Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Madonna singt Sonntag und Montag im Maracaná-Stadion von Rio de Janeiro – nahe der Scheiterhaufen-Slums. Madonnas brasilianischer Musikerkollege Marcelo Yuka. Kommerz und Politik. U2, Bono Vox.

http://g1.globo.com/Noticias/Musica/0,,MUL918300-7085,00-CONFIRA+OS+SETORES+QUE+AINDA+TEM+INGRESSOS+PARA+OS+SHOWS+DE+MADONNA.html

http://www.estadao.com.br/arteelazer/not_art291793,0.htm

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/11/der-brasilianische-musiker-und-poet-marcelo-yuka1/

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/12/09/copacabana-mit-microondas-menschenrechtsaktivisten-demonstrieren-gegen-verschwinden-tausender-in-rio-de-janeiro-auch-durch-verbrennen-auf-autoreifen-scheiterhaufen-wie-in-tropa-de-elite/

Hintergrund von 2006:

„Demagogischer, scheinheiliger“ Bono Vox von U2 in Brasilien scharf kritisiert

„Mann der Geld-und Politik-Maschinerie“

Der Sänger Bono Vox von der irischen Band U2 gilt in Europa als Megastar, als sympathischer, charismatischer Weltverbesserer, als Politaktivist, der sich unentwegt für die Menschenrechte, für die Schwachen dieser Erde vor allem in der Dritten Welt, für Minderheiten einsetzt. Im Januar hatte Bono Vox den Deutschen Medienpreis erhalten. Doch wie kommt er in einem Drittweltland wie Brasilien an, wie reagieren die Kritiker der Qualitätsmedien? Ganz Brasilien empfing Bono und seine Band mit offenen Armen – in der Kultur-und Wirtschaftsmetropole Sao Paulo freute man sich auf die beiden Konzerte und selbst in den abgelegensten Amazonasdörfern auf die Direktübertragung im Fernsehen. Doch als Bono sofort nach der Ankunft in den Präsidentenpalast zu Staatschef Lula eilte und dessen Politik über den grünen Klee lobte, nicht ein einziges Wörtchen der Kritik etwa an der gravierenden Menschenrechtslage fallen ließ, machte sich nicht nur in den Medien Verwunderung und Skepsis breit. Schließlich steckt die Lula-Regierung tief im Sumpf von Korruption und Machtmißbrauch.

Und als Bono dann auch noch seine Konzerte mit weitschweifigen politischen Erklärungen würzte, gar Lob-und Hudel-Bilder des Staatschefs Lula auf die Großleinwände projizieren ließ, war es mit der Geduld vieler Brasilianer vorbei. Wie die Medien hervorhoben, wurde Bono ausgepfiffen, als er seinen „neuen Freunden“ Lula und Kulturminister Gilberto Gil dankte. Marcos Goncalves, Feuilletonchef von Brasiliens größter Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo” bringt im Website-Interview die Kritik der Medien des Tropenlandes auf den Punkt:”Bono verkörpert die Ödheit, das Langweilig-Platte politischer Korrektheit. Wir leben heute in der Welt dieser Ideologie des politisch Korrekten, was zu einer Art Gefängnis wurde. Die Sprache wird überwacht – als Journalist übt man Selbstzensur, überwacht das eigene Vokabular. Wir wurden Gefangene angeblich fortschrittlicher Ideen. Ein regelrechter Apparat in der heutigen Kultur fordert diese politische Korrektheit ein. Ich finde, ein Rocksänger sollte Distanz zu den Autoritäten wahren, zumal Staatschef Lula und dessen Partei durch Korruption belastet sind. Doch Bono ignoriert das alles, kritisiert und hinterfragt nichts, leiht Lula in einem Wahljahr sein Prestige, gebärdet sich als dessen Helfer bei der Wiederwahl. Bono kennt die Realität Brasiliens, nutzt seinen Aufenthalt indessen fürs persönliche Marketing, entgleist in Demagogie und Scheinheiligkeit. Bono gehört zur Geld-und Politik-Maschinerie dieser Erde. Seine Konzerte hier waren wirklich ein Festival der Demagogie.”

Bono Vox und Mick Jagger
Marcos Goncalves erinnert an die ironische Reaktion Mick Jaggers, den man einmal auf Bonos Gutmenschentum, auf dessen soziales Engagement ansprach. „Ich glaube, ich habe ihn unlängst über die Wasser gehen sehen.” Bono gebärde sich beinahe wie ein Gott, sagt Goncalves lachend.

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Marcos Goncalves, Feuilletonchef von „Folha de Sao Paulo”

Als Bono in Sao Paulo war, revoltierten gerade die Insassen von fünf Gefängnissen gegen unmenschliche Haftbedingungen. Zahlreiche Menschenrechtler protestierten auf den Straßen Sao Paulos dagegen, daß in Brasilien die Folter weiterhin alltäglich ist, und daß gerade ein Polizeioberst freigesprochen wurde, der ein Massaker an Häftlingen geleitet hatte. Über einhundert Gefangene waren von dessen Sondereinheit getötet worden. Und in Rio de Janeiro terrorisierten neofeudale Milizen des organisierten Verbrechens kurz vorm Karneval gerade wieder einmal Slumbewohner, töteten zahlreiche unschuldige Menschen. Wegen der brachialen Naturzerstörung hatte sich ein bekannter Umweltaktivist letzten November aus Protest lebendig verbrannt

Bonos Schweigen
Doch Bono schwieg zur Folter ebenso wie zur Banditendiktatur in den Slums, hätte an den Protesten der Menschenrechtsaktivisten natürlich teilnehmen können, wie auch Feuilletonchef Marcos Goncalves betont: ”Bono hätte sich mit ganz anderen Leuten treffen müssen “ doch er ist eben fasziniert von den Sphären der Macht. Er darf doch nicht einfach ignorieren, was hier im Lande passiert, diese Zustände auch noch unterstützen. Lula muß mit Kritik begegnet werden, Lula muß Rechenschaft ablegen. Aus dessen Arbeiterpartei ist doch die Hälfte nicht ohne Grund ausgetreten, darunter große progressive Intellektuelle. Bono zählt zur NGO-Szene. Doch diese NGO kriegen doch ihr Geld von den Regierungen, sind also in Wahrheit gar keine Nicht-Regierungs-Organisationen, leben vielmehr im Schatten der Regierungen. Heute schuf man diese NGO-Kultur, eine Kunst mit diesen verzuckerten Redensarten über Minoritäten, „die Verteidigung der Armen”. Dabei wird doch nur zu oft lediglich um Geldmittel gestritten “ das muß man kritisch beleuchten! Bono nutzt die Politik, um sich von anderen Rockmusikern zu unterscheiden, das ist seine Marketing-Masche. Doch nach Europa wird Bono mit der Aura des großen Revolutionärs zurückkehren, der stets unerschütterlich an der Seite der Dritten Welt steht. Dabei nutzt er die Unkenntnis der Ersten Welt über Brasilien aus.”

Karneval und Brasilienklischees
Wir lieben Brasiliens Karneval, rief Bono ebenfalls in die Massen. Denn im Karneval träfen sich Reiche und Arme, Alte und Junge, Linke und Rechte. Das sei gut so, denn um die Armut zu besiegen, müßten alle zusammenarbeiten. Noch so eine Phrase, die Marcos Goncalves mehr als hohl fand. ”In Europa kultiviert man Mythen über Brasilien, über den Karneval, den Fußball “ und ausgerechnet die Brasilienklischees werden von Bono auch noch verstärkt. Nach diesen Konzerten hier wird sich die öffentliche Meinung über ihn ändern. Oberflächlich betrachtet, vertritt er ja das Gute, das Positive, ist ein Gutmensch. Doch wir Kulturkritiker müssen hinter die Äußerlichkeiten, die Erscheinungsebene schauen “ und da offenbart sich eben bei Bono gewaltige Demagogie.”

Feuilletonchef Goncalves bestätigt, daß die Medienqualität in Europa stark abgefallen ist “ doch auch in Brasilien gebe es einen Verlust an kritischem Sinn in der Presse. „Alles wird akzeptiert, alles wird in Marketing eingewickelt, das Banale und Konventionelle wird ständig wiedergekäut.”

Bono und Gilberto Gil
Nach den Konzerten von Sao Paulo flog Bono nach Salvador da Bahia, um an der Seite von Musiker und Kulturminister Gilberto Gil den Karneval zu verbringen. Goncalves erinnert daran, wie Gil und der damalige Arbeitsminister und heutige Arbeiterpartei-Chef Ricardo Berzoini sich von berüchtigten, gefürchteten Gangsterbossen den Besuch eines Rio-Slums genehmigen ließen, gemäß Banditenanweisung ohne Polizeischutz oder Bodyguards in den Slum einfuhren und damit die neofeudale Diktatur der Banditenmilizen über deren Parallelstaat der Armenviertel sozusagen offiziell anerkannten. „In Deutschland würde in einem solchen Falle die Regierung gestürzt”, betonte Sao Paulos Uni-Experte für Gewaltfragen, Paulo Sergio Pinheiro.

Andere Kulturkritiker nannten Bono, den Träger des Deutschen Medienpreises, jetzt einen Populisten, der die Kontrolle über sein Geschwätz verloren habe, ein monotones und absurdes Blablabla. „Và pentear macaco, Bono Vox!“ (Geh Affen kämmen, Bono Vox), riet ihm die engagierte Kritikerin Barbara Gancia. „Bono versucht das Gewissen der Reichen zu beruhigen, indem sie Geld an afrikanische Länder spenden. Aber wird denn damit irgendetwas gelöst? Wenn man afrikanischen Diktatoren Geld gibt, damit sie Waffen und immer größere Mercedes-Benz-Limousinen kaufen – ist das die Lösung?“ In jenen Ländern, denen Bono zu helfen suche, sei der Hunger Symptom der Sozialstruktur. Bono lobe Lula, als ob in dessen Regierung keine Korruption existiere, so Barbara Gancia von der „Folha de Sao Paulo“.
Viele Fans erregten sich über den extrem hohen Eintrittspreis der Konzerte, von zwei Dritteln des derzeitigen brasilianischen Mindestlohns aufwärts. Das Publikum bestand deshalb fast nur aus Mittel-und Oberschicht. Auf brasilianischen Internetseiten war zu lesen:”Bono ist käuflich. George Bush schlug er vor, die USA sollten ein Prozent der Steuereinnahmen den armen Ländern geben. Aber warum spendet Bono dann nicht fünfzig Prozent des Gewinns seiner Brasilienkonzerte für das Anti-Hunger-Programm der Regierung, gibt lediglich eine Gitarre zum Versteigern? Eintrittspreise von 200 Real sind außerhalb der Realität eines Landes, dessen Mindestlohn bei 300 Real liegt. Den anderen in die Tasche zu greifen, ist leicht, alles pure Demagogie. Bono hat sich vor seinen Fans blamiert, ließ sich in die schmutzige Politik Brasiliens verwickeln…”

Das Konzert der Rolling Stones einige Tage zuvor an der Copacabana war gratis, 1,2 Millionen Menschen kamen. U2 spielte im Morumbi-Stadion Sao Paulos zweimal vor jeweils 73000 Menschen. Der dicke, langweilige, humorlose Bono habe nicht ein Zehntel des Sex-Appeals von Mick Jagger, keinerlei Spontaneität, hieß es auf den brasilianischen Kulturseiten außerdem. Jeder Bühnenschritt Bonos sei vorhersehbar, die hohen Noten singe er auch noch falsch.
–Bono und Deutscher Medienpreis–
„Die Welt braucht Menschen wie sie“, sagte Ex-Außenminister Joseph Fischer in seiner Laudatio zur Verleihung des Deutschen Medienpreises am 24. Januar in der Kongreßhalle von Baden-Baden. „Unser heutiger Preisträger wird für seine herausragende Leistung geehrt, für seine Leidenschaft, für seine Vernunft, sein Mitgefühl und seine Überzeugungskraft.“
Laut Pressemitteilung werden mit dem Deutschen Medienpreis stets Persönlichkeiten ausgezeichnet, „die nach Ansicht einer Jury aus Chefredakteuren in einem Jahr die Gesellschaft oder die Politik prägend beeinflußt haben.“
Vor Bono haben auch Helmut Kohl und Gerhard Schröder den Preis erhalten.
Ende März wurde in Santiago de Chile laut Presseberichten die Band U2 im Rahmen der Konzerte mit dem Menschenrechtspreis „Ambassador of Conscience“ von Amnesty International ausgezeichnet. Den Preis überreichte die neue chilenische Präsidentin Michelle Bachelet. Bono Vox erhielt zudem den „Verdienstorden Pablo Neruda“.
Brasiliens Medien bekräftigten indessen die Kritik an Bono Vox. Zitiert wurde zudem aus einem offenen Brief des indischen UNO-Wirtschaftsexperten Jagdish Bhagwati an Bono Vox. Danach suche sich der Sänger die falschen politischen Partner aus, sei in Bezug auf Afrika zum Sprecher einer überholten Programmatik geworden. Finanzhilfe für afrikanische Länder, bei der es sich in Wahrheit um Kredite handele, schaffe Abhängigkeit, keine Entwicklung, sei Quelle der Korruption, hieß es unter anderem.

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 10. Dezember 2008 um 22:52 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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