http://de.wikipedia.org/wiki/Bismarck_(Schlachtschiff)
Sportreporter – und Schriftsteller – Verissimo schrieb in Qualitätsmedien, das erste WM-Spiel Deutschlands sei ein wenig wie die Nachricht vom Stapellauf des Schlachtschiffs „Bismarck“ im Zweiten Weltkriege gewesen, habe den gleichen Schrecken, die gleiche Furcht verbreitet. Die „Bismarck“ sei die „tollste, furchtbarste jemals produzierte Kriegsmaschinerie gewesen, unzerstörbar. „Der erste Eindruck des erneuerten Teams von Deutschland war ebenfalls Terror.“ Doch die „Bismarck sei bald von britischen Schiffen versenkt worden. „Gestern waren die Serben dran, die Bismarck zu versenken. Klar, daß der Untergang nicht definitiv ist. Ein Deutscher bleibt nicht lange unten.“
Die Qualitätszeitung „O Globo“ holte sogar ihre Titelseite vom 27. Mai 1941 aus dem Archiv und montierte unter die Schlagzeile über das Schlachtschiff „Bismarck“ ( O „Bismarck“ posto a pique!) das Foto des sich krümmenden deutschen WM-Spielers Podolski von 2010, machte das Ganze zur Titelseite des Sportteils. Nach dem Australien-Spiel gab es ähnlich assoziative WM-Texte in den brasilianischen Medien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/14/deutsche-panzer-detonieren-australien-titelt-o-dia-rio-de-janeiro-ohne-mitleid-ein-totes-kanguruh-zu-treten/
Bei der Spiel-Live-Übertragung wurden der deutsche Trainer im brasilianischen TV und Radio als General, das deutsche Team als Armee bezeichnet. Derartiges hat in Brasilien seit langem Tradition: In den Medien ist es allgemein üblich, an die berüchtigten SS-Panzerdivisionen zu erinnern, wenn von der deutschen Mannschaft die Rede ist. Die alles ausradierende „Divisao Panzer“ – ebenso ein fester Begriff im brasilianischen Portugiesisch wie „Blitzkrieg“. Bereits Berti Vogts wurde als „Schlachtengeneral“ des mächtigen Deutschlands bezeichnet. Solche Vergleiche klingen indessen meist nicht einmal abwertend, sondern anerkennend, bewundernd – die deutsche Mannschaft ist schließlich in Brasilien hochpopulär. Sportkarikaturen, Fotomontagen zeigten gelegentlich deutsche Spieler in der Nazi-Uniform mit dem Hakenkreuz. Zur WM von 1994 stellte eine populäre Zeitschrift auch die deutsche Mannschaft auf einer ganzen Seite vor – der deutsche Vertreter reckte die Hand zum Hitlergruß, trat mit Springerstiefeln gegen einen Hakenkreuzball. Im Text hieß es, die deutsche Mannschaft trainiere seit 1990 in KZs, der Neonazi Adolf Beckenbauer, Spieler von Sobibor, sei für seine Grausamkeit bekannt. Tiefschwarzer Humor?
1970 indessen umarmt Pelé stürmisch den damaligen berüchtigten Folter-Diktator Emilio Medici beim Empfang des WM-Siegerteams in Brasilia.
„O futebol sempre foi muito popular na Alemanha, mas todo mundo sabe que o verdadeiro esporte nacional dos germanicos é o genocidio.“(O Globo 2002)
http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/19/fusball-wm-2010-fotos-aus-brasilien/
Hintergrundtext von 2002:
Fußball, Politik, Kommerz Brasilien im WM-Hochgefühl – bis zum bösen Erwachen „Ein Kahn, der bellt, beißt nicht“ |
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Schon beim Ausrollen der Sondermaschine auf dem Airport von Brasilia hält Mannschaftskapitän Cafù den Siegerpokal aus dem Pilotenfenster – den wartenden Massen entgegen – Ronaldo schwenkt die Nationalfahne. Triumphzug bis zum Präsidentenpalast – Bahias Trommlerformation „Olodum“, die bereits vorm Berliner Reichstag aufspielte, wiederholt den Patriotismus-Hit „Ich bin Brasilianer – voller Stolz und Liebe“ zum x-ten Male, aus der Hand von Staatschef Cardoso, FU-Berlin-Ehrendoktor, der vaterländische Verdienstorden für alle. Die Fußball-Millionäre lassen sich bereitwillig vor den Karren der Mitte-Rechts-Regierung spannen, alle Details, „Spontan“-Spielereien, darunter Purzelbäume auf der Palastrampe vor Cardoso, so sickerte durch, waren von dessen Propagandaabteilung und den PR-Experten des Bierkonzerns Ambev vorher abgesprochen, eingeübt worden – Ronaldo wurde wie eine Marionette zu den im Spektakel jeweils vorgesehenen Stellen gezerrt. Das Team kopiert getreulich den anwesenden Pelè – nach dem WM-Sieg 1970 stürzt er in Brasilien begeistert auf den berüchtigten Foltergeneral und „Präsidenten“ Emilio Medici zu, fällt ihm um den Hals, umarmt ihn heftig. Zu dieser Zeit werden laut Zeitzeugen Regimegegner über Amazonien lebendig aus Flugzeugen gestoßen, bei Rio de Janeiro Haien zum Fraß vorgeworfen, in pharaonische Bauprojekte eingemauert – doch Pelè erklärt wider besseres Wissen sogar im Ausland:“Es gibt keine Diktatur in Brasilien – wir sind ein freies Volk!“ Und macht Diktatur-Regierungspropaganda, hält enge Kontakte auch zur Militärregierung des deutschstämmigen Generals Ernesto Geisel. Diktaturaktivisten von damals sind in der jetzigen Mitte-Rechts-Regierung und deren tragenden Parteien überreichlich vertreten – gefoltert, gemordet wird mehr als zur Diktaturzeit – wie damals bei Multimillionär Pelè auch für die jetzige Mannschaft alles kein Thema. Von Marketing versteht sie aber so viel wie er: Eigentlich sollte das Team vom Brasilia-Airport wie bei vorherigen WM-Siegen auf einer deutschen Feuerwehr-Lafette – fünfzehn Tage lang akribisch dafür vorbereitet – durch die Stadt fahren – entschied sich jedoch handstreichartig anders, stieg auf den Werbetruck des Bierkonzerns Ambev, posierte mit Bierfahnen, Bier-und Brausebüchsen, mit der Bier-Popsängerin Ivete Sangalo – für Ambev ein Super-Coup. Die Feuerwehr-Einheiten natürlich stockwütend. Dann nach Rio, von der Luftwaffe eskortiert, im Tiefflug über die Copacabana, den Zuckerhut – Landung, Triumphzug, Karneval. In Rio heißt das seit Jahren auch Massenschlägereien, Massenüberfälle, Gewaltausbrüche, Slumbewohner mit Knüppeln und Steinen in der Hand – nicht anders wars während der Fahrt vom Airport zu den touristischen Strandvierteln. Als die Mannschaft 1.45 Uhr angeblich aus Müdigkeit entschied, nicht mehr die zwei Kilometer bis zu den wartenden Massen der Copacabana zu fahren, stattdessen zum Airport umzukehren, packte das Volk sofort die Wut. Auf den Bus mit dem Team hagelten Flaschen, Steine, Bierbüchsen, Fans schlugen aufgebracht gegen die Karosserie, skandierten obszöne Schimpfwörter. Neun Scheiben gingen zu Bruch, Blutspuren an Fenstern – Ronaldo, Rivaldo & Co. warfen sich im Bus auf den Boden. Nur weil die Militärpolizei dazwischenging, kam das Fahrzeug los. Rios auflagenstärkste Tageszeitung „O Dia“ kam mit der fetten Schlagzeile :“Nach dem Fest – der Terror“.Nur neun Spieler flogen noch zum Fest-Empfang nach Sao Paulo – doch im riesigen Karnevals-Sambodrome warteten im Morgengrauen nur noch an die zweitausend Menschen, blieben überwiegend kühl. Dennoch – auf den Straßen Rest-Brasiliens fast nur lachende Gesichter, tiefe Zufriedenheit allerorten – die 170 Millionen Brasilianer, sogar Indianer am Amazonas, waren nach dem Endspiel mehr aufgedreht als beim Carnaval – hatten zu ihren Göttern für den Sieg gebetet. „Sieg der Rasse – bestes Land der Welt“- „Schimpanze, Pitbull Kahn“Die meisten Brasilianer zeigten während der WM erstaunlichen Optimismus, „Pentacampeao“ zu werden, haben Recht behalten. Und suhlen sich jetzt in Patriotismus und gesteigertem Selbstwertgefühl, nationalem Selbstbewußtsein wie selten. „Wir sind die Größten, unser Volk ist weltweit die Nummer Eins“ – und auch das – „Sieg der Rasse“ – es gibt fast nichts, was die Medien jetzt im Überschwang politisch unkorrekt herausposaunen. Spieler Roberto Carlos:“Brasilien war schon immer das beste Land der Welt – wird es auch bleiben!“ Die Deutschen, „diese kühlen, so merkwürdig eckig laufenden, eckig tanzenden und Fußball spielenden Sauerkraut-und Eisbeinesser“, ihre Mannschaft, kriegen reichlich Spott ab: Die Mauer von Berlin, wie man die deutsche Mannschaft und besonders den Torwart betitelte, Dschingis Kahn, wie man Oliver Kahn hier nannte, oder den deutschen Pitbull – waren also bezwingbar – haben unser Team nicht müde gemacht – und das ist der absolute Wahnsinn. „Ein Kahn, der bellt, beißt nicht!“ Daß dieser „weiße Schimpanze – Robocop nach der Grippe“, so eine große Qualitätszeitung Sao Paulos, auch noch von der FIFA zum besten WM-Spieler gekürt wurde, finden die Medien „incrivel“, unglaublich. Torhüter Marcos:“Lächerlich, absurd – Kahn war so gut wie ich oder der Torwart von Senegal!“Talent habe über kalte deutsche Effizienz gesiegt, über deutschen Sauerkrautfußball, steht in Kommentaren, Spielanalysen. Dazu die üblichen Kriegsmetaphern – „Blitzkrieger der Panzerdivision Völler“. Selbst in der Klopapier-und Joghurtwerbung werden die Germanicos, Teutonicos veräppelt, verspottet – als die Befehler, die Autoritären, die Engen, Unagilen, die Bürokratischen – die jetzt dumm aus der Wäsche gucken.Klischees jeder Art leben auf: Deutsche, die mit den Lederhosen und Bayernhüten, mampfen deutsches Frühstück – also schon frühmorgens fette Würste und Bier. Die Medienfotos – immer auf das Schlimme – immer wieder dieses eine schreckliche Bild, wo Oliver Kahn nach dem 1 : 0 wie KO-geschlagen am Boden liegt – und Ronaldo leichtfüßig und lachend davonsprintet.Vornamen Beckenbauer und Rummenigge – Fußball gar nicht so populärMan muß dies alles nicht überbewerten – viele Brasilianer behalten ihren Riesenrespekt vor der deutschen Mannschaft, dem deutschen Fußball. Gar nicht so wenige heißen schließlich mit amtlichem Vornamen Rummenigge und Beckenbauer, so stehts im Ausweis, andere sind eingeschworene Fans deutscher Vereine. Beckenbauer veröffentlicht hier andauernd Fußballkommentare, ist populär.Doch Klischees sitzen auch in deutschen Köpfen: Anders, als viele denken, ist nur eine Minderheit der Brasilianer beim Karneval wirklich aktiv – und auch Fußball ist nur eingeschränkt populär. Gerade 26 Prozent der brasilianischen Jungens, der männlichen Jugendlichen, der Männer haben in den letzten zwölf Monaten mal gegen einen Ball getreten. Nähme man Mädchen, Frauen mit hinzu, wärens nur 15 Prozent, ergab eine repräsentative Umfrage. Brasilien kann man schwerlich eine Sportnation nennen. Brasiliens Deutschland-Korrespondenten meldeten verdutzt, daß unglaublich viele Deutsche offenbar glücklich gewesen seien, gegen den Fußballgiganten Brasilien verloren zu haben, glücklich mit dem zweiten Platz, viele gar mit den Brasilianern mitgefeiert hätten. Hier wurde gradeheraus beschrieben , was passiert wäre, wenn ihr Team n i c h t gewonnen hätte: Grabesstimmung, Staatstrauer, keinerlei Feiern auf den Straßen und Avenidas, nur totaler Frust von Nord bis Süd, sauer werdende Bierbestände, eine nationale Tragödie, tiefe Wunde im kollektiven Selbstwertgefühl. Die von der WM 1950, als Brasilien überraschend gegen Uruguay verlor, diese Wunde sei eigentlich nie richtig verheilt, sagen hier Soziologen. Jetzt hoffen natürlich die politischen Führer, vom WM-Sieg im zunehmend heißeren Präsidentschaftswahlkampf zu profitieren – TV-Fußballreporter brachten permanent die politische, patriotische Komponente mit ins Spiel: Ronaldo, Ronaldinho, Rivaldo, Cafù und all die anderen werden mit ihrer Energie, ihrer Art, ihrem Stil mit der Nation identifiziert, verkörpern Brasilien – und deshalb der Aufruf ans Volk – seid Patrioten, strengt euch an wie unser Team, bringt das Land nach vorne.„Weltmeister“ in SozialproblemenAuffällig indessen, wie viele Kolumnisten, Leserbriefschreiber jetzt davor warnen, nicht größenwahnsinnig zu werden, sich Illusionen hinzugeben, Probleme zu verdrängen. Wirtschaft im Schleudern, Börse und Währung stürzen ab, dazu Misere, Hunger, Slums, Korruption – der unerklärte Bürgerkrieg mit über vierzigtausend Gewalttoten pro Jahr, Massenarbeitslosigkeit. „Darin sind wir nämlich auch Weltmeister – das ist jetzt alles nicht auf einmal wie weggeblasen!“ Wir sollten uns den echten Herausforderungen stellen, heißt es – von den Politikern soviel fordern wie vom Nationaltrainer Scolari, der Mannschaft – Druck machen, raus aus der Passivität, der politischen Apathie. Soziologiestudenten der Uni von Rio nennen den Fußball in einer Umfrage „Opium fürs Volk“, bewerteten das WM-Spektakel als „Pao e Circo“, Brot und Spiele. Wer an Brasiliens Großstadtperipherien lebt, zeigte ohnehin nur bedingt Endspiel-und Siegeseuphorie: Allein am letzten WM-Sonntag wurden in den Slums von Sao Paulo weit über zwanzig Menschen erschossen, schwirrten reichlich verirrte Kugeln – eine tötete die dreijährige Luana auf dem Schoß ihrer Mutter, in Rio de Janeiro traf es den vierjährigen Vitor Hugo de Souza beim Spielen. Im berüchtigten Slum-Konglomerat „Complexo do Alemao“(Komplex des Deutschen) waren die neofeudalen Banditenmilizen wenigstens so gnädig, für den Endspiel-Sonntag ausnahmsweise die seit Wochen geltende Ausgangssperre aufzuheben, den Bewohnern dezente Siegesfeiern zu erlauben. Denn üblicherweise darf ab achtzehn Uhr niemand mehr die Hütte oder Kate verlassen. Die schwarze, bei Drittweltbewegten Deutschlands hochangesehene linkspopulistische Gouverneurin Benedita da Silva von der Arbeiterpartei PT akzeptiert derartige Zustände auch in vielen anderen Elendsvierteln des Teilstaates Rio de Janeiro. Nur bedingt taktisch klug schmiedete die größte brasilianische Oppositionspartei PT von Präsidentschaftskandidat Luis Inacio Lula da Silva während der WM ein Wahlbündnis ausgerechnet mit der Rechts-und Sektenpartei PL, die in mehreren Teilstaaten berüchtigte rechte Politiker unterstützt, benannte gar einen PL-Milliardär als Lula-Vize.  |
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