Millionärsparlament, Einkommen, Verelendung 2014: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/10/07/brasilienwahlen-2014-lula-einkommen-millionarsparlament-und-wachsende-extreme-armut/
Laut Wahlexperten handelt es sich beim neugewählten Nationalkongreß um den konservativsten seit dem Militärputsch von 1964. Allein die evangelikalen Sekten schicken mindestens 40 Bischöfe und Pastoren ins Abgeordnetenhaus von Brasilia.
“E que gatinha, olha so! Meu Deus do ceu! Ai meu coracao!”
Der populäre TV-Moderator des Sektensenders Record(Besitzer ist Bischof Edir Macedo, Chef der Universalkirche vom Reich Gottes), gehörte noch unlängst zur Partei PP von Diktaturaktivist Paulo Maluf.
Kontinuität im Nationalkongreß:
Brasiliens Kongreßsenat – PSDB nach wie vor zehn Sitze, weiter drittstärkste Fraktion – PMDB führend, gefolgt von PT.
Abgeordnetenhaus(513 Sitze): PT verliert Sitze, mit 70 aber weiter stärkste Fraktion, gefolgt von PMDB mit 66 – drittstärkste PSDB gewinnt nur einen Sitz hinzu, kommt auf 54.
Wie stark Lulas Arbeiterpartei in Brasilien tatsächlich ist, zeigt die Sitzverteilung in Senat und Abgeordnetenhaus sehr anschaulich – nicht anders sieht es in den Teilstaatsparlamenten aus. Staatschefin Dilma Rousseff stützt sich derzeit notgedrungen auf ein Bündnis von 14 Parteien, zu denen auch Rechtsextremisten gehören.
Im wirtschaftlich führenden Teilstaat Sao Paulo, „Wiege der Arbeiterpartei“, erhielt Dilma Rousseff nur 26 % der Stimmen, Aecio Neves indessen 44 %.
Großer Schwachpunkt des Rousseff-Herausforderers Aecio Neves(Rechtspartei PSDB) – in seinem eigenen Teilstaat Minas Gerais, den er als Gouverneur führte, verlor PSDB-Kandidat Pimenta da Veiga deutlich, gewann der Kandidat aus Rousseffs Arbeiterpartei, Fernando Pimentel die Gouverneurswahl 2014. Vorhersehbar wird Staatschefin Rousseff dies in der Kampagne für die Stichwahl als wichtigen, bezeichnenden Fakt herausstellen. Minas Gerais ist nach Sao Paulo der Teilstaat mit der zweitgrößten Wählerschaft des Landes.
Brasilien-Daten: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
Sitzverteilung künftig im Abgeordnetenhaus von Brasilia, laut Landesmedien:
PT – 70 deputados
PMDB – 66 deputados
PSDB – 54 deputados
PSD – 37 deputados
PP – 36 deputados
PR – 34 deputados
PSB – 34 deputados
PTB – 25 deputados
DEM – 22 deputados
PRB - 21 deputados
PDT – 19 deputados
SD – 15 deputados
PSC – 12 deputados
PROS – 11 deputados
PC do B – 10 deputados
PPS – 10 deputados
PV – 8 deputados
PHS – 5 deputados
PSOL – 5 deputados
PTN – 4 deputados
PMN – 3 deputados
PRP – 3 deputados
PEN – 2 deputados
PSDC – 2 deputados
PTC - 2 deputados
PRTB – 1 deputados
PSL – 1 deputados
PT do B – 1 deputados
Sekten und Politik in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/09/26/brasilien-oktoberwahlen-2014-schriftsteller-bernardo-carvalho-zu-sektenpredigerin-und-prasidentschaftskandidatin-marina-silva-%E2%80%9Eein-grosteil-unserer-jugend-identifiziert-sich-ausgerechnet/
Musikclown Tiririca – zweithöchstes Votum landesweit: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/27/dilma-rousseff-regiert-mit-musikclown-tiririca-kongresabgeordneter-des-regierungsbundnisses-mit-rekord-wahlergebnis/
Wahlen – und politische Gefangene der WM 2014: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/10/04/brasilien-die-politischen-gefangenen-der-geldfusball-wm-2014-kein-thema-der-armseligen-kandidatendebatten-vor-der-prasidentschaftswahl-nationale-menschenrechtsbewegung-und-qualitatsmedien-reflekti/
Lula – politische Einordnung: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/02/12/brasilien-die-folterdiktatur-lula-und-die-arbeiterpartei-pt-rufmord-ein-kapitalverbrechen-buch557-seiten-mit-schweren-vorwurfen-gegen-lula-macht-schlagzeilen/
Brasiliens vielgelobte “Demokratie” – “Oligarchisches Regime”: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/22/fabio-konder-comparato-wir-hatten-bis-heute-nie-demokratie-wir-leben-immer-unter-einem-oligarchischen-regime-menschenrechtsaktivist-rechtsprofessor-an-brasiliens-fuhrender-bundesuniversitat-us/
PSDB-Schlüsselfigur Fernando Henrique Cardoso, Ehrendoktor der Freien Universität Berlin:
Hintergrund(aus telegraph, 2000)
telegraph #102/103
MARKT UND MORAL
Nett zum Massaker-Demokraten
Klaus Hart
Auch Rot-Grün hofiert – wie zuvor Kohl – Brasiliens Mitte-Rechts-Staatschef Cardoso. Ist er in Berlin bei Schröder, Fischer, Trittin & Co., unterbleibt Kritik an dessen Verantwortung für Todesschwadrone, Blutbäder an Landlosen, Massenfolterungen sowie Amazonasvernichtung komplett.
Sozialdemokrat Schröder wählte unter den Staatschefs dieser Erde den brasilianischen Präsidenten und „Social-Democrata“ Fernando Henrique Cardoso aus, um mit ihm in Hannover die EXPO zu eröffnen, ihn auf dem festlichen Bankett als einzigen ausländischen Ehrengast eine Rede halten zu lassen. Eine interessante Entscheidung – Cardoso, hieß es offiziell, repräsentiere durch seine Biographie, sein Land, seine Regierung die Hauptthemen der EXPO – Mensch, Natur und Technik. Er sei jene Persönlichkeit mit den besten Voraussetzungen, Lösungsvorschläge für die Probleme des nächsten Jahrhunderts zu machen. Tags darauf war Cardoso in Berlin einer von – laut Eigendarstellung der Teilnehmer – „fünfzehn fortschrittlichen“ Staatschefs, darunter auch Clinton und Blair, die im Kanzleramt auf der Konferenz „Modernes Regieren im 21.Jahrhundert“ ein gewichtiges Wort mitredeten. Präsident Cardoso kann den politischen Eliten der Ersten Welt in der Tat nützliche Ratschläge geben, wie man neoliberale Konzepte brutal durchsetzt und dennoch recht problemlos an der Macht bleibt. Kam der Großgrundbesitzer, Ex-Soziologe und FU-Berlin-Ehrendoktor zu Kanzler Kohl an den Rhein, schlugen ihm ebenfalls Freundlichkeiten und allergrößtes Lob für seine Wirtschaftspolitik entgegen. Brasilien ist schließlich Hauptempfänger deutschen Kapitals in der Dritten Welt, Deutschland zählt zu den vier wichtigsten Investoren in dem Tropenstaat, längst unter den zehn größten Wirtschaftsnationen der Erde. Sein Bruttosozialprodukt übertrifft das von Russland oder China – allein jenes von Rio de Janeiro das von ganz Chile, jenes von Sao Paulo das von ganz Argentinien.
Ebenso herzlich werden in Deutschland stets Cardosos Vize, der zwielichtige Diktaturaktivist Marco Maciel, und Kongresspräsident Antonio Carlos Magalhaes empfangen – niemand störte sich daran, dass beide die tonangebenden Leute in der Arena-Partei des Militärregimes waren und damals schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit deckten. Heute sind sie mit Cardoso politisch hauptverantwortlich für Massaker an Landlosen, die Verfolgung und Ermordung ihrer Führer. Todesschwadrone wüten schlimmer als zur Diktaturzeit. Vize Maciel ist bis heute Mitglied der archaischen Elite des von Massenarmut und mafiosen Strukturen gezeichneten, Rauschgift auch für Europa produzierenden, Nordost-Teilstaates Pernambuco. Maciel ließ sich in den Neunzigern mindestens einen Wahlkampf laut Experten nachweislich vom organisierten Verbrechen mitfinanzieren. Die deutschen Handelskammern in Rio und Sao Paulo, effiziente Polit-Instrukteure deutscher Auslandskorrespondenten, machen stets gute Vorarbeit – in den Medien erscheint keine Zeile über Maciels Vergangenheit, nur Lob und Hudel, Großfotos zeigen den Gast beim Händedruck mit Ex-Geheimdienstchef Klaus Kinkel.
Selbst im Menschenrechtsbericht des US-State Department für 1998 wird betont, dass Folter, außergerichtliche Exekutionen und Polizeigewalt unter Cardoso weiter zunahmen. Beamte der berüchtigten Militärpolizei betätigen sich laut Report, in der Freizeit als Berufskiller und Entführer.
Ungesühnte Massaker
Unvergessen ist, dass ein Internationales Tribunal, dem Persönlichkeiten der UNO und des Weltkirchenrates sowie Literaturnobelpreisträger Josè Saramago angehörten, Cardoso und dessen Mitte-Rechts-Regierung 1996 zu den Hauptverant-wortlichen zweier barbarischer Blutbäder an Landlosenfamilien erklärten: Im Amazonas-Teilstaat Parà befahl der Gouverneur Almir Gabriel, Intimus von Cardoso, mit dessen Wissen, den Militärpolizei-Einsatz von Eldorado de Carajas, bei dem laut offiziellen Angaben neunzehn, nach kirchlichen aber über dreißig Menschen getötet wurden. Ein anderes Massaker ereignete sich im Amazonas-Teilstaat Rondonia – beide Verbrechen sind weiterhin ungesühnt. Auch bei Massenvertreibungen ist Cardoso Spezialist: Seine neoliberale Politik, so der Landlosen-Führer Joao Pedro Stedile, zwang weit über 400 000 Kleinbauern und Landarbeiter, aus den Agrarregionen in die entsetzlichen Slums der Millionenstädte wie Sao Paulo und Rio de Janeiro zu migrieren. Das Drama der Indianerstämme ist hinreichend bekannt: Das offizielle Brasilien feierte im April mit viel Pomp in Bahia die „Entdeckung“ durch portugiesische Seefahrer und Eroberer vor fünfhundert Jahren – unweit der Tribüne Cardosos knüppelte die Militärpolizei demonstrierende Indianer und Menschenrechtsaktivisten äußerst brutal zusammen. Die nationale Bischofskonferenz schloss sich den Protesten an, verurteilte so heftig wie nie zuvor auch Cardosos Menschenrechtskurs.
Auch Grüne schweigen völlig
Wie zu Kohl-Zeiten bleibt der Berliner Ehrendoktor auch bei jüngsten Deutschland-Visiten völlig ungeschoren. Kurioserweise vermeiden die deutschen Journalisten jegliche kritische Anmerkung, während auf denselben Pressekonferenzen die mitgereisten brasilianischen Kollegen den hohen Staatsgast mit direkten Fragen zu Landlosen und Bischofskonferenz regelrecht in Rage bringen. Um so auffälliger das Schweigen der zuständigen deutschen Instanzen, darunter die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Roth und der grüne Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Gerd Poppe, die bei Cardoso-Visiten stets passiv blieben. Poppe äußert sich gerne weitschweifig zur Lage in China, beklagte auch schwere Menschenrechtsverletzungen an Kosovo-Albanern durch die Serben. So seien, laut Berichten von Vertriebenen, wehrlosen Albanern die Kehle durchgeschnitten, die Augen ausgestochen, Nasen, Finger und Hände abgehackt worden. Frauen habe man die Brüste abgeschnitten, es gebe Massaker und systematische Vergewaltigungen. Poppe wurde aktiv, ging an die Öffentlichkeit, ohne Beweise in den Händen zu haben. Anders verfährt er im Falle Brasiliens. Da gibt es zahllose Beweise und Fotos von weit schlimmeren Greueltaten, ohne dass die Bundesregierung bis heute reagiert. Poppe selbst hat sich bereits 1996 mit einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages in Brasilien kundig gemacht. Auf telegraph-Anfrage drückt sich die Delegation vor klaren Positionen zu den immer krasseren Menschenrechtsverletzungen: “Wir kommen nicht, um uns einzumischen, um zu kritisieren, sondern um die helfende Hand zu reichen. “Cardosos Mitte-Rechts-Regierung werden guter Wille und Fortschritte bei den Menschenrechten bescheinigt. Mit der Delegation sitzt Poppe in der Luxusresidenz des Generalkonsuls von Rio de Janeiro an festlich gedeckter Abendtafel, verliert kein Wort über Greuel, die sich seinerzeit nur ein, zwei Kilometer entfernt ereigneten: Menschen im Slum „Morro de Coroa“ lebendig verbrannt, zerstückelt wurden. Die Delegation lobt Cardosos Politik, während danach an der Tafel ein in Rio tätiger, belgischer Menschenrechtler über die von den Regierenden täglich verantworteten, zugelassenen, tolerierten Menschenrechtsverletzungen berichtet, über Terror und Korruption. Man hört nur höflich zu, schweigt aber zu allem, wie auch der Generalkonsul. Bundespräsident Roman Herzog hält es an gleicher Stelle bei einem offiziellen Besuch Brasiliens genauso, vermeidet jegliche Position zur Menschenrechtssituation. „Ich weiß, dass sie hier gewisse Probleme mit der Kriminalität haben“, ist sein einziger Kommentar zu folgendem: In den Slums der brasilianischen Großstädte haben die Gewaltexzesse gegen schutzlose Bewohner die letzten Jahre für Europäer nahezu unvorstellbare Ausmaße angenommen – täglich werden ungezählte Opfer gefoltert, verstümmelt, geköpft, in Stücke gehackt, angezündet. Zeitungen zeigen die Verbrechen in Großaufnahme, telegraph hat zahlreiche Fotos vorliegen. Täter sind vor allem Banditengangs und Todesschwadrone, doch auch die Polizei agiert brutal. Die Herrschaft des organisierten Verbrechens über die Slums, so betonen auch kirchliche Menschenrechtler, verhindert auf perfide Weise, dass deren Bewohner politisch für ihre Rechte kämpfen. Denn immer wieder werden engagierte Bürgerrechtler, die Slumassoziationen leiten und sich dem Normendiktat des, mit der Politik verzahnten, organisierten Verbrechens nicht beugen wollen, zur Einschüchterung ermordet. Ein katholischer Pfarrer sagte zum telegraph: “Die fortgesetzten Gefechte, Morde und anderen nahezu unbeschreiblichen Greueltaten, halten Kinder wie Alte in extremer Spannung und Angst – wer an den Hängen der Tijuca-Slums von Rio lebt, kann sich weder frei bewegen, noch frei sprechen. Um am Leben zu bleiben, müssen die Slumbewohner ihre wahre Meinung verstecken, den neofeudalen Banditenmilizen nach dem Munde reden. Niemand vertraut in den Staat – weil er die Rechte und Interessen der Slumbewohner nicht verteidigt, glauben diese, dass die Autoritäten mit den Verbrechersyndikaten auf irgendeine Weise liiert sind.“
Slumbewohner ohne Basis-Menschenrechte
Amnesty International betonte dazu, de facto befinde man sich in einigen Teilen Brasiliens noch im Mittelalter, Slumregionen Rios gehörten dazu. Die rund zwei Millionen Armen in den Favelas des, nach Sao Paulo, zweitwichtigsten wirtschaftlichen Ballungszentrums seien im Grunde Geiseln des organisierten Verbrechens und sämtlicher Basis-Menschenrechte beraubt. Für AI ist besonders schwerwiegend, dass die skandalöse Untätigkeit der Cardoso-Regierung vor allem in den unteren Bevölkerungsschichten das Gefühl des Ausgeliefertseins noch verstärke. Der Präsident habe im Ausland versichert, sich für die Menschenrechte der Unterprivilegierten einzusetzen – der Widerspruch zur tatsächlichen Lage sei eklatant. Anwalt James Cavallaro, Leiter des brasilianischen Human-Rights-Watch-Büros, sprach gegenüber der Zeitschrift ila wiederholt von „niederschmetternder Indifferenz“ der Cardoso-Regierung. Die Freiwilligenorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ agiert nicht nur in Afrika oder auf dem Balkan, sondern auch in Brasilien – ihr zufolge handelt es sich in Rio de Janeiro um „Guerra urbana“, Stadtkrieg.
Brasiliens Kindersoldaten
Yvonne Bezerra de Mello, eine der angesehensten Bürgerrechtlerinnen Brasiliens, prangert seit Jahren an, wie das organisierte Verbrechen mit Duldung der Politiker Straßenkinder rekrutiert, sie zu Kindersoldaten macht, die auch deutsche G-3 oder schweizerische Sig-Sauer-Sturmgewehre benutzen. Wer nicht mehr mitzieht, wird kurzerhand eliminiert, die Leichen lässt man meist verschwinden. In den Slums, so die, auch in Europa durch Buchveröffentlichungen bekannte, Expertin, gebe es Ställe mit Schweinen, die Überreste von Kindern auffräßen. Oder: “Ein Junge, oft nur dreizehn Jahre oder jünger, muss dem an einen Baum gebundenen Opfer, mit einer Rasierklinge solange ins Fleisch schneiden, bis es stirbt – sogar das Herz wird herausgetrennt, alles zur Einschüchterung auch der Slumbewohner.“ Nicht nur im deutschen Außenministerium dürfte bekannt sein, wie Yvonne Bezerra de Mello auch die Waffenexportgesetze der Ersten Welt scharf kritisiert: “Wenn mir in Rio ein Schweizer etwas über Neutralität erzählt, lache ich laut auf – Sig-Sauer-Sturmgewehre werden von den Gangstern jetzt am meisten importiert.“ Der linke Abgeordnete Carlos Minc aus Rio de Janeiro, Träger des Umweltpreises der Vereinten Nationen, nimmt jenen den Wind aus den Segeln, die das Kriminalitätsproblem in Drittwelt-Metropolen wie Rio oder Sao Paulo immer vorschnell-oberflächlich auf Armut, Elend zurückführen. Minc argumentiert: “In Rio de Janeiro sind Straftäter und Autoritäten Komplizen, das organisierte Verbrechen, das Drogenkartell herrscht in den Slums, pflegt enge Beziehungen zur Geschäftswelt, zur Stadtregierung, zu Polizei und Justiz, die daher Straffreiheit walten lassen, die Gesetze nicht anwenden, die Menschrechte der Bewohner missachten. Es reicht nicht, nur gegen die Ermordung von Straßenkindern zu protestieren – es muss verhindert werden, dass diese Kinder und Jugendlichen weiterhin perverserweise vom organisierten Verbrechen ausgenutzt, gegen die wehrlosen Stadtbewohner eingesetzt werden.“ Minc erinnert an die Ermordung von achtundvierzig Bürgerrechtlern, die zum Terror des Drogenkartells nicht schwiegen: “Die physische Eliminierung, wie seinerzeit durch die faschistischen Brigaden Mussolinis, darf nicht hingenommen werden.“ In Rio de Janeiro – weit über zwölftausend Morde pro Jahr – wird nur in acht Prozent der Fälle überhaupt ermittelt. Auch der grausam gefolterte, frühere militante Diktaturgegner Reinaldo Guarany, der in Deutschland Exiljahre verbrachte, in Bochum Betriebswirtschaft studierte, spart nicht mit Kritik an Brasiliens „Zivildiktatur“. Gegenüber dem telegraph spricht er von einer „Komplizenschaft des Staates mit dem organisierten Verbrechen“. FU-Berlin-Ehrendoktor Cardoso hat die Existenz rechtsfreier, de facto staatlicher Oberhoheit entzogener Slumviertel Rio de Janeiros, offensichtlich akzeptiert – bezeichnenderweise sagt er einen angekündigten Besuch im Elendsviertel Vigario Geral, wo 1993 Militärpolizisten einundzwanzig völlig unschuldige Bewohner erschießen, kurzfristig ab. Der im Slum aufgewachsene Soziologe und Men-schenrechtsaktivist Caio Ferraz wird zu Cardosos Amtszeit von Polizei und organisiertem Verbrechen so massiv mit Ermordung bedroht, dass er in einer schwierigen Operation von Amnesty International außer Landes gebracht wird. Ferraz ist damit einer von jenen Menschenrechtlern, die ebenso wie verfolgte Homosexuelle, politisches Asyl in den USA, Kanada oder Australien erhielten – und das fünfzehn Jahre nach der Militärdiktatur.
Pinochet-Hofierer Cardoso
Wenn die rot-grüne Bundesregierung wegen solcher Zustände keinen Grund sah, Cardoso weniger freundlich zu behandeln, hätte natürlich dessen Position zum Fall Pinochet Anlässe geboten. Der chilenische Diktator beging Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht alleine, sondern hatte Kumpane und Helfershelfer auch in Ländern wie Argentinien und Brasilien, von der intensiven CIA-Kooperation ganz zu schweigen. Präsident Carlos Menem wetterte von Anfang an gegen die Verhaftung Pinochets, Schröders Staatsgast Cardoso verlangte ebenfalls die Freilassung. Der brasilianische Präsident ist gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er könnte die Öffnung der geheimen Militärarchive anweisen, in denen die Zusammenarbeit mit Pinochet und auch das Schicksal der Verschwundenen Brasiliens dokumentiert ist. Wie in Argentinien kollaborierten deutsche Multis – alleine in Sao Paulo gibt es über tausend deutsche Niederlassungen – eng mit dem Repressionsapparat der Diktatur, bespitzelten Arbeiter; in den Archiven dürften darüber Dokumente liegen. Doch Cardoso lässt die Finger davon, nimmt Rücksicht auf die Generalität, die nach wie vor den Militärputsch von 1964 würdigt und regelmäßig den hochverehrten Kollegen Pinochet einlud. Als Juso-Vorsitzender protestierte Gerhard Schröder 1978 vehement gegen den Deutschlandbesuch des berüchtigten brasilianischen Diktators Ernesto Geisel, der damals von Kanzler Helmut Schmidt, Willy Brandt und Leuten wie Filbinger empfangen wurde. In jenem Jahre wurden vom brasilianischen Militärregime Verbrechen wie im Chile Pinochets begangen, auf Protestdemonstrationen nannten die Jusos General Geisel einen skrupellosen Folterknecht und Mörder. Jetzt traf Gerhard Schröder als Bundeskanzler mit Cardoso jenen Mann, der Geisel zum Freund hatte, stets dessen „Leistungen für die Redemokratisierung“ lobte und auch noch eine achttägige Staatstrauer anwies, als er 1996 verstarb. Präsident Cardoso fördert geradezu Folterknechte von einst, in seiner „Sozialdemokratischen Partei“/PSDB wimmelt es von schwerbelasteten Diktaturaktivisten ebenso wie in der rechtsgerichteten Regierungspartei PPB. Dessen Flügelmann Jair Bolsonaro, ein Offizier der Militärpolizei, rechtfertigt ungestraft Massaker an Landlosen und Gefangenen: “Ich hätte ebenfalls geschossen“, betont Bolsonaro zum Blutbad an Landlosen von Eldorado de Carajas. Noch schockierender äußert sich der PPB-Politiker zum nach wie vor ungesühntem Massaker von Carandirù, bei dem Sao Paulos „Policia Militar“ 1992 mindestens 111 Gefangene ermordete. Über 5000 Schuss werden aus Mpis auf die Häftlinge abgefeuert, viele lässt man durch Bluthunde zerreißen. “Man hätte noch einige hundert töten müssen“, argumentierte Bol-sonaro allen Ernstes, “um Platz für andere Gefangene zu schaffen.“ Folter befürwortet er ebenfalls öffentlich. Cardoso & Co sahen nie einen Grund, auf solche Erklärungen zu reagieren. Der befehlshabende Massaker-Oberst wird Abgeordneter, gehört zum Parteienbündnis Cardosos, trommelte für dessen Wiederwahl.
Brasilien ist laut UNO ein Folterstaat
Als die UNO-Menschenrechtskommission Brasilien als Folterstaat einstufte, wies die Mitte-Rechts-Regierung dies auf der Stelle als ungerecht zurück. Josè Gregori, Cardosos PR-Agent für Menschen-rechtsfragen, lamentierte in Genf, der Norden richte über den Süden, Regierungen der reichen Länder sowie mächtige Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch urteilten parteiisch über Brasilien. Davon kann keine Rede sein – die Genfer Konferenz stützt sich auf verlässliche Studien, die auch Claudia Roth, Gerd Poppe und Joseph Fischer vorliegen. Eine hat der österreichische Pfarrer und Gefangenenseelsorger Günther Zgubic miterarbeitet: “Sogar Kranke werden gefoltert, Wärter schlagen solange mit Eisenknüppeln auf Häftlinge ein, bis der Schädel aufsplittert und Gehirnmasse heraustritt“, beklagt Zgubic. “Für mich sind solche Gefängnisse Konzentrationslager.“
Trittin und Brasiliens Siemens-AKWs
Natürlich erkundigte sich telegraph auch im Umweltministerium nach Reaktionen auf Cardoso-Visiten. Als Juso-Chef hatte Gerhard Schröder seinerzeit heftig gegen den von Bundeskanzler Helmut Schmidt 1975 mit den brasilianischen Diktatoren geschlossenen Atomvertrag protestiert – damals wurden immerhin unweit geplanter AKW-Standorte politische Gefangene gefoltert und lebendig Haien zum Fraß vorgeworfen. Mit deutschen Krediten, Hermes-Bürgschaften, realisiert Siemens-KWU den brasilianischen Atomeinstieg – 2000 ging südlich von Rio de Janeiro in einer erdrutsch- und erdbebengefährdeten Bucht der Atommeiler „Angra II“ des Biblis-Typs ans Netz. Mit Rekord-Baukosten von rund zehn Milliarden Dollar ist es der teuerste der Welt, bei 25-jähriger Bauzeit. Gleich daneben errichtet Siemens-KWU das AKW „Angra III“, Greenpeace, die brasilianischen Grünen und die Umweltverbände protestieren wiederum vehement – doch Präsident Cardoso will den Meiler unbedingt. Bundesumweltminister Jürgen Trittin nennt das Anfahren des tschechischen Atomkraftwerks Temelin ganz offiziell sicherheitstechnisch bedenklich und energiepolitisch verfehlt – im Oktober, als Cardoso wieder einmal bei Schröder und Fischer weilt, sein Umweltminister Sarney Filho ebenfalls nach Berlin kommt, erklärt er dagegen zu Angra II und III auf telegraph-Anfrage lediglich knapp: “Die Entscheidung, wie Dinge in anderen Ländern gestaltet werden, müssen Sie anderen Ländern überlassen – wir würden uns von anderen auch nicht reinreden lassen, wie wirs machen“. Anlässlich der Cardoso-Besuche wäre eine Distanzierung möglich gewesen. Sie unterblieb ebenso, wie sonstige Kritik an Brasilias Umweltpolitik. Dass die Cardoso-Regierung als absoluter Rekordhalter bei der Amazonasvernichtung in die Geschichte eingeht, steht laut Greenpeace Brasilien bereits fest. Nicht einmal während des Militärregimes wurden solche Zerstörungsraten erreicht. Die Bundesregierung ist Hauptgeldgeber des Pilotprojekts der G-7-Staaten zum Schutz der brasilianischen Regenwälder, über Zweihundertfünfzig Millionen Dollar gingen bereits an Brasilia – doch Cardoso gibt jährlich viel mehr Mittel allein für Personenkult und Propaganda aus. Einst warb SPD-Kanzler Schmidt kräftig für deutsche AKW in dem Tropenland – jetzt tut Minister Trittin selbiges für Windkraftwerke deutscher Unternehmen an der brasilianischen Atlantikküste. Ein sehr starker Partner ist dabei erneut Siemens-KWU, der die Innenausstattung, darunter das Herzstück, die Generatoren, für anderen Firmen liefert, aber auch komplette Windparks errichtet. Und da spätestens wird verständlich, warum sich der grüne Minister ebenso wie führende SPD-Umweltpolitiker mit Kritik an den Konzernprojekten Angra II und III so zurückhalten.
Stimmenkauf und abgewürgte Untersuchungsausschüsse
Bundeskanzler Schröder betont, dass Präsident Cardoso Vertrauen verdiene. Und weiß natürlich, wie clever sein stockneoliberaler sozialdemokratischer Kollege vom Zuckerhut beispielsweise kreuzgefährliche Untersuchungsausschüsse des Parlaments abwürgt, verhindert: Die wichtigsten Bestecher der Nation, darunter Multis, werden nicht ermittelt, Cardosos Verwicklung in einen Bankskandal bleibt im Dunkeln. 1997 erhalten Kongressabgeordnete umgerechnet jeweils um die die 300 000 Mark, damit eine die Wiederwahl Cardosos ermöglichende Verfassungsänderung durchkommt – jegliche Aufklärung wird unterdrückt. Stimmenkaufenthüller Fernando Rodrigues von der Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“, für seine Recherche sogar mit dem „Premio Esso“, sozusagen Brasiliens Pulitzerpreis, geehrt, sagt frustriert zum telegraph: “Das ist hier eben wie in Afrika, wir sind ein unterentwickeltes Land.“ Sao Paulos Erzbischofsblatt wird noch drastischer: “Wir kommen zu dem Punkt, an dem man fast nicht mehr unterscheiden kann, wer Mensch und wer Schwein ist.“ Auch unter Cardoso werden Wahlen durch Stimmenkauf und andere Tricks massiv manipuliert, was selbst von der katholischen Kirche sehr heftig verurteilt wird – internationale Beobachterkommissionen ließen sich jedoch noch nie am Zuckerhut blicken. Brasiliens Neonazis ermorden Schwule
„Hitler“ als registrierter Vorname
Bundeskanzler Schröder sondert zumindest Lippenbekenntnisse gegen den Rechtsradikalismus ab, Cardoso verzichtet selbst darauf – obwohl Brasiliens gutorganisierte Neonazis inzwischen sogar Anschläge auf Aktivisten und Büros von Amnesty International verüben, immer wieder Schwule erschlagen. In jenem Brasilien, das so vielen NS-Kriegsverbrechern Unterschlupf und Aufstiegschancen bot, werden auch andere Minoritäten ihr Stigma nicht los. Besonders die vor Hitlers Gaskammern geflohenen Juden schmerzt, dass die brasilianische Gesellschaft überhaupt nichts gegen den Vornamen Hitler hat, der einen sogar in Zeitungsüberschriften anspringt. Selbst in den besten brasilianischen Wörterbüchern steht unter „Juden“ immer noch: “Schlechter Mensch, habgieriger Geizhals“. Der jüdische Abgeordnete und Therapeut Gerson Bergher, Mitglied von Cardosos Sozialdemokratischer Partei/PSDB, forderte diesen brieflich auf, etwas gegen die widerliche nazistische Charakterisierung zu unternehmen, sie austilgen zu lassen. In seinem Abgeordnetenkabinett in Rios City sagt mir Bergher: “Ich habe nicht mal eine Antwort bekommen.“ Ganz offensichtlich befand sich Schröder somit bei der EXPO-Eröffnung in „allerbester“ Gesellschaft – dennoch lehnten es Amnesty International und die Gesellschaft für bedrohte Völker ab, Cardosos Ausladung zu fordern, beließen es bei kaum wahrgenommener Kritik. Die deutschen Medien übersahen geflissentlich die Korruptionsaffäre um den brasilianischen Pavillon, den kein geringerer als der Präsidentensohn koordinierte. Als Staatschef Cardoso im Oktober erneut während eines viertägigen Staatsbesuches in Berlin bei Schröder aufkreuzte, alle Ehren erhielt, schwiegen Poppe, Roth & Co. wiederum im Kollektiv, ebenso natürlich die angepasste PDS, während einzig die Grüne Liga, Ostdeutschlands größter Umweltverband, mit dem Appell “Kein Staatsempfang für Regenwaldzerstörer!“ deutlich Flagge zeigte. Cardoso wurde – bisher einmalig in Deutschland – als „Regenwaldzerstörer und Menschenrechtsverletzer“ definiert. „Wir fordern als Umweltverband die Bundesregierung auf, alle diplomatischen Beziehungen zur brasilianischen Regierung einzufrieren, solange die Menschen-rechtslage nicht verbessert und die Regenwaldabholzung toleriert wird.“ Deutschland, so Cardoso im Oktober in Berlin, gehöre zu den Ländern, mit denen Brasilien die besten Beziehungen überhaupt unterhalte. Jetzt wolle man die Präsenz in Europa weiter verstärken. Da ist es ganz offensichtlich sehr nützlich, verständnisvolle rot-grüne Partner zu haben.
Nachrichten
Brasilien/Deutschland
Keine Schelte für Präsident Cardoso
Menschenrechtler hatten sich vor dem Deutschland-Besuch des brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso gefragt, was diesmal wohl anders sein würde. Kam Cardoso zu Bundeskanzler Kohl an den Rhein, schlugen ihm Freundlichkeiten und allergrößtes Lob für sein – inzwischen gescheitertes – Stabilisierungsprogramm entgegen. Weil Brasilien ein Hauptempfänger deutscher Entwicklungshilfe ist, erörterten Kohl und seine Minister mit Cardoso offenbar vorrangig ökonomische Themen; die Menschenrechte blieben als Störfaktor außen vor. Ebenso herzlich wurden stets Cardosos Stellvertreter Marco Maciel und Kongreßpräsident Antonio Carlos Magalhaes empfangen. Niemand störte sich daran, daß beide tonangebend in der Arena-Partei des Militärregimes waren und damals schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit deckten. Heute sind sie mit Cardoso politisch hauptverantwortlich für Massaker an Landlosen und die Verfolgung und Ermordung von deren Führern. Todesschwadronen wüten schlimmer als während der Diktatur. Selbst im gerade veröffentlichten Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums für 1998 wird betont, daß Folter, außergerichtliche Tötungen und Polizeigewalt unter Cardoso zugenommen haben. Angehörige der berüchtigten Militärpolizei betätigen sich laut Washington in der Freizeit als Berufskiller und Entführer. Cardosos neoliberale Politik vertrieb weit über 400 000 Kleinbauern und Landarbeiter aus den Agrarregionen in die Slums der Millionenstädte. Das Drama der nicht nur von Vertreibungen betroffenen indianischen Gemeinschaften ist hinreichend bekannt.
Die jetzige Bundesregierung hat eine Wende in der Menschenrechtspolitik versprochen. Doch wie zu Kohl-Zeiten blieb Cardoso unbehelligt. Auf Anfrage im Büro der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestags, Claudia Roth, hieß es, man habe während des Besuchs aus Brasilien nichts unternommen. Ebenso passiv blieb Gerd Poppe, der Menschenrechtsbeauftragte im Auswärtigen Amt. Dabei hatte sich Poppe bereits 1996 mit einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages in Brasilien kundig gemacht. Mit der Delegation saß er in der Luxusresidenz des Generalkonsuls von Rio de Janeiro, verlor kein Wort über Greuel, die sich seinerzeit nur ein, zwei Kilometer entfernt ereigneten und von einem anwesenden belgischen Menschenrechtler direkt angesprochen wurden.
Allein Cardosos Position zum Fall Pinochet wäre Grund genug gewesen, den brasilianischen Präsidenten weniger freundlich zu behandeln. Der chilenische Ex-Diktator beging Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht alleine, sondern hatte Helfershelfer auch in Ländern wie Argentinien und Brasilien – von der Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst CIA ganz zu schweigen. Schröders Staatsgast hat die Freilassung Pinochets verlangt. Präsident Cardoso ist gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er könnte die Öffnung der geheimen Militärarchive anweisen, in denen die Zusammenarbeit mit Pinochet dokumentiert ist. Doch Cardoso nimmt Rücksicht auf die Generalität.
Aecio Cardoso war Gouverneur des Teilstaats Minas Gerais – Hauptstadt Belo Horizonte. WM-Stadion dort nach Teilnehmer des Militärputsches von 1964 benannt: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/06/28/wm-spiel-brasilien-chile-2014-im-stadion-von-belo-horizonte-was-hat-das-mit-willy-brandt-deutschland-zu-tun-eine-menge-wm-stadion-in-belo-horizonte-nach-militarputsch-teilnehmer-magalhaes-pinto-be/
tags: yoani sanchez-aecio neves-wahrheitskommission 2013
Ausriß – für Aecio Neves, voraussichtlicher nächster Präsidentschaftskandidat der PSDB, ist der Putsch die “Revolution von 1964?. Die Putschmilitärs des nazistisch-antisemitisch orientierten Militärregimes benutzen bis heute die selbe beschönigende Bezeichnung.
Kriegsverbrecher Gustav Wagner, stellvertretender Kommandant des KZ Sobibor, SS-Oberscharführer, berüchtigter sadistischer Judenmörder – von der Militärdiktatur Brasiliens nicht ausgeliefert: ”Die deutsche Regierung stellte ebenfalls ein Ersuchen auf Auslieferung, das jedoch vom Obersten Gerichtshof Brasiliens am 22. Juni 1979 zurückgewiesen wurde.” Wikipedia
Im KZ Sobibor wurden etwa 250000 Juden ermordet.
Insofern ist zusätzlich interessant, warum Yoani Sanchez ausgerechnet engen freundschaftlichen Kontakt zu Rechten und Rechtsextremen Brasiliens sucht, die eine nazistisch-antisemitische Militärdiktatur befürworten, welche berüchtigte sadistische Judenmörder aufnahm, schützte, nicht auslieferte. Auch auf diese Fragen sind bisher weder Yoani Sanchez selbst noch ihre vielen Unterstützer und Sympathisanten, darunter in deutschsprachigen Medien, NGO, während und nach der Sanchez-Reise, nicht eingegangen – was Bände spricht, zahlreiche Schlüsse zuläßt.
Amnesty International – die erste Urgent Action für einen gefolterten Diktaturgegner Brasiliens: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/04/25/amnesty-international-und-die-militardiktatur-brasiliens-erste-urgent-action-zugunsten-des-verhafteten-brasilianers-luiz-basilio-rossi-1973/
http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html
Willy Brandt und sein Diktatur-Amtskollege José Magalhaes Pinto: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/19/brasiliens-folter-diktatur1964-1985-mit-wem-bundesausenminister-willy-brandt-damals-bilaterale-vertrage-unterzeichnet-das-massaker-an-stahlarbeitern-unter-gouverneur-jose-magalhaes-pinto/
Blogger-und Medienkongreß “re:publica”: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/03/kuba-bloggerin-yoani-sanchez-am-6-mai-2013-auf-blogger-und-medienkongres-republica-in-berlin/
Deutsche Bank, Siemens und Folterdiktatur: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/02/26/deutsche-bank-und-militardiktatur-brasiliens-groste-qualitatszeitung-folha-de-sao-paulo-mit-kritischer-analyse-deutsche-bank-zahlt-20-millionen-entschadigung-an-brasilien-wegen-diktaturaktivist/
Lula war Informant der Diktatur-Geheimpolizei Dops, laut neuem Buch: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/02/12/brasilien-die-folterdiktatur-lula-und-die-arbeiterpartei-pt-rufmord-ein-kapitalverbrechen-buch557-seiten-mit-schweren-vorwurfen-gegen-lula-macht-schlagzeilen/
Laut nationalen politikwissenschaftlichen Studien gehört Lula seit langem zur Landeselite: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/04/lula-bekommt-500000-dollar-von-lg-fur-vortrag-in-sudkorea-laut-brasilianischen-landesmedien-uber-eine-million-dollar-damit-vier-monate-nach-ende-der-amtszeit-kassiert-laut-kalkulation-von-parte/
Sanchez und die sie unterstützenden Medien und Organisationen haben bisher auf eine Information über die mehrstündigen freundschaftlichen Kontakte in Brasilia, Sao Paulo oder Rio de Janeiro mit Vertretern des rechten bis rechtsextremen Spektrums verzichtet.
Rechtsextremismus in Deutschland – Antisemitismus und Neonazismus in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/10/18/hakenkreuz-an-schule-sao-pauloskummern-wir-uns-um-die-zukunft-der-weisen-kinder-reaktion-auf-aktionen-fur-rassengleichheit-laut-direktorin/#more-11256
Yoani Sanchez trifft den als rechtsextrem eingestuften Diktatur-und Folter-Befürworter Jair Bolsonaro: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/02/23/brasilien-das-historische-foto-kuba-bloggerin-yoani-sanchez-und-der-als-rechtsextrem-eingestufte-politiker-jair-bolsonaro-im-nationalkongres-von-brasilia-bolsonaro-verteidigt-in-anwesenheit-von-s/
“Wenn wir meinen, der Faschismus ist tot, erscheint er auf einmal wieder in der Person von Jair Bolsonaro.” Abgeordneter Adriano Diogo 2013
Sanchez distanzierte sich nicht angesichts der in ihrer Anwesenheit gewürdigten Militärdiktatur Brasiliens von Bolsonaro und dessen Äußerungen. Über das Ausmaß der unter den vernetzten lateinamerikanischen Militärregimes begangenen Verbrechen, darunter das systematische Ermorden vieler zehntausend Regimegegner existieren zahlreiche Dokumentationen, darunter der Kirche.
Yoani Sanchez äußerte während ihrer Brasilienreise 2013 viel Sympathie für das brasilianische Politikmodell, zog es klar dem kubanischen vor. Dies erscheint bemerkenswert – denn Brasilien rangiert auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung nur abgeschlagen auf Platz 84. Cuba liegt indessen auf Platz 59. Zudem traf sich Sanchez in Brasilien außerordentlich freundschaftlich just vor allem mit Vertretern jenes politischen Lagers, das für den enormen Rückstand in vielen Bereichen verantwortlich gemacht wird – darunter für die Fortexistenz von Hunger und Elend, von Scheiterhaufen sowie der landesweit agierenden Todesschwadronen, von Morden an systemkritischen Journalisten sowie Menschenrechtsaktivisten, von Sklavenarbeit, Banditen-Diktatur, extrem hoher Mord-und Verbrechensrate, tief verwurzelter Korruption im Staat etc.
Durch diese Positionierungen wurde erstmals erheblich deutlicher, welchen Werten Yoani Sanchez tatsächlich anhängt, was sie für Kuba wünschenswert hält. Denkbar wäre, daß es Kubaner gibt, die Zustände wie in der brasilianischen Demokratie keineswegs für wünschenswert ansehen – und den UNO-Index für menschliche Entwicklung entsprechend als Vergleichsmaßstab nutzen. http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/20/brasilien-teuerung-druckt-22-millionen-brasilianer-wieder-ins-elend-laut-landesmedien-langst-wegen-starken-preissteigerungen-uberholter-indikator-versteckt-jene-22-millionen-verelendeten-hies-es/
Gerade in Deutschland unterblieben kurioserweise Fragen an Yoani Sanchez zum Unesco-Welt-Bildungsranking http://www.unesco.org/new/fileadmin/MULTIMEDIA/HQ/ED/pdf/gmr2011-efa-development-index.pdf
Auf diesem rangiert nämlich Deutschland auf Platz 13 – und Cuba gleich dahinter, auf Platz 14. Brasilien findet sich dagegen nur an 88. Position.
Adolf Hitler: “Bolsonaro, manchmal machst du einem richtig Angst, Mensch!”
Die brasilianische Wahrheitskommission zur Aufklärung der Diktaturverbrechen hat naturgemäß eine andere Sicht – Yoani Sanchez verzichtete auf ein Treffen mit Kommissionsmitgliedern oder systemkritischen Menschenrechtsaktivisten Brasiliens.
tags: brasilien – maria amélia de almeida teles-wahrheitskomm
Maria Amélia de Alkmeida Teles – zu den erlittenen Folterungen während der Militärdiktatur(1964-1985) zählte sexueller Mißbrauch in sadistischster Weise. “Mir fällt es sehr schwer, selbst 40 Jahre später darüber zu sprechen. Vor meinen Augen haben sie einen Widerstandskämpfer ermordet – meinen Mann ins Koma gefoltert. Sie haben meine schwangere Schwester verhaftet und gefoltert. Ich war mehrfach Opfer sexueller Gewalt. Wir weiblichen Regimegegner wurden ja stets nackt verhört. Ich erlitt Elektroschocks, wie die anderen auch, an der Vagina, am Anus, an den Brüsten. Meine kleinen Kinder mußten zusehen. Ich war voller Urin, voller Kot. Mein kleiner Sohn fragte mich: Warum bist du am ganzen Körper blau, warum ist der Vater jetzt grün? Er war im Koma. Ja, mein ganzer Körper war blau von den vielen Hämatomen. Ein Folterer masturbierte vor mir, spritzte sein Sperma auf meinen nackten Körper.”
Französischer General Aussaresses zum Fall einer totgefolterten Diktaturgegnerin in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/05/05/franzosischer-general-war-folter-lehrer-wahrend-brasiliens-diktaturzeit-regierung-in-paris-wuste-von-regime-verbrechen/#more-453
Diktaturopfer – getötete Regimegegnerin, Foto von kirchlichen Menschenrechtsaktivisten.
Brasiliens wichtigster Befreiungstheologe Frei Betto zu Interventionen: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/08/12/befreiungstheologe-frei-betto-zwischen-1898-und-1994-haben-die-usa-48-lateinamerikanische-regierungen-gesturzt-unter-ihnen-die-von-joao-goulart-1964-in-brasilien/
tags: margaret thatcher augusto pinochet 2013 yoani sanchez
In Nachrufen aus Deutschland wird Margaret Thatcher durchweg positiv bewertet. Sie habe sich für Freiheit und Menschenrechte eingesetzt, heißt es unter anderem.
Ausriß.
Die brasilianische Qualitätszeitung “o Globo” druckte einen Text des “New Yorker” von Jon Lee Anderson nach, in dem dieser u.a. Details des von Pinochet geleiteten Militärputsches in Chile 1973 beschreibt, darunter das Bombardieren des Präsidentenpalasts, das Einsperren Tausender im Nationalstadion von Santiago, wo Hunderte ermordet worden seien, darunter der populäre Sänger Victor Jara.
Anderson fragt im “New Yorker” rhetorisch, was Margaret Thatcher damit zu tun habe – und zitiert aus dem Nachruf von Barack Obama, wonach sie eine der großen Verteidigerinnen der individuellen Freiheit und der individuellen Rechte gewesen sei. ”In Wahrheit nicht”, so Anderson im “New Yorker”. Thatcher, so Anderson, war eine hartnäckige Kämpferin im Kalten Krieg – und in Bezug auf Chile gab sie niemals eine adäquate Demonstration des Mitleids für Menschen, die Pinochet im Namen des “Antikommunismus” ermordete. Sie habe es vorgezogen, über das vielgerühmte”chilenische Wirtschaftswunder” zu sprechen.
“Und wie er mordete.”
Als Thatcher Premierministerin wurde, habe sie 1980 das Waffenembargo gegen Pinochet aufgehoben, worauf er bald darauf britische Waffen kaufte. 1982, während des Malvinas-Krieges, habe Pinochet die Thatcher-Regierung mit Informationen über das Nachbarland unterstützt. Von da ab sei seien die Beziehungen definitiv freundschaftlich geworden, habe sich die Pinochet-Familie in London mit der Thatcher-Familie jährlich getroffen, zum Essen und zum Whisky. Als Pinochet in London auf Anweisung des spanischen Richters Baltasar Garzon festgenommen worden war, habe Thatcher ihm während des Hausarrestes einen Solidaritätsbesuch abgestattet. Vor dem TV-Kameras habe Thatcher über Pinochet gesagt:”Sie waren es, die Chile die Demokratie gebracht haben.”
In Brasilien, mit einer Militärdiktatur von 1964 bis 1985, bewertete 2013 der als rechtsextrem eingestufte Kongreßabgeordnete Jair Bolsonaro das Militärregime in sehr ähnlicher Weise. “Dank der Militärs genießen wir heute die Demokratie”, sagte Bolsonaro gegenüber der Kuba-Bloggerin Yoani Sanchez während ihres Besuches in Brasilia. Bolsonaro ist als Befürworter der Diktatur und der Folter bekannt.
Die Militärdiktatur – Hintergrundtext: http://www.das-parlament.de/2010/12/Beilage/006.html
Ausriß. Yoani Sanchez und Kongreßabgeordneter Jair Bolsonaro – Verteidiger des Militärregimes und der Folter, damals und heute, laut brasilianischer Menschenrechtsbewegung. Der Militärputsch von 1964, so Bolsonaro neben der Bloggerin, war eine Forderung des Volkes. Während der Militärdiktatur wurden sogar Kinder gefoltert.
Sanchez, Bolsonaro, Sektenpastor Feliciano – er vergleicht sich mit Yoani Sanchez: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/04/10/brasilien-kraftige-unterstutzung-der-wunderheilersekten-fur-umstrittenen-sektenpastor-marco-felicianogott-totete-john-lennon-prasident-der-parlaments-menschenrechtskommission-auch-zahlreiche/
Ausriß, systemkritischer Journalist Mafaldo Bezerra Gois, am 22. Februar 2013, während des Yoani-Sanchez-Besuchs in Brasilien, mit fünf Schüssen liquidiert. Brasiliens unbekannte Helden – das täglich sehr hohe Lebensrisiko.
Derzeit existiert in Brasilien erstmals eine “Nationale Wahrheitskommission” zur Aufklärung der Diktaturverbrechen, die sich u.a. mit den engen Beziehungen der brasilianischen Diktatoren zu Pinochet sowie mit den besonders sadistischen Foltermethoden des brasilianischen Repressionsapparates gegen weibliche Regimegegner befaßt.
Maria Amélia de Alkmeida Teles – zu den erlittenen Folterungen während der Militärdiktatur(1964-1985) zählte sexueller Mißbrauch in sadistischster Weise.
Brasiliens katholische Kirche im Widerstand gegen die Militärdiktatur-
viele Geistliche gefoltert und ermordet – sexuelle Gewalt sogar gegen Ordensschwestern
Massenvergewaltigungen, Sadismus jeder Art
Nationale Wahrheitskommission enthüllt bisher verschwiegenen Repressions-Horror
Oppositionelle Geistliche werden totgefoltert, Regimegegnerinnen, darunter Ordensschwestern, auf perverseste Weise sexuell mißbraucht, immer wieder vergewaltigt. Jene, die jetzt vor der Wahrheitskommission aussagen, haben sichtlich das vor mehreren Jahrzehnten Erlittene psychisch und körperlich keineswegs verkraftet.
Im Vergleich zu Chile oder Argentinien war Brasiliens Militärregime direkt harmlos, lauten indessen auch in Europa gängige Urteile, begründet mit bemerkenswert niedrigen amtlichen Opferzahlen: Gerade mal 376 Menschen seien in den 21 Jahren der Generalsherrschaft durch Diktaturangehörige getötet worden – im benachbarten Argentinien dagegen zwischen 11000 und 30000. Brasiliens katholische Menschenrechtsaktivisten, die Folter und Verfolgung überlebten, haben die offiziellen Zahlen stets als absurd niedrig eingestuft – und als pervers geschönt. Das Militärregime, so der mehrere Jahre eingekerkerte Dominikaner Frei Betto, Brasiliens wichtigster Befreiungstheologe, sei schließlich nazistisch-antisemitisch gewesen – und entsprechend vorgegangen.
Während in Argentinien, dem Land des neuen Papstes, die Vergangenheitsbewältigung zügig vorankommt, mehrere Tausend hohe Diktaturoffiziere abgeurteilt werden, ein Teil bereits hinter Gittern sitzt, wußten Brasiliens politisch einflußreiche Militärs derartiges bisher zu verhindern. Erst jetzt, und eigentlich viel zu spät, kann eine Nationale Wahrheitskommission gegen den Druck des starken rechtsextremen Lagers wenigstens ermitteln, wird fast sofort fündig, rückt sicher auch bei europäischen Christen mancherlei Klischeevorstellungen über Brasilien zurecht: Bereits im Putschjahr 1964 über 50000 Verhaftete, systematisches „Verschwindenlassen“ von Regimegegnern.
In Amazonien verliert ein einziger Indianerstamm durch die Repression mindestens 2000 Angehörige – Hinweis darauf, wie kräftig jene amtlichen Opferzahlen nach oben „korrigiert“ werden dürften. Da der Wahrheitskommission auch katholische Regimegegner angehören, werden oberflächliche Fehlurteile fallen, die Kirche sei damals, etwa verglichen mit Argentinien, recht glimpflich davongekommen.
„Sie haben unsern Padre Henrique gefoltert und ermordet, gleich darauf einen katholischen Studentenführer erschossen“, schildert Ordensschwester Maria Zelina Leite den Diktatur-Terror damals in ihrer Heimatstadt, dem nordöstlichen Recife. „Erzbischof Dom Helder Camara, eine der Symbolfiguren des Widerstands, führte den Trauerzug von über 10000 zur Beerdigung von Padre Henrique an. Soldaten sprangen von Militär-LKW, prügelten auf uns ein. Doch Dom Helder Camara war regelrecht genial, wußte ein Blutbad und Verhaftungen zu verhindern, instruierte auf dem Friedhof die Regimegegner, den am Eingang lauernden Soldaten nicht ins offene Messer zu laufen.“
Vor dem Bischofssitz stehen rund um die Uhr Schergen der Foltergenerale, sollen all jene einschüchtern, die es wagen, Dom Helder Camara und seine Mitarbeiter der Kurie aufzusuchen. „Er appelliert damals an die Militärs: Verhaftet mich, aber laßt meine Priester in Ruhe! Wegen des vorhersehbaren Welt-Echos kerkern sie den Erzbischof nicht ein – halten sich an die Geistlichen.“
Aber ging das denn so leicht? Ivone Gebara, Ordensschwester, Mitglied der Wahrheitskommission: „Man erklärte regimekritische Padres einfach zu Kommunisten – oppositionelle Ordensschwestern zu Kommunistinnen. Auch die Katholische Arbeiterjugend JOC und die katholische Studentenbewegung JEC waren im Widerstand – wurden verfolgt.“ Klassisch ist ein Ausspruch von Dom Helder Camara aus dieser Zeit: ”Wenn ich den Armen zu essen gebe, nennt man mich einen Heiligen. Doch wenn ich frage, warum sie arm sind, nennt man mich einen Kommunisten”. Der Erzbischof überlebt mehrere Attentate, sein Sekretär, der Priester Antonio Pereira Neto, wird ermordet.
Ivone Gebara und Maria Zeline Leite aus Recife werden Anfang 2013 auf einer Anhörung im Parlament des Teilstaats Sao Paulo noch einmal sehr schmerzhaft an ein besonders finsteres Diktatur-Kapitel, das perverse Foltern von Frauen, erinnert. Neben Paulo Sergio Pinheiro, Leiter der Wahrheitskommission und angesehener UNO-Sonderberichterstatter für Menschenrechtsfragen, spricht Maria Amélia de Alkmeida Teles: „Vor meinen Augen haben sie einen Widerstandskämpfer ermordet – meinen Mann ins Koma gefoltert. Sie haben meine schwangere Schwester verhaftet und gefoltert. Ich war mehrfach Opfer sexueller Gewalt. Wir weiblichen Regimegegner wurden ja stets nackt verhört. Ich erlitt Elektroschocks, wie die anderen auch, an den Geschlechtsteilen. Meine kleinen Kinder mußten zusehen. Ich war voller Urin, voller Kot. Mein kleiner Sohn fragte: Warum bist du am ganzen Körper blau, warum ist der Vater jetzt grün? Er war im Koma. Ja, mein ganzer Körper war blau von den vielen Hämatomen.“
Auch die Widerstandskämpferin Marise Egger schilderte gegenüber der Wahrheitskommission die erlittene sexuelle Gewalt. „Die Elektroschocks ließen mein Brustgewebe absterben, sodaß ich später meine Tochter nicht mehr stillen konnte.” Laut Marise Eggers wird auch heute noch in Brasiliens Polizeiwachen mit sexueller Gewalt gefoltert.
Fotos auf Flugblättern machen zur Diktaturzeit die Runde, die populäre Padres mit Ordensschwestern nackt in Stundenhotel-Betten zeigen. Was war da passiert? Um die katholische Opposition zu diskreditieren, werden engagierte Priester von der Geheimpolizei entführt und unter Drogen gesetzt, mit Ordensschwestern unbekleidet fotografiert.
1976 trifft es sogar den als „Roten“ beschimpften Bischof Adriano Hipolito bei Rio de Janeiro. Zunächst will man ihn zwingen, Zuckerrohrschnaps zu trinken – wohl um dann einen total betrunkenen Bischof ablichten zu können. Doch Hipolito wehrt sich erfolgreich, wird geschlagen, völlig entkleidet, komplett mit roter Farbe beschmiert und in den Staub einer abgelegenen Straße geworfen. Das Regime druckt und verbreitet gefälschte Diözesezeitungen, die enorme Konfusion in den kirchlichen Bewegungen bewirken – Bischof Hipolito bleibt nichts anderes übrig, als das Blatt einzustellen. In die Kathedrale werden immer wieder Bomben geworfen, die sogar das Allerheiligste zerstören.
Weit abgelegen in Amazonien, will die Diktatur gar einen Bischof ermorden: Neofeudal herrschende Großgrundbesitzer, deren mittelalterliche Sklaverei bringen den Katalanier Pedro Casaldáliga derart auf, daß er mit gesunder Radikalität für christliche Werte, die Menschenrechte ficht. Während der 21 Diktaturjahre wird er von seinen Beschattern unter dem Codewort „Palito eletrico“, verrückt-elektrisierter Zahnstocher, geführt. Treffend gewählt. Denn Casaldáliga ist dünn, energiegeladen, hochaktiv. Rasch wird er wie Dom Helder Camara zu einem Symbol des Widerstands, bestgehaßt von den Machteliten. In Sao Felix de Araguaia schildert er auf der schlichten Holzbank vor der „Bischofsresidenz“, einer kleinen Kate an einem Schlammweg, das bedrückendste Diktatur-Erlebnis:“Als ich 1976 mit Priester Joao Bosco Burnier in einer Polizeiwache gegen die schon von weitem zu hörende sadistische Folterung zweier Frauen protestiere, halten Militärpolizisten ihn, und nicht mich, für das seit Wochen eingekreiste Opfer.“ Denn Padre Burnier wirkt weit mehr als der sportlich-quirlige Casaldáliga wie ein Bischof. „Erst schlagen sie ihm mit dem Gewehrkolben auf den Kopf, dann fallen Schüssen, ein Dum-Dum-Geschoß durchschlägt seine Stirn – Burnier fällt neben mir zu Boden, stirbt kurz darauf.“
Weil Diktatursoldateska sein Häuschen umstellt, lebt er dort häufig wie ein Gefangener. Kein anderer Geistlicher Brasiliens hat wohl so viele Extremsituationen erlebt – die daraus resultierende Radikalität wird selbst in Rom gelegentlich mißverstanden. „Ich diskutierte dort sogar mit Kardinal Ratzinger“, sagt er schmunzelnd..
In der südlichen Megacity Sao Paulo bringt 1980 der Besuch von Papst Johannes Paul dem Zweiten die Foltermilitärs in arge Schwierigkeiten. Alarmiert vom dortigen deutschstämmigen Stadt-Erzbischof Paulo Evaristo Arns ebenso wie von Casaldáliga, will sich der Papst vor Ort informieren, trifft sich mit den Arbeitern der Industriebetriebe im überfüllten Morumbi-Fußballstadion. An seiner Seite, zum Ärger des Repressionsapparats ausgerechnet der populäre Regimegegner Waldemar Rossi als Sprecher der Fabrikarbeiter. „Da mich die Geheimpolizei nicht ins Stadion lassen will, gibt mir Arns seine Bischofs-Sondererlaubnis, mit der ich doch noch hineinschlüpfen kann.“ Rossi hatte zuvor barbarische Folterungen überlebt:“Sie haben mich wie bei Hitler die SS mit der Papageienschaukel-Methode traktiert, den Kopf nach unten, an einer Eisenstange aufgehängt, dazu Schläge, stundenlang Elektroschocks. Als der Erzbischof davon erfährt, schaltet er den Vatikan ein, macht Druck, holt mich und andere Eingesperrte heraus, besucht uns vorher sogar in der Zelle.“ „Dom Paulo“ gründet mitten in der Diktaturzeit Brasiliens erste katholische Kommission für Gerechtigkeit und Frieden, bringt später das weltweit Aufsehen erregende Buch „Brasil – nunca mais“ über die Diktaturverbrechen heraus. Todesschwadronen ermorden damals Ungezählte vor allem in den Elendsvierteln der Großstädte, politische Gefangene werden den Haien lebendig zum Fraß vorgeworfen oder über Amazonien aus Helikoptern gestoßen. In Stücke gehackt, verscharrt man Diktaturgegner selbst an Traumstränden Rio de Janeiros. Die Diktatur erlaubt dem Internationalen Roten Kreuz nicht den Zugang zu den Gefängnissen. Doch Diktator Medici erklärt, es gebe keine politischen Gefangenen. Laut Weltkirchenrat existieren mindestens 242 Folterzentren, gehöre zu den Taktiken, Oppositionelle in Gegenwart ihrer Ehepartner, teils sogar ihrer Kinder zu foltern.
1975 ermorden die Militärs in Sao Paulo den jüdischen Journalisten Vladimir Herzog, stellen es offiziell als Selbstmord hin.
Arns ruft in Sao Paulo zu einer ökumenischen Trauerfeier in die Kathedrale, zelebriert mit Erzbischof Dom Helder Camara und zwei Rabbinern die Messe, die mit etwa 8000 Teilnehmern zu einem Fanal des Protestes gegen die Folter-Diktatur wird.
Ganz seinem Temperament entsprechend, dringt der Erzbischof bis in Generalstab und Kasernen vor, stellt hohe Offiziere heftig zur Rede.
In Rio de Janeiro dagegen hat der höchste katholische Würdenträger Eugenio Sales den Beinamen „Kardinal der Diktatur“, gilt als unterwürfiger Generals-Kollaborateur, Schande für die ganze Kirche.
Erst über ein Jahrzehnt nach Regimeende müssen sich auch viele linke Widerständler unter dem Druck der Fakten korrigieren. Als Bischof in seiner Nordostheimat wird Sales ebenfalls als „Roter“ beschimpft, weil er weitreichende Sozialprogramme startet, beim Gründen von Gewerkschaften hilft. Wertkonservativ und eher zurückhaltend im Auftreten, agiert Kardinal Sales in den Diktaturjahren anders als Arns diskret, aber hocheffizient, hält sich Gesprächskanäle zu den Diktatoren offen. In Rio de Janeiro organisiert er Asyl für mindestens 5000 Verfolgte der Diktaturen in Chile, Argentinien und Uruguay, mietet für sie auf Diözesekosten sogar Wohnungen an, baut mit der Caritas ein Hilfenetz auf. Überliefert ist ein Sales-Telefongespräch mit dem Diktaturgeneral Silvio Frota: „Wenn Sie die amtliche Mitteilung erhalten, daß im Bischofspalast Kommunisten untergebracht seien, ich Kommunisten schütze, sollen Sie wissen, daß dies wahr ist – ich bin dafür verantwortlich. Und Punkt. Wiederhören.“
Sales, stellt sich später heraus, erreicht die Freilassung von „Subversiven“, besucht die politischen Gefangenen der Hochsicherheitsgefängnisse, wird zu deren Sprecher und Vermittler. „Der war konservativ, aber integer“, lauten Urteile über den inzwischen verstorbenen Kardinal. Die Vorwürfe sind verstummt.
Ob die Wahrheitskommission vollen Erfolg hat? Schon klagt sie an, daß die geheimen Archive der Streitkräfte weiter unzugänglich bleiben – „mitten in der Demokratie“…
Brasiliens katholische Nachrichtenagentur ADITAL zu Marina Silva – „Vertreterin der getarnten Rechten“:
ADITAL – A candidata Marina Silva (PSB) é vista por muitos como uma alternativa à política polarizada — entre a esquerda de Dilma Rousseff (PT) e a direita de Aécio Neves (PSDB). Como você avalia esse posicionamento da ex-ministra do Meio Ambienta? Ela, de fato, pode ser situada nesse meio-termo político?
Nicolas Chernavsky – Não, Marina Silva não é, de forma alguma, equidistante politicamente de Dilma Rousseff e Aécio Neves, como um meio-termo. Isso ocorre porque, se eleita presidenta, ela formaria uma coalizão no parlamento que abrangeria, praticamente, todo o espectro político conservador, incluindo um pouco do espectro político progressista, situação muito semelhante a um governo de Aécio Neves. Portanto, Marina Silva e Aécio Neves formariam governos conservadores.
Já Dilma Rousseff formaria uma base no Parlamento, abrangendo praticamente todo o espectro político progressista, incluindo um pouco do espectro político conservador. Assim, Dilma Rousseff formaria um governo progressista.
Se Marina tivesse um outro perfil de candidatura, com outros aliados, outro discurso, outro posicionamento político etc., poderia, talvez, tentar ser sim um meio-termo entre Dilma e Aécio e, neste caso, ela teria de formar uma base no Parlamento que abrangesse a maior parte do espectro conservador e a maior parte do espectro progressista do Parlamento, deixando uma pequena parte tanto do espectro conservador quanto do espectro progressista de fora da base do governo.
Como essa alternativa incluiria o PT como partido dentro dessa base do governo, vemos que essa opção é praticamente inviável, uma vez que, em uma eventual disputa do segundo turno entre Dilma e Marina, os setores conservadores apoiariam em massa Marina, forjando alianças e, até pela dinâmica polarizadora do segundo turno, inviabilizariam a entrada do PT como partido em sua base de governo.
Portanto, se Dilma formaria um governo progressista, e Marina e Aécio formariam governos conservadores, a candidatura de Marina Silva é muito mais próxima politicamente da candidatura Aécio do que da candidatura Dilma, estando assim a candidatura Marina muito longe de ser equidistante, como um meio-termo.
ADITAL – Marina Silva tem sido classificada como representante de uma „direita disfarçada“. Como analisa isso?
NC – Para responder a essa pergunta é preciso diferenciar a pessoa da candidatura. A candidatura Marina Silva representa uma tentativa dos setores mais conservadores do Brasil de vencerem os setores mais progressistas liderados pelo PT, já que o PSDB de Aécio Neves teria muitas dificuldade para vencer, especialmente pela avaliação relativamente ruim que a população faz dos oito anos de governo de Fernando Henrique Cardoso em comparação com os governos de Lula e Dilma.
Assim, Marina, na disputa com Dilma, tem o apoio da grande maioria dos meios de comunicação conservadores do Brasil, dos setores ultraconservadores religiosos, dos interesses externos, que não querem que o Brasil aumente sua influência no mundo e, em geral, das forças políticas claramente conservadoras do Brasil.
A pessoa Marina Silva tem uma história, na qual esteve muitos anos no PT, como senadora e ministra do Meio Ambiente do governo Lula. Entretanto, já nas eleições de 2010, ela apresentou um perfil mais conservador, mas não tanto quanto agora, em 2014. Portanto, seria uma ilusão sim acreditar que não só a Marina Silva de 2014 é a Marina Silva de 2004, por exemplo, como também acreditar que o governo dela seria influenciado apenas por ela, sem se perceber que há uma gigantesca coalizão política e social por trás de um governo.
tags: brasilienwahlen 2014
Wieso fiel der Gouverneurskandidat von Aecio Neves in Minas Gerais durch, siegte der Arbeiterpartei-Kandidat?
“Aecio Neves hat die Menschen in seinem Teilstaat solange angelogen, bis er damit nicht mehr durchkam. Und sichtbar wurde, daß jener Neves, der sich stets als der `gute Junge`präsentierte, auch nichts anderes war als ein karriereversessener Politiker, nur auf persönliche Vorteile aus wie andere. Der Fall des Baus eines öffentlichen Flughafens, mit Steuermitteln, auf der Neves-Fazenda, das kam bei sehr vielen der traditionell gesinnten Bewohner von Minas Gerais sehr schlecht an, war unethisch.”
Politikstil von Aecio Neves: “Neves ist ebenso wie Fernando Henrique oder Geraldo Alckmin jemand, der seine Ideen durchdrückt, sogar mit Gewalt, wie ein Traktor – nicht per Überzeugungsarbeit, Gespräche. Daher hatte man unter Gouverneur Neves in Minas Gerais ein regelrecht autoritäres System. Indessen ist es in der Arbeiterpartei Lulas keineswegs anders! Lula ist autoritär wie der Teufel! Er ist es in der Arbeiterpartei, war es zuvor in der Gewerkschaft – und in dessen Regierung sowieso. Was Lula will, drückt er durch! Marta Suplicy trieb es als Präfektin von Sao Paulo nicht anders – auch sie war autoritär. Man schaue nur auf den Fall des ermordeten PT-Politikers Celso Daniel – oder auf den Fall von Luiza Erundina, die sich den autoritären Normen der Arbeiterpartei nicht unterwarf, schließlich die Partei verließ.”
“Die Haltung der katholischen Kirche unter Papst Franziskus gibt uns viel Hoffnung – die Kirche dürfte sich die nächsten Jahre sehr positiv entwickeln. Aber leicht wird das nicht!”
tags: brasilien – wirtschaft
“Auch Dilma hat sich, ganz im Sinne ihres Vorgängers, der Sozialpolitik verschrieben.” WeltTrends, Potsdam 2012
“Brasilien bietet Europa Finanzhilfen an”: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/01/brasilien-bietet-europa-finanzhilfen-an-handelsblatt-20092011-schon-uberwiesen/
“In den vergangenen Jahren hat Rio gemeinsam mit Brasilien ein Wirtschaftswunder hingelegt. Die Favelas sind saniert und weitgehend drogenfrei…” Der Spiegel, Juni 2013
“Die Wirtschaftskrise hat Brasilien kaum gespürt”(WAZ).
Brasilien-Daten: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
Das knallbunte Versionen-Karussell:
http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/26/brasiliens-staatlich-kontrollierter-olko
Fußball-WM und kuriose Brasilien-Darstellung: http://www.hart-brasilientexte.de/2014/06/11/brasilien-geldfusball-wm-2014-deutsche-medien-die-noch-unlangst-den-brutal-neoliberalen-kurs-der-lula-rousseff-bejubelt-hatten-uber-elendsviertel-kein-wort-verloren-machen-derzeit-auf-populistisc/
Die Wirtschafts-und Finanzkrise 2008/2009, Brasilien und die unterschiedlichen Einschätzungen im Tropenland und in Mitteleuropa. “Präsident Lula ist ein Meister der politischen Manipulierung.” Merval Pereira, Mitglied der brasilianischen Philosophen-Akademie, Kommentator. ”Nao é para vazar. Se vazar o que vou dizer, voces estao fodidos. Fiquei puto.” Wirtschaftskrise und Slum-Elend. **
tags: wirtschafts-und finanzkrise 2008/2009 in brasilien
Zu den vielen kuriosen, Brasilien betreffenden Einschätzungen zählen auch die Wertungen zur Wirtschafts-und Finanzkrise 2008/2009. Deutsche Unternehmer vor Ort, mit langjähriger Brasilienerfahrung betonen in der Rückschau, daß damals an den deutschen Firmensitzen die Auffassung verbreitet wurde, Brasilien komme am besten durch die Krise. Vergessen worden sei indessen, daß beispielsweise Brasiliens Außenhandel 2009 “total einbrach” – mit den entsprechenden weitreichenden Folgen. Viele mitteleuropäische Medien veröffentlichten Interpretationen zur Lage in Brasilien, die in interessantem Gegensatz zu den Bewertungen der brasilianischen Wirtschaftsmedien standen. Auch im deutschen Wirtschaftsmainstream waren die brasilianischen Bewertungen und Analysen absolut chancenlos.
“Die Wirtschaftskrise hat Brasilien kaum gespürt.” WAZ
“…das Land die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 vergleichsweise unbeschadet überstanden hat.” BDI 2011
Laut der Getulio-Vargas-Stiftung vom Oktober 2009 hatte die Krise indessen von den sechs wichtigsten Wirtschaftszentren Brasiliens die Megacity Sao Paulo am stärksten getroffen – das Elend habe deutlich zugenommen, hieß es gemäß Landesmedien.
“Krise vorbei, Grund zum Feiern”:Bettelnde kranke alte Frau in der City Sao Paulos.
Schlagzeilen der großen brasilianischen Qualitätszeitungen Folha de Sao Paulo, O Estado de Sao Paulo, O Globo von 2008/2009 zur Krise:
-Indstrie hat schlechtestes Resulat seit Collor
- Auf Sao Paulo entfallen 44 % aller durch die Krise Entlassenen
-Teilstaat Sao Paulo eliminierte 285532 Stellen im Dezember 2008
- Industrie erlebt schwersten Absturz seit 1991 und Wirtschaftsexperten sehen Rezession im Land
Industrieproduktion stürzt ab
-Entlassungen betreffen ein Drittel aller Haushalt in Sao Paulo
- Stellenkürzungen waren “porretada”, sagte Präsident Lula
- Das Land büßte im Dezember 600000 Arbeitsstellen ein, gibt Lula zu
- Das Land verliert 797000 Stellen seit November
-Maschinenindustrie macht 39 % weniger Umsatz
- Aus der kleinen Welle wurde ein Tsunami
-Jene, die die Arbeitsstelle verloren, verringern die Nachfrage, was zu Produktionsrückgang führt – und zu weiteren Entlassungen
Tags: Brasilien, Finanzkrise, Lula, Rekord-Entlassungen
Brasiliens Staatspräsident Lula hat nach monatelangem Abstreiten erstmals gravierende Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf sein Land eingeräumt. Im Dezember 2008 wurden gemäß den gewöhnlich geschönten amtlichen Angaben 655000 fest Beschäftigte entlassen, was einen historischen Rekord bedeutet. Allein die Industrie von Sao Paulo feuerte über 100000. Wieviele Vertragslose ihre Arbeit verloren, ist noch nicht bekannt.
Kloake-Slum in Sao Paulo – laut europäischen Deutungen kaum Krisenauswirkungen in Brasilien.
“Südamerikas Vorzeigestaat gehört ohne Zweifel zu den grossen Globalisierungsgewinnern und ist gestärkt aus der Weltfinanzkrise von 2008 hervorgegangen.” Der Spiegel 2012
http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/30/baden-wurttemberg-exportiert-mehr-als-ganz-brasilien/
Die Krise, so Lula, sei ohne Beispiel und treffe alle Staaten. Aus einer vertraulichen Sitzung Lulas mit Bankchefs sickerten diese Äußerungen durch:”Nao é para vazar. Se vazar o que vou dizer, voces estao fodidos. Mas eu fiquei muito assustado com a quantidade de demissoes em dezembro. Fiquei puto.”Nach gescheiterten Verhandlungen mit der Unternehmerseite über Entlassungsstopps verhandeln die nationalen Gewerkschaften jetzt mit der Regierung, wollen unter anderem ein Abgehen von der wachstumshemmenden Hochzinspolitik.In Lateinamerikas führender Wirtschaftsregion, dem brasilianischen Teilstaat Sao Paulo, ist vergangenen Dezember die Industrieproduktion gegenüber November um 13,5 Prozent zurückgegangen. Ein beträchtlicher Teil der Unternehmen hat weitere Entlassungen angekündigt. Staatschef Lulas Arbeitsminister Carlos Lupi ließ deshalb erstmals von bisherigem Optimismus und verkündete öffentlich, das erste Vierteljahr werde wohl furchtbar. Im gewerkschaftsnahen, auf Arbeitsmarktstudien spezialisierten Forschungsinstitut DIEESE in Sao Paulo herrscht deshalb jetzt Hochbetrieb wie selten. DIEESE-Chef Ademir Figueiredo warnt indessen vor Schwarzmalerei und Katastrophenstimmung. ”Unser Problem ist derzeit, die Dimension, die Auswirkung der weltweiten Krise hier in Brasilien festzustellen. Der Export, doch auch der Binnenmarkt haben große Schwierigkeiten. Sofern die Regierung angemessen handelt, kann Brasilien einer Rezession entgehen, würde ich zumindest eine lange Rezessionsphase ausschließen. Wir sind immer noch ein armes Land – mit enormer sozialer Ungleichheit. Wir brauchten deshalb eigentlich ein jährliches Wirtschaftswachstum von sieben Prozent. Brasilien war im Begriff, deutliche wirtschaftliche Fortschritte zu erreichen. Doch jetzt wurde dieser Prozeß gestoppt “ und das ist eine Tragödie.”Zahlreiche westliche Länder haben auf die Finanzkrise mit deutlichen Zinssenkungen reagiert – Â Brasiliens Wirtschaftskommentatoren und selbst Arbeitsminister Lupi kritisieren daher, daß die Regierung dennoch an ihrer wachstumshemmenden Hochzinspolitik festhält. DIEESE-Chef Figueiredo sieht es genauso:”Brasilien hat die höchsten Leitzinsen der Welt – über 13 Prozent “ und stellt sich damit als einziges Land gegen den internationalen Trend. Unsere Banken investieren ihre knappen Gelder deshalb jetzt lieber in Schuldentitel der Regierung, die sicheren Gewinn versprechen, anstatt Geld mit Risiko zu verleihen. Und das bedeutet: Brasiliens Privatunternehmen bekommen derzeit nur schwerlich Kredite und sagen: Auch deshalb müssen wir jetzt entlassen! Brasiliens Rekordzinsen, so heißt es immer offiziell zur Begründung, dienten der Inflationsbekämpfung. Doch die Teuerungsrate geht ja zurück. Die Hochzinspolitik hat natürlich soziale Kosten. Denn je höhere Zinsen die Regierung zahlt, umso weniger Mittel hat sie beispielsweise für Sozialprogramme. In unserer Gesellschaft gibt es einen scharfen Disput um die Einkommen, die Interessen der Anleger gehen vor, nicht die Interessen der Produzierenden, der Arbeiter.”
Inzwischen wurden die Leitzinsen auf 12,75 Prozent gesenkt – die Realzinsen sind indessen weiter die höchsten des Erdballs. Â Experte Figueiredo weist auf zwei Besonderheiten des brasilianischen Arbeitsmarkts: Weil entsprechende Gesetze fehlten, könne willkürlich und massenhaft entlassen werden. Häufig sei zudem, Beschäftigte zu entlassen und dann zu weit niedrigeren Löhnen wieder einzustellen. Zudem arbeitet nur ein Teil der brasilianischen Beschäftigten mit festem Vertrag und entsprechenden Rechten – über die Hälfte ist jedoch im sogenannten informellen Sektor tätig, leistet nach europäischen Kriterien Schwarzarbeit. ”Dieser Sektor ist vom regulären Arbeitsmarkt abhängig. Wenn dort entlassen wird, verlieren im informellen Sektor die Leute ebenfalls ihre Jobs. Betroffen sind dann die Straßenverkäufer, aber auch Servicebetriebe und sogar kleine Industrien. Wieviele dort bisher wegen der Krise hinausgeflogen sind, läßt sich aber nur schwer ermitteln.”In Sao Paulo ist die multinationale, exportintensive Autoindustrie, von Volkswagen bis Ford und General Motors, konzentriert und steht derzeit im Kreuzfeuer der Kritik. ”Die Automultis schicken bereits große Kontingente ihrer Arbeiter auf die Straße. Diese Branche ist die letzten Jahre sehr stark gewachsen, machte hohe Gewinne. Deshalb sagen die Beschäftigen jetzt, wir wollen eine Arbeitsplatzgarantie. Die Regierung hat den Automultis in der jetzigen Krise bereits Vergünstigungen gewährt “ und Arbeitsminister Lupi sagt, solche Firmen dürften nicht entlassen. Sie tun es aber trotzdem. Die Gewerkschaften haben jetzt ihre Verhandlungen mit dem Industriellenverband von Sao Paulo gestoppt und wollen nun bei der Lula-Regierung auf ein Maßnahmenpaket gegen die Krise drängen. Denn wir kommen aus dieser Krise nur heraus, wenn Brasilia die Hochzinspolitik aufgibt und damit mehr Mittel etwa für den Wohnungsbau, für Straßen und dringend erforderliche Infrastrukturmaßnahmen freibekommt. Die Arbeitskosten in Brasilien sind im internationalen Vergleich immer noch sehr niedrig “ deshalb kommen soviele ausländische Firmen hierher, alle großen Autowerke Brasiliens sind Multis “ und haben in unserer Wirtschaft sehr großes Gewicht.”
Derzeit vergeht so gut wie kein Tag, an dem Brasiliens Medien nicht über neue Entlassungen berichten. Besonders betroffen von der Krise ist die Zucker-und Ethanol-Industrie – statt der 43 für 2009 geplanten neuen Fabriken sollen gemäß neuen Angaben nur 22 in Betrieb gehen. Schmerzhaft ist auch der Stopp anderer Industrieprojekte: So werden der brasilianischen Minenkonzern Vale und die chinesische Baosteel im Teilstaat Espirito Santo kein Stahlwerk mehr bauen, das beim Bau 15000 Menschen und nach der Fertigstellung 3000 Arbeiter fest beschäftigen sollte.
Laut europäischen Einschätzungen wirkte sich die Krise indessen in Brasilien kaum aus.
Im Dezember 2010 analysierte der Unternehmer Roberto Giannetti da Fonseca die besorgniserregende “verfrühte”Deindustrialisierung:
“O coeficiente de importação nada mais é do que a relação da importação de manufaturados sobre o consumo aparente doméstico de manufaturas (produção local – exportações + importações).
É isso que se observa hoje em dia na economia brasileira. Vamos aos fatos e dados: segundo a Federação das Indústrias do Estado de São Paulo (Fiesp), o coeficiente de importação da indústria brasileira subiu de 16,9% no 2.º trimestre de 2009 para 22,7% no 3.º trimestre de 2010, portanto um salto espetacular em pouco mais de 12 meses. Estima-se que no final de 2010 poderá estar próximo de 25%. Outro fato a ser observado é a substituição de matérias-primas e máquinas locais por importadas, na indústria de transformação. Vejam só, os carros aqui produzidos continuam sendo Made in Brazil, mas seu conteúdo importado, em muitos casos, subiu mais de 50% nos últimos dois anos. Até o aço utilizado na indústria brasileira é crescentemente importado. O coeficiente de importação setorial subiu de 8,6% para incríveis 17,3% no mesmo período acima observado. Quantos industriais brasileiros nós conhecemos que, sem outra alternativa, reduziram suas linhas de produção ou mesmo fecharam suas fábricas no País e terceirizaram sua fabricação na China, tornando-se agora prósperos importadores e distribuidores de seus próprios produtos e marcas, em vez de permanecerem como industriais deficitários?
Se com estes fatos e dados não identificarmos o cerne e as causas do preocupante processo de desindustrialização precoce no Brasil, então estaremos cometendo um autoengano fatal, um quase suicídio econômico de nossa emergente nação.”
Wirtschaftskrise und Slum-Elend in Brasilien:
Wirtschaftslage 2013: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/28/brasilien-hohe-wachstumshemmende-leitzinsen-steigen-auf-10-fur-industrieellenverband-cni-bremst-dies-investitionen/
Brasilien – Daten, Statistiken: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
http://www.hart-brasilientexte.de/2013/11/08/brasilien-kultur-und-gesellschaft-sammelbandtexte/
Das Buch zum Land – “Brasilien fürs Handgepäck”, Unionsverlag Zürich: http://www.unionsverlag.com/info/title.asp?title_id=2720
“Der Irak ist hier”: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/09/13/der-irak-ist-hier-menschenrechts-samba-von-jorge-aragao-aus-rio-de-janeiro-seit-jahren-hochaktuell-das-blutbad-vom-september-2012/
Neoliberaler Zeitgeist am Zuckerhut – der Waffen-Rap, anklicken(2013):http://www.youtube.com/watch?v=ZthNYozVwNM
« Brasilien, Präsidentschaftswahlen 2014, erster Durchgang ohne Wahlgewinner – Stichwahl zwischen Dilma Rousseff und Aecio Neves am 26. Oktober: Dilma Rousseff(PT) rd. 42 %, Aecio Neves(PSDB) rd.34 %, Marina Silva(PSB) rd. 21 %. Gouverneur Geraldo Alckmin(PSDB) des wirtschaftlich wichtigsten Teilstaats Sao Paulo wiedergewählt. Rechtspartei PSDB und die Anti-WM-Proteste. „Es lebe die alte Politik“(Kommentar der auflagenstärksten Qualitätszeitung Folha de Sao Paulo). – Brasilienwahlen 2014 – erste Stellungnahmen aus der katholischen Kirche, deren befreiungstheologischem Flügel. „Aecio Neves ist rechts bis rechtsextrem.“ „Politisch sind die Leute hier Halbanalphabeten.“ Millionärsparlament, Lula-Einkommen, Verelendung, Arbeitslosigkeit… “Die Wirtschaft blüht, und im Land herrscht Vollbeschäftigung.” Frankfurter Allgemeine Zeitung, Juni 2013 »
Noch keine Kommentare
Die Kommentarfunktion ist zur Zeit leider deaktiviert.