Am fünften Protesttag von Sao Paulo laut Landesmedien bisher mindestens 65000 Teilnehmer.
„Insatisfacao generalizada no Brasil“. TV Globo
In Brasilia besetzen die Demonstranten ein Dach des Kongreßgebäudes, neben dem Präsidentenpalast. Spruchbänder: „Ein Gigant erwacht.“ „Das ist nur der Anfang“.
Lula 2012 in Berlin – aus bekannten Gründen natürlich keine kritischen Fragen: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/12/08/brasiliens-ex-prasident-lula-in-berlin-2012-brasilianer-in-berlin-weisen-auf-fehlende-kritische-fragen-an-lula-ua-angesichts-der-verurteilung-von-engen-lula-mitarbeiternmensalao-skandalheikle/
Straßenproteste in Sao Paulo während Gauck-Besuch – haben sie was in ihrem Blatt gelesen, im TV gesehen?
Ausriß. Brasiliens größte Qualitätszeitung “Folha de Sao Paulo” berichtet in großer Aufmachung. Straßenproteste während Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck in Sao Paulo. http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/15/brasilien-heftige-proteste-gegen-todesschwadronen-sao-paulos-wahrend-besuch-von-deutschem-bundesprasidenten-joachim-gauck-rund-500-menschenrechtsaktivisten-sturmen-sicherheitsbehorde-in-der-city-v/
Katholische Kirche zu Lula und Dilma Rousseff: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/07/27/brasiliens-katholische-kirche-lula-arbeiterpastoralfuhrer-waldemar-rossi-amazonasbischof-erwin-krautler/
“Nach der Militärdiktatur wurde die Politik des gesellschaftlichen Ausschlusses fortgesetzt – was stets mit der Absenkung des Bildungsniveaus beginnt. Heute wird eine halbalphabetisierte Jugend fabriziert, die sich den Interessen des Systems unterwirft. Lula und Rousseff müßten, könnten dies zum Besseren verändern – doch Lulas Absicht war, um jeden Preis an die Macht zu kommen, keinen gesellschaftlichen Wandel im Lande zu fördern. Dilma Rousseff verfolgt unglücklicherweise die selbe Linie. Überall im Staatsapparat sehen wir Korruption, Brasilien ist kulturell zurückgeblieben. Die Lage ist gravierend. Rousseff hat Schuld an dem Megaskandal um Cachoeira. Die großen Unternehmen, ob Banken, Baufirmen oder Großgrundbesitzer, investierten massiv in Rousseffs Präsidentschaftswahlkampagne – über 100 Millionen Real – betrachteten dies als Investition, verlangen jetzt von Rousseff Gegenleistungen. Sie unterwirft sich diesen Interessen.”
Bislang in Mitteleuropa gewöhnlich ignorierte landesweite Protestaktion der katholischen Kirche, die sich auch gegen Steuermittelverschwendung für internationale Sportevents richtete:
Landesweiter “Aufschrei der Ausgeschlossenen”, von der katholischen Kirche organisiert – gewöhnlich von “Leitmedien” Mitteleuropas komplett ignoriert.
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
Foto Roberto Stuckert/Regierung. Bundespräsident Gauck und Sao Paulos Bürgermeister Haddad, der die Fahrpreiserhöhungen genehmigte, was das Faß zum Überlaufen brachte…
Kontrolle von Protestpotential durch organisiertes Verbrechen der Slums:
Tags: Banditendiktatur, Brasilien, José Murilo de Carvalho, Lula, Menschenrechte, organisiertes Verbrechen und hohe Politik, Systemstabilisierung
Brasilianische Sozialwissenschaftler analysieren die bürgerliche Demokratie des Tropenlandes und spezielle Menschenrechtsverletzungen.
Die rasch wachsenden Slums der brasilianischen Millionenstädte sind nach Darstellung von Sozialwissenschaftlern und Sicherheitsexperten regelrechte Parallel-Staaten, No-Go-Areas, in denen hochbewaffnete Banditenkommandos des organisierten Verbrechens neofeudal die Normen bestimmen, die Bevölkerung terrorisieren. Dies habe verheerende Auswirkungen auf die Sozialbeziehungen der Slumbewohner und paralysiere Protestpotential. In den Diktaturjahrzehnten habe das Militär die Ghettos “niedergehalten “ – heute habe das organisierte Verbrechen diese Rolle übernommen. Immer wieder wird daher die Frage gestellt, wem derartige Slumstrukturen am meisten nützen.
Brasiliens wichtigster Befreiungstheologe Frei Betto über die Präsenz hochbewaffneter Banditen in Slums von Sao Paulo:
“Ao percorrer a favela, por becos e vielas, avistei a barreira humana formada pelo pessoal do narcotráfico, que em plena tarde de uma sexta-feira exibia armas.” (2012)
„Die Tyrannei des organisierten Verbrechens verhindert jegliche demokratische Partizipation der Slumbewohner, das Protestpotential der Armenviertel wird von den lokalen Despoten völlig erstickt”, analysiert Luiz Eduardo Soares, einer der renommiertesten brasilianischen Sozialwissenschaftler, der das Bestseller-Buch zum sozialkritischen Berlinale-Film „Tropa de Elite” mitverfaßt hatte, im Website-Exklusivinterview.
„Das Interessante ist: Beim Übergang von der Militärdiktatur zur Demokratie am Anfang der achtziger Jahre wurden in den Slums geradezu massenhaft Verbände, Organisationen, Bürgerrechtsgruppen gebildet, erlebten die Sozialbewegungen einen enormen Aufschwung. Doch dann haben die schwerbewaffneten Verbrecherkommandos dies alles wieder zunichte gemacht. Sie kontrollieren ihre Territorien mit brutaler Gewalt – und in Politik und Wirtschaft kann es durchaus Leute geben, die das begrüßen. Solche Zustände gelten für Rio de Janeiro und alle anderen brasilianischen Städte – überall wird eine Selbstorganisation der Armen und Verelendeten blockiert.”
Die nordöstliche Küstenstadt Fortaleza hat annähernd so viele Einwohner wie Berlin und belegt ebenfalls die These von Sozialwissenschaftler Soares. In den riesigen Slums der Peripherie haben die Bewohner geradezu panische Angst vor Greueltaten, Gewaltexzessen marodierender Banditenkommandos. Allein an den Weihnachtsfeiertagen von 2007 wurden mehr als einhundert Menschen ermordet, waren selbst Heiligabend überall Schüsse zu hören. Die meisten Geschäfte sind sogar tagsüber, während der Öffnungszeiten, mit Stahlgittern verriegelt. Abends und nachts sind die meisten Straßen und Gassen der dichtbesiedelten Peripherie wie ausgestorben, haben sich viele Menschen in ihren Katen hinter Gitterstäben und dem überall frei verkauften NATO-Stacheldraht verbarrikadiert. Gesellschaftliche Apathie, Mißtrauen und Entsolidarisierung sind in diesen No-Go-Areas deutlich zu spüren. ”Das ist eine biblische Plage “ solche Gewalt wird bereits in der Heiligen Schrift beschrieben”, betont Ricardo Mendes, Pastor einer der vielen Sekten in den Slums von Fortaleza. „Hinter dieser Gewalt steckt der Satan – ohne das Evangelium hätten wir hier die pure Barbarei.”
Die Anthropologin Alba Zaluar, eine der führenden Gewalt-Forscherinnen Brasiliens, argumentiert indessen ähnlich wie der Soziologe Soares: ”Die Slum-Assoziationen waren selbst in der Diktaturzeit sozusagen die Seele der Ghettos, hatten eine enorme Bedeutung für das kulturelle, soziale Leben, für den Karneval und selbst für den Fußball. Doch dann intervenierten die Verbrecherorganisationen und haben diese Strukturen zerschlagen. Heute können die Slumbewohner nicht mehr gegen die Verletzung ihrer Bürgerrechte protestieren – denn sie leben in einer brutalen Diktatur. Die Slums sind heute voller psychisch gestörter Menschen – dort herrschen soziales Chaos und Verwahrlosung.”
José Murilo de Carvalho, Mitglied der brasilianischen Dichterakademie und Lehrstuhlinhaber für Geschichte an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro, schlußfolgert, daß diese bedrückende Lage indessen systemstabilisierend wirkt. ”Die Existenz des organisierten Verbrechens in den Slums blockiert die Politisierung der Bewohner, hält sie ruhig, verhindert eine Rebellion, Protestaktionen jeder Art. Die Gangsterkommandos dienen damit der Aufrechterhaltung von politischer Stabilität im Lande – und das ist den Autoritäten sehr recht, ist gut für sie. Natürlich würden sie das nie eingestehen. Ohne Zweifel gehört zum strategischen Kalkül auch der jetzigen Regierung, daß es wegen der so hilfreichen Gangsterkommandos keine soziale Explosion geben wird – und das ist natürlich reiner Zynismus. Wir haben soviele Gewalttote wie in Bürgerkriegen.” Falls die Lage in den Slums doch einmal außer Kontrolle gerät, setzt der Staat die Armee oder Sondereinheiten der Polizei in Marsch. Nicht zufällig ist der Spielfilm „Tropa de Elite” der erfolgreichste und meistdiskutierte Streifen der letzten Jahre.
Angeblich „konsumfreudige“ Brasilianer: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/07/wie-brasilianer-konsumieren-die-kaufkraft-im-tropenland-unter-lula-rousseff/
« Brasilien: Proteste gegen Verschwendung von Steuergeldern – angesichts von Massenelend, zahlreichen sozialen Mißständen – für internationale Sportevents wie Confed-Cup, Fußball-WM und Olympia bereits in der Bewerbungsphase – mitteleuropäische Leitmedien können Faktenlage nicht länger verschweigen, müssen über Protestaktionen berichten. – Brasilien-Proteste während Confederations Cup: „Allgemeine Unzufriedenheit in Brasilien.“ TV Globo. „Regierung verstört.“ „Junge Menschen des Landes sehen sich durch Politik, Politiker, Parteien von heute nicht vertreten.“ „Protestos em todo o Brasil.“ “Südamerikas Vorzeigestaat” – Der Spiegel 2012. Deutschlandjahr in Brasilien, Frankfurter Buchmesse 2013 – Gastland Brasilien… »
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