Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasiliens Wahrheitskommission über Diktaturverbrechen, überraschende Erkenntnisse: Militärangehörige, vor allem Offiziere, die den Putsch von 1964 ablehnten, waren die am meisten von Ermordung, Verfolgung, Folter, Haft und Entlassung betroffene Bevölkerungsgruppe.

Wie die Wahrheitskommission im Nationalkongreß mitteilte, seien bisher die Fälle von 7500 Militärs ermittelt worden. Im Wirtschaftszentrum Sao Paulo habe es großangelegte finanzielle Hilfe der Unternehmerschaft, doch auch der Zivilgesellschaft, für einen Sturz des damaligen Staatspräsidenten Joao Goulart gegeben. Mit der Ermordung des bekannten jüdischen Journalisten und Fernsehdirektors Vladimir Herzog 1975 hätten Gruppierungen innerhalb der Putschmilitärs erreichen wollen, ein noch stärkeres und gewalttätigeres Regime zu installieren als das vom damaligen Generalspräsidenten Ernesto Geisel. 

Die Wahrheitskommission steht wegen ihrer heiklen, vielen politischen Interessen zuwiderlaufenden Mission unter starkem öffentlichen Druck – ist stark darauf bedacht, jegliche politische Vereinnahmung von dieser oder jener Seite zu vermeiden, strikteste Neutralität zu wahren.

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/26/brasiliens-militardiktatur-der-atomvertrag-mit-bonn-von-1975-brasilianische-organisationen-mobilisieren-gegen-verlangerung-2014-willy-brandt-helmut-schmidt-hans-dietrich-genscher-und-die-bilater/

Große Sozialdemokraten und ihre besonderen Beziehungen zu Brasilien – Willy Brandt und Helmut Schmidt: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/16/helmut-schmidt-und-lula-lulas-sonderbeziehungen-zu-deutschland/

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Diktator  General Ernesto Geisel(Operation Condor), deutschstämmig, in dessen Amtszeit der jüdische Journalist Herzog gefoltert und ermordet wurde –  und Willy Brandt, Ausriß. 

Der Juso-Bundesvorstand erklärt 1978:”Es ist geradezu eine abenteuerliche Politik, einer Diktatur, die zur Nutzung ihrer machtpolitischen Interessen noch nie Skrupel bei der Auslöschung von Menschenleben gezeigt hat, die radikalsten Vernichtungsmöglichkeiten in die Hand zu geben.Die Anwesenheit des Diktators Geisel in der BRD ist eine Provokation für alle Demokraten.” Der damalige Juso-Vorsitzende heißt Gerhard Schröder.

Bei Demos in Köln und Düsseldorf, gegen die Polizeieinheiten des damaligen SPD-Ministerpräsidenten Kühn mit aller Härte vorgehen, werden Parolen wie”Völkermorde und KZ findet der Herr Geisel nett” oder „Kein Atomgeschäft mit Folterern” gerufen.

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/19/brasiliens-folter-diktatur1964-1985-mit-wem-bundesausenminister-willy-brandt-damals-bilaterale-vertrage-unterzeichnet-das-massaker-an-stahlarbeitern-unter-gouverneur-jose-magalhaes-pinto/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/26/brasiliens-nazistisch-antisemitisch-orientierte-militardiktatur-historisches-archiv-von-sao-paulo-sucht-nach-geheim-verscharrten-regimegegnern-wahrheitskommission-uber-diktaturverbrechen-vermutet-l/

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Die Amtszeit von Diktator Ernesto Geisel: Das offizielle Foto vom angeblichen Selbstmord des jüdischen Journalisten und Fernsehdirektors von TV Cultura, Vladimir Herzog 1975 in einer Zelle der politischen Polizei Sao Paulos – in Wahrheit wurde er totgefoltert.  Bundesrichter Marcio José de Morais annullierte 1979 das offizielle Dokument der Diktatur über die Todesursache, gab indessen Zeugen recht, denen zufolge Herzog gefoltert worden war, machte den Staat für den Tod des Juden verantwortlich. Unterdessen wurde ermittelt, daß unter Geisel gefolterte Regimegegner auch durch Giftspritzen umgebracht wurden, das Militär zahlreiche Oppositionelle außergerichtlich exekutierte.

Herzog war 1937 in Kroatien geboren worden, floh im zweiten Weltkrieg mit den Eltern Zigmund und Zora Herzog wegen der Besetzung durch die Nazis über Italien nach Brasilien.

 http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/14/brasilien-bau-des-judischen-museums-in-sao-paulo-deutsche-regierung-beteiligt-sich-mit-rund-300000-euro-prasident-des-museums-dr-sergio-simon-und-der-deutsche-generalkonsul-friedrich-dauble-unte/

Der Fernsehdirektor und Journalist war vom Militärregime nicht festgenommen oder verhaftet, sondern  für den 25.  Oktober 1975 zwecks Erteilung von Auskünften zum Sitz der politischen Polizei bestellt worden – das macht vorstellbar, wie die Diktatur mit nicht bekannten Oppositionellen, mutmaßlichen Oppositionellen etwa der Unterschicht, in den Slums umging, Aktionsfeld der Todesschwadronen des Regimes. 

„Du hättest alle Juden töten sollen“:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/03/21/brasiliens-nazistisch-antisemitische-militardiktatur-hohe-militars-zu-herbert-cukurs-massenmorder-von-rigadu-hast-einen-einzigen-fehler-begangen-du-hattest-alle-juden-toten-sollen-hintergrun/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/22/mehr-demokratie-wagen-willy-brandt-1969-jahr-in-dem-er-in-bonn-vertrage-mit-der-brasilianischen-folterdiktatur-unterzeichnete/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/14/parabens-dom-paulo-evaristo-arns-der-deutschstammige-kardinal-sao-paulos-ist-90-hochengagiert-im-kampf-gegen-das-militarregime-der-foltergenerale1964-1985-wer-mit-den-diktatoren-eng-kooperierte/

Vergessen und verdrängen – Brasiliens problematische Erinnerungskultur. „Memorial da Resistencia“(2009)

Nicht wenige Brasilianer tragen den amtlichen Vornamen Hitler, Diktaturaktivisten und sadistische Folterknechte der nazistisch inspirierten Militärdiktatur gehören zur derzeitigen Regierungsallianz von Staatschef Lula, ohne daß dies eine kritische öffentliche Diskussion auslöst. Nur eine geringe Zahl von Intellektuellen, Juristen und Diktaturgegnern nennt Brasiliens unterentwickelte Erinnerungskultur verhängnisvoll für die Demokratie.

1985 endet nach 21 Jahren Brasiliens Militärdiktatur, doch erst jetzt, 2009, gelingt es politischen Gefangenen von einst nach langem Kampf, daß in Sao Paulos früherem Folterzentrum, einem  fünfstöckigen Gebäude, wenigstens vier Häftlingszellen in ein „Memorial des Widerstands“  verwandelt werden. Bei der Einweihung erinnert sich Francisca Soares in einer der Zellen an den Horror von damals, die erlittenen Torturen.

„Ja, ich wurde gefoltert – zu uns wurden sogar Verwundete, Angeschossene reingeworfen, die schleifte man über die Korridore.“

Francisca Soares erinnert sich gut an den damaligen Chef des Folterzentrums, an Romeu Tuma. Heute ist er Kongreßsenator einer Rechtspartei, nennt sich einen Freund von Staatschef Lula, dem früheren Gewerkschaftsführer, trifft ihn öfters im Präsidentenpalast von Brasilia.

“Wir sind darüber empört und traurig– es ist sehr eigenartig, daß sich unsere linken Politiker so gut mit Romeu Tuma verstehen. Aber man kann nichts dagegen machen – so ist nun einmal Demokratie. Und da muß man eben ertragen, daß Romeu Tuma und andere solcher Figuren immer wiedergewählt werden.“

Elektroschocks, Kopf in den Wassereimer, Aufhängen an den Füßen –  Francisco Prado erlitt sieben Jahre lang so ziemlich alle gängigen Foltermethoden, erinnert sich ebenfalls gut an Romeu Tuma.

“Tuma war ein sadistischer Folterer. Am Diktaturende säuberte er hier die Archive, nahm die Hälfte der Dokumente mit. Wir wissen, wo sie sind, aber man kommt nicht ran. Als Lula zum Staatschef gewählt wurde, dachten wir, er öffnet die Geheimarchive der Diktaturzeit – doch er tut es eben nicht. Heute werden auf allen Polizeiwachen Brasiliens die Festgenommenen, die Häftlinge gefoltert.“

Alle früheren Widerstandskämpfer entsetzt, daß Romeu Tumas damaliger Parteichef der Regimepartei ARENA, José Sarney,  mit Unterstützung Lulas jetzt zum Präsidenten des Nationalkongresses gewählt wurde. Marcelo Araujo, Leiter des Widerstandsmemorials, vereinbarte daher mit Jana Binder vom Goetheinstitut Sao Paulo eine Serie von Veranstaltungen über die so grundsätzlich verschiedene Erinnerungskultur beider Länder.

Jana Binder: “Marcelo Araujo kaum auf uns zu, sagte, daß Deutschland ja eine sehr, sehr starke Tradition hat, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen, was ja in Brasilien ganz anders ist. Die Eröffnung von diesem Memorial, dieser Erinnerungsstätte ist ja für die Brasilianer was relativ Neues. Wir müssen quasi erinnern, nur wenn sich alle daran erinnern, wird es nicht noch einmal passieren – das ist ja der deutsche Zugang zu dem Thema. Und in Brasilien ist ja eher, wir vergessen das, wir lassen das Alte hinter uns, wir fangen neu an und gucken garnicht zurück.“

Daß ausgerechnet jemand wie Romeu Tuma heute ein hoher, einflußreicher Politiker ist, nennt Jana Binder daher aus deutscher Sicht eine „total verrückte Situation“.

Brasiliens deutschstämmiger Bundes-Staatsanwalt Marlon Weichert aus Sao Paulo klagte in Washington vor der Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten seine eigene Regierung an, Diktaturverbrecher unter Berufung auf ein Amnestiegesetz nicht zu bestrafen – und damit gegen internationale Menschenrechtsabkommen zu verstoßen. Straffreiheit für Diktaturverbrecher sporne die Folterer von heute regelrecht an:

Marlon Weichert: „Viele wollen über ihre Mitwirkung bei Diktaturverbrechen nicht aussagen – denn käme die Wahrheit heraus, müßten Biographien völlig umgeschrieben werden. Doch es gibt eben die Überzeugung, daß man die Wahrheit vertuschen müsse, daß es vorteilhafter sei, über all diese Probleme nicht zu reden. Das ist eine Frage der Werte und der Kultur.“

In der Diktaturzeit hatte der heutige Staatschef Lula 1979 in einem Interview auch seine Sicht zu Adolf Hitler klargestellt: „Hitler irrte zwar, hatte aber etwas, das ich an einem Manne bewundere – dieses Feuer, sich einzubringen, um etwas zu erreichen. Was ich bewundere, ist die Veranlagung, die Bereitschaft, die Kraft, die Hingabe.“

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/08/brasilien-kultur-und-gesellschaft-sammelbandtexte/

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 27. November 2013 um 14:47 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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