Deutscher BundestagDrucksache16. Wahlperiode 18.06.2008
Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Kai Gehring, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Monika Lazar, Kers-tin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Inter-sexuellen weltweit sicherstellen “ Yogyakarta-Prinzipien unterstützen Der Bundestag wolle beschließen: I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Alle Menschen sind gleich an Würde und Rechten, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Nationali-tät, Alter, sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität, von religiöser und politischer Überzeu-gung, von Behinderung, Gesundheit und Leistungskraft, von Erfolg oder Misserfolg und vom Urteil anderer. Wir achten jeden Menschen als einmalige und unverfügbare Person in allen Lebensphasen. Die Hochkommissarin der Vereinten Nationen für die Menschenrechte, Louise Arbour, hat auf einer Podiumsveranstaltung am Rande der Vollversammlung der Vereinten Nationen im November 2007dazu aufgerufen, auch im Hinblick auf das 60 jährige Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Men-schenrechte, die Menschenrechte der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuel-len weltweit sicherzustellen. Louise Arbour betonte, dass Menschenrechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Identität nicht nur internationale Menschenrechtsverträge verletzen, sondern auch ganz all-gemein die gemeinsamen Vorstellungen von Humanität verletzen, über die wir uns als Menschheit definieren . Die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen werden in vielen Ländern eingeschränkt und missachtet. In über 80 Staaten ist Homosexualität strafbar, in eini-gen Staaten wie z.B. Iran, Jemen, Mauretanien, Pakistan, Saudi-Arabien, Afghanistan, Vereinigte A-rabische Emirate und Sudan droht sogar die Todesstrafe. Der Deutsche Bundestag setzt sich nach-drücklich für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe ein. Viele der genannten Länder sind Zeich-nerstaaten des Internationalen Paktes über zivile und politische Reche (Zivilpakt) nach dem die Todes-strafe nur für schwerste Verbrechen und verhängt werden darf und grausame Strafen und Folter verbo-ten sind. Nicht einmal diese Kriterien werden eingehalten. Barbarische Körperstrafen gegen Homose-xuelle sind in Ländern wie Iran und Saudi-Arabien an der Tagesordnung. Dies wird auch in der Ant-wort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN zur Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen und Transgendern (Bundestagsdrucksache 16/2800) sowie in der Antwort auf die Kleine Anfrage zu strafrechtlichen Bestimmungen über Homosexualität und ihre Anwendungen weltweit (Bundestagsdrucksache 16/3597) deutlich. In einigen Ländern, z.B. den Vereinigten Arabischen Emiraten, ist das Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung strafbar und wird gerichtlich verfolgt. Dies betrifft Homosexuelle wie Transgendern. Die
Androhung von Strafverfolgung bedeutet für alle Homosexuellen wie auch für Transgendern unab-hängig von der Anzahl der Verurteilungen einen Zwang zur Selbstverleugnung und damit eine ekla-tante Einschränkung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Es ist ein Leben in steter Un-sicherheit, denn Phasen relativer Ruhe bei der Strafverfolgung können jederzeit in eine Phase massiver Repression umschlagen. Strafbarkeit von Homosexualität schließt die betroffenen Menschen auch faktisch von einer auf ihre Bedürfnisse ausgerichtete Gesundheitsversorgung aus. In einigen Ländern, wie z.B. Brasilien gibt es auch eine nicht-staatliche Verfolgung von Homosexuellen und Transgen-dern. Trotz der fortschrittlichen Regierungspolitik steht Brasilien weltweit an vorderster Stelle bei Morden an Homosexuellen und Transgendern. Viele Themen wie z.B. Frauenrechte sind erst seit kurzem auf der Agenda der internationalen Diskus-sion. Die Etablierung von Menschenrechten ist ein nicht abgeschlossener Prozess. Im Hinblick auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, müssen sich alle demokratischen Staaten dafür einsetzen, dass die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuelle in diesem Dis-kurs weiter verankert werden. Im Jahr 1994 hat der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen in dem Fall von Nicolas Too-nen gegen Australien festgestellt, dass ein Gesetz, das den einvernehmlichen sexuellen Kontakt zwi-schen Erwachsenen kriminalisiert, eine fundamentale Verletzung der Menschenrechte darstellt. Dieses Gesetz stelle eine Verletzung von Artikel 2 (Diskriminierungsverbot) und Artikel 17 (Recht auf Pri-vatheit) des internationalen Paktes über zivile und politische Rechte dar, den Australien unterschrieben und ratifiziert hat. Diese Sichtweise entspricht auch der gängigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Eine Abwägung aus moralischen Gründen kann im Strafrecht durchaus legitim sein, ist aber im Falle der sexuellen Orientierung und der besonderen Belastung fürdie Betroffenen nicht verhältnismäßig und verletzt deren Menschenrechte eklatant. Die Menschenrechte von Homosexuellen umfassen aber mehr als die Straffreiheit. In einigen Ländern ist Homosexualität zwar nicht verboten, dennoch werden Homosexuelle bei bürgerlichen und politi-schen Rechten, wie bei der Versammlungsfreiheit und in der HIV-Prävention und der Gesundheitsvor-sorge diskriminiert. Transgendern haben nur selten die Möglichkeit den Namen und den standesamtli-chen Geschlechtseintrag zu ändern und werden dadurch in der Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte behindert. Die Menschenrechte von Intersexuellen (Menschen, die von der Medizin als geschlechtsuneindeutig eingestuft werden) werden durch die rechtlich erzwungene Zuordnung männlich/weiblich verletzt. Dies führt in vielen Ländern “ so auch in Deutschland – sofort nach der Geburt zu medizinisch nicht notwendigen Eingriffen an gesunden Körpern. Diese sozialen Präventionsmaßnahmen, die dazu die-nen sollen, Intersexuellen die Erfüllung einer geschlechtlichen Rolle zu erleichtert, stehen in keinemVerhältnis zu den dadurch auftretenden Traumata und zur Zerstörung der persönlichen und körperli-chen Identität. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) hat die Republik Polen im Mai 2007 wegen der Diskriminierung von Schwulen und Lesben verurteilt. Der Gerichtshof stellte fest, dass das 2005 vomdamaligen Warschauer Bürgermeister Lech Kaczynski ausgesprochene Verbot des „Christopher-Street-Day”-Umzuges sowohl gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit als auch gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen habe. Ähnliche Verfahren sind derzeit gegen die Russische Födera-tion anhängig, da in Moskau ein ähnlicher Umzug 2006, 2007 und 2008 verboten wurden und die De-monstranten auch nicht durch die Ordnungsmacht bei den spontanen Protesten gegen die Versamm-lungsverbote vor gewalttätige Gegendemonstranten geschützt wurden. 2003 hat Brasilien erstmals einen Resolutionsentwurf zu „Menschenrechte und sexuelle Orientierung” in die damalige Menschenrechtskommission eingebracht. Deutschland unterstützte Brasiliens Vorstoß von Beginn an intensiv. Aufgrund des massiven Drucks der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) und des Vatikans kam es noch nicht zu einer förmlichen Abstimmung. Immerhin wurde aber eine intensive Befassung der Menschenrechtskommission mit diesem Thema erreicht.
Hochrangige internationale Menschenrechtsexperten, unter anderem die frühere VN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, haben Ende März 2007 bei den Vereinten in Genf einen Katalog von Richtlinien vorgestellt, der bei einer Tagung in Yogyakarta (Indonesien) ent-wickelt wurde und erstmalig einen globalen Standard für die Sicherung von Menschenrechten für Les-ben, Schwule, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen formuliert und sind mittlerweile auch in deutscher Sprache erschienen (vgl. Hirschfeld-Eddy-Stiftung: Die Yogyakarta-Prinzipien Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Iden-tität, Berlin 2008) Diese Yogyakarta-Prinzipien fordern die Bekämpfung von Gewalt und strafrechtlicher Verfolgung auf Grund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Sie erläutern, was die allgemeinen und universellen Menschenrechte für Lesben Transgendern und Intersexuellen bedeuten und welche Pflichten sich für die Staaten daraus ergeben. II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf: 1) sich nachdrücklich für die weltweite Anerkennung und Beachtung der Yogyakarta-Prinzipien einzusetzen, wie das bereits die nordischen Staaten, die Schweiz und die Tschechische Repu-blik getan haben; 2) das Büro der Hochkommissarin der Vereinten Nationen für die Menschenrechte nachdrücklich bei den Bemühungen um die weltweite Gewährleistung der Menschenrechte für Lesben, Schwule, Transgendern und Intersexuelle zu unterstützen; 3) der Sondervertreterin der Vereinten Nationen für Menschenrechtsverteidiger gegen Angriffe in Schutz zu nehmen, wenn sie deutlich macht, dass Verteidiger der Menschenrechte von Les-ben, Schwulen, Transgendern und Intersexuellen in ihrem Mandat eingeschlossen sind und die Arbeit der Sondervertreterin im Rahmen der Demokratieentwicklung nach Kräften zu unter-stützen; 4) in ihren bilateralen und multilateralen Gesprächen mit den Ländern in denen Homosexualität oder das Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung verboten ist, auf eine Abschaffung der Ver-bote zu drängen; 5) die Länder die die Todesstrafe und Köperstrafen für Homosexualität oder das Tragen gegen-geschlecht-licher Kleidung verhängen an ihre Verpflichtungen aus dem Internationalen Pakt für zivile und politische Rechte zu erinnern; 6) die Länder in denen Homosexualität oder das Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung strafbar ist, daran zu erinnern, dass dies ein unverhältnismässiger Eingriff in das Privatleben ist und nach dem Zivilpakt unzulässig ist; 7) die Mitarbeiter der Botschaften der Bundesrepublik Deutschland in der Frage der Menschen-rechte für Lesben, Schwule, Transgendern und Intersexuelle zu sensibilisieren; 8) darauf zu drängen, dass die Menschenrechte von Transgendern beachtet werden; dazu gehört insbesondere die rechtlichen Möglichkeiten zu schaffen den Namen und den standesamtlichen Geschlechtseintrag zu ändern ohne medizinische Maßnahmen dafür vorauszusetzen; 9) Sich nachdrücklich für eine weltweite Entpathologisierung von Homosexuellen, Transgendern und Intersexuellen einzusetzen; 10) sicherzustellen, dass die Rechte der Lesben, Schwulen, Bisexuelle, Transgendern und Interse-xuellen auch Bestandteile des Menschenrechtsdialoges mit den entsprechenden Ländern sind.
sicherzustellen, dass in den Länder- und Lageberichten des Auswärtigen Amtes, auch die Menschenrechtssitutation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuel-len mit aufgenommen wird und dem Deutschen Bundestag fortlaufend zu berichten 12) in der Entwicklungszusammenarbeit, und dort insbesondere in HIV-Präventionsprogrammendarauf zu achten, dass auch Homosexuelle und Transgendern in eine Präventionsstrategie in-tegriert sind und gegebenenfalls bei den Partnerländern die Straffreiheit von Lesben, Schwu-len und Transgendern einzufordern; 13) in ihrer Entwicklungszusammenarbeit Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans-gendern und Intersexuellen in zivilgesellschaftlichen Veränderungsprozessen in den Partner-ländern explizit zu machen und aktiv zu unterstützen; 14) in den entsprechenden VN-Programmen und Organisationen, wie UNAIDS, der WHO und des Global Fund, dafür Sorge zu tragen, dass in einer kohärenten Gesundheitsvorsorge auch Lesben, Schwule, Transgender und Intersexuelle integriert sind und dass Anstrengungen un-ternommen werden, Hindernisse wie Strafrechtsvorschriften zu beseitigen; 15) In der Entwicklungszusammenarbeit mit den Partnerländern Menschenrechte auf der Agenda zu behalten und auf die Aufhebung der Strafbarkeit von Homosexualität und des Tragens ge-gengeschlechtlicher Kleidung zu drängen; 16) eine Wiederaufnahme der Diskussion der brasilianischen Initiative oder möglicher Initiativen anderer Länder zu Menschenrechten und sexueller Orientierung im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen anzuregen und aktiv zu unterstützen und durch geschlechtliche Identität zu ergänzen; 17) Menschenrechtsverteidiger von Lesben, Schwulen, Bisexuelle, Transgendern und Intersexuel-len durch Einladung durch die Botschaften wie Dissidenten zu schützen; 18) Ein Programm zur Unterstützung von Menschenrechtsverteidigern von Lesben, Schwulen, Bi-sexuellen, Transgendern und Intersexuellen zu entwickeln und LSBTI-NROs im Rahmen der Programme zur Demokratieförderung mit einzubeziehen. Berlin, den 18. Juni 2008 Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion Begründung Die Bundesregierung stellt in der Bundestagsdrucksache 16/7658 fest, sie setze sich „gemeinsam mit den EU-Partnern bereits seit Jahren in regionalen und internationalen Menschenrechtsgremien gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität ein. Hierzu gehören u. a. die in Buchstabe c der `weiteren Empfehlungen der Yogyakarta- Prinzipien enthaltene Aufnahme der Beobachtung von Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität in das Mandat der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen sowie die in der `Zusätzlichen Empfehlung Buchstabe d enthaltene Akkreditierung von entsprechenden nicht- staatlichen Organisationen für die die Bundesregierung sich in den Vereinten Nationen über Jahre engagiert “ und durchaus erfolgreich “ eingesetzt hat”. Dieses Engagement ist zu begrüßen und die Bundesregierung nachdrücklich in ihrer Bemühung zu unterstützen. Die Bundesregierung sieht die Yogyakarta-Prinzipien als wichtigen Bei-trag der Zivilgesellschaft (Bundestagsdrucksache 16/7658). Diese Sichtweise reicht jedoch nicht aus, um die Yogyakarta-Prinzipien weltweit umzusetzen. Vielmehr muss sich die Bundesrepublik die Prin-zipien zu Eigen machen “ wie dies bereits durch anderen Staaten geschehen ist – und für ihre weltwei-
te Beachtung Sorge tragen.
« Seeadler und neoliberale Umweltpolitik in Deutschland: Tod durch Windkraftwerke, „Jäger“-Bleischrot… „Jäger“ und Autokonzerne. – „Brasiliens Diktatur-Verbrecher endlich bestrafen!“ Deutschstämmiger Bundesstaatsanwalt Marlon Weichert, Video anklicken. 60 Jahre UNO-Menschenrechtsdeklaration. »
Noch keine Kommentare
Die Kommentarfunktion ist zur Zeit leider deaktiviert.