Angeli, größte brasilianische Qualitätszeitung “Folha de Sao Paulo” Ende Oktober 2012 politisch unkorrekt zur Gewaltkultur in Lateinamerikas größter Demokratie:”Ja, wir überfallen, vergewaltigen und morden. Das hat einen Superspaß gemacht.” Die Schwächsten der neoliberalen, sozialdarwinistischen Gesellschaft – bevorzugte Opfer.
Statistisch alle 9 Minuten, 48 Sekunden ein Mord in Brasilien, laut neuer Studie.
Hintergrundtext:
Städte extrem altenfeindlich- kaum Rücksicht auf Schwächere
In Paris, Moskau, Wien oder München sitzen auffällig viele Senioren tagsüber in den Parks, treffen sich zu Gesprächen, gar zum Schachspielen, werden natürlich von jedermann respektiert. Das Gegenteil in Brasilien – selbst bei wundervollem tropischen Sonnenschein sieht man nur wenige auf der Straße, in Cafe`s, gar in den wenigen grünen Oasen der chaotischen, direkt altenfeindlich gestalteten Städte: Kein Wunder – alte Menschen sind bevorzugtes Opfer krimineller Kinder-und Jugendbanden, die Rentner brutal zu Boden treten, aus dem Rollstuhl zerren, sogar töten, um an deren Geldbörse zu kommen. „Anders als in Cuba“, so der brasilianische Befreiungstheologe und jetzige Präsidentenberater Frei Betto, „haben wir keine öffentlichen Räume, wo sich alte Menschen treffen können – für Lektüre, Sport, Spiele, künstlerische Betätigung, Tanzen.“
Im „unerklärten Stadtkrieg“ Brasiliens sind etwa bei Feuergefechten rivalisierender Gangstermilizen gerade alte Menschen besonders betroffen, weil sie nicht so rasch fliehen können wie die Jüngeren. Im März 2003 überziehen die Gangstersyndikate vor und während des Karnevals Rio de Janeiro mit Terror, demonstrieren ihre Parallelmacht, stoppen weit über fünfzig überfüllte Busse, zünden sie an. Eine Siebzigjährige unter den Fahrgästen wird zur lebendigen Fackel, kann nicht rasch genug entkommen, stirbt an den starken Verbrennungen. Andere betroffene Senioren liegen mit Lebensgefahr noch in Hospitälern.
Außerdem der Verkehr – etwa in den beiden wichtigsten, „modernsten“ Millionenstädten Sao Paulo und Rio de Janeiro nimmt er so gut wie keine Rücksicht: Zebrastreifen werden mißachtet, die Grünphasen der Ampeln sind meist viel zu kurz. Die öffentlichen Busse – auffällig altenfeindlich konstruiert. Weil der im Vergleich zu Deutschland irrsinnig laute und chaotische Autoverkehr von den PT-Autoritäten einfach nicht humanisiert wird, bleibt die Luft der Megametropole hochgradig abgasvergiftet, schlägt nicht nur auf die Atemwege, schädigt besonders die Gesundheit, das Immunsystem der Senioren, kostet jährlich Tausende von ihnen das Leben, läßt die Krebsrate klettern.
In Deutschland schwingen sich sogar noch Achtzigjährige aufs Fahrrad, nutzen das Radwegenetz – doch in Sao Paulo verhindert die elitäre PT-Präfektin Suplicy „Ciclovias“, begünstigt den Individualverkehr der Bessergestellten, einer Minderheit. Nur wenige Jüngere, doch niemals „Idosos“ trauen sich deshalb in den Sattel.
Hardrock-Konzerte, Rap-und Techno-Massendiscos, alles „open air“ in unmittelbarer Nähe von Altersheimen – brasilienweit nicht ungewöhnlich; nur zu oft quartieren geriatrische Kliniken ihre Schwerkranken deshalb jedesmal um. Typisch auch eine Familienszene wie diese: Die alte, schwerkranke Großmutter hockt zusammengesunken am Küchentisch, doch die zwölfjährige Enkelin dreht neben ihr die Musikanlage auf volle Lautstärke – mit HipHop. Keiner schreitet ein, verschafft der Alten Ruhe.
Nur zu viele Senioren sitzen daher nur noch zuhause alleine im Halbdunkel vor dem Fernseher, warten auf den Tod.
„Dieses Wirtschaftssystem“, so die Kirche „betrachtet den Alten als tote Last, der nicht mehr produziert, nicht mehr konsumiert wie zuvor – diese Gesellschaft himmelt nur den Profit, die Jugendlichkeit an, schließt deshalb die älteren Menschen aus, als seien sie völlig wertlos.“ Vorurteile gegen Alte seien heute stärker als rassistische – es gebe eine regelrechte „stillschweigende Konspiration“ gegen die ältere Generation.
Bizarre Lage in Slums
Die schwarze Olga Benedita Maria, 35, ausgebildete Psychologin und Pädagogin, macht in einem Slum Sao Paulos kirchliche Sozialarbeit, leitet eine „Pastoral de Idosos“. Und muß täglich mit Extremsituationen fertig werden. „Alte sterben selbst in den Familien wegen Mißhandlungen, unterlassener Hilfe. Viele wissen nicht wohin, hausen unter Brücken, in irgendeinem Asyl – weil sich Angehörige ganz brutal deren Wohnung und Besitz aneigneten. Andererseits gerade in den Slums viele positive Gegenbeispiele. „Wir sagen dort allen: Sind alte Menschen gut in die Familie integriert und können ihre Lebenserfahrung weitergeben, werden die Kinder nicht drogenabhängig, prostituieren sich nicht, rutschen nicht ins Verbrechen ab.“ Schließlich eine der familiären Hauptsorgen in Slums, die durchweg von neofeudalen Banditenmilizen dominiert werden. Wenn Sozialarbeiter wie Olga Benedita Maria in solchen Slums bemerken, daß ältere Menschen von jungen Leuten mißhandelt werden, diese gar Sozialarbeiter attackieren, entsteht eine bizarre Situation:“Da bleibt uns nichts weiter übrig, als mit dem Gangsterchef zu sprechen – denn der herrscht absolutistisch, spielt manchmal den Sozialhelfer für alleinstehende Alte, hilft uns mit Sicherheit, greift sich die Täter. Und verwarnt sie nach dem Motto – noch einmal sowas, und du weißt, was Dir passiert!“ Das wirkt – denn zu den üblichen drakonischen Strafen der Banditenbosse zählen Foltern, Handabhacken, Kastrieren, lebendig Verbrennen, Exekutieren.
„Wenn alte Frauen und Männer an der Haltestelle winken, halten Busfahrer häufig nicht an, preschen weiter – das ärgert mich maßlos“, so Olga Benedita Maria. „Wir machen häufig eine Anzeige – doch von den Busunternehmen keine Reaktion!“
Für wenige Prozent der älteren Brasilianer – nämlich die aus der Oberschicht, der „Classe dominante“ – gelten all diese Probleme nicht. Jene in den Reichenghettos wirken junggeblieben, sportlich, genießen ihren Ruhestand in vollen Zügen, haben die höchste Lebenserwartung.
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
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