Nach der willkürlichen Entlassung des Dirigenten John Neschling – eine der größten internationalen Blamagen des brasilianischen Kulturbetriebes – droht Lateinamerikas bislang bestem Sinfonieorchester nun der Abstieg in die Mittelmäßigkeit. Neschlings Nachfolger, der Franzose Yan Pascal Tortelier, ist spürbar nicht in der Lage, das OSESP in die unter Neschling so typische elektrisierende, kreative Spannung zu versetzen, höchstmögliche Präzision zu erreichen.
Der im Vergleich zu Neschling eher wie ein gutmütiger, netter Onkel wirkende Tortelier sorgt für eine bedenklich andere Atmosphäre im Konzertsaal: Der Maestro will gerade ein weiteres Stück beginnen, als direkt vor ihm, auf der Empore, noch fünf, sechs Besucher eingelassen werden, unschlüssig nach ihren Plätzen suchen, sie nicht finden, an der Tür stehenbleiben, vor aller Augen beratschlagen. Neschling hätte gewartet, bis das Problem gelöst wäre, keinerlei Unruhe mehr Musiker und Publikum ablenken, Konzentrationsvermögen reduzieren würde. Tortelier agiert anders – er fängt einfach an, während jene Konzertbesucher noch herumstehen, vergeblich nach einem Platz Ausschau halten und reden. Unter Neschling war untersagt, nach Konzertbeginn noch Leute in den Saal zu lassen – jetzt ist dies wieder möglich. Während Tortelier vorne bereits seinen so typischen, an gymnastische Verrenkungen erinnernden Dirigierstil praktiziert, strömen hinter ihm noch mehrere Dutzend hinein, machen Lärm, bringen Unruhe in den Saal, zerstören die Konzentration. „Virou bagunca“, kommentieren Zuhörer. Aus dem Orchester dringt nicht nur Musik, knackt und klackt es gelegentlich, etwa beim Weglegen von Instrumenten – auch das ist neu. Im Konzerthaus am wichtigsten Crack-Umschlagplatz Sao Paulos ist das Klima jetzt anders – ja, Neschling ist weg. Die Horden der Crack-Konsumenten sind weiter angewachsen und noch näher an den OSESP-Saal und Sao Paulos Kultur-Staatssekretariat herangerückt. Brasiliens größte Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“, die nur einige hundert Meter entfernt ihren Redaktionssitz hat, doch auch der „Estado de Sao Paulo“ tun Gouverneur José Serra auf geradezu peinliche Weise den Gefallen und schütten Lob und Hudel auf den für zwei Jahre eingekauften Tortelier. Womöglich werden die unter Neschling aufgenommenen OSESP-CDs schon bald zu gesuchten Raritäten. Ob die DVD vom spritzig-genialen OSESP-Silvesterkonzert 2008, das ARTE TV nach Europa übertrug, tatsächlich noch herauskommt, wird man sehen.
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