“Wenn man sich das Elend anschaut – überall in Brasilien: Menschen, die gar nicht mehr wissen, daß sie Menschen sind, leben wie Tiere – mit Wunden, auf der Straße, im eigenen Dreck. Immer noch werden Obdachlose lebendig verbrannt – in ganz Brasilien, nicht nur in Sao Paulo. Obdachlose werden zusammengeknüppelt, ihre Sachen werden auf einen Lastwagen geschmissen und auf die Müllhalde gefahren. Meine Erziehung in Deutschland war nicht auf politische Beteiligung ausgerichtet, ich hatte mit sozialen Brennpunkten nichts zu tun – das ging erst hier in Brasilien los. Nach nur zwei Wochen war ich mit den Ordensschwestern auf meiner ersten Kundgebung – bis heute bin ich dabei.”
http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Wulff
Gemeindereferentin Hedwig Knist.
Erneut Obdachloser in Sao Paulo verbrannt – Mai 2011: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/05/erneut-obdachloser-sao-paulos-verbrannt-polizei-ermittelt-wegen-verbrechenshintergrund-deutscher-bundesprasident-wulff-besucht-obdachlosengemeinde-der-megacity/
Das RECIFRAN-Obdachlosenprojekt der Franziskaner in Sao Paulo: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/919048/
Massaker, Todesschwadronen, lebendig verbrannte Obdachlose, von Mord bedrohte Ordensbrüder – lässt sich denn in Deutschland überhaupt vermitteln, unter welchen Extrembedingungen die Franziskaner Sozialprojekte wie Recifran betreiben?
Johannes Bahlmann: „Man kann es vermitteln, aber man muss es gesehen haben. Denn viele Dinge werden gar nicht wahrgenommen, das fällt alles untern Tisch, wird verdrängt. Es wird einfach abgeblockt, man will sich nicht damit auseinandersetzen.“
„Weil wir im Grunde genommen wie in einem Krieg hier leben. Als diese Massenmorde in Sao Paulo waren, als Obdachlose erschlagen, getötet wurden, hat man eine Manifestation vor der Kathedrale gemacht.“
Franziskaner in Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/25/franziskaner-sao-paulos-verteilen-weihnachten-nahrungsmittel-an-tausende-von-armen-und-verelendeten/
“Nicht ohne Grund hat etwa der frühere US-Präsident Ronald Reagan in Südamerika die Sekten gefördert, weil sie individualisierend und systemstabilisierend wirken.” Franziskaner Paulo Suess in Publik-Forum
Start der Rousseff-Regierung: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/25/brasiliens-staatsprasidentin-dilma-rousseff-zur-feierlichen-zeremonie-2011-in-ouro-preto-am-todestag-des-nationalhelden-tiradentes-lautstarke-proteste-von-studenten-gegen-sozial-und-bildungspolitik-d/
Padre Julio Lancelotti: http://www.padrejulio.com.br/
Hintergrund:
„Wenn die Toten da reingeschmissen werden, sind das Szenen wie in diesen
Holocaustfilmen“, beklagen sich Anwohner von Massengräber-Friedhöfen der größten lateinamerikanischen Demokratie. In der Tat wird seit der Diktaturzeit vom Staat die Praxis beibehalten, nicht identifizierte, zu „Unbekannten“ erklärte Tote in Massengräbern zu verscharren.
Die Kirche protestiert seit Jahrzehnten dagegen und sieht darin ein gravierendes ethisch-moralisches Problem, weil es in einem Land der Todesschwadronen damit auch sehr leicht sei, unerwünschte Personen verschwinden zu lassen. In der Megacity Sao Paulo mit ihren mehr als 23 Millionen Einwohnern empört sich der weltweit angesehene Menschenrechtspriester Julio Lancelotti: „In Brasilien wird monatlich eine erschreckend hohe Zahl von Toten anonym in Massengräbern verscharrt, verschwinden damit Menschen auf offiziellem Wege, werden als Existenz für immer ausgelöscht. Wir von der Kirche nehmen das nicht hin, versuchen möglichst viele Tote zu identifizieren, um sie dann auf würdige Weise christlich zu bestatten. Wir brauchten einen großen Apparat, ein großes Büro, um alle Fälle aufklären zu können – dabei ist dies eigentlich Aufgabe des Staates!“
Padre Lancelotti erinnert daran, daß während der 21-jährigen Diktaturzeit in
Sao Paulo von den Machthabern 1971 eigens der Friedhof Dom Bosco geschaffen wurde, um dort zahlreiche ermordete Regimegegner heimlich gemeinsam mit jenen unbekannten Toten, den sogenannten Indigentes, in Massengräber zu werfen. Wie die Menschenrechtskommission des Stadtparlaments jetzt erfuhr, wurden seit damals allen Ernstes 231.000 Tote als Namenlose verscharrt – allein auf diesem Friedhof. Heute kommen Monat für Monat dort zwischen 130 und 140 weitere Indigentes hinzu.
Nach einem Massaker an Obdachlosen Sao Paulos kann Priester Lancelotti zufällig auf dem Friedhof Dom Bosco beobachten, wie sich der Staat der Namenlosen entledigt: “Als der Lastwagen kommt und geöffnet wird, sehe ich mit Erschrecken, daß er bis obenhin voller Leichen ist. Alle sind nackt und werden direkt ins Massengrab geworfen. Das wird zugeschüttet – und fertig. Sollten wir später noch Angehörige ermitteln, wäre es unmöglich, die Verstorbenen in der Masse der Leichen wiederzufinden. Was sage ich als Geistlicher dann einer Mutter?“ Lancelotti hält einen Moment inne, reflektiert: „Heute hat das Konzentrationslager keinen Zaun mehr, das KZ ist sozusagen weit verteilt – die Menschen sind nach wie vor klar markiert, allerdings nicht auf der Kleidung, sondern auf dem Gesicht, dem Körper. Und sie werden verbrannt, verscharrt, wie die Gefangenen damals, und es gibt weiter Massengräber.“
Was in Sao Paulo geschieht, ist keineswegs ein Einzelfall. In der nordostbrasilianischen Millionenstadt Fortaleza leiden die Anwohner des Friedhofs „Bom Jardim“ seit Jahren bei den hohen Tropentemperaturen unter grauenhaftem Leichengeruch. „Die Toten werden oft schon verwest hergebracht, wie Tiere verscharrt, wir müssen zwangsläufig zusehen, es ist grauenhaft“, klagt eine Frau. „Fast jeden Tag kommt der Leichen-LKW – doch bei den heftigen Gewitterregen wird die dünne Erdschicht über den Toten weggeschwemmt, sehen wir die Massengräber offen, wird der Geruch im Stadtviertel so unerträglich, daß viele Kopfschmerzen kriegen, niemand hier eine Mahlzeit zu sich nimmt.“ Der Nachbar schildert, wie das vergiftete Regenwasser vom Friedhof durch die Straßen und Gassen des Viertels läuft: „Das Wasser ist grünlich und stinkt, manchmal werden sogar Leichenteile mitgeschwemmt – und weggeworfene Schutzhandschuhe der Leichenverscharrer. Die Kinder spielen damit – haben sich an die schrecklichen Vorgänge des Friedhofs gewöhnt. Wir alle haben Angst, daß hier Krankheiten, Seuchen ausbrechen.“
Selbst in Rio de Janeiro sind die Zustände ähnlich, werden zahllose Menschen von Banditenkommandos der über 1.000 Slums liquidiert und gewöhnlich bei Hitze um die 35 bis 40 Grad erst nach Tagen in fortgeschrittenem Verwesungszustand zum gerichtsmedizinischen Institut abtransportiert. Wie aus den Statistiken hervorgeht, werden in den Großstädten monatlich stets ähnlich viele Tote als „Namenlose“ in Massengräber geworfen wie in Sao Paulo, der reichsten Stadt ganz Lateinamerikas.
Priester Julio Lancelotti und seine Mitarbeiter stellen immer wieder Merkwürdigkeiten und verdächtige Tatbestände fest. „Werden Obdachlose krank und gehen in bestimmte öffentliche Hospitäler, bringt man an ihrem Körper eine Markierung an, die bedeutet, daß der Person nach dem Tode zu Studienzwecken Organe entnommen werden. Die Männer registriert man durchweg auf den Namen Joao, alle Frauen als Maria. Wir streiten heftig mit diesen Hospitälern und wollen, daß die Obdachlosen auch nach dem Tode mit den echten Namen geführt werden. Schließlich kennen wir diese Menschen, haben über sie Dokumente. Man meint eben, solche Leute sind von der Straße, besitzen also weder eine Würde noch Bürgerrechte. Wir haben in der Kirche eine Gruppe, die den illegalen, kriminellen Organhandel aufklären will, aber rundum nur auf Hindernisse stößt. Denn wir fragen uns natürlich auch, ob jenen namenlos Verscharrten vorher illegal Organe entnommen werden.“
Fast in ganz Brasilien und auch in Sao Paulo sind Todesschwadronen aktiv, zu denen Polizeibeamte gehören, wie sogar das Menschenrechtsministerium in Brasilia einräumt. Tagtäglich würden mißliebige Personen außergerichtlich exekutiert, heißt es. Darunter sind auch Obdachlose, von denen allein in Sao Paulos Zentrum weit über zehntausend auf der Straße hausen. Wie Priester Julio Lancelotti betont, ist zudem die Zahl der Verschwundenen auffällig hoch. „Auf den Straßen Sao Paulos werden viele Leichen gefunden. Denn es ist sehr einfach, so einen Namenlosen zu fabrizieren. Man nimmt ihm die Personaldokumente weg, tötet ihn und wirft ihn irgendwo hin. Wir gehen deshalb jeden Monat ins gerichtsmedizinische Institut, um möglichst viele Opfer zu identifizieren. Die Polizei ist immer überrascht und fragt, warum uns das interessiert. Das Identifizieren ist für uns eine furchtbare, psychisch sehr belastende Sache, denn wir müssen monatlich stets Hunderte von Getöteten anschauen, die in großen Leichenkühlschränken liegen – alle schon obduziert und wieder zugenäht. Und man weiß eben nicht, ob da Organe
entnommen wurden.“
Solchen Verdacht hegen nicht wenige Angehörige von Toten, die seltsamerweise als „Namenlose“ im Massengrab endeten. In der nordostbrasilianischen Küstenstadt Maceio ging letztes Jahr der 69-jährige Sebastiao Pereira sogar mit einem Protestplakat voller Fotos seines ermordeten Sohnes auf die Straße. Dem Vater hatte man im gerichtsmedizinischen Institut die Identifizierung der Leiche verweigert – diese dann mysteriöserweise auf einen Indigentes-Friedhof gebracht. Kaum zu fassen – ein Friedhofsverwalter bringt es fertig, Sebastiao Ferreira später mehrere Leichenteile zu zeigen, darunter einen Kopf. „Mein Sohn wurde allein am Kopf von vier MG-Schüssen getroffen – und dieser Kopf war doch intakt! Ich setzte eine DNA-Analyse durch – der Kopf war von einem Mann, das Bein von einem anderen, der Arm wiederum von einem anderen – doch nichts stammte von meinem Sohn“, sagt er der Presse.
In Sao Paulo hat Priester Lancelotti durchgesetzt, daß ein Mahnmal auf dem Friedhof Dom Bosco an die ermordeten Regimegegner, aber auch an die mehr als 200.000 „Namenlosen“ erinnern wird.
Neuerdings macht der Friedhof in Brasilien immer wieder Schlagzeilen, allerdings nicht wegen der Massengräber von heute. Progressive Staatsanwälte versuchen das Oberste Gericht in Brasilia zu überzeugen, den zur Diktaturzeit für den Friedhof verantwortlichen Bürgermeister Paulo Maluf und den damaligen Chef der Politischen Polizei, Romeu Tuma, wegen des Verschwindenlassens von Oppositionellen vor Gericht zu stellen. Erschwert wird dies jedoch durch den Politikerstatus der Beschuldigten: Paulo Maluf ist Kongreßabgeordneter und Romeu Tuma sogar Kongreßsenator – beide gehören zum Regierungsbündnis von Staatspräsident Lula.
Theater und Scheiterhaufen: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/29/brasiliens-scheiterhaufen-erstmals-in-einer-anklagenden-inszenierung-der-scheiterhaufenstadt-rio-de-janeiro-zu-sehen/
Crack und Kinder-Drogenprostitution in Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/19/kinder-drogenprostitution-unter-der-neuen-rousseff-regierung-brasiliens-sex-fur-zwei-real-weniger-als-ein-euro-laut-landesmedien-kinder-menschenrechte-in-brasilien/
„Go Brazil. Feel Bayao!“: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/20/feel-brazil-go-bayao-deutsche-getrankefirma-veltins-wirbt-mit-brasilianischem-lebensstil-trotz-der-menschenrechts-und-sozialdaten-brasiliens/
Brasiliens Goethe-Gesellschaft: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/22/prof-dr-marcus-mazzari-prasident-der-goethe-gesellschaft-brasiliens-associacao-goethe-do-brasil-gesichter-brasiliens/
Alter geschwächter Obdachloser ißt stinkende Essensreste aus aufgerissenen Müllsäcken an der Rua Augusta, Sao Paulo, 2011.Facetten der Hungerprobleme Brasiliens.
Obdachlose, kranke, stark abgemagerte, psychisch gestörte Frau an der Avenida Paulista, am Tag des Eintreffens des deutschen Bundespräsidenten. Um die sichtlich verzweifelte Frau, die vom Morgen bis zum Abend an der Kreuzung steht, will sich niemand kümmern, Tausende laufen vorbei…
http://wissen.dradio.de/megastadt-sao-paulo-macht-krank.37.de.html?dram:article_id=4122&sid=
Kurz vor dem Zusammentreffen des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler mit Staatschef Lula hat Brasiliens Menschenrechtsbewegung das gravierende Problem der politischen Gefangenen aus der Landlosenbewegung MST erneut ins öffentliche Bewußtsein gerückt. Professoren und Studenten der Katholischen Universität von Sao Paulo haben auf einem Protestmeeting die Freilassung politischer Gefangener des MST gefordert, der von den deutschen Kirchen unterstützt wird. In einem Manifest an die Regierung und das Oberste Gericht Brasiliens wurde auch die Inhaftierung des Universitätsprofessors Marcelo Buzetto als widerrechtlich bezeichnet, der derzeit an der PUC Doktorand für Sozialwissenschaften ist. Der Befreiungstheologe Frei Betto hatte ihn kürzlich im Gefängnis einen Solidaritätsbesuch abgestattet. Buzetto war letztes Jahr unter der Anschuldigung, 1999 an einer Plünderungsaktion von Landlosen teilgenommen zu haben, zu über sechs Jahren Haft im halboffenen Vollzug verurteilt worden. Trotz verschiedener Einsprüche gegen das Urteil bei höheren Instanzen wurde der Professor jedoch in geschlossenen Vollzug genommen. Verschiedene Professoren der Katholischen Universität sowie angesehene Menschenrechtsaktivisten sprachen auf dem Protestmeeting von einem reinen Willkürakt, Buzetto sei unschuldig.
In Brasilien setzt sich das „Komitee zur Verteidigung der politischen Gefangenen“ besonders für die zahlreichen Inhaftierten aus der Landlosenbewegung ein.
Hintergrundtext von 2003
Sondereinheiten der Militärpolizei preschen in Jeeps vor die Zentrale der Landlosenbewegung MST in der Megametropole Sao Paulo, Beamte mit Maschinenpistolen stürmen das kleine einstöckige Gebäude, suchen nach Führern der Organisation. Bilder wie aus der Diktaturzeit – doch von Anfang September 2003. Neunzehn MST-Aktivisten sind bereits als politische Gefangene eingesperrt, jetzt wurden Haftbefehle gegen weitere elf erlassen – alle in Abwesenheit „wegen Bandenbildung“ von einem Richter des sozialdemokratisch regierten Teilstaates Sao Paulo zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.
Dort tagt im Oktober die Sozialistische Internationale, und wird, wie es aussieht, auch eine deutsche SPD-Delegation trotz der gravierenden Menschenrechtslage anreisen.
Am MST-Hauptsitz werden die Sondereinheiten jedoch nicht fündig – alle Gesuchten konnten offenbar rechtzeitig untertauchen. Aber im Hinterland des Teilstaates, in dem über tausend deutsche Firmen ansässig sind, überwältigt die Militärpolizei ganz in der Nähe von Landlosencamps Diolinda Alves de Souza, 33, entreißen sie mit Gewalt ihren beiden weinenden kleinen Kindern. Diolinda hat auch den Beinamen „Guerreira“ – weil sie Großgrundbesitzern und deren bewaffneten Milizen stets besonders kühn Paroli bot, imer wieder Landbesetzungen, Protestdemos anführte. Wurde sie eingesperrt, setzte sich stets auch Amnesty International für ihre Freilassung ein.
Während die Staatsbeamten Diolinda abführen, ins Gefängnis abtransportieren, die Hatz auf andere MST-Führer fortsetzen, zieht im fernen Brasilia zur selben Stunde Staatschef Lula wieder einen seiner alltäglichen PR-Gags ab, holt eine populäre Rockband in den Präsidentenpalast, hängt sich eine Gitarre um, setzt die Bandmütze auf, mimt den Rocker, lacht sich tot dabei, nächstentags alles groß in Farbe in den Zeitungen.
Unter seiner Mitte-Rechts-Regierung häufen sich im größten lateinamerikanischen Land gravierende Menschenrechtsverletzungen, werden fast täglich Indianer, Bürgerrechtler und Kleinbauern ermordet, wüten Todesschwadronen, gehört selbst Folter weiterhin zum Alltag…Für Felinto Procopio, genannt Mineirinho, den großen Sänger und Komponisten der brasilianischen Landlosenbewegung, eine Art kulturelle Symbolfigur der Organisation, legt sich in Deutschland bislang keiner ins Zeug. Dabei ist Mineirinho, 34, immerhin schon seit Anfang Juli 2003 am Auftreten gehindert, sozusagen mundtot gemacht, befindet sich mit dem Landlosenführer Jose Rainha, Mann von Diolinda Alves de Souza, im Hochsicherheitsgefängnis des Teilstaates Sao Paulo, zusammengesperrt mit Schwerkriminellen, darunter Bossen des organisierten Verbrechens. Wie der MST-Menschenrechtsanwalt Mariano Gomes betont, sei vom sozialdemokratischen Gouverneur Alckmin und seinen Staatssekretären vereinbart worden, Mineirinho und Alves ausgerechnet in ein Hochsicherheitsgefängnis zu stecken, um die Bewegung zu kriminalisieren. „Jener Richter, der unsere Leute aburteilt, hat die Regierung des Teilstaats hinter sich.“ Mineirinho bekam wegen „Bandenbildung“, Jose Rainha wegen illegalen Waffenbesitzes jeweils zwei Jahren und acht Monate Haft – angeblich war in einem Auto, in dem Rainha mitfuhr, von der Militärpolizei ein Gewehr mit abgesägtem Lauf gefunden worden. Der MST-Führer bestreitet, daß ihm eine solche Waffe gehört – der Vorwurf sei frei erfunden.
“Die beiden sind eindeutig politische Gefangene, wurden unter einem Vorwand eingesperrt“, so Menschenrechtsanwalt Gomes. „Daß es unter der Regierung von Staatschef Lula politische Gefangene gibt, ist ein Absurdum. Mineirinho und Rainha hat man absichtlich in dieses Hochsicherheitsgefängnis gesteckt, um aller Welt zu demonstrieren, daß sie für die Gesellschaft hochgefährlich sind. Doch davon kann keine Rede sein – die beiden sind keine Kriminellen, streiten für ein besseres Leben der Brasilianer. Daß sie jetzt hinter Gittern sind, soll auf jeden Bürger abschreckend wirken, der gegen die Zustände aufbegehrt – paß gut auf, sonst geht es dir genauso. Mineirinho spielt auf unseren Kundgebungen, organisiert Festivals, unsere ganze Kulturarbeit. Der hat mir und vielen Landlosen Gitarrespielen beigebracht!“
MST-Führer Jose Rainha war zuvor bereits viermal im Gefängnis – kam stets nach Protesten frei. Grotesk, daß derzeit der MST sogar den Staatssekretär für Menschenrechte, Nilmario Miranda, auf seiner Seite hat – auch er protestiert gegen die Gefängnishaft – gegen eine beabsichtigte Kriminalisierung der Landlosenbewegung. „Banditen sind die Großgrundbesitzer“, sagte er wörtlich – „doch die werden nicht eingesperrt.“
Lula schweigt zu politischen Gefangenen – alle in Lebensgefahr
Aber wäre es für Staatschef Lula nicht ein leichtes, wie viele in Brasilien meinen, Mineirinho und Rainha, die vielen anderen freizubekommen, und sei es per Präsidentendekret?
“Die Möglichkeit einer solchen Intervention existiert leider nicht“, so MST-Anwalt Gomes, Brasiliens noch sehr rückschrittliche, konservative Justiz ist formell unabhängig“. Und die Regierung wolle die Großgrundbesitzerkaste nicht frontal angreifen. „Würde Staatschef Lula eine echte Agrarreform in die Wege leiten, ungenutzte Flächen an die Landlosen verteilen, hätten wir auch keine politischen Gefangenen mehr. Doch in der Regierung gibt es eben auch rechtsgerichtete Politiker, wird heftig um die Macht gestritten. Die Rechten werden versuchen, die Regierung zu übernehmen, falls die Gesellschaft sie nicht daran hindert. Den MST zu kriminalisieren, gehört zur Strategie dieser Rechten.“ Im Teilstaate Sao Paulo spielt auch Gouverneur Alckmin vom Partido Socialdemocratico Brasileiro“(PSDB) deren Handlanger.
Und Staatschef Lulas Vize beispielsweise, der Milliardär und Großunternehmer Jose Alencar, gehört zur rechtsgerichteten Liberalen Partei PL, die von einer fundamentalistischen Sektenkirche dominiert wird.
Beide politischen Gefangenen erhalten immer wieder Besuch von Politikern aus Lulas Arbeiterpartei PT – Sänger Mineirinho bekam sogar von Kulturminister Gilberto Gil einen Solidaritätsbrief. Und Jose Rainha wird von keinem geringeren als dem Anwalt und angesehenen Menschenrechtsexperten Luis Greenhalg, Kongreßabgeordneter der Arbeiterpartei, vertreten. Dennoch ist die Landlosenbewegung in großer Sorge.
“Wir haben größte Angst um das Leben der beiden“, so Gomes. „Zuerst hat man sie in eine fensterlose Strafzelle, ein regelrechtes Verlies gesperrt, hat ihnen die Haare abgeschoren – jetzt sind sie sechs verschiedenen Kriminellenfraktionen ausgesetzt. Wenn von denen jemand beschließt, unsere Leute zu ermorden, wird er berühmt, erwirbt er sich Respekt bei den anderen Gefangenen – so geht es nun einmal zu in den brasilianischen Haftanstalten. Und deshalb sind die beiden politischen Häftlinge in größter Lebensgefahr.“
Zudem haben Amnesty International und brasilianische Menschenrechtsorganisationen in den letzten Tagen dagegen protestiert, daß auch unter Staatschef Lula in den total überfüllten Haftanstalten Gefangene weiterhin gefoltert – und sogar totgefoltert werden, wie neueste Fälle zeigen.
Kirche kritisiert Regierung: „Unter Lula mehr Verfolgung der Landlosenbewegung“
Auch für die befreiungstheologisch orientierte Bodenpastoral CPT der katholischen Kirche, ihren Präsidenten, den Bischof Tomas Balduino ist das alles nicht hinnehmbar. „Seit Lula an der Regierung ist, hat die Verfolgung des MST sogar noch zugenommen. Schwer zu übersehen, daß die Justiz Positionen der Geldelite vertritt, MST-Aktivisten als Banditen, Störenfriede einstuft. Die Großgrundbesitzerkaste macht Druck auf die Regierung, damit sie den MST niederhält. Lula scheut den Konflikt mit dem Justizapparat, tut leider wenig für eine echte Agrarreform.“ Nicht nur für CPT und MST ein Absurdum, daß Brasilien zwar massenhaft Nahrungsmittel, darunter Fleisch, Früchte und Soja in die EU und auch nach Deutschland exportiert – gleichzeitig in der immerhin 13. Wirtschaftsnation der Erde aber etwa vierzig Millionen Brasilianer kaum etwas zu essen haben, sogar Hunger leiden. Brasilien ist derzeit der größte Fleischexporteur der Welt. Neoliberale Verhältnisse pur.
Mehr als zehn Landlosenführer, insgesamt fast fünfzig MST-Mitglieder wurden seit Präsident Lulas Amtsantritt ermordet – von Milizen der Großgrundbesitzer oder von Killerkommandos. Nicht zufällig schickt die UNO in den nächsten Tagen einen Sonderberichterstatter nach Brasilien, der die Aktionen von Todesschwadronen untersuchen soll, die in immerhin fünfzehn Teilstaaten aktiv sind.
Besuch bei der jüdischen Gemeinde Brasiliens: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/29/deutscher-bundesprasident-christian-wulff-besucht-am-6mai-2011-die-judische-gemeinde-sao-paulos/
“Folter noch jeden Tag.”(2011)
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