Laut Landesmedien wurde der Überfall von drei Banditen in Ribeirao Branco bei Sao Paulo am 25. November 2012 verübt. Kempf war erst am Vortage zu seinem ersten Brasilienbesuch eingetroffen, war zu seinem Vetter Theodor Alois Kempf(70) gefahren, der auf einer Farm Käse herstellt. Wie es seitens der Polizei hieß, hatte sein Vetter gegen sechs Uhr morgens an jenem Sonntag die Kühe gemolken, als die drei Banditen in die Farm eindrangen, die Frau des Vetters überwältigten und das Wohnhaus durchsuchten. Max Kempf wurde in seinem Schlafzimmer angetroffen und folgte nicht der Anweisung der Banditen, im Bett liegenzubleiben, sich nicht zu bewegen. Die Banditen warfen sich auf ihn, es kam zum Handgemenge, Kempf gelang es, aufzustehen, worauf einer der Banditen, 15 Jahre alt, inzwischen geständig, den tödlichen Schuß abgab. Laut Angaben des Vetters verstand Max Kempf kein Portugiesisch – und begriff daher möglicherweise nicht, was die Männer von ihm wollten. Die Banditen raubten u.a. Geld, einen Computer, Handys. Max Kempf wurde in Ribeirao Branco beerdigt.
Laut Polizeiangaben wurde Max Kempf von dem 15-jährigen Räuber des Gangstertrios erschossen – und habe die Tat gestanden. Wie Theodor Kempf und seine Frau Rita(31) indessen im Website-Interview erklärten, wurde der Mord von einem der erwachsenen Banditen verübt. Die Banditen seien mit äußerster Brutalität vorgegangen, hätten sowohl Rita als auch die beiden Gäste geschlagen und getreten, die Frau an den Haaren gerissen. Rita war, wie sie sagte, direkte Tatzeugin, stand im Zimmer, als der Schuß auf Max Kempf abgegeben wurde. Sie informierte die Banditen, daß Max Kempf kein Portugiesisch verstehe, was denen jedoch gleichgültig gewesen sei.
Theodor Kempf: „Unter der Gewaltkriminalität werden die bevorstehende Fußball-WM und die Olympischen Spiele sehr leiden.“
„Säuberungen“ in Slums:
Rita Kempf: “ Wir leben jetzt hier in Angst und Bedrückung, daß so ein Raubüberfall erneut auf uns verübt wird – da wir etwas abgelegen wohnen. Früher war es hier in der Gegend ruhig und sicher – das ist vorbei, wir sind schockiert.“
Max Kempfs Freund Rudolf Aschwanden ist inzwischen wieder in die Schweiz zurückgereist, hieß es.
2008 vereinbarten Bern und Brasilia eine strategische Partnerschaft.
Theodor Kempf:“Morgens um sechs bin ich zum Stall gegangen, um die Kühe zu melken – da kommt meine Frau angerannt – Max ist tot! Die haben Max erschossen! Ich sofort zum nur 300 Meter entfernten Haus – doch ich konnte nichts mehr machen – Polizei, Krankenwagen gerufen, das dauerte. Wie mir Rita sagte, sind kurz nach 6.15 Uhr drei Typen eingedrungen – es war ja offen, wir waren bisher gewohnt, nicht alles sofort abzuschließen. Die Gangster sind sofort zum Zimmer von Rita, haben sie aus dem Bett gerissen, an den Haaren herumgerissen, mit dem Revolver bedroht. Wollten Geld, haben Schubladen durchwühlt. Dann sind sie in das Zimmer, in dem die beiden Gäste schliefen, haben die Tür aufgerissen, haben dem Rudolf mit einem Zaunpfahl eins auf die Nase gegeben. Rudolf hat sich sofort ergeben. Die schrien immer – Geld, Geld her! Rudolf hat ihnen seine Brieftasche mit 300, 400 Real gegeben. Dann wurde Max bedroht, wurde geschlagen, hatte deshalb eine blutunterlaufene Stelle auf der Brust, wie ich sah, ein Hämatom. Max wurde voll in den Mund geschossen. Max hat vielleicht versucht, sich zu wehren, er war ja da auf dem Bett, war im Grunde wehrlos.
Die beiden waren am Abend zuvor gekommen, wir haben meinen Geburtstag gefeiert, Champagner getrunken. Das war so ein angenehmes Klima – und dann am nächsten Morgen , nach 6.15 Uhr – ist Max tot! Das ist eine furchtbare Sache!
Die Gangster haben alle Wertgegenstände geraubt, meinen Computer, alles Zubehör, die Kamera, alles.
Es sind Banditen hier vom Dorf – nur zwei Tage zuvor haben sie meinen Nachbarn ausgeraubt. Ich glaube nicht, daß der Minderjährige geschossen hat – es war der größte von den Dreien. Ich habe die drei Täter ja zwei Tage zuvor gesehen, als sie vorbeigingen, um das Haus des Nachbarn auszurauben. Vielleicht haben sie da geplant – den überfallen wir am Sonntag! Eigentlich war ich ja das Ziel – die müßten mich gesehen haben, als ich zum Kuhstall ging. Die hatten davon profitieren wollen, daß ich nicht im Haus war – vielleicht zum Glück, sonst hätte es mich getroffen.
Für mich ist das so traurig – mit Max ist meine ganze Kommunikation weg – da waren die vielen Erinnerungen! Zudem hatte ich vieles ja im Computer gespeichert – alles weg, unwiederbringlich, furchtbar.
In der Not und Verzweiflung habe ich dem Druck des lokalen Beerdigungsunternehmens angesichts der hiesigen Bürokratie nachgegeben und Max hier beerdigen lassen – das war wohl eine Fehlentscheidung. Ich weiß jetzt nicht, ob man in der Schweiz mit dem Gedanken spielt, den Max zu exhumieren. Mir wäre das recht, ich würde das begrüßen, so denke ich heute, ich habe in der Panik falsch reagiert – denn aus der Schweiz hatte sich niemand gemeldet, ich hatte angerufen, hatte Anrufe erwartet. Der Friedhof hier ist ein Elend – da trifft sich alles Lumpenpack, werden Drogen konsumiert.
Max ist ledig, hat keine Kinder. Wenn ein Schweizer im Lande ist, wollen die Banditen von ihm Geld – doch die Idioten wissen nicht, daß man ja heute Kreditkarten hat, niemand reist mit Geld, niemand hat Geld zuhause. Ich lebe hier schlicht, ohne Luxus – lebe, ohne aufzufallen.“
Rita:“Ich wurde von den Banditen stark mißhandelt. Ich bin darüber bis jetzt empört. Die kamen in mein Zimmer, haben mich an den Haaren gerissen, mich geschlagen, mich zu dem Zimmer der Gäste gestoßen. Sie haben mich dort geschlagen, zu Boden geschlagen, mich getreten – dann begannen sie, Rudolf zu schlagen. Ich sagte den beiden, sie sollen sich ruhig verhalten – aber sie verstanden mich ja nicht, ich spreche nur Portugiesisch. Max war total erschrocken erwacht – und schon schlugen sie auch auf den ein. Sie haben ihm auch noch Schläge mit der Hinterkante des Revolvers versetzt, damit er den Kopf nach unten senkt. Doch der Arme hat das nicht verstanden, der war ja grade erst erwacht. Ich habe auf die Banditen eingeredet, daß die beiden grade aus der Schweiz gekommen sind und hier die Sprache nicht verstehen – aber diese miserablen Figuren wollten davon nichts wissen, wollten nur rauben, wollten nur das Geld von denen. Max versuchte, sich gegen die Banditen zu verteidigen – er begann mit denen zu kämpfen. Ich habe genau gesehen, wie der Ältere auf Max geschossen hat. Ein Bandit hatte zuvor Rudolf bereits in den Vorraum geführt, Rudolf sah den Mord nicht. Es war nicht der jüngere, der kleinere, der schoß, es war der ältere der Banditen, von großer Statur. Der hat mit Max auf dem Bett gekämpft!Der jüngere war schon damit beschäftigt, das Raubgut zusammenzuholen. Als sie Max tot sahen, sagten sie, jetzt kommt die Polizei, wir müssen schnell weg! Es war nicht mehr möglich, Max zu helfen, er fiel ja bereits tot zu Boden! Sie hatten ihn in den Mund geschossen, wie hätten wir ihm da helfen können.
Es alles jetzt so traurig – ich kann nicht mehr schlafen. Selbst unser Hund hat Angst, will nachts nicht mehr draußen bleiben, will im Haus sein. Wir leben jetzt hier in Angst, in Bedrückung – denn wir wohnen abgelegen, es ist hier völlig still. Ich kann mich nicht abfinden mit dem Geschehenen – mir geht all das nicht aus dem Kopf, was sie mit Max machten, was ich aus nächster Nähe sah!
Theodor Kempf:“Das war nun der erste Besuch von Max – denn aus der Schweiz kommt ja nie jemand so einfach hierher. Und jetzt, das ist das Furchtbare, wird mich nach dieser Tat niemand mehr besuchen. Alle Freunde, niemand kommt jetzt mehr. Ich denke auch, der ganze Tourismus von Brasilien, die Fußball-Weltmeisterschaft, wird sehr leiden unter Kriminalität.“
Schweizer Fotograf Barnabas Bosshart zur Gewalt in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/11/29/brasilien-mord-an-schweizer-max-kempf69-bei-sao-paulo-laut-polizei-drei-verdachtige-gefast-152124-jahre-alt-teil-des-raubguts-gefunden/
In Brasilien werden regelmäßig ausländische Touristen ermordet.
Italiener in Bahia erschossen: http://www.correio24horas.com.br/noticias/detalhes/detalhes-1/artigo/corpo-de-italiano-assassinado-sera-velado-em-salvador-nesta-quarta-feira-5/
Portugiese in Bahia erschossen: http://www.correio24horas.com.br/noticias/detalhes/detalhes-3/artigo/corpo-de-portugues-e-liberado-pela-familia-do-dpt-de-vitoria-da-conquista/
Lulas Wahlversprechen zur öffentlichen Sicherheit: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/25/fur-901-prozent-der-brasilianer-nimmt-die-gewalt-im-land-zu-laut-uno-studie-mehr-sicherheit-gehorte-zu-lulas-wahlversprechen/
Ausriß, Max Kempf.
In europäische Medien wird auf die heute gängige Art durchgeschaltet, im Vorfeld von Fußball-WM und Olympia unternähmen die brasilianischen Autoritäten angeblich große Anstrengungen zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit.
Brasilianische Gewaltexperten betonten in den letzten Jahren stets, Sao Paulo sei keineswegs friedlicher als Rio de Janeiro, jedoch werde von den Autoritäten erfolgreich per Politmarketing der Eindruck erweckt, die Megacity sei sicherer. Die Stadt gehörte de facto stets zu den gefährlichsten Gegenden des Landes, nur in Kernbereichen der Mittel-und Oberschicht bestand wegen eines gewaltigen Polizeiaufgebots mehr Sicherheit. Offizielle „Erfolgs“-Statistiken wurden auch von Menschenrechtsexperten stets widerlegt, in Mitteleuropa vom Mainstream indessen oft gemäß den Vorschriften ohne Prüfung übernommen. In jüngster Zeit ist lukrative Schönfärberei indessen kaum noch möglich.
Hintergrund – drei Finnen erschossen: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/04/brasilien-drei-finnen-zwei-frauen-ein-mann-im-nordostteilstaat-paraiba-erschossen/
Zeitungsausriß NZZ. Foto des Schweizer Fotografen Barnabas Bosshart.
Schweizer in Rio erschossen: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/19/mord-an-schweizer-in-rio-laut-polizei-ist-freundin-die-komplizin-der-todesschutzin-beide-sind-copcabana-prostitutierte/
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/18/schweizer-an-der-copacabana-erschossen/
Bei der Mordwelle am Sonntag des Formel-1-Rennens und der Friedensdemonstration wurde auch ein fünfjähriges Kind erschossen.
Menschenrechtssamba zur Gewaltsituation – anklicken: http://www.youtube.com/watch?v=XkvjkxERac4
Neuschweizerin Roberta Close: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/03/02/roberta-close-amerikas-beruhmteste-transsexuelle/
Wie in deutschsprachigen Medien lukrativ Klischees gefördert werden:
Erwartungsgemäß sehr geringes Medieninteresse an der regierungskritischen Friedensdemonstration der katholischen Kirche in Sao Paulo am Tage des Mordes an dem Schweizer:
Tourismus in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/03/09/das-menschenrecht-auf-personliche-sicherheit-unter-lula-die-deutsche-botschaft-in-brasilia-informiert/
Brasiliens erfolgreiche Auslandspropaganda: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/01/brasiliens-erfolgreiche-auslandspropaganda-2009-uber-40-millionen-euro-investiert-laut-brasil-economico-enge-zusammenarbeit-mit-medien-europas/
Aus Mitteleuropa gibt es sehr viel offizielles Lob für die neoliberale Politik Brasilias.
Brasilia hilft Europa? http://www.hart-brasilientexte.de/2012/11/20/brasilien-will-europa-bei-der-uberwindung-der-krise-helfen/
Viele Demo-Teilnehmer trugen T-Shirts mit den Fotos von Mordopfern aus jüngster Zeit: Familienangehörige, Freunde, Bekannte.
Ausriß,Karikaturist Angeli: “Besuche Sao Paulo”. “Graffiti? Ich weiß nicht, sieht mehr nach Blutbad aus.” Folha de Sao Paulo, größte Qualitätszeitung Brasiliens, 25.11. 2012, Tag der Friedensdemonstration der katholischen Kirche.
Karikatur und Realität: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/
Wie lebt es sich in Sao Paulo nach achtjähriger Lula-Regierung? http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/17/adveniat-in-brasilien-wie-lebt-es-sich-in-der-reichsten-stadt-lateinamerikas-der-siebtgrosten-wirtschaftsnation-nach-acht-jahren-lula-regierung-adveniat-gottesdienst-in-der-favela-cachoeirinha-von/
Gewaltförderung heute: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/26/porno-und-gewaltvideos-in-brasilien-anleitung-zu-sadistischen-verbrechen/
„Irak ist hier“: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/26/irak-ist-hier-tageszeitung-von-rio-de-janeiro-publiziert-vergleichsfotos/
Reisewarnung des Auswärtigen Amtes: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/11/23/brasilien-berlins-strategischer-partner-neue-reisewarnungen-vom-auswartigen-amt/
Salvador da Bahia – dreijähriges Kind durch verirrte Kugel getötet, Polizist erschossen: http://www.correio24horas.com.br/noticias/detalhes/detalhes-1/artigo/crianca-de-3-anos-e-baleada-em-tancredo-neves/
Frankfurter Buchmesse 2013 – Gastland Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/10/17/frankfurter-buchmesse-2013-gastland-brasilien-literatur-und-landesrealitaet-keinerlei-veranstalterhinweis-auf-gravierende-menschenrechtslage-auf-daten-und-fakten-von-amnesty-international-und-bras/
http://www.welt-sichten.org/artikel/221/der-hoelle-hinter-gittern
Pirelli-Reifen-Kalender und Realität: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/11/28/brasilien-der-neue-pirelli-reifen-kalender-die-lukrativ-gepflegten-klischees-wie-brasilianische-pressefotografen-die-alltagsrealitat-des-tropenlandes-reflektieren-2/
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
Rio de Janeiro
Slum-Seelsorge gegen die Barbarei – in der Stadt des internationalen Jugendtreffens mit dem Papst 2013
„Viel mehr Besucher als bei Fußball-WM 2014 und Olympischen Sommerspielen 2016“
Glaubte man der weltweit verbreiteten Auslandspropaganda, freut sich ganz Brasilien, und vor allem Rio de Janeiro wie wild auf die beiden Sport-Megaevents, ziehen Bevölkerung und Autoritäten an einem Strang bei der sorgfältigen Vorbereitung, will man ein guter Gastgeber sein. Doch nun hat ein weiteres Blutbad, bei dem mindestens acht junge Menschen ermordet wurden, den Propagandavorhang jäh zerrissen, jüngste Analysen der katholischen Kirche über gravierende Menschenrechtsverletzungen in den über eintausend Elends-und Armenvierteln bestätigt. Gemeindepfarrer Monsenhor Luis Antonio Lopes, in dessen Seelsorgebereich das Massaker geschah, ist entsetzt: „Die Herrschaft des organisierten Verbrechens über die Slums bedeutet, daß die Bewohner wie in einem System der Sklaverei, der Versklavung gefangen sind. Daß der Staat diese Menschen allein läßt, kostet soviele Menschenleben.“
Aber ist nicht immer von befriedeten Favelas, einer eigens gegründeten Befriedungspolizei die Rede? „Das organisierte Verbrechen herrscht ungehindert dort, wo es keine sogenannten Befriedungseinheiten gibt, also in den allermeisten Favelas“, ergänzt Padre Lopes. „Und selbst in einigen Slums, wo der Staat angesichts der herannahenden Sportevents solche Befriedungseinheiten stationierte, geschehen weiter Morde.“
Das jüngste Blutbad verübt ein Banditenkommando als Machtdemonstration, zur Einschüchterung der Slumbewohner – die Leichen mit grauenhaften Folterspuren werden an der Stadtautobahn abgeworfen. Nur deshalb erfahren die Medien von der Untat – von den meisten Massakern hört die Öffentlichkeit außerhalb der Slums nichts. Denn in die Parallelstaaten der Slums, wie es Soziologen nennen, wagt sich kaum jemand hinein, der dort nicht gezwungenermaßen hausen muß. Nach dem Blutbad stellen Armee und Polizei einen ganzen Konvoi aus Schützenpanzern zusammen, um in die Favela des hochgerüsteten Banditenkommandos vordringen zu können. Das spricht Bände über die Zustände, die Machtverhältnisse in der WM-Stadt. Natürlich hatten sich die Gangster längst in Guerrilha-Taktik zurückgezogen.
Padre Luis Antonio Lopes ist gleichzeitig Leiter der Slum-Seelsorge in der Erzdiözese von Rio de Janeiro – die Banditenherrschaft erschwert kirchliche Arbeit auf nur zu oft bizarre Weise. Denn Sozialprojekte, darunter Kindergärten und Schulen, können in den Favelas nur funktionieren, wenn die Banditenkommandos ihr Okay geben. „Bewaffnete Gangster halten in einem geraubten Auto neben mir und wollen, daß ich jeden einzelnen von ihnen mit Handschlag grüße“, sagt ein Priester der Slum-Pastoral. „Was bleibt mir dann übrig? Sorge ich nicht für ein problemfreies Verhältnis zu den Machthabern, riskiere ich mein eigenes Leben, wird jegliche Hilfe für die Slumbewohner unmöglich.“ In der schlichten Kirche zelebriert er Messen, lädt abends zu Bibelkursen, bringt erwachsenen Analphabeten Lesen und Schreiben bei, verteilt Lebensmittel-und Kleiderspenden, spielt hinter der Kirche sogar mit Jugendlichen Fußball – Teil von Freizeitaktivitäten, die Mädchen und Jungen von den Drogenbanditen fernhalten sollen. Durch Druck auf die Präfektur wurde erreicht, daß in der Slumregion nun sogar ein Gesundheitsposten existiert.
Der Padre reflektiert über die schwierige Frage, ob er die Banditen rechtzeitig über die Route der nächsten Prozession unterrichten soll – damit diese alle gesperrten Straßen wissen – und im Falle einer höllisch rasanten Fahrt mit geraubten Autos oder Entführungsopfern auf andere Wege ausweichen…
Als ein Sektenanhänger die Teilnehmer einer Prozession mit obszönen Kraftausdrücken beschimpft, hält ein Jungbandit von nur 13 Jahren dem Krakeeler den Revolver an den Kopf. „Noch ein Wort – und ich drücke ab. Diese Religion wird respektiert!“
Ein mehrstündiger Gang durch Slums an der Seite des Padres führt zu den Brennpunkten der barbarischen, bedrückenden Situation. Zu den Verhaltensregeln zählt: Nicht fotografieren, keine Mikrophonaufnahmen, weil sonst sofortige Ermordung drohte. So tun, als ob man die überall lauernden bewaffneten Banditen, die offenen Verkaufspunkte für harte Billigdrogen wie Crack und Kokain garnicht bemerkt und fast durchweg ein angeregtes Gespräch mit dem Priester über Religiöses führt. Elendskaten, zerlumpte, verwahrloste Kinder, Müll und Gestank, Unmengen von geraubten und zu Schrott gefahrenen Autos, sadistischer Gangsta-Rap in Hardrock-Lautstärke rund um die Uhr, der mit ganzer Wucht auch in die Kirche dringt.
„Ich bin Terrorist, ich bin ein Taliban“, heißt es in den Texten, sind beinahe in jedem Titel MG-Salven, Bomben-und Granaten-Explosionen zu hören. „Unsere Terrororganisation ist der Staatsfeind Nummer Eins.“
„Im Morgengrauen rücken wir aus, dann singt das MG/ Messer an die Kehle, Schuß ins Genick, Terror und Aktion, mancher Gegner wird geköpft.“
Eine Mitarbeiterin des Priesters berichtet über viele willkürliche Morde und Folterungen, teils direkt vor ihrer Katentür. „Wer sich hier weigert, Raubgut oder Drogen zu transportieren, wird sofort erschossen – wer des Kontakts mit der Polizei verdächtigt wird, ebenfalls. Doch innerhalb weniger Monate sind auch die Killer tot – kommen beispielsweise bei Schießereien zwischen rivalisierenden Banditenkommandos oder mit der Polizei um. Und schon werden andere die neuen Slum-Herrscher.“
Padre Lopes von der Slum-Seelsorge ist beim Gespräch sichtlich verstört, erregt – denn nur einige Stunden zuvor hatten Banditen bei einer Raubattacke auf das Gemeindezentrum und die Kirche zahlreiche wertvolle Gegenstände, darunter elektronische Geräte, erbeutet.
Für Lopes handelt es sich bei jenen jungen Gangstern um Brasilianer, denen Staat und Gesellschaft keinerlei Chance gaben, sich zu bilden und zu entwickeln. Laut neuesten Studien ist beispielsweise der Handel mit harten Billig-Drogen wie Crack und Kokain landesweit der einfachste Weg für junge Menschen, um an Geld für schicke Markenklamotten und andere attraktive Dinge zu kommen. Sage und schreibe mindestens 5,3 Millionen Brasilianer zwischen 18 und 25 Jahren studieren nicht, arbeiten nicht – und suchen auch keinerlei Arbeit, heißt es.
“Wir haben jetzt bei der UNO und bei Amnesty International Anzeige erstattet, weil wegen der Fußball-WM gleich drei Stadtautobahnen mitten durch Favelas gezogen werden, Zehntausende von Slumbewohnern ihre Behausung verlieren, vertrieben werden.“
Der Staat bietet ihnen an, in Billigblocks zu ziehen, 50 Kilometer entfernt, in einer Region ohne Schule, Hospital, öffentliche Verkehrsmittel.
Seit jeher zählte zu den wichtigsten Aufgaben der Favela-Pastoral, die Zerstörung von Armenvierteln zu verhindern. Jetzt, vor den Sport-Events, gilt das noch mehr. „Zwei Tage vor Weihnachten machten Planierraupen der Präfektur eine ganze Hüttensiedlung nieder – die Leute mußten im Freien kampieren!“
Das jüngste Blutbad zeigt, wie es um die Sicherheit der Rio-Bewohner steht. Die katholische Kirche Rio de Janeiros hat deshalb mit Kundgebungen und Demonstrationen der Opfer gedacht, zum Frieden aufgerufen.
Padre Lopes macht deshalb folgende Rechnung auf: “Alle mehr als eintausend Favelas von Rio de Janeiro haben gravierende Gewaltprobleme – der Staat müßte dort etwa 200000 Sicherheitsbeamte stationieren – tut es aber nicht. Wie die Investitionen für Fußball-WM und Olympische Sommerspiele in Rio zeigen, sind Mittel durchaus vorhanden – aber eben nicht für soziale Zwecke, nicht für menschenwürdige Behausungen. Wie kann man angesichts so vieler drängender Probleme soviel Geld für Sportevents ausgeben, die nur ganz kurze Zeit dauern!“
Er weist auf die friedensstiftende Bedeutung des einwöchigen Weltjugendtreffens von 2013 mit dem Papst. „WM und Olympische Spiele sind kommerzielle Ereignisse, wird es für die Besucher teuer, braucht man Eintrittskarten für die Stadien. Beim Jugendtreffen indessen sind Unterbringung und Verpflegung gratis, werden sich bei den vielen Gottesdiensten und Veranstaltungen unter freiem Himmel alleine am Strand der Copacabana rund drei Millionen Menschen versammeln können.
Brasiliens Menschenrechtsministerin Maria do Rosario räumte wegen des neuesten Blutbads von Rio ein, daß bei den Heranwachsenden des Landes Gewalt die Haupt-Todesursache sei. Die katholische Kirche hatte deshalb bereits vor Jahren eine „Kampagne gegen Gewalt und gegen die Ausrottung von Jugendlichen“ gestartet. Priester Geraldo Nascimento zählt zu den Wortführern, den Organisatoren.
“Wir wollen, daß die ganze Welt sieht, was hier vor sich geht. Der brasilianische Polizeiapparat dient nicht dem Verteidigen der Bevölkerung – alle Arten von Verbrechen existieren weiter, weil die Polizei verwickelt ist.“
« Brasilien, regierungskritische Friedensdemonstration der katholischen Kirche in Slumregion von Sao Paulo angesichts der Attentats-und Mordwelle in der Megacity: „Caminhada pela Paz na Região Brasilândia“ im November 2012, Tag des Formel-1-Rennens in Interlagos. Großaufgebot der Polizei für lukrativen Renn-Zirkus der Autoindustrie – daher keinerlei Polizeipatrouillen in Brasiliandia zum Schutz der Bevölkerung, laut Menschenrechtsaktivisten. Fotoserie. – Brasilien, neuer Regierungs-Korruptionsskandal: Medien fragen, warum Präsidentin Dilma Rousseff die hochrangige Regierungsfunktionärin Rosemary Noronha, mit engen Beziehungen zu Lula und José Dirceu, zwei Jahre lang im Amt ließ, ebenso wie deren Komplizen. „Nationalsport Korruption.“ »
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