Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Oscar Niemeyer: Das Lateinamerika-Memorial in Sao Paulo, kritisiert von Architekt Joaquim Guedes. Der Text – ein Klassiker der Architekturkritik. „1989, Oscar Niemeyer na Barra Funda, em Sao Paulo“. Zeitschrift der Bundesuniversität USP. Staatsbauten unter Diktator Getulio Vargas. Helmut Schmidt und Oscar Niemeyer…

Guedes-Text: http://www.usp.br/revistausp/05/08-joaquim.pdf

Memorial-Fotoserie: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/07/oscar-niemeyer-memorial-da-america-latina-in-sao-paulo-architekturkritik-von-joaquim-guedes-fotoserie/

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/31/oscar-niemeyer-gebaude-in-sao-paulo-california-eiffel-montreal-copan/

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Joaquim Guedes in Sao Paulo.

Architekt Joaquim Guedes, bestinformierter Niemeyer-Kritiker, im Website-Exklusivinterview: ”In der Menscheitsgeschichte gab es keinen anderen Architekten, für den der Staat soviel nationale und internationale Reklame organisierte wie für Niemeyer –  denn Niemeyer machte ja auch kräftig Reklame für den Staat. Über Niemeyer wurde nur verbreitet, was dieser selber hören wollte. Er arbeitete für das Militärregime, obwohl er es gleichzeitig kritisierte. Gerade während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 realisierte Niemeyer viele Projekte. Ich bin traurig –  mit dieser formalistischen Prestigearchitektur, die nichts taugt, aber furchtbar teuer ist, hat Niemeyer meiner Architektengeneration objektiv sehr geschadet. Doch leider leben wir heute in einer Zeit, in der die Erscheinung, die Fassade, das Spektakel, die Propaganda so ungemein wichtig genommen werden. ” http://www.hart-brasilientexte.de/2010/04/16/kreuz-und-gedenkstein-am-ort-des-massakers-an-bauarbeitern-brasilias-oscar-niemeyer-der-die-errichtung-brasilias-leitete-sagt-im-dokumentarfilm-von-dem-blutbad-nie-etwas-gehort-zu-haben/

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Ausriß, Oscar Niemeyer neben José Sarney, Chef der Diktaturpartei ARENA während des Militärregimes, danach Staatschef Brasiliens – bei der Besichtigung des Memorials 1988.

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Ausriß. Lula bei Schmidt in Hamburg.

“Ich glaube, ihr seid auf einem fabelhaft gutem Wege.” Schmidt zu Lula 2009…

Schmidt:”Ich kenne Oscar Niemeyer – und ich habe einen großen Respekt vor ihm…Ich war einer, der dafür gesorgt hat, daß er den japanischen kaiserlichen Kunstpreis für Architektur bekommen hat. So habe ich Oscar Niemeyer in Tokio kennengelernt.”(Extrem stark beschnittenes Gespräch Schmidt-Lula auf youtube)

Henry Kissinger spricht auf Trauerfeier für Helmut Schmidt in Hamburg:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/11/17/henry-kissinger-haelt-rede-auf-staatsakt-fuer-helmut-schmidtspd-am-23-11-2015-in-hamburg-kissinger-und-schmidt-viele-gemeinsame-wertvorstellungen/

DIE ZEIT und der Tod des Mitherausgebers Helmut Schmidt/SPD 2015 – was alles in den Nachrufen fehlt:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/11/12/die-zeit-und-der-tod-des-mitherausgebers-helmut-schmidtspd-2015-was-alles-in-den-zeit-nachrufen-fehlt/

Kuriose Mythenbildung um Schmidt und Lula:

http://www.hart-brasilientexte.de/2015/11/11/helmut-schmidt-2015-gestorben-mainstream-verbreitet-falschmeldungen-kuriose-mythen-schmidt-hatte-angeblich-den-damaligen-gewerkschaftsfuehrer-lula-begehrt-bei-unternehmern-als-verhandlungs-und-g/

Kriegsverbrecher Gustav Wagner, stellvertretender Kommandant des KZ Sobibor, SS-Oberscharführer,  berüchtigter sadistischer Judenmörder – von der Militärdiktatur Brasiliens nicht ausgeliefert:   „Die deutsche Regierung stellte ebenfalls ein Ersuchen auf Auslieferung, das jedoch vom Obersten Gerichtshof Brasiliens am 22. Juni 1979 zurückgewiesen wurde.“ Wikipedia

Professor Dr. Marcus Mazzari, Bundesuniversität Sao Paulo (USP): http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/22/prof-dr-marcus-mazzari-prasident-der-goethe-gesellschaft-brasiliens-associacao-goethe-do-brasil-gesichter-brasiliens/

Niemeyer-Bauten unter Diktator Getulio Vargas: http://pt.wikipedia.org/wiki/Edif%C3%ADcio_Gustavo_Capanema

 Vargas-Minister Gustavo Capanema war Mitgründer einer paramilitärischen Legion, die Prinzipien faschistischen Charakters pflegte und den Uniformschnitt von den deutschen Nazis übernahm, wie in Brasilien konstatiert wird. Als 1964 die brasilianischen Militärs erneut putschten, erneut ein Schreckensregime mit Folter und Terror in dem Tropenland installierten, stand Capanema auf der Seite der Putschisten.

Der Diktator und Judenhasser Getulio Vargas erhielt 1953 die höchste Stufe des Bundesverdienstkreuzes – brasilianische Historiker: Unter Vargas wurde im Namen des Staates gefoltert und gemordet. Brasiliens wichtigster Befreiungstheologe, der Dominikanermönch Frei Betto: Mein Vater kämpfte gegen die Vargas-Diktatur, wurde deshalb dreimal eingesperrt.

http://pt.wikipedia.org/wiki/Conjunto_Arquitet%C3%B4nico_da_Pampulha

Chris Dercon, Direktor des Hauses der Kunst in München:Aber immerhin erreicht er mit seiner Ideologie unglaublich sinnliche Architektur.

http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/01/brasiliens-erfolgreiche-auslandspropaganda-2009-uber-40-millionen-euro-investiert-laut-brasil-economico-enge-zusammenarbeit-mit-medien-europas/

Projektierte Apartheid(Hintergrundtext)

Brasilia, UNESCO-Weltkulturerbe der Menschheit, wird 50 – und im Tropenland erinnert man sich des Massakers an Bauarbeitern, des Terrors der Bauplatzpolizei damals, als Chefarchitekt Oscar Niemeyer, der sich immer Kommunist nennt, die Errichtung beaufsichtigt. Und wie er nach dem Militärputsch von 1964 mit den Folter-Diktatoren zusammenarbeitet, ihnen in Brasilia den Generalstab der Regime-Streitkräfte und noch vieles andere hinstellt. Obwohl doch bis heute in ungezählten deutschsprachigen Gazetten steht, Niemeyer sei während der 21 Jahre währenden Militärdiktatur verfolgt und mit einem Arbeitsverbot belegt worden. Schon 1960, bei der Einweihung Brasilias, sind kritische Brasilianer über die vielen Baufehler, die Pfuscharbeit entsetzt: Risse in Beton und Asphalt, bröckelnder Putz allerorten, sodaß Nachbesserungskolonnen noch jahrelang zu tun haben – genauer gesagt, bis heute. Daß die Hauptstadt so überstürzt in nicht einmal vier Jahren errichtet wird, damit sie der damalige Präsident Juscelino Kubitschek noch in seiner Amtszeit einweihen kann, hat zudem offenbar en masse Architektenfehler begünstigt.

Nach scharfer Kritik der neuen Nutzer muß Oscar Niemeyer schon wenige Jahre später einräumen, daß in den offiziellen Gebäuden viel mehr Platz benötigt wird, zahlreiche nicht eben schöne Anbauten angeklebt werden müssen. Gleiches gilt für hingeschusterte, überaus hellhörige Wohnhäuser – sogar per Aushang wird aufgefordert, doch bitte, bitte beim Geschlechtsverkehr leiser zu sein, schon wegen der Kinder im Block. Wie es heißt, wurde der Präsidentenpalast für etwa 100 Menschen entworfen, doch heute arbeiten dort an die 700. Bereits jetzt, zum Stadtjubiläum am 21. April, fürchten sich den hiesigen Medien zufolge die Stadtbehörden vor dem Besuch von UNESCO-Experten im Juni, die zahlreiche Niemeyer-Bauten in sehr schlechtem Zustand oder sogar gesperrt antreffen werden. Womöglich droht die Aberkennung des Welterbe-Titels.

50 Jahre später bezeichnet Brasiliens führende Qualitätszeitung Folha de Sao Paulo dieses von Slums umzingelte Brasilia als „projektierte Apartheid“ und die brasilianischen Architekturkritiker erinnern an entsetzliche Wahrheiten, dunkle Punkte der Errichtung Brasilias. Dort, wo die Bauarbeiter massakriert wurden, gibt es heute ein Kreuz und eine Gedenktafel, zeigte man gar im Freien jenen mehrfach im In-und Ausland preisgekrönten Dokumentarfilm vom Vladimir Carvalho. Der Regisseur befragt darin Niemeyer eingehend über das Blutbad, doch dieser sagt immer wieder höchst irritiert: davon weiß ich nichts, davon habe ich noch nie etwas gehört und will deshalb darüber auch nicht reden. Carvalho läßt im Film, wie Niemeyer ärgerlich wird, herumschimpft, das Abstellen der Scheinwerfer befiehlt, im Dunkeln weiterredet – ein ganz außergewöhnlicher Streifen, das Centre Pompidou in Paris hat ihn parat. Andere Zeitzeugen berichten in dem Film vom Massaker an bis zu 500 Bauarbeitern. „Der Bauplatz von Brasilia war damals ein Wilder Westen“ sagt Carvalho im Interview, „alles mußte schnell gehen, die Fristen waren kurz. Es gab damals viele Unfälle, viele Bauarbeiter fielen von den Gerüsten. Tote wurden rasch beseitigt, damit die Lebenden nicht die Lust verloren und der Bau in hohem Tempo fortgesetzt werden konnte. Die Bauarbeiter konnten nur wenige Stunden schlafen, sich nur wenig ausruhen, waren schlichtweg fix und fertig – deshalb kam es zu den Unfällen.

Eines Tages war das Essen wieder verdorben – das brachte das Faß zum Überlaufen. Die Arbeiter protestierten – doch nachts kam die Bauplatzpolizei.“ Was dann geschah, hat eine Zeitung Brasilias inzwischen noch genauer rekonstruiert. Danach feuerte diese berüchtigte Spezialgarde zuerst mit Maschinenpistolen in die Bretterbaracken, bildete danach einen „polnischen Korridor“, zwang die überlebenden Arbeiter, dort durchzulaufen, grauenhaft mißhandelt zu werden. Zum Schluß, so das Blatt gemäß den aufgetriebenen Zeugen, mußten die Arbeiter ihre Toten und Verwundeten auf zwei LKW laden – die Opfer, sogar die Verwundeten, habe man dort, wo heute der TV-Turm Brasilias stehe, verscharrt – die LKW-Fahrer als lästige Zeugen ebenfalls liquidiert.

„Für Niemeyers Biographie ist das nicht gut“, meint Regisseur Carvalho. Völlig egal – wer weiß davon schon, in deutschsprachigen Medien oder Biographietexten beispielsweise wird seit 50 Jahren so gut wie ausnahmslos das Massaker, der Dokumentarfilm nicht erwähnt.

Eigentlich sollten die Reparaturen an prägenden Gebäuden wie dem Präsidentenpalast oder der Kathedrale rechtzeitig vor den 50-Jahr-Feiern fertig sein – doch nun dauern sie noch Monate, Staatschef Lula muß weiter vom Kulturzentrum einer Bank aus regieren. Zudem landete ausgerechnet der federführende Hauptstadtgouverneur wegen Abgeordnetenkauf im Gefängnis.

Doch an offiziellen Huldigungen für Oscar Niemeyer fehlt es natürlich nicht, wenngleich die brasilianischen Architekturkritiker und zahllose Leserbriefschreiber Brasilias die mangelnde Funktionalität der Niemeyer-Bauten betonen. So sind die eckigen Blöcke der Ministerien alle gleich und zudem in Ost-West Richtung aufgereiht. Das gilt für ein Tropenland als schlechteste Lösung, weil dann die Morgen-und Nachmittagssonne direkt auf die großen Fenster knallt, furchtbare, unerträgliche Hitze erzeuge, gegen die keine Klimaanlage ankomme. Staatsangestellte würden dann eben eher nach Hause geschickt, kriegen sozusagen hitzefrei.

Besonders vertrackt wird es, wenn man sich Niemeyers Aktivitäten zur Diktaturzeit widmet. Gemäß den deutschen, aber auch vielen brasilianischen Quellen haßte der famose Kommunist die nazistisch orientierten Putschgeneräle natürlich aus tiefstem Herzen, wollte mit ihnen nichts zu tun haben, ging flugs in Exil – das Arbeiten hatten sie ihm ohnehin verboten. „Gerade während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 realisierte Niemeyer viele Projekte“, sagt mir vor einigen Jahren der angesehene Architekt und Universitätsprofessor Joaquim Guedes, bestinformierter Niemeyer-Kritiker, in Sao Paulo. Ich will es anfangs kaum glauben, doch eine seriöse Werke-Liste des „Stararchitekten“ und brasilianische Fachtexte bestätigen Guedes: 1967, drei Jahre nach der Machtübernahme, projektiert Niemeyer in Brasilia eine imposante, nach Diktator Costa e Silva benannte Brücke. Und ausgerechnet in der grausamsten, schwärzesten Phase der Folterdiktatur, unter Generalspräsident Medici, entwirft der „Kommunist“ den Generalstab in Brasilia, 1973 wird er mit großem Pomp eingeweiht. „Und dies unter dem Säbel der Medici-Regierung“, bemerkt der brasilianische Autor Marcos Sá Correa zu Niemeyers damaligem Wirken. 1971 realisiert dieser in der nordostbrasilianischen Millionenstadt Recife sogar ein Stadion, das just nach dem berüchtigten Diktator Medici benannt ist – und für die Fußball-WM 2014 genutzt wird. Laut Werke-Liste projektierte Niemeyer allein in Brasilia während des Militärregimes über 20 Bauten, auch eine Militärschule ist darunter. Guedes übrigens kann an ihm nichts Kommunistisches entdecken, nennt ihn einen Stalinisten.

2001 wird Niemeyer gefragt, warum er zwar Villen baue, aber keine einfachen Wohnhäuser, keine Viertel für die Armen. „Weshalb verzichteten Sie darauf, für jene, deren Schicksal Ihnen am Herzen liegt, ein architektonisch ansprechendes Zuhause zu errichten?“ Der Pritzker-Preisträger mag mit seiner Antwort manchen perplex machen:“Weil sich unsere Brüder in den Slums wohler fühlen als in geplanten Siedlungen, die keinerlei Komfort bieten und oft noch öder sind.“Komisch, daß europäische, darunter deutsche Architekturexperten, gar Architekturfeuilletonisten und Fernsehteams, dem in Brasilien wegen seiner originellen, umfassenden Niemeyer-Kritik so hochgeschätzten Guedes nicht die Bude einrannten. Jetzt ist es zu spät. 2008 wird Guedes auf nie geklärte Weise getötet. Direkt vor seinem Büro rast ein Stadtjeeplenker auf ihn zu, überrollt ihn, prescht gemäß den Zeugenberichten davon, und wird nie gefaßt. „In der Menschheitsgeschichte gab es keinen anderen Architekten, für den der Staat soviel nationale und internationale Reklame organisierte wie für Niemeyer“, sagt mir Guedes, „denn Niemeyer machte ja auch kräftig Reklame für den Staat. Über Niemeyer wurde nur verbreitet, was dieser selber hören wollte.“ Besonders deutlich wird das im Propagandafilm “Oscar Niemeyer – das Leben ist ein Hauch”, der auch in den deutschen Kinos läuft. In Brasilien erntete der Film Verrisse, in Deutschland dagegen höchstes Lob.

Niemeyer und das Blutbad von Brasilia

In bestimmten europäischen Medien, in Feuilletonredaktionen, Verlagen und PR-Agenturen herrscht seit Jahrzehnten panische Angst vor diesem Thema, jeder kleinste Hinweis wird unterdrückt. Indessen existieren die Fakten: Der vielfach preisgekrönte brasilianische Dokumentarfilmer Vladimir Carvalho hörte von einem Blutbad, gar einem Massaker an protestierenden Bauarbeitern Brasilias im Jahre 1959, und holte zahlreiche Zeitzeugen vor die Kamera. Für den – das erste Mal auf dem Brasilia-Filmfestival von 1990 gezeigten – Streifen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, sogar von der brasilianischen Bischofskonferenz CNBB und von der Kritikerassoziation São Paulos. In einem langen Exklusivinterview äußerte sich Carvalho zu den Vorgängen und Hintergründen bei der Errichtung Brasilias. Einer, der die Bauarbeiten beaufsichtigte, war Oscar Niemeyer. Es wird gern und häufig jene Heldensage, jener regelrechte Mythos um die Errichtung der brasilianischen Hauptstadt verbreitet, nach dem der große Architekt Niemeyer immer nahe bei seinen geliebten Arbeitern gewesen sei, im Staub der Savanne. Alle hätten an einem Strang gezogen und gemeinsam das gigantische Werk vollbracht, das schon bald darauf zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Aber es existieren auch dem widersprechende Darstellungen, darunter Carvalhos Dokumentarfilm “Conterraneos Velhos de Guerra” und ein Exklusivinterview mit einem der Bauarbeiter. »Der Bauplatz von Brasilia war damals ein Wilder Westen«, sagt Carvalho, »alles mußte schnell gehen, die Fristen waren kurz. Entsprechend wurden die Arbeiter behandelt. Wie berichtet wird, gab es sogar verdorbenes Essen. Und während eines Karnevals verstieg sich die Bauleitung dazu, das Wasser im Bauarbeiterlager abzustellen, um zu verhindern, daß sich die Arbeiter waschen konnten, um danach in Nachbarstädten des Teilstaates Goias Karneval zu feiern. Eines Tages war das Essen wieder verdorben – das brachte das Faß zum Überlaufen. Die Arbeiter verloren die Geduld, warfen die Teller mit dem Essen aus dem Fenster, aus Protest. Da rief man die Bauplatzpolizei, die Guarda Especial de Brasilia, die sollte eingreifen. Die Arbeiter wehrten sich nach Kräften, schafften es sogar, die Bauplatzpolizei zurückzutreiben. Der Tag verging – doch nachts, als alle im Bauarbeitercamp schliefen, kam die Polizei erneut und feuerte mit Maschinenpistolen in das Lager. In Brasilien sagt man, das Volk übertreibe, aber erfinde nichts – O povo aumenta, mas nao inventa. Das Volk könnte also die Vorfälle übertrieben geschildert haben – es hat aber nichts erfunden, sondern ging von einem konkreten Fall aus. So könnte man die Zahl der Ermordeten zu hoch angegeben haben. Im Film sagt einer dreißig Tote, ein anderer sechzig, wieder ein anderer 120, einer sogar etwa fünfhundert. Ich habe im Dokumentarfilm Positionen von Personen aneinandergereiht, die damals dabei waren, oder die Vorfälle mitbekommen hatten. Ich kann nichts beweisen. Der Film ist lediglich ein Wort gegen alle, die heute behaupten, es habe kein Blutbad gegeben – und die in der Regel mit der damaligen Administration liiert waren und den damaligen Staatspräsidenten Juscelino Kubitschek loben. Es handelte sich damals um eine Repressalie gegen revoltierende Arbeiter. In Brasilia kann man noch heute Ältere, darunter Taxifahrer von damals, treffen, die davon berichten und deutlich sagen: Ja, es gab diese Toten! Nur eine einzige Zeitung, O Binomio aus Belo Horizonte, die in Opposition zur Kubitschek-Regierung stand, wagte über eine Revolte von Bauarbeitern zu berichten, die gewaltsam unterdrückt worden sei und daß es offenbar Tote gegeben habe. Wegen dieser Toten, wegen des ganzen Falles wurde übrigens Brasiliens erste Bauarbeitergewerkschaft gegründet. Es gab damals viele Unfälle. Viele Bauarbeiter fielen von den Gerüsten, Tote wurden rasch beseitigt, damit die Lebenden nicht die Lust verloren, und der Bau in hohem Tempo fortgesetzt werden konnte. Zeugen sagten: Die Bauarbeiter konnten nur wenige Stunden schlafen, sich nur wenig ausruhen, sie sollten den Bau ja beenden. Die Arbeiter waren schlichtweg fix und fertig, deshalb kam es zu diesen Unfällen. Weil man eben die Sicherheitsbestimmungen stark gelockerte hatte.« Vladimir Carvalho befragte für den Dokumentarfilm auch Oscar Niemeyer: »Ich ging zu ihm, weil ich dachte, er kenne die ganze Geschichte, könne alles bezeugen, könne bestätigen, was die anderen mir sagten. So wie eine einfache Wäscherin: Am Tage des Massakers wollte sie den Arbeitern die gewaschenen Sachen ins Lager bringen, doch man ließ sie nicht hinein. Sie hob die Sachen ein ganzes Jahr lang auf – und als sie erfuhr, was da im Lager passiert war, verschenkte sie die Sachen der Bauarbeiter an andere Leute. Doch Oscar Niemeyer verneinte, daß das Blutbad geschehen sei, er sagte: Davon weiß ich nichts, davon habe ich noch nie etwas gehört. Er war ein großer Freund von Juscelino Kubitschek. Auch über die Arbeitsunfälle wollte Niemeyer nicht reden. Und heute will gleich gar keiner von den Leuten oben über die Vorfälle sprechen. Niemeyer wird jetzt hundert Jahre alt, niemand will ihn verärgern. Für dessen Biographie ist der Fall nicht gut.« Carvalho befragte für den Film auch den Architekten Lucio Costa, der mit Niemeyer in Brasilia zusammenarbeitete. »Als ich Costa auf den Fall ansprach, sagte er mir: Was willst du denn, das war der Bau einer Stadt, kein Duett tanzender Kavaliere.« Laut Carvalho wurde zwar eine Untersuchung zu den Vorgängen gestartet, doch seien, wie es heiße, die Unterlagen verbrannt. Laut der Aussagen eines Zeitzeugens im Film wurden die ermordeten Bauarbeiter dort verscharrt, wo heute in Brasilia der Fernsehturm steht. Einige hätten noch gelebt, als die Planierraupe die Erde über sie schob. 1997 wurde in Brasilien das Buch “Conterraneos Velhos de Guerra” herausgegeben, das das gesamte Drehbuch sowie die Kritike rstimmen über den Dokumentarfilm enthält. Es steht allen zur Verfügung, die über Niemeyer und Brasilia schreiben sowie Ausstellungen und PR organisieren.

Brasilia-Bauarbeiter Wagner M. , 2007 bei Sao Paulo  auf das Blutbad angesprochen, erinnert sich im Website-Exklusivinterview sofort: „Ja, das ist damals tatsächlich passiert.”

Es heißt, bei Protesten, etwa gegen verdorbenes Essen, seien Hunderte von der Bauplatzpolizei erschossen worden? „Das gab es immer wieder, ich habe das gesehen, ich war Zeuge. Es war diese Bauplatzpolizei, die gemordet hat. Doch man konnte sie nicht anzeigen, alle hatten Angst vor ihr. Es gab Repression. Und wer gar etwas gesehen hatte und darüber offen redete –  solche Zeugen wurden liquidiert. So war das damals in Brasilia.”

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 04. Februar 2010 um 01:13 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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