Wie aus jüngsten Umfragen des Schulministeriums weiter hervorgeht, ist die Dunkelziffer viel höher, da lediglich Lehrer für die 5. bis 9. Klassen der Mittelschulen befragt worden waren. Zur Unterrichtskultur selbst in Rio de Janeiro zählt den Angaben zufolge, daß Schüler von höheren Treppenstufen aus Lehrer mit Urin überschütten. Die Zahl von Lehrern, die wegen Depression und Paniksyndromen ihren Beruf aufgeben müssen, steigt danach zusehends.
Laut Schätzungen der Lehrergewerkschaft des Teilstaats Sao Paulo nehmen gewalttätige Angriffe von Schülern auf Lehrer jedes Halbjahr um etwa 20 Prozent zu. Auch an Schulen mitteleuropäischer Länder sind inzwischen derartige Entwicklungen festzustellen. Die Attacken machistischer Schüler richten sich gewöhnlich gegen Lehrerinnen.
Kulturministerium und „soft power“: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/02/25/brasilien-kulturministerin-marta-suplicy-und-die-brasilianische-soft-power-imageverbesserung-und-fusball-wm-olympia/
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/30/gewalt-an-den-schulen-brasiliens/
Bullying in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/08/28/bullying-protest-in-sao-paulo-gegen-in-brasilien-weitverbreitete-praxis/
Schüler in Vorzeige-Schule Sao Paulos beim Absingen der Nationalhymne während des Pflicht-Fahnenappells.
Hintergrund von 2002: Schießereien, Drogen,
Waffen
Das Erfurter Schulmassaker war den brasilianischen Medien nur eine kleine Notiz wert – schließlich ist in dem Tropenland der Schulalltag seit Jahrzehnten von extremer Gewalt geprägt. Neueste Studien, darunter von der Unesco, belegen, daß dadurch die Schüler-und Lehrerleistungen dramatisch absinken. Allein in der Zehn-Millionen-Stadt Rio de Janeiro haben danach weit über die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, aber auch der Lehrkräfte direkt miterlebt, wie auf dem Schulgelände Feuerwaffen zum Einsatz kamen, sogar Schießereien ausbrachen. Immer wieder werden Lehrer, und sogar Direktoren ermordet, erzwingen Schüler mit vorgehaltenem Revolver bessere Noten oder die Versetzung. An immerhin über zehn Prozent der städtischen Schulen Brasiliens ist es normal, daß Schüler eine Feuerwaffe unterm Hemd, im Ranzen oder Rucksack dabeihaben. Siebzig Prozent derer, die illegal einen Revolver besitzen, nahmen ihn bereits mit zum Unterricht. Millionen von brasilianischen Jugendlichen besitzen Waffen – ein Großteil produziert in der Ersten Welt, in Europa, überall in Brasilien auf dem Schwarzmarkt leicht zu erwerben. Fünfundfünfzig Prozent der Schüler, so die Unesco-Studie, wissen, wo man nahe der Schule illegal Waffen kaufen kann. Ein Lehrer in Sao Paulo, drittgrößte Stadt der Welt:“Es gibt Schüler, die verkaufen schon morgens um acht Crack auf dem Schulhof – wer seine Schulden nicht bezahlt, kann von ihnen gleich dort erschossen werden.“
Brasilianische Medienfotos zur Gewaltkultur: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/
“Köpfe rollten in Del Castilho”(Stadtteil von Rio de Janeiro) http://www.hart-brasilientexte.de/2009/03/09/todesschwadron-im-teilstaat-sao-paulo-schlug-opfern-die-kopfe-ab-14-verdachtige-militarpolizisten-in-haft/
Während des Besuchs von Yoani Sanchez in Brasilien spielten derartige Menschenrechtsverletzungen keinerlei Rolle: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/02/25/brasilien-bloggerszene-macht-sich-uber-kuba-bloggerin-yoani-sanchez-lustig-wegen-ihres-treffens-mit-dem-diktatur-und-folterbefurworter-jair-bolsonari-wortspiele-yonaro-ou-bolsoani/
Pisa-Studie und Gewalt -
Entsprechend gespannt ist das Klima an den Schulen, betont die Unesco-Expertin Mirian Abramovay:“Die Lehrer haben sehr viel Angst, das Verhältnis zu den Schülern ist von Mißtrauen geprägt, niemand vertraut in niemanden.“ In Sao Paulo wurde bereits über die Hälfte der Lehrer gewaltsam attackiert. Resultat: Angeschossen, oder auf anderere Weise verletzt, fehlen sie häufig, wechseln konstant die Schule, und fallen entsprechend viele Stunden aus. Eine hohe Motivation und Leistungsbereitschaft ist von den Lehrern, zudem extrem schlecht bezahlt, daher schwerlich zu erwarten. Gleiches gilt, wie die Unesco konstatierte, für die Schüler. Etwa die Hälfte hat gravierende Lernprobleme, kann sich nicht konzentrieren, ist hochnervös, fühlt sich in der Schule ständig unsicher, bedroht, bleibt dem Unterricht deshalb häufig fern. Ein Großteil bleibt bis zu viermal sitzen, kommt bestenfalls bis zur vierten, fünften Klasse. Bei der jüngsten Pisa-Studie war Brasilien das Schlußlicht – für die Fachleute vor allem Ergebnis des gewaltgeprägten Schulalltags. Daß soviel geschossen, aber auch so oft zum Messer gegriffen wird, liegt zudem am hohen, gewaltstimulierenden Drogenkonsum – immerhin an mindestens einem Drittel aller öffentlichen Schulen. An über zwanzig Prozent sind Rauschgifthändler aktiv.
Schulen im Kugelhagel
Hinzu kommt das mehr als komplizierte Umfeld – fast täglich sind brasilianische Schulen im Kugelhagel rivalisierender Banditenmilizen, dringen Kindersoldaten des organisierten Verbrechens, bewaffnet mit Nato-Mpis, in die Schulgebäude ein – etwa um eine bessere Schußposition zu haben. Gerade in diesen Tagen wieder Normalität in der einstigen Traumstadt am Zuckerhut. Gab es in den Slums die ganze Nacht über Feuergefechte, flogen sogar Granaten, ist mit den Schülern tags darauf nichts anzufangen, klagen die Lehrer – denn alle sind total übermüdet, machten kein Auge zu.
Vergewaltigungen in Rio de Janeiro – Zunahme um 23,8 Prozent von 2011 bis 2012, laut amtlichen Statistiken.
« Brasilien: Wachstumsbranche der harten Drogen und die Resultate: Mehr als doppelt soviele Brasilianer durch Drogen wie Crack und Kokain arbeitsunfähig als durch Alkohol, laut Landesmedien. – Brasilien-Filmkunst: Berlinale-Gewinner „Tropa de Elite 1″ und Nachfolger „Tropa de Elite 2″ sind die Hits im brasilianischen Pay-TV. Ungeschminkte Landesrealität in der größten Demokratie Lateinamerikas. »
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