Martinho da Vila, 73, einer der wichtigsten Sambakomponisten Brasiliens, hat in einem Zeitungsinterview den Niedergang des Nationalsymbols Rio-Karneval anschaulich beschrieben. Vila erinnert an Zeiten, in denen der Karneval noch völlig spontan, authentisch und kreativ war, die ganze Stadt erfaßte, so gut wie jeder sich beteiligte. „Der Karneval war keine Aktivität für Profit – dies war nicht das Ziel; doch wie früher wird es nicht mehr. Alles ist kommerziell und muß Geld bringen, niemand tut noch etwas nur aus Lust und Vergnügen…Ich mag nicht, daß es so geworden ist. Ich ziehe das Vergangene vor, als alle sich als Eigentümer der Sambaschule fühlten und sich einsetzten, damit die Dinge funktionierten. Heute ist das nicht mehr so. Sogar im Karneval hat der Kapitalismus gesiegt…Die Sambaschulen sind fast so wie die Fußballklubs.“
Auffällig, daß viele der „blocos“ des Rio-Karneval keinerlei oder kaum noch Samba spielen – stattdessen Pop, Rock, Rap, Tecno, Rio-Funk – wie auf Festen außerhalb des Karnevals. Brasiliens populäre Musikkultur entbrasilianisiert sich immer mehr in den letzten Jahren – selbst auf traditionellen Tanzbällen sind brasilianische Rhythmen immer weniger zu hören – stattdessen zumeist anglo-amerikanische Popmusik wie beispielsweise in Europa.
Brasilianerinnen über den Karneval in Rio de Janeiro 2012: „Der Karneval ist nicht mehr sexy, Sex spielt im Karneval von Rio immer weniger eine Rolle.“http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/10/karneval-war-einmal-foi-carneval-janio-de-freitas-folha-de-sao-paulo-analysiert-den-niedergang-des-karnevals-von-rio-de-janeiro/
http://das-blaettchen.de/2008/02/karneval-in-leipzig-und-rio-6222.html
Der brasilianische Karneval ist inzwischen auch ein Opfer unverantwortlicher Bevölkerungsexplosion und daraus folgender Binnenmigration geworden. Karnevalsexperten betonten 2015 in Medieninterviews, daß der berühmte traditionelle brasilianische Karneval zu einer Zeit stattgefunden habe, als die Bevölkerungszahl weit geringer war, nicht einmal die Hälfte der heute über 200 Millionen Menschen erreicht hatte. Damals sei ein köstliches Austoben auf Straßen und Plätzen problemlos möglich geworden, heute werde dies durch übles Gedränge der Menschenmassen verhindert. Wer möglicherweise noch den famosen Karnevals-Bloco de Bola Preta Rio de Janeiros aus den 80er Jahren kennt, wird sich daran erinnern, daß sich die mehreren hundert Teilnehmer zumeist sogar persönlich kannten – und sich zum Abschluß des traumhaften, köstlichen Umzugs am Tiradentes-Platz stets auch persönlich voneinander verabschiedeten. Inzwischen strömen u.a. dank Bevölkerungsexplosion etwa zwei Millionen Menschen zu dem Umzug, der daher kaum noch Karnevaleskes an sich hat – Geschubse, Gedränge, ekliger Uringeruch dominieren. Vor allem wegen der Bevölkerungsexplosion des Nordostens sind Millionen von Brasilianer in zuvor überschaubare südliche Großstädte wie Rio und Sao Paulo migriert, haben dort größtenteils illegal ihre Behausungen errichtet, damit u.a. enormes urbanes Chaos sowie Umweltzerstörung verursacht. Durch die weiterhin große Vermehrungsrate in diesen provisorischen Vierteln bei fortdauerndem Zufluß von Migranten kippte das Sozialgefüge der betroffenen Städte völlig um, zumal entsprechende Gesetze, etwa gegen illegale Bebauung, außer Kraft gesetzt wurden.
« Brasilien: Alkohol-Risikoverhalten stärker als in Rußland, laut Weltgesundheitsorganisation. Alkoholkonsum deutlich über Weltdurchschnitt. – Capoeira in Sao Paulo.(2) Gesichter Brasiliens. »
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