Hintergrund von Anfang 2011:
Brasiliens vielgelobter „Biosprit“ in der Bredouille
Die brasilianische Regierung wirbt rund um den Erdball – und auch in Deutschland – kräftig für Ethanol aus Zuckerrohr als alternativen Kraftstoff, möchte die europäischen Länder zu höheren Importen überreden. Doch zuhause stiegen die Autofahrer 2011 wieder massiv auf Benzin um, ist das Ethanol-Image schlecht wie selten.
Schild in Blumenau/Sachsen.
In Brasilien macht das lange Zeit sehr preiswerte Ethanol seit Monaten Negativschlagzeilen, weil es an den Tankstellen teilweise teurer als Benzin verkauft wurde – und schlimmer noch, eine stabile Versorgung über Monate nicht mehr garantiert werden konnte. Erstmals mußten große Mengen Ethanol sogar aus den USA eingeführt werden. „Das wäre so, als würde Saudi-Arabien Öl importieren“, hieß es in der Wirtschaftspresse. Universitätsprofessor Dr. Eduardo Moreira, ein renommierter Ethanolexperte aus Sao Paulo, zählt die derzeit hohen Weltmarktpreise für Zucker zu den Hauptgründen der Versorgungskrise – denn die Unternehmen produzieren dann lieber Zucker statt Sprit. Ethanolfabriken können gewöhnlich rasch auf Zuckerherstellung umstellen.
“Wegen der Zuckerpreise hatten wir in Brasilien bereits mehrfach solche Probleme, denn auf dem freien Markt ist es nun einmal fast natürlich, daß die Unternehmen das Produkt mit der höheren Gewinnspanne bevorzugen. In keinem einzigen Teilstaat Brasiliens ist es zur Zeit vorteilhaft, noch Ethanol zu tanken, ist Benzin einfach die beste und billigste Kraftstoffalternative. Denn Benzin hat nun einmal einen höheren Wirkungsgrad als Ethanol.“
Zwischen 2009 und 2010 hat die EU ihre Zuckerkäufe in Brasilien verdreifacht – und damit die jetzige Ethanolkrise mitstimuliert. Am 31. März vereinbarten die Regierungen in Berlin und Brasilia, die Chancen und Möglichkeiten sogenannter Biokraftstoffe, deren Vermarktung gemeinsam zu untersuchen, eine bilaterale Expertengruppe zu bilden. Die deutschen Fachleute, so ist Dr. Eduardo Moreira aus Sao Paulo sicher, dürften jetzt mit gesundem Mißtrauen Brasiliens bizarre Ethanolprobleme beäugen.
“Mit Sicherheit ist dies schlecht für Brasiliens Image als Anbieter einer Benzin-Alternative, entsteht jetzt Unsicherheit bei allen, die überlegten, Brasilien als regulären Zulieferer einzuplanen. Japan beispielsweise hat seit langem großes Interesse an unserem Ethanol, zögert aber immer wieder aus gutem Grund, weil eben stabile Lieferungen nicht garantiert sind.“
Dr. Moreira war als Mitglied einer staatlichen Entscheidungskommission am Ausbau des brasilianischen Zucker-und Ethanolsektors beteiligt und verbirgt keineswegs seine Sympathie für die Branche. Unter Staatschef Lula hat sie einen Boom erlebt, stieg in seinen acht Amtsjahren der Anteil ausländischer multinationaler Unternehmen von fünf auf über 35 Prozent. Der angesehene Ethanolunternehmer Cicero Franco war einst Manager in der längst abgeschafften staatlichen Regulierungsbehörde für die Zuckerrohrbranche, wirft der regierenden Arbeiterpartei Lulas vor, den ganzen, seit der Kolonialzeit so typisch brasilianischen Wirtschaftssektor den multinationen Unternehmen ausgeliefert zu haben. Und diese wollten nur auf den Außenmärkten Geld machen, seien an der Ethanolversorgung in Brasilien garnicht interessiert.
Ethanolexperte und Lula-Wähler Moreira mahnt zu Sachlichkeit und weist den Vorwurf zurück.
“Ob ausländische oder nationale Unternehmen – da sehe ich keine Unterschiede. Allerdings wird Ethanol oft übertrieben positiv dargestellt – sogar von Lula, den ich sehr mag. Ethanol kann nun einmal Benzin nicht ersetzen – nicht einmal hier in Brasilien, ist nur eine Art Neben-Treibstoff. Obwohl unsere Produktionsbedingungen extrem vorteilhaft sind, kann dieser Kraftstoff nicht einmal hier mit Benzin konkurrieren. Und eine Krise wie die jetzige kann sich stets wiederholen.“
Inzwischen hat sich die Versorgung mit Ethanol zwar gebessert, ist es aber selbst in Millionenstädten wie Rio de Janeiro weiterhin vorteilhafter, Benzin zu tanken. Immer mehr Brasilianer hatten sich in den letzten Jahren ein sogenanntes Flex-Auto gekauft, das also mit Benzin u n d Ethanol betrieben werden kann. Jetzt stellt sich heraus, daß die Anbauflächen für Zuckerrohr und die Produktionskapazitäten stark vergrößert werden müßten, um den Treibstoffbedarf dieser Fahrzeugflotte zu decken. Doch entsprechende Investitionen, räumt die Zuckerrohrbranche ein, sind nicht in Sicht. Zudem laufen die Umweltschützer und auch die Kirche Sturm gegen noch mehr Zuckerrohr-Monokulturen, weil dies die Regenwald-Abholzung fördere und zudem auf Kosten der Nahrungsmittelerzeugung gehe, die Preise für Lebensmittel bereits stark in die Höhe getrieben habe. Dadurch verschärfe sich das Hungerproblem – in Brasilien sind laut Kirchenangaben davon noch über 30 Millionen Arme und Verelendete betroffen.
Kaffee aus Deutschland in alle Welt:
« Brasiliens ausufernde Staatsschulden – und die überall sichtbaren sozialen Folgen. „Combinacao perversa de alta de inflacao e da taxa de juros“. Hohe Korruptionskosten, Slumwachstum, Massenelend… – Brasilianer im Elend: 1,2 Millionen erhalten keinerlei Hilfe, nicht einmal vom Anti-Hunger-Programm, räumt Rousseffs Sozialministerium ein. Millionär Lula. »
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