Brasiliens CARITAS-Präsident, Bischof Demetrio Valentini, hat im Website-Exklusivinterview betont, daß Hunger und fehlende Lebensmittel auch fünf Jahre nach dem Start des Regierungsprogramms „Bolsa Familia“ in der zehntgrößten Wirtschaftsnation, die zu den führenden Lebensmittelexporteuren zählt, Alltagsnormalität seien.
Dom Demetrio Valentini, Protestdemonstration.
„…das Land die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 vergleichsweise unbeschadet überstanden hat.“ BDI 2011
„Bolsa Familia allein reicht eben nicht, wir brauchen eine andere Sozialpolitik. Denn die soziale Ungleichheit nimmt zu, ebenso die Einkommenskonzentration. Wenn wir in die Landregionen gehen, treffen wir sogar auf Landarbeiter, die wie Sklaven gehalten werden – und die Hunger leiden. Extreme Misere finden wir zudem an den Slumperipherien der brasilianischen Städte – und natürlich schlimmsten Hunger. In Brasiliens Städten steigt derzeit die Arbeitslosigkeit, was vor allem die Menschen in den Slums trifft. Und das heißt auch – die Leute dort haben noch weniger zu essen.“
„Bolsa Familia“ habe unbestreitbare Verdienste – durch diese Hilfe hätten Millionen von Brasilianern zum ersten Mal etwas von der Präsenz des Staates gespürt.
Bischof Valentini kritisierte die Hochzinspolitik der Lula-Regierung. Dies sei ein neues Instrument der Einkommenskonzentration, was gewöhnlich nicht wahrgenommen werde.
Hintergrund:
Brasilien: Die Milliardäre und die Hungernden(2011)
Kirche empört über starke Zunahme der Superreichen angesichts von Massenelend
Die Zahl der Milliardäre des Tropenlands ist laut neuester Forbes-Statistik auf 30 angestiegen – 2010 waren es noch 18. Platz acht der Weltrangliste belegt Unternehmer Eike Batista aus Rio, mit 30 Milliarden US-Dollar. Der Reichtum der brasilianischen Milliardäre sei dreimal so groß wie das Bruttosozialprodukt des entwickelten Nachbarlands Uruguay. Bankiers und Börsianer feiern den Zuwachs bei Brasiliens Superreichen als Beweis wirtschaftlichen Aufwärtstrends – die Kirche des größten katholischen Landes äußert dagegen Empörung, weist auf Hunger, Misere und rasch wachsende Elendsviertel. „Die Milliardärsstatistik zeigt, daß sich unter der Regierung von Präsident Lula an der grauenhaft ungerechten Einkommensverteilung, dem Begünstigen der ohnehin Privilegierten nichts geändert hat“, sagt Frei José Francisco, Leiter des Franziskaner-Sozialwerks von Sao Paulo. „Die neue Präsidentin Dilma Rousseff fährt diesen Kurs weiter, tut nichts gegen Einkommenskonzentration in den Händen weniger – trotz soviel Hunger und Massenelend. Nur bei sozialer Ungleichheit ist Brasilien Weltspitze.“ Der Franziskaner hat Riesenprobleme, Spender und Förderer für die zahlreichen Sozialprojekte der Megacity zu finden, ob für Straßenkinder oder obdachlose Familien. „Mit einem Quentchen des Gelds der Milliardäre könnte ich einen Großteil meiner Finanzierungsnöte beheben, müßte nicht sogar deutsche Hilfswerke wie Misereor und Adveniat um Mittel bitten. Denn Brasiliens Reiche geben nur, wenn es ihnen Profit, Status und Steuererleichterungen bringt. Wer aber wie wir mit echter Sozialarbeit jene Strukturen in Frage stellt, die Elend und Hunger schaffen, kriegt keinen Centavo.“
Hedwig Knist aus der Diözese Mainz leitet in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo die Obdachlosengemeinde und ist über die Milliardärsstatistik ebenfalls aufgebracht, kennt die unpatriotische Knickrigkeit der brasilianischen Superreichen nur zu gut. „Gäben die was ab, müßte ich derzeit nicht das deutsche Generalkonsulat um Gelder für ein Projekt anbetteln, das ausschließlich Brasilianern zugute kommt, könnte ich dem Heer der Straßenbewohner viel besser helfen. Das Anti-Hunger-Programm der Regierung holt die Menschen nicht aus dem Elend, Brasiliens Sozialkontraste werden nicht geringer – die Reichen indessen immer reicher. Die Milliardärsstatistik beweist es drastisch-provozierend.“
Priester Aecio Cordeiro da Silva betreut in Sao Paulo 13 der über 2000 Slums und erinnert daran, daß Brasiliens Parlamentsmitglieder ein Durchschnittsvermögen von umgerechnet einer Million Euro besitzen und sich erst kürzlich eine 60-prozentige Diätenerhöhung genehmigten. „Dennoch votierten sie jetzt für eine Mindestlohn-Anhebung auf rund 248 Euro brutto, deutlich unterhalb der Teuerungsrate – sowas ist doch skandalös, wie die Milliardärsstatistik! Es gibt weiter Hunger – das Gesundheitswesen ist so grauenhaft, daß Menschen in den Warteschlangen der Hospitäler sterben. Gerade ersuche ich einen Italiener um Geld für ein Projekt, das Jugendliche vor dem Abrutschen in die Drogenkriminalität bewahren soll – denn wir können nicht mal die Stromrechnung aufbringen.“
« Brasilien: Immer mehr zerstörerische Zuckerrohr-Monokulturen in Amazonien, dokumentiert bischöfliche Bodenpastoral CPT. Laut Lula sind Zuckerrohrplantagen von Amazonien sehr weit entfernt. – Brasilien, Embu das Artes. »
Noch keine Kommentare
Die Kommentarfunktion ist zur Zeit leider deaktiviert.