Kolumne: Grauzone. Spätestens seit Pegida wird zwischen legitimen und nicht legitimen Ängsten unterschieden, die Protestler werden pathologisiert. Das beliebteste Argument dabei: Der Pegida-Protest sei Ausdruck diffuser Ängste. Mag sein. Doch Politik lebt nun mal von Ängsten
Was war eigentlich los Ende des letzten Jahres? Da gab es Tage, an denen hatte man das Gefühl, in Deutschland hätte man den Verstand verloren. Und nicht nur den Verstand, sondern auch noch gleich Nüchternheit, Augenmaß und Contenance dazu.
Wenn das politische Establishment am Rad dreht
Ursache für die Hysterie waren Demonstrationen. Die verliefen friedlich. Es brannten keine Autos, es kam zu keinen Straßenschlachten, niemand wurde verletzt, es wurden keine Geschäfte geplündert. Soweit war alles in Ordnung.
Aber oh weh: Die Demonstrationen richteten sich gegen eine befürchtete Islamisierung Europas, organisiert von einem Verein mit dem etwas gespreizten Namen „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, kurz: „Pegida“.
Konnte Sigmar Gabriel bei Pegida immerhin noch „berechtigte Sorgen“ ausmachen, so warnte Hannelore Kraft vor „Rattenfängern“, Yasmin Fahimi vor „geistigen Brandstiftern“ und Gerhard Schröder, Gazprom-Sachverständiger für Ethik, forderte einmal mehr einen „Aufstand der Anständigen“.
Justizminister Heiko Maas sah eine „Schande für Deutschland“, und der Grüne Cem Özdemir sprach mit Blick auf die Demonstranten folgerichtig von „Mischpoke“ und drohte mit dem Rechtsstaat.
Das Kanzleramt entscheidet, was Hetze oder Skepsis ist
In diesem Chor der Entrüsteten durften die Kirchen natürlich nicht fehlen: Der Bamberger Erzbischof Schick exkommunizierte die Pegida-Demonstranten symbolisch, sie seien „nicht christlich“. SPD-Mitglied und EKD-Ratsvorsitzender Bedford-Strohm fand die Demonstranten in Leipzig „unerträglich“ und forderte volkspädagogische Maßnahmen.
Den Gipfel an paternalistischer Zurechtweisung lieferte jedoch die Kanzlerin höchstselbst. Zwar gäbe es in Deutschland die Demonstrationsfreiheit, klärte Frau Merkel auf, aber für Hetze und Verleumdung sei kein Platz.
Das stimmt so ganz allerdings nicht. Selbstverständlich darf man in Deutschland hetzen: etwa gegen „die Märkte“, „die Wall Street“ oder „Heuschrecken“. Nun ist es zwar ein Unterschied, ob sich der Protest gegen abstrakte Größen wie Märkte oder die Wall Street richtet – statt wie im Pegida-Fall gegen Menschen. Doch was Hetze und Verleumdung ist, was hingegen Sorge oder begründete Skepsis, das entscheidet man heutzutage im Kanzleramt. Gut zu wissen.
Angesichts dieser politischen Einheitsfront hätte die Sternstunde der Medien schlagen können. Was für eine Chance! Was ein Eldorado für differenzierte Analyse, für unvoreingenommene Berichterstattung und genaue Recherche.
Der scheinheilige öffentliche Umgang mit „Pegida“
Doch Pustekuchen. Statt neutraler und nüchterner Berichte wurde die ganz große Keule rausgeholt. Tenor: Pegida habe keine rationalen Argumente, lebe von Ängsten, Ressentiments und Provinzialität, eine differenzierte Betrachtung, gar eine Auseinandersetzung mit den Anliegen der Demonstranten lohne nicht. Man müsse sie bekämpfen. Mehr Parteilichkeit war selten.
Doch Häme und intellektueller Dünkel machen mitunter blind. So vermeldete Spiegel-Online triumphierend, dass nur 0,1 % der in Sachsen lebenden Menschen Muslime seien, „insgesamt also 4.000 Menschen“. Und alle schrieben es ab, vermutlich mit einem richtig guten Gefühl im Bauch.
Doch leider: Eine einfache Recherche hätte genügt, um darauf zu stoßen, dass allein in Leipzig mindestens 9.000 Muslime leben. Das sind natürlich nicht viele, schon gar nicht in einer Stadt mit 551.000 Einwohnern. Aber wo sowieso schon Vorbehalte gegenüber „den Medien“ herrschen, ist so etwas Öl ins Feuer.
Wie scheinheilig der öffentliche Umgang mit „Pegida“ ist, zeigt sich jedoch vor allem in dem Versuch, ihre Anhänger zu pathologisieren. Das beliebteste Argument dabei: „Pegida“ sei nichts anderes als der Ausdruck diffuser Ängste. Mag sein. Doch wo ist das Problem? Politik lebt nun mal von Ängsten: der Angst vor Arbeitslosigkeit, der Angst vor Krieg oder vor Umweltzerstörung: Menschen wählen Parteien, weil sie Zukunftssorgen haben.
Doch offensichtlich gibt es in unserem Land legitime Ängste und nicht legitime Ängste. Erlaubt ist etwa die Angst vor der Klimakatastrophe oder vor dem Atomtod. Nicht erlaubt, ist die Angst vor dem Islam oder davor, die eigene Identität zu verlieren.
Es gibt ein Recht, kleinbürgerliche Anliegen zu artikulieren
Was dabei ignoriert wird: Es gibt ein Recht auf ein Weltbild, das in progressiv-linken Milieus als spießig empfunden wird. Es gibt ein Recht, angeblich kleinbürgerliche oder provinzielle Anliegen zu artikulieren. Und es ist ein durchaus legitimes Anliegen, die kulturelle Homogenität der eigenen Heimat, so wie man sie kennt und in ihr groß geworden ist, zu bewahren und zu erhalten.
Im Grunde haben wir es hier nicht mit Fragen von „richtig“ oder „falsch“ zu tun. Der Kern der Auseinandersetzung betrifft unterschiedliche Lebensentwürfe. Und wahrscheinlich wird sie deshalb so giftig geführt: Hier die Vertreter einer multikulturellen Gesellschaft, dort diejenigen, die auf eine kulturelle Homogenität und Traditionsverbundenheit in ihrer Heimat pochen. Anders als häufig suggeriert, ist es aber nicht so, dass einer dieser Lebensentwürfe per se besser ist als der andere oder gar moralisch überlegen. Es handelt sich schlicht um divergierende Vorstellungen von einer lebenswerten Gesellschaft.
Genau deshalb aber ist die penetrante Empörung, die wir seit Wochen verfolgen können, infam. Vor allem aber ist sie brandgefährlich. Denn nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik wurde der Souverän (das Volk) in einer solchen Weise von den Etablierten in Parteien, Medien und Verbänden beschimpft.
Es mag einem gefallen oder nicht: Nach einer Umfrage von YouGov für Zeit-onlinehaben 30% der Befragten „voll und ganz“, 19% „eher ja“ und immerhin 26% „teils, teils“ Verständnis für Pegida. Kurz: Dreiviertel (!) der Deutschen können die Anliegen von Pegida zumindest teilweise nachvollziehen – und werden von den Meinungsmachern dieses Landes dafür wahlweise wie kleine Kinder, Minderbemittelte oder Schwererziehbare behandelt.
Der sadistisch totgeschlagene Jude und der Albaner – derzeit natürlich kein Thema in der ZEIT und anderen Mainstream-Medien. Ist Ihr Lieblingsmedium etwa eine Ausnahme? Immer noch kein offizielles Mahnmal für den in Berlin 2015 ermordeten Juden Yosi Damari:http://www.hart-brasilientexte.de/2015/07/28/die-einstige-reichshauptstadt-von-adolf-hitler-immer-noch-kein-offizielles-mahnmal-fuer-den-ostern-2015-sadistisch-totgeschlagenen-juden-yosi-damari-am-tatort-erinnert-bisher-fast-nichts-an-das-ver/
Rotes Rathaus Berlin – freier Blick zum Tatort, laut Anwohnern.