Medien-Auftrieb vor Haus von Bürgermeisterkandidat Fernando Haddad der Mensalao-Partei Lulas in Sao Paulo(Rua Afonso).
Lulas Arbeiterpartei PT unterliegt in wichtigen Großstädten Salvador da Bahia, Fortaleza, Campinas und Diadema, gewinnt dank der Mehrheitsbeschaffer Paulo Maluf(PP) und Gabriel Chalita(PMDB) in Sao Paulo.
Daß Lula-Kandidaten in den wichtigsten, von Massenelend gezeichneten Nordost-Metropolen, Salvador, Recife und Fortaleza unterlagen – in Fortaleza die Arbeiterpartei-Bürgermeisterin die Wiederwahl nicht schaffte, gilt in Brasilien als interessanter Tatbestand. Der Nordosten war häufig als Hochburg von Lula und seiner Arbeiterpartei angesehen worden – dort lebt ein beträchtlicher Teil der Bezieher von Anti-Hunger-Hilfe(Bolsa Familia).
Ab Januar 2013 werden die 85 größten Städte Brasiliens von Bürgermeistern aus 16 verschiedenen Parteien regiert.
Sechs der 26 Hauptstädte der Teilstaaten werden laut Wirtschaftsmedien künftig von (Euro-) Millionären regiert: Cuiabá, Belo Horizonte, Palmas, Salvador da Bahia, Natal, Curitiba.
Ex-Staatschef Lula hatte sich 2012 in 17 großen Städten aktiv u.a. auf Kundgebungen für Kandidaten der Mensalao-Partei PT eingesetzt – acht Kandidaten gewannen, neun verloren. Auffällig ist, daß die Lula-Partei just in den ärmsten, unterentwickeltsten Gebieten, in denen besonders viel Anti-Hunger-Hilfe „Bolsa Familia“ gezahlt wird, große Verluste erlitt. Recife, Salvador da Bahia, Fortaleza und Cuiaba sind besonders herausstechende Beispiele. In der Amazonas-Metropole Manaus unterstützte Lula die Kandidatin der Kommunistischen Partei(PCdo B) – indessen gewann der Kandidat der oppositionellen PSDB, die in Sao Paulo unterlag.
Die meisten Bürgermeisterposten eroberte die PMDB, geführt vom Diktaturaktivisten und Chef der Diktaturpartei ARENA, José Sarney(1026) gefolgt von PSDB(702) und PT(635).
Die Mensalao-Partei PT administriert künftig in Brasiliens Städten und Gemeinden einen Haushalt von insgesamt umgerechnet 29,8 Milliarden Euro, hieß es. 41,6 Prozent davon entfallen auf Sao Paulo. http://www.hart-brasilientexte.de/2012/10/28/brasilien-fernando-haddad-von-lulas-mensalao-arbeiterpartei-wurde-zum-neuen-burgermeister-der-megacity-sao-paulo-lateinamerikas-wirtschafts-und-kulturhauptstadt-gewahlt/
Der unterlegene PT-Kandidat in Fortaleza führte Wahlkundgebungen auf eine Weise durch, die vielen besonders an der Slumperipherie mehr als befremdlich vorkam: Im Hauruck-Verfahren wurden Bühnen angefahren, wurde in Bussen auch gleich das nötige – bezahlte – Publikum herangekarrt, das sich ekstatisch gebärdete, wild Arbeiterpartei-Fahnen schwenkte, wie Augenzeugen berichteten. In kurzer Zeit war die Kundgebung vorbei, wurde unweit davon, in anderen Vierteln, die gleiche Show, der gleiche Zirkus veranstaltet, ließ sich kaum ein Bewohner der betreffenden Viertel vor den Kundgebungsbühnen blicken.
Lula und Haddad schließen Wahlbündnis mit dem von Interpol gesuchten Diktaturaktivist Paulo Maluf, der u.a. während des Militärregimes von den Foltergenerälen zum Gouverneur Sao Paulos ernannt worden war. Maluf ist traditionell attraktiv für Wähler der polischen Rechten.
http://pt.wikipedia.org/wiki/Paulo_Maluf
Sao Paulo im Wahlkampf von Gewalt drangsaliert – hundert Morde offiziell registriert in letzten drei Wochen.
Haddad als Bildungsminister: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/08/08/brasiliens-bildungspolitik-unter-dilma-rousseff-rund-eine-million-kinder-zwischen-sechs-und-14-jahren-ohne-schule-selbst-laut-offiziellen-zahlen/
„Wenn die Toten da reingeschmissen werden, sind das Szenen wie in diesen
Holocaustfilmen“, beklagen sich Anwohner von Massengräber-Friedhöfen der größten lateinamerikanischen Demokratie. In der Tat wird seit der Diktaturzeit vom Staat die Praxis beibehalten, nicht identifizierte, zu „Unbekannten“ erklärte Tote in Massengräbern zu verscharren.
Die Kirche protestiert seit Jahrzehnten dagegen und sieht darin ein gravierendes ethisch-moralisches Problem, weil es in einem Land der Todesschwadronen damit auch sehr leicht sei, unerwünschte Personen verschwinden zu lassen. In der Megacity Sao Paulo mit ihren mehr als 23 Millionen Einwohnern empört sich der weltweit angesehene Menschenrechtspriester Julio Lancelotti: „In Brasilien wird monatlich eine erschreckend hohe Zahl von Toten anonym in Massengräbern verscharrt, verschwinden damit Menschen auf offiziellem Wege, werden als Existenz für immer ausgelöscht. Wir von der Kirche nehmen das nicht hin, versuchen möglichst viele Tote zu identifizieren, um sie dann auf würdige Weise christlich zu bestatten. Wir brauchten einen großen Apparat, ein großes Büro, um alle Fälle aufklären zu können – dabei ist dies eigentlich Aufgabe des Staates!“
Padre Lancelotti erinnert daran, daß während der 21-jährigen Diktaturzeit in
Sao Paulo von den Machthabern 1971 eigens der Friedhof Dom Bosco geschaffen wurde, um dort zahlreiche ermordete Regimegegner heimlich gemeinsam mit jenen unbekannten Toten, den sogenannten Indigentes, in Massengräber zu werfen. Wie die Menschenrechtskommission des Stadtparlaments jetzt erfuhr, wurden seit damals allen Ernstes 231.000 Tote als Namenlose verscharrt – allein auf diesem Friedhof. Heute kommen Monat für Monat dort zwischen 130 und 140 weitere Indigentes hinzu.
Nach einem Massaker an Obdachlosen Sao Paulos kann Priester Lancelotti zufällig auf dem Friedhof Dom Bosco beobachten, wie sich der Staat der Namenlosen entledigt: “Als der Lastwagen kommt und geöffnet wird, sehe ich mit Erschrecken, daß er bis obenhin voller Leichen ist. Alle sind nackt und werden direkt ins Massengrab geworfen. Das wird zugeschüttet – und fertig. Sollten wir später noch Angehörige ermitteln, wäre es unmöglich, die Verstorbenen in der Masse der Leichen wiederzufinden. Was sage ich als Geistlicher dann einer Mutter?“ Lancelotti hält einen Moment inne, reflektiert: „Heute hat das Konzentrationslager keinen Zaun mehr, das KZ ist sozusagen weit verteilt – die Menschen sind nach wie vor klar markiert, allerdings nicht auf der Kleidung, sondern auf dem Gesicht, dem Körper. Und sie werden verbrannt, verscharrt, wie die Gefangenen damals, und es gibt weiter Massengräber.“
Was in Sao Paulo geschieht, ist keineswegs ein Einzelfall. In der nordostbrasilianischen Millionenstadt Fortaleza leiden die Anwohner des Friedhofs „Bom Jardim“ seit Jahren bei den hohen Tropentemperaturen unter grauenhaftem Leichengeruch. „Die Toten werden oft schon verwest hergebracht, wie Tiere verscharrt, wir müssen zwangsläufig zusehen, es ist grauenhaft“, klagt eine Frau. „Fast jeden Tag kommt der Leichen-LKW – doch bei den heftigen Gewitterregen wird die dünne Erdschicht über den Toten weggeschwemmt, sehen wir die Massengräber offen, wird der Geruch im Stadtviertel so unerträglich, daß viele Kopfschmerzen kriegen, niemand hier eine Mahlzeit zu sich nimmt.“ Der Nachbar schildert, wie das vergiftete Regenwasser vom Friedhof durch die Straßen und Gassen des Viertels läuft: „Das Wasser ist grünlich und stinkt, manchmal werden sogar Leichenteile mitgeschwemmt – und weggeworfene Schutzhandschuhe der Leichenverscharrer. Die Kinder spielen damit – haben sich an die schrecklichen Vorgänge des Friedhofs gewöhnt. Wir alle haben Angst, daß hier Krankheiten, Seuchen ausbrechen.“
Selbst in Rio de Janeiro sind die Zustände ähnlich, werden zahllose Menschen von Banditenkommandos der über 1.000 Slums liquidiert und gewöhnlich bei Hitze um die 35 bis 40 Grad erst nach Tagen in fortgeschrittenem Verwesungszustand zum gerichtsmedizinischen Institut abtransportiert. Wie aus den Statistiken hervorgeht, werden in den Großstädten monatlich stets ähnlich viele Tote als „Namenlose“ in Massengräber geworfen wie in Sao Paulo, der reichsten Stadt ganz Lateinamerikas.
Priester Julio Lancelotti und seine Mitarbeiter stellen immer wieder Merkwürdigkeiten und verdächtige Tatbestände fest. „Werden Obdachlose krank und gehen in bestimmte öffentliche Hospitäler, bringt man an ihrem Körper eine Markierung an, die bedeutet, daß der Person nach dem Tode zu Studienzwecken Organe entnommen werden. Die Männer registriert man durchweg auf den Namen Joao, alle Frauen als Maria. Wir streiten heftig mit diesen Hospitälern und wollen, daß die Obdachlosen auch nach dem Tode mit den echten Namen geführt werden. Schließlich kennen wir diese Menschen, haben über sie Dokumente. Man meint eben, solche Leute sind von der Straße, besitzen also weder eine Würde noch Bürgerrechte. Wir haben in der Kirche eine Gruppe, die den illegalen, kriminellen Organhandel aufklären will, aber rundum nur auf Hindernisse stößt. Denn wir fragen uns natürlich auch, ob jenen namenlos Verscharrten vorher illegal Organe entnommen werden.“
Fast in ganz Brasilien und auch in Sao Paulo sind Todesschwadronen aktiv, zu denen Polizeibeamte gehören, wie sogar das Menschenrechtsministerium in Brasilia einräumt. Tagtäglich würden mißliebige Personen außergerichtlich exekutiert, heißt es. Darunter sind auch Obdachlose, von denen allein in Sao Paulos Zentrum weit über zehntausend auf der Straße hausen. Wie Priester Julio Lancelotti betont, ist zudem die Zahl der Verschwundenen auffällig hoch. „Auf den Straßen Sao Paulos werden viele Leichen gefunden. Denn es ist sehr einfach, so einen Namenlosen zu fabrizieren. Man nimmt ihm die Personaldokumente weg, tötet ihn und wirft ihn irgendwo hin. Wir gehen deshalb jeden Monat ins gerichtsmedizinische Institut, um möglichst viele Opfer zu identifizieren. Die Polizei ist immer überrascht und fragt, warum uns das interessiert. Das Identifizieren ist für uns eine furchtbare, psychisch sehr belastende Sache, denn wir müssen monatlich stets Hunderte von Getöteten anschauen, die in großen Leichenkühlschränken liegen – alle schon obduziert und wieder zugenäht. Und man weiß eben nicht, ob da Organe
entnommen wurden.“
Solchen Verdacht hegen nicht wenige Angehörige von Toten, die seltsamerweise als „Namenlose“ im Massengrab endeten. In der nordostbrasilianischen Küstenstadt Maceio ging letztes Jahr der 69-jährige Sebastiao Pereira sogar mit einem Protestplakat voller Fotos seines ermordeten Sohnes auf die Straße. Dem Vater hatte man im gerichtsmedizinischen Institut die Identifizierung der Leiche verweigert – diese dann mysteriöserweise auf einen Indigentes-Friedhof gebracht. Kaum zu fassen – ein Friedhofsverwalter bringt es fertig, Sebastiao Ferreira später mehrere Leichenteile zu zeigen, darunter einen Kopf. „Mein Sohn wurde allein am Kopf von vier MG-Schüssen getroffen – und dieser Kopf war doch intakt! Ich setzte eine DNA-Analyse durch – der Kopf war von einem Mann, das Bein von einem anderen, der Arm wiederum von einem anderen – doch nichts stammte von meinem Sohn“, sagt er der Presse.
In Sao Paulo hat Priester Lancelotti durchgesetzt, daß ein Mahnmal auf dem Friedhof Dom Bosco an die ermordeten Regimegegner, aber auch an die mehr als 200.000 „Namenlosen“ erinnern wird.
Neuerdings macht der Friedhof in Brasilien immer wieder Schlagzeilen, allerdings nicht wegen der Massengräber von heute. Progressive Staatsanwälte versuchen das Oberste Gericht in Brasilia zu überzeugen, den zur Diktaturzeit für den Friedhof verantwortlichen Bürgermeister Paulo Maluf und den damaligen Chef der Politischen Polizei, Romeu Tuma, wegen des Verschwindenlassens von Oppositionellen vor Gericht zu stellen. Erschwert wird dies jedoch durch den Politikerstatus der Beschuldigten: Paulo Maluf ist Kongreßabgeordneter und Romeu Tuma sogar Kongreßsenator – beide gehören zum Regierungsbündnis von Staatspräsident Lula.
« Brasilien, Facetten des fortdauernden Hungerproblems. Kranker Behinderter sucht in Sao Paulo, Lateinamerikas reichster Stadt, am Pflichtwahl-Wochenende Müllbehälter nach Essensresten ab. Menschenrechtspriester Julio Lancelotti und Misere unter Lula, Rousseff. – Brasilien, Paulistanos im Ibirapuera-Park 2012. Mode im Tropenland. »
Noch keine Kommentare
Die Kommentarfunktion ist zur Zeit leider deaktiviert.