudalmanier herrschen, Mißliebige lebendig verbrennen oder zerstückeln. Im Drogenrausch köpfen, zerhacken Söhne selbst die eigenen Mütter, wie die brasilianischen Medien berichten. Doch mitten zwischen Rio und Sao Paulo liegt idyllisch vor grünen, bewaldeten  Hügeln die „Fazenda der Hoffnung”, ist ein Lichtblick in all der Tristesse. 1979 kommt der deutsche Franziskaner Hans Stapel in die nahe Gemeinde Guaratingueta als Priester, sieht Brasiliens Drogenelend, wird von Süchtigen um Hilfe gebeten. „Frei Hans”, wie man ihn nennt, reagiert sofort, baut ein weltweit einzigartiges Entzugsprojekt auf. Heute sind dort sogar Russen, Russinnen aus Moskau, Schweizer und Deutsche, neben den vielen Brasilianern verschiedenster Konfessionen. Auch in 32 weiteren Fazendas des Riesenlandes werden Süchtige jeweils mindestens ein Jahr betreut, behandelt -  zudem in Argentinien, Paraguay, Mexico, den Philippinen. Und in zwei Projekten sogar in Deutschland. Insgesamt sind es derzeit über zweitausend, weit über die Hälfte davon in Brasilien. „Wir nehmen sie alle nicht als Kranke auf, sondern als liebesbedürftige Menschen”, sagt Frei Hans. Den meisten fehlten Werte “ „sie wissen nicht, wofür sie leben.” Nach dem Eintritt in die Fazenda der Hoffnung ändert sich dies auf der Stelle, wird das Evangelium Jesu sozusagen zum Alltag. „Wir wollen ihnen Hoffnung und echte Ideale geben – ihnen zeigen, daß es ist möglich, sich von Drogen zu befreien!”Der andere Weg aus Sucht und Abhängigkeit ist erstaunlich erfolgreich “ selbst gemäß unabhängigen Studien werden über achtzig Prozent der bislang rund 15000 Hilfesuchenden geheilt, bleiben „clean”. 2005 kommen Olga und Alexander auf die Fazenda, spritzen sich zuvor auf dem Klo des Moskauer Airports die letzte Dosis Heroin in die Venen, haben Arme und Beine voller Einstiche. Nach mehreren Entzugskliniken wurden beide stets rückfällig. Bis ihnen die Mutter zwei Flugtickets in die  Hand drückt:”Laßt euch in Brasilien wirklich heilen.” Was sie jetzt erleben, bietet keine Suchtklinik. Morgens halb sieben beginnt der Tag mit Meditation, Gebeten, bekommen alle Worte zur Motivation, zum Nachdenken mit auf den Weg. „Wenn wir in einer Gemeinschaft leben oder einer Spiritualität folgen, sollten wir freier und unabhängiger von Dingen sein”, lautet ein Aufruf. Und es wird gefragt:”Warum ist das sexuelle Leben heute so banal geworden?” Jeder sollte „die Sprache der Liebe” benutzen, lieblose Worte vermeiden. „Und kürze aus deinem Vokabular Wörter, die unter der Gürtellinie liegen.” Nach dem Morgenkaffee beginnt achtstündige Arbeit, denn die Fazenda wird nicht durch Spenden getragen. Die Ex-Junkies pflanzen Mais, Maniok oder Bohnen, züchten Tiere, recyceln Plastikflaschen, produzieren Kunsthandwerk, CDs oder “ Pizzas und Lasagne. „Là vem a Russa”, da kommt die Russin, heißt es in ganz Guaratingueta, wenn Olga in den Straßen die Fazenda-Fertiggerichte anbietet, dafür viele feste Kunden hat. Abends Gottesdienst, Sport, Gesprächsgruppen für Gedankenaustausch. Zehn bis vierzehn „Recuperandos” wohnen jeweils in einem Haus zusammen, Aidskranke werden speziell betreut.

 

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1201698/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1124312/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/919048/

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/879347/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/21/brasiliens-menschenrechtspriester-julio-lancelotti-prasentiert-projekt-das-mutmaslich-straffalligen-jugendlichen-der-unterschicht-die-notige-juristische-verteidigung-garantieren-soll-um-willkurfalle/

ai-Journal Dezember 1996

Die „Hölle auf Erden“

BRASILIEN

Die „Hölle auf Erden“

Revolten, Hungerstreiks und Aids bestimmen den Alltag in den völlig überfüllten brasilianischen Gefängnissen. Brasilien gilt zwar als die zehntgrößte Wirtschaftsnation, leistet sich aber Haftanstalten, die man eher in Ruanda oder Burundi vermuten würde. Eine im April verkündete Amnestie entspannte die Situation nicht.

Eine mittelalterlich anmutende Gefangenenzelle in Rios Stadtteil Realengo: Jeder der mehreren Dutzend Insassen hat laut Gesetz Anspruch auf mindestens acht Quadratmeter – hier ist es nicht mal ein einziger. Geschlafen wird deshalb in Schichten. Während ein Teil der Gefangenen auf feuchtem Boden liegt, schlafen die anderen in Hängematten, die an den Gitterstäben befestigt sind. In einer Zelle im Stadtteil Bangu ein ähnliches Bild: 35 fast nackte, schwitzende Männer auf nur sechzehn Quadratmetern bei beißendem Fäkaliengeruch und nächtlichem Besuch von Ratten. Die psychische Spannung ist fast mit Händen greifbar. Neun von zehn Gefangenen haben Furunkel, in der heißesten Jahreszeit herrschen bis zu 60 Grad. Dann fallen täglich etwa 20 Insassen ohnmächtig um, werden von den Wärtern herausgezerrt und durch andere ersetzt.

Um aus dieser Hölle herauszukommen und in eine weniger überfüllte Zelle verlegt zu werden, bestechen Häftlinge ihre Aufseher mit bis zu umgerechnet 5.000 Mark. Es gibt brasilianische Gefängnisse, in denen die Insassen das nötige Geld sammeln, um dann die Begünstigten auszulosen. In Bangu kommen die notwendigen „Real“ von der Familie oder Verbrechersyndikaten – je unerträglicher die Hitze, desto höher die Preise auf diesem Schwarzmarkt. Einmal am Tag gibt es schlechtes Essen; die Lebensmittelpakete der Angehörigen werden gewöhnlich nicht ausgehändigt.

Folter ist üblich. Ein Anwalt beschreibt einen Fall von 1996: „Polizisten mit Kapuzen mißhandelten 116 Gefangene, unter anderem mit Elektroschocks. Alle wiesen Blutergüsse auf, wurden zudem zu sexuellen Handlungen gezwungen.“ Fast täglich werden Fälle zu Tode gefolterter, erschlagener Häftlinge bekannt – die politisch Verantwortlichen bleiben meist passiv. Nur wenige Intellektuelle protestieren, die Gesellschaft scheint sich an die grauenvollen Zustände gewöhnt zu haben.

Pervertieren statt resozialisieren

Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder „Human Rights Watch“ prangern die Zustände in den brasilianischen Haftanstalten an – und auch die Gefangenenseelsorge der Katholischen Kirche läßt nicht locker. Padre Geraldo Mauzeroll von der „Pastoral Carceraria“ im Teilstaat Sao Paulo gegenüber dem ai-Journal: „Wer ins Gefängnis kommt, wird pervertiert, wird angesehen und behandelt wie ein Tier – niemand ist an einer Besserung oder Resozialisierung interessiert. Die Gesellschaft rächt sich an ihnen, läßt sie intellektuell, spirituell, moralisch und kulturell und nicht selten sogar physisch sterben.“ Mauzeroll hört in Polizeiwachen und Gefängnissen sehr häufig den Ausspruch: „Nur ein toter Häftling ist ein guter Häftling!“ Der Padre geht seit 1973 in die „Presidios“ – was er täglich sieht, sind Bilder wie aus Horrorfilmen: Tuberkulose grassiert, über die Gesichter Todkranker laufen Ameisen. Häftlinge verfaulen buchstäblich in Zellen. Die Gefängnisärzte sind selbst kriminell, weil sie Kranke bewußt

nicht behandeln, sondern sterben lassen. Sie werden aber nie zur Rechenschaft gezogen. Kriminell handeln auch Richter und Staatsanwälte, die über Folter und alle anderen Menschenrechtsverletzungen detailliert informiert sind, jedoch nicht eingreifen.

Das Gefängnispersonal verkauft Lebensmittel, die für Häftlinge bestimmt sind und ermöglicht Rauschgifthandel und -konsum hinter Gitterstäben. Ein Gefängnisdirektor: „Drogen müssen dort drin sein, damit die Gefangenen ruhig bleiben.“

Erzwungenes Schweigen, Morddrohungen

Ein dunkles Kapitel ist auch die sexuelle Gewalt, von Aufsehern sogar gefördert. Mauzeroll zum ai-Journal: „Wird ein wegen Vergewaltigung Verurteilter eingeliefert, stecken die Wärter ihn in bestimmte Massenzellen, damit er dort von 15 oder 20 Häftlingen vergewaltigt wird. Dies ist Gesetz in den Kerkern, und so verbreitet sich Aids sehr schnell.“ Nach amtlichen Angaben infizierten sich bereits mehr als 20 Prozent aller Inhaftierten mit dem HIV-Virus – ein Großteil der rund 150.000 brasilianischen Gefangenen hat homosexuellen Verkehr, gewöhnlich ungeschützt.

Vitor Carreiro teilte in Rio de Janeiro jahrelang eine Zelle mit 47 Gefangenen. Er ist von Aids gezeichnet und sagt: „Alle Welt weiß, daß die Frau des Gefangenen der andere Gefangene ist.“ Promiskuität ist der Alltag: José Ferreira da Silva, HIV-positiv, berichtet von vier festen und acht gelegentlichen Partnern – keiner benutzt Präservative.

Padre Mauzeroll drückt sich im Gegensatz zu vielen „politisch korrekten“ Landsleuten nicht um unbequeme und unangenehme Wahrheiten. Er hat keine Probleme, die von den Autoritäten gerne versteckten und verdrängten Probleme offen anzusprechen. „Wer über die Zustände redet und informiert, stirbt“, lautet eine andere Regel. Berufskiller erledigen das – Mauzeroll weiß, daß auch sein Leben in Gefahr ist. Dennoch klagt er offen die soziale Ordnung Brasiliens an: „Diese ist schuld an der Situation.“

Gemäß einer neuen Studie der Vereinten Nationen lebt heute fast die Hälfte der 150 Millionen Brasilianer in verhältnismäßig entwickelten Gebieten. „Wenn in Sao Paulo und Rio de Janeiro die Lage in den Gefängnissen bereits so schlimm ist“, gibt Padre Mauzeroll zu bedenken, „wie muß sie dann erst in den stark unterentwickelten Regionen des Nordens und Nordostens sein?“

Amnestie nur Kosmetik

Die Rechtsanwältin Zoraide Fernandez weist darauf hin, daß Häftlinge nach verbüßter Strafe oft noch jahrelang gefangengehalten werden. 1995 waren es allein in Rio mindestens 560.

Brasiliens Staatschef Fernando Henrique Cardoso verkündete im April die, wie es offiziell hieß, größte Amnestie in der Geschichte des Landes: Etwa zehn Prozent der Gefangenen sollten freikommen. Wie die Gefängnisbehörden inzwischen einräumten, werden beispielsweise im Teilstaat Rio de Janeiro nur wenig mehr als ein Prozent amnestiert. Die 511 Gefängnisse bieten Platz für höchstens 60.000 Personen, sind aber nach jüngsten offiziellen Angaben mit 148.760 Häftlingen belegt – das sind 15 Prozent mehr als 1994. Notwendig, so hieß es, sei der Bau von 145 zusätzlichen Haftanstalten. Die Lage in der Metropole Sao Paulo ist den Angaben zufolge am dramatischsten. Eine Besserung ist nicht in Sicht: Per Haftbefehl suchte man allein 1996 rund 275.000 Straftäter.

Rund 95 Prozent der Häftlinge sind Arme, 96 Prozent sind männlich und etwa drei Viertel Voll- und Halbanalphabeten. Der typische Gefangene, so eine Studie, ist dunkelhäutig und jünger als 25 Jahre. Jeden Monat kommt es laut Statistik zu mindestens drei großen Häftlingsrevolten, die meisten werden allerdings der Öffentlichkeit verschwiegen. Eine Ausnahme bildet lediglich der südliche, relativ hochentwickelte Teilstaat Rio Grande do Sul – nur dort soll es auch keine irregulär festgehaltenen Häftlinge geben.

Wärter und Spezialeinheiten gehen gewöhnlich äußerst brutal gegen meuternde Häftlinge vor: 1992 wurden im berüchtigten Gefängnis „Carandiru“ von Sao Paulo mindestens 111 Insassen erschossen. Die politisch Verantwortlichen und die direkt Beteiligten blieben bisher straffrei. In „Carandiru“ ereignete sich auch Ende Oktober wieder eine Revolte: 670 Gefangene nahmen 27 Wärter als Geiseln und forderten die Verlegung in eine andere Haftanstalt. Fünf Häftlinge versuchten währenddessen in einem Müllwagen zu fliehen, vier von ihnen wurden von Militärpolizisten erschossen.
Klaus Hart
Der Autor ist freier Korrespondent in Rio de Janeiro

Hintergrund:

Brasilien: Die Milliardäre und die Hungernden(2011)

Kirche empört über starke Zunahme der Superreichen angesichts von Massenelend

Die Zahl der Milliardäre des Tropenlands ist laut neuester Forbes-Statistik  auf 30 angestiegen – 2010 waren es noch 18. Platz acht der Weltrangliste belegt Unternehmer Eike Batista aus Rio, mit 30 Milliarden US-Dollar. Der Reichtum der brasilianischen Milliardäre sei dreimal so groß wie das Bruttosozialprodukt des entwickelten Nachbarlands Uruguay. Bankiers und Börsianer feiern den Zuwachs bei Brasiliens Superreichen als Beweis wirtschaftlichen Aufwärtstrends – die Kirche des größten katholischen Landes äußert dagegen Empörung, weist auf Hunger, Misere und rasch wachsende Elendsviertel. „Die Milliardärsstatistik zeigt, daß sich unter der Regierung von Präsident Lula an der grauenhaft ungerechten Einkommensverteilung, dem Begünstigen der ohnehin Privilegierten nichts geändert hat“, sagt Frei José Francisco, Leiter des Franziskaner-Sozialwerks von Sao Paulo. „Die neue Präsidentin Dilma Rousseff fährt diesen Kurs weiter, tut nichts gegen Einkommenskonzentration in den Händen weniger – trotz soviel Hunger und Massenelend. Nur bei sozialer Ungleichheit ist Brasilien Weltspitze.“ Der Franziskaner hat Riesenprobleme, Spender und Förderer für die zahlreichen Sozialprojekte der Megacity zu finden, ob für Straßenkinder oder obdachlose Familien. „Mit einem Quentchen des Gelds der Milliardäre könnte ich einen Großteil meiner Finanzierungsnöte beheben, müßte nicht sogar deutsche Hilfswerke wie Misereor und Adveniat um Mittel bitten. Denn Brasiliens Reiche geben nur, wenn es ihnen Profit, Status und Steuererleichterungen bringt. Wer aber wie wir mit echter Sozialarbeit jene Strukturen in Frage stellt, die Elend und Hunger schaffen, kriegt keinen Centavo.“

Hedwig Knist aus der Diözese Mainz leitet in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo die Obdachlosengemeinde und ist über die Milliardärsstatistik ebenfalls aufgebracht, kennt die unpatriotische Knickrigkeit der brasilianischen Superreichen nur zu gut. „Gäben die was ab, müßte ich derzeit nicht das deutsche Generalkonsulat um Gelder für ein Projekt anbetteln, das ausschließlich Brasilianern zugute kommt,  könnte ich dem Heer der Straßenbewohner viel besser helfen. Das Anti-Hunger-Programm der Regierung holt die Menschen nicht aus dem Elend, Brasiliens Sozialkontraste werden nicht geringer – die Reichen indessen immer reicher. Die Milliardärsstatistik beweist es drastisch-provozierend.“

Priester Aecio Cordeiro da Silva betreut in Sao Paulo 13 der über 2000 Slums und erinnert daran, daß Brasiliens Parlamentsmitglieder ein Durchschnittsvermögen von umgerechnet einer Million Euro besitzen und sich erst kürzlich eine 60-prozentige Diätenerhöhung genehmigten. „Dennoch votierten sie jetzt für eine Mindestlohn-Anhebung auf rund 248 Euro brutto, deutlich unterhalb der Teuerungsrate – sowas ist doch skandalös, wie die Milliardärsstatistik! Es gibt weiter Hunger – das Gesundheitswesen ist so grauenhaft, daß Menschen in den Warteschlangen der Hospitäler sterben. Gerade ersuche ich einen Italiener um Geld für ein Projekt, das Jugendliche vor dem Abrutschen in die Drogenkriminalität bewahren soll – denn wir können nicht mal die Stromrechnung aufbringen.“

Ouro Preto, Weltkulturerbestadt in Brasilien, Osterprozession, Procissão de Páscoa 2015. **

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http://www.hart-brasilientexte.de/2015/04/22/osternpascoa-in-ouro-preto-2015-unesco-weltkulturerbe-stadt-in-brasilien-leiden-sterben-auferstehung-des-jesus-von-nazareth-interpretiert-von-der-katholischen-jugendpastoral-starke-aktuelle-b/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2014/04/21/brasilien-pascoaostern-in-der-unesco-weltkulturerbestadt-ouro-preto-teilstaat-minas-gerais-3/

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-http://www.dw.de/ouro-preto-statt-rio-de-janeiro-und-sao-paulo/a-4281011

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/04/10/brasilien-weltkulturerbe-barockstadt-ouro-preto-ostern-2012-die-prozession/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2012/04/02/ostern-in-ouro-preto-brasilien/

 

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Nachtprozession im Viertel Bauxita von Ouro Preto:

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Ostern/Pascoa in Ouro Preto 2015, UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt in Brasilien. Leiden, Sterben, Auferstehung des Jesus von Nazareth, interpretiert von der katholischen Jugendpastoral auf den Stufen der Santa-Efigenia-Kirche – starke aktuelle Bezüge. “Auto da Paixão” – “Evangelizando através da Arte”. **

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A Pastoral da Juventude da Paróquia de Santa Efigênia de Ouro Preto, realiza, mais uma vez, com o apoio da paróquia de Santa Efigênia e da Prefeitura Municipal de Ouro Preto, o Auto da Paixão nas escadarias da Igreja de Santa Efigênia.

Com o ideal “Evangelizando através da Arte” sempre em mente, os jovens chamam a atenção do cristão para refletir mais a vida, morte e ressurreição de Cristo. Além disso, esses jovens chamam a atenção do público pela realização e atuação.

A cada ano que avança, o auto surpreende mais o público e aflora o talento de cada um dos participantes encantando os moradores da paróquia e da cidade de Ouro Preto. E isso é o resultado de todo o amor e carinho de todos os organizadores por cada minuto dedicado para o ensaio, caracterização, concentração, organização e muito ensaio, é claro!

Todas as etapas da organização e realização são feito pelos jovens da Pastoral e alguns voluntários, com apoio principal da Paróquia de Santa Efigênia. O evento é totalmente gratuito e conta, mais uma vez com a participação dos moradores e turistas da cidade. Venham! Não deixe de prestigiar o trabalho desses lindos jovens que estão preparando o teatro com tanto carinho.

O Auto da Paixão 2015 será no dia 04 de abril, sábado as 19h:00. Venha e traga a sua família!

 Texto-Rúbia Araújo Borges- Colaboradora da Divulgação

-http://www.jornalvozativa.com/prestigie-o-espetaculo-do-auto-da-paixao-2015-em-ouro-preto-mg-no-dia-04-de-abril-nas-escadarias-historicas-da-igreja-de-santa-efigenia/

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http://www.hart-brasilientexte.de/2014/04/21/brasilien-pascoaostern-in-der-unesco-weltkulturerbestadt-ouro-preto-teilstaat-minas-ge

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Brasilien . Kirche und Gesellschaft. Sammelbandtexte:

-http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/05/brasilien-%E2%80%93-kirche-und-gesellschaft-sammelbandtexte/

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-http://www.em.com.br/app/noticia/gerais/2014/05/10/interna_gerais,527281/fechada-ha-6-anos-igreja-em-ouro-preto-sera-reaberta-para-visitacao-e-missas.shtml

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Der Regisseur.

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Die Santa-Efigenia-Kirche oben auf dem Hügel.

Porträtstudien von Mitwirkenden:

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Padre

Luiz Carlos dos Santos

 der Kirchengemeinde Santa Efigenia.

http://www.visiteurucania.com.br/padre-luiz-carlos-dos-santos/

http://www.paroquiasantaefigenia.com.br/

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Ouro Preto – Osterprozession 2015:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/04/29/ouro-preto-weltkulturerbestadt-in-brasilien-osterprozession-2015/

Brasilien: Katholische Engel in Bauxita bei Ouro Preto(2). Katholische Kultur in Minas Gerais. **

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, 07. September 2008 um 20:28 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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