Laut Angaben regierungsunabhängiger Wirtschaftsexperten Brasiliens hat sich im ersten Quartal 2012 der wirtschaftliche Verlangsamungsprozeß von 2011 fortgesetzt, was in mitteleuropäischen Analysen auch im Kontext der fortschreitenden Deindustrialisierung als Boom und Wirtschaftswunder definiert worden war. Wie es in Sao Paulo auf Anfrage hieß, zeigt sich die abgeschwächte Wirtschaftstätigkeit besonders deutlich in der Transportbranche, die mangels Produktion mit fehlenden Frachtaufträgen zu kämpfen hat. Auch die Luftfrachtbranche steckt seit 2011 in Schwierigkeiten, die sich sowohl im Import als auch im Export fortsetzen. Die Ausfuhr von Industrieprodukten gehe spürbar zurück. Zum „Boom-Szenario“ gehört außerdem, daß Brasiliens größte Fluggesellschaften TAM und GOL 2011 kräftige Verluste machten und nunmehr ihre Flotten verringern, Angestellte entlassen müssen. Ausländische Multis, darunter VW, verzichten auf den groß angekündigten Bau neuer Fabriken bzw. schließen Werke. Dow Chemical kündigte jetzt die Schließung seiner Fabrik in Bahia an – wegen „schlechter Resultate, fehlender Gewinne in den letzten Jahren“. „Boom“ zeigt sich auch bei den bedeutendsten staatlichen Infrastrukturprojekten, die laut neuen Statistiken der Qualitätsmedien stillstehen bzw. nur langsam vorankommen, so daß Inbetriebnahmen um mehrere Jahre hinausgeschoben werden müssen. Betroffen sind sämtliche Eisenbahnprojekte, aber auch der Bau von Raffinerien, Wasserkraftwerken sowie der Umleitung des Rio Sao Francisco. Zu den Gründen werden Haushaltskürzungen, Planungsfehler, Korruption und Mismanagement gerechnet. Selbst bei der brasilianischen Treibstoffproduktion setzt sich das gefeierte Boomszenario fort. So erntet Brasilien seit Jahren auch aus Europa höchstes Lob, weil es in puncto Öl ein Selbstversorger, einer der wenigen Selbstversorgerstaaten der Erde sei.
Brasiliens steigende Treibstoffimporte:
Dies sieht in der Praxis so aus, daß Brasilien gemäß den nationalen Wirtschaftsmedien weiter stark abhängig von Treibstoffimporten ist. Der Import von Benzin werde 2012 um ein Drittel gegenüber 2011 steigen. Ähnlich steht es um den gefeierten Bioethanolboom: So muß Brasilien auch 2012 besonders aus den USA Ethanol einführen, weil die eigene Produktion aus Zuckerrohr nicht reicht. Wie es hieß, müßte Brasilien noch mindestens 120 Ethanolfabriken bauen, um bis 2020 die Binnennachfrage decken zu können. Indessen ist ein beträchtlicher Teil der Ethanolfabriken hoch verschuldet und steht zum Verkauf. Die Wirtschaftsmedien sprechen klar von einer „Krise im Ethanolsektor“. Zum „Boom-Szenario“ zählt, daß Umsätze und Rentabilität der Branche zurückgehen und Beschäftigte entlassen werden.
Laut Karlheinz Kurt Naumann sind die USA seit 2006 größter Ethanolhersteller.
SWOT-Analyse Brasilien
Strengths (Stärken)
- Rohstoff- und Agrarreichtum
– zusätzliche Agrarflächen
– Flexibilität im Außenhandel
– Stabilitätspolitik
– strenge Finanzmarktregeln
– Nettoauslandsgläubiger
– solides Bankensystem
– starker Binnenmarkt
– hohe Konsumneigung
– Investitionssicherheit
– starke Industriepräsenz
– stabile Demokratie
– kein Terrorismus
– keine Kriegsgefahr
– Dienstleistungsmentalität
– Improvisationsgabe
– mehr als 50% der Energie aus
erneuerbaren Quellen
Opportunities (Chancen)
- anhaltende Nachfrage nach Commodities auf
dem Weltmarkt (insbesondere VR China)
– staatlich geförderte Exploration der
Offshore-Erdölreserven
– hoher Zufluss von Auslandskapital
– Infrastrukturausbau
– Förderprogramme für Bauwirtschaft
– WM 2014 und Olympia 2016
– mögliche Öffnung der Industriestaaten für Ethanol
– steigendes Umweltbewusstsein
Weaknesses (Schwächen)
- überlastete Häfen
- öffentlicher Nahverkehr
- Transport fast nur über Straßen
- hohe Steuern
- Facharbeitermangel
- Vetternwirtschaft
- niedrige Arbeitsproduktivität
- geringe Wertschöpfung in den Exportsektoren
- Bürokratie
- langwierige Rechtsprechung
- ausgrenzendes Bildungssystem
- hohes Wohnungsdefizit
- geringe Abwasserreinigung
- ineffiziente Staatsausgaben
- Müll- und Abwasserprobleme
Threats (Risiken)
- Überbewertung des Real
- Nachfrageausfälle auf Weltmarkt
- Abhängigkeit von Commoditypreisen
- Abhängigkeit von Wasserkraft
- private Verschuldung
- starke Importzunahme und drohende
Deindustrialisierung
- Kriminalität
- Schwarzmarkt
- anfällige Stromübertragungsleitungen
Quelle: Germany Trade & Invest.
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