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Jüdische Prostituierte in Brasilien/Hintergrundtext
Die große jüdische Gemeinde des Tropenlandes brach ein heikles Tabu ihrer Geschichte
Jahrzehntelang hüteten die „Judeus“ Brasiliens einen dunklen, wunden Punkt ihrer Vergangenheit wie ein Geheimnis, die junge Generation der Gemeinden erfuhr in den Kursen über die Geschichte des Judentums nicht ein einziges Wort darüber. Sao Paulos Rabbiner Henry Sobel, führender Repräsentant der brasilianischen Juden, machte damit Schluß, berichtete auch den Jugendlichen beschämende Wahrheiten, räumte auf mit den letzten Tabus:Sogar in den Edelbordellen der lateinamerikanischen Wirtschaftsmetropole, wo heute weit über einhunderttausend Juden leben, dominierten einst jüdische Prostituierte aus Europa, viele davon tiefreligiös. Den Freiern gaben sie sich wider Willen hin – gewzungen von jüdischen Zuhältern.
Für den Rabbiner Sobel gehört das Drama dieser Frauen zur Chronik der Judenunterdrückung – zu der in diesem Falle Juden selber beigetragen hätten. „Das müssen wir jetzt offenlegen, wenngleich wir die Prostitution nicht billigen.“
Auf einem jüdischen Friedhof der drittgrößten Stadt des Erdballs gab es viele Gräber ohne Namen, nur mit Nummern. Denn dort lagen die „Putas“, andere auf Extra-Friedhöfen nur für jene „zweite“ jüdische Gemeinde. Rabbiner Sobel half mit, sie zu identifizieren, ihre Namen auf den Grabsteinen anzubringen, betete in einer speziellen Zeremonie für sie.
Brasiliens jüdischer Regisseur Iacov Hillel bringt die „Prostitutas judias“ mit großem Erfolg sogar auf die Bühne, erzählt das Leben von Sarah aus Polen: Eines Tages kommt ein Fremder ins Dorf, bittet um ihre Hand, heiratet sie nach jüdischem Brauch, macht große Versprechungen, reist mit ihr nach Brasilien. Entpuppt sich dort als mieser Zuhälter mehrerer Frauen, zwingt Sarah ebenfalls zur Prostitution. Für Hillel alles bislang tabuisiert aus mehreren Gründen: „Jüdische Frauen wurden getäuscht und ausgebeutet von den eigenen Juden. Und außerdem – der Jude, immer so verfolgt, sucht das Image des perfekten, vollkommenen Volkes zu wahren. Wir sind nicht perfekt – und können diese Geschichte nicht unter den Teppich kehren.“ Jüdische Brasilianerinnen hatten sich indessen als erste an das Thema herangewagt, Romane, Doktorarbeiten veröffentlicht, sogar an der Hebräischen Universität von Jerusalem drüber referiert.
–Die „Polacas“ von Rio—
Alles beginnt im Jahre 1867, als in Rio de Janeiro siebzig Frauen an Land gehen. Sie stammen aus Polen und werden deshalb im Volksmund ebenso wie ihre Nachfolgerinnen aus Rußland, Litauen, Rumänien und auch Österreich, Deutschland und Frankreich bald nur noch pejorativ „Polacas“ genannt. Die wenigsten hatten zuvor bereits in den Bordellen der osteuropäischen Ghettos gearbeitet, wollen Misere und Pogromen entfliehen, die Mehrzahl wird, wie Hillels Sarah, Opfer der jüdischen Zuhältermafia Zwi Migdal, die bis in die dreißiger Jahre hinein ihren Sitz in Warschau hatte. Deren Mitglieder reisen in verarmte jüdische Dörfer Osteuropas und geben sich als in Lateinamerika wohletablierte Geschäftsleute auf Brautschau aus. Ohne Kenntnis der Landessprache und ohne Beruf, dazu finanziell völlig abhängig, war das Schicksal der getäuschten Jüdinnen besiegelt, zumal die örtlichen brasilianischen Behörden von Zwi Migdal bestochen werden und deshalb mitspielen. 1888 wird in Brasilien die Sklaverei offiziell abgeschafft, doch auch in den Jahrzehnten danach nennt man die ins Land gelockten Jüdinnen „Escravas brancas“, weiße Sklavinnen. Der Schriftsteller Stefan Zweig besucht 1936 Rios berüchtigtes Bordellviertel Mangue und schreibt in sein Tagebuch:“Jüdinnen aus Osteuropa versprechen die aufregendsten Perversionen – was führte sie dazu, so zu enden, sich für den Gegenwert von drei Francs zu verkaufen? Einige Frauen sind wirklich schön – über allen liegt eine diskrete Melancholie – und deshalb erscheint ihre Erniedrigung, das Ausstellen in einem Schaufenster, nicht einmal vulgär, berührt mehr, als daß es erregt. Ein unvergeßlicher Anblick.“
–„Sie beschmutzen das ganze jüdische Volk“—
Von Anfang an wollten sich jüdische Zuhälter, Prostituierte und deren Angehörige in die lokalen jüdischen Gemeinden eingliedern. Sie werden indessen gemieden, ausgeschlossen und sogar hart bekämpft. 1924 schreibt das „Iidiche Vochenblat“ von Rio:“Sie bedecken uns hier in Brasilien mit Schande, beschmutzen das ganze jüdische Volk!“ Denn nach jüdischem Recht ist Prostitution strengstens verboten. In-und ausländische Organisationen, darunter die „Jüdische Vereinigung zum Schutz von Mädchen und Frauen“ mit Sitz in London, attackieren die Zwi-Migdal-Zuhälter auch in Argentinien und Uruguay, wollen die Frauen aus deren Fängen befreien, doch ohne größeren Erfolg. Ein Rabbiner telegraphiert Jüdinnen in Rio de Janeiro stets die Ankunftsdaten von Schiffen mit „Polaca“-Nachschub. „Meine Mutter ging dann immer zum Hafen, um die Bräute aufzuklären“, so Berta Sapolnik, „aber die meisten glaubten ihr nicht.“
Den „Unreinen“ gelingt es vielmehr, parallele jüdische Gemeinden mit eigenen Synagogen, Wohlfahrtsverbänden, Friedhöfen und sogar Schauspielhäusern zu gründen. Zuhälter sind wichtige Sponsoren des jüdischen Theaters, bei den Premieren sitzen luxuriös zurechtgemachte Polacas in den ersten Reihen und werden so der potentiellen Kundschaft präsentiert. 1931 zählt Brasilien 431 jüdische Bordelle. In Rio und Sao Paulo werden sogar regelrechte Hurenschulen eingerichtet, in denen die noch ungeübten Jüdinnen trainiert werden. Ihr Prostituiertenslang ging vielfach ins brasilianische Portugiesisch über. Wenn ein Freier vermutlich geschlechtskrank war, sie anstecken könnte, raunten sich die Huren „ en Krenke“ zu. Heute sagt in Brasilien jedermann „encrenca“, meint damit Probleme, Unannehmlichkeiten, oder eine Person, von der sie ausgehen.
Erst 1970 endet das triste Kapitel der jüdischen Prostitution mangels Nachschub definitiv, die letzte Wohlfahrtsorganisation der Polacas löst sich auf. Deren Präsidentin, Rebecca Friedman, stirbt 1984 mit 103 Jahren. Die jüdische Historikerin Kushnir beschreibt sie als tiefreligiös und zitiert auch ihre Haltung zum Geschäft:“Der Kunde konnte treife – schmutzig – sein, aber das Geld war koscher.“ Diktator Getulio Vargas läßt bis 1945 viele ausweisen – ein Teil klinkt sich in die Gangsterszene der USA ein – niemand beschrieb das besser als der Publizist Rich Cohen und der Historiker Robert Rockaway, beide angesehene Juden von heute.
–nur noch drei Prostituiertenfriedhöfe–
In der heruntergekommenen Hafenregion Rio de Janeiros liegt der Friedhof – rivalisierende Banditenmilizen angrenzender Slums liefern sich dort regelmäßig Schießereien auch mit deutschen, schweizerischen Waffen. Will die Polizei eingreifen, rückt sie ebenfalls an jenem Tor mit dem Davidstern vor. Die Schüsse stören die Ruhe von 797 jüdischen Prostituierten, ihren Kindern und einigen Zuhältern. Andere liegen in Sao Paulo begraben, der Rest im nahen Cubatao, neben Chemiefabriken. Derzeit stoßen die drei letzten noch existierenden Prostituiertenfriedhöfe auf großes Interesse – Versuche der jüdischen Gemeinde, den „Schandfleck“ auszutilgen, wegzuplanieren, waren in den letzten Jahrzehnten stets fehlgeschlagen. Nicht zuletzt wegen Rabbiner Henry Isaac Sobel, Opponent gegen die einstige Militärdiktatur. In Portugal geboren, in Manhattan aufgewachsen, liebt er das kosmopolitische Sao Paulo, den größten deutschen Wirtschaftsstandort außerhalb Deutschlands, über alles:“Hier fühle ich eine bemerkenswerte Energie, einen Reichtum an Unterschieden, doch vor allem eine menschliche Wärme, die ich niemals in New York finden würde.“
-http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/05/juden-in-brasilien-hintergrundtexte-der-letzten-jahre-mit-dem-arsch-zum-publikum/
Späte Ehrung für jüdische
Prostituierte Brasiliens/Hintergrundtext
Rio de Janeiros große jüdische Gemeinde hat jetzt erstmals mit einer nur von Frauen gestalteten Sabbat-Zeremonie der jüdischen Prostituierten gedacht. Die Feier wurde nicht in einer Synagoge, sondern in einem populären Kulturzentrum des Stadtteils Lapa abgehalten. „Das Thema ist unter uns Juden weiterhin sehr heikel, Vorurteile bestehen weiter”, sagte Rios Rabbiner Nilton Bonder, der die Zeremonie organisierte, im Website-Interview „Es geht um ein Kapitel der jüdischen Einwanderung nach Brasilien “ Geschichte darf nicht versteckt werden.” Denn 1867 gehen im Hafen von Rio de Janeiro siebzig Jüdinnen an Land. Sie stammen aus Polen und werden deshalb ebenso wie ihre vielen Nachfolgerinnen aus Rußland, Litauen, Rumänien, Österreich und selbst Frankreich im Volksmund bald nur noch „Polacas” genannt. Etwa 1200 kommen jährlich. Die allermeisten wurden Opfer der jüdischen Zuhältermafia Zwi Migdal. Deren Mitglieder reisen in verarmte jüdische Dörfer Osteuropas, geben sich als in Lateinamerika wohletablierte Geschäftsleute auf Brautschau aus.
„Viele wollten dem Elend entfliehen, kamen aus sehr religiösen Familien, wurden in die Prostitution von Rio gezwungen und ausgebeutet”, so Rabbiner Bonder. Doch die Frauen seien von der jüdischen Gemeinde Rios verachtet, diskriminiert worden. „Die wußte nicht, wie sie mit diesem Phänomen umgehen sollte, das ja antisemitische Gefühle weckte, antijüdische Stereotype verstärkte.” Die Gemeinde habe versucht, das Problem zu verstecken, unter den Teppich zu kehren. Für Bonder, gleichzeitig ein sehr erfolgreicher Theaterregisseur und Schriftsteller, bringen Misere und Entwürdigung überall auf der Welt, unter allen Völkern stets komplexe soziale Phänomene hervor. „Ich erinnere nur an den zweiten Weltkrieg, den Holocaust, als sich Juden in den Konzentrationslagern extrem grausam gegenüber anderen Juden verhielten.”
Um 1870 herrscht im kolonialistischen Brasilien enormer Männerüberschuß. Zeitzeugen berichten erschreckt von langen Schlangen vor den Zimmern der Polacas. Sogar in den Edelbordellen der lateinamerikanischen Wirtschaftsmetropole Sao Paulo, wo heute weit über einhunderttausend Juden leben, dominierten einst Polacas, viele davon tiefreligiös. 1931 zählt Brasilien über vierhundert jüdische Bordelle. 1936 besucht der Schriftsteller Stefan Zweig Rios berüchtigtes Hurenviertel Mangue und schreibt in sein Tagebuch, daß jene Jüdinnen aus Osteuropa die aufregendsten Perversionen versprächen. „Was führte sie dazu, so zu enden, sich für den Gegenwert von drei Francs zu verkaufen?”
Notgedrungen gründen die Prostituierten in Rio eine zweite jüdische Gemeinde, mit eigenem Friedhof, eigener Synagoge. „Die Polacas feierten dort die jüdischen Feste, obwohl es damals noch gar keine Liturgie für Frauen gab”, hebt Rabbiner Bonder hervor. „Die jüdischen Prostituierten waren von beachtlicher Wirkung auf das kulturelle Leben, die Künstlerszene Rio de Janeiros “ sie inspirierten Musiker zu vielen Kompositionen.” Natürlich stelle sich auch die Frage, warum die Polacas dieses Gewerbe, dieses Leben nicht aufgaben. Denn im Durchschnitt wurden sie nur vierzig Jahre alt.
Von ihren Friedhöfen gibt es derzeit in Brasilien nur noch drei – das triste Kapitel der jüdischen Prostitution endete 1970. Die vielen Nachfahren der Polacas wahren Diskretion. Rabbiner Bonder nennt die jüngste Zeremonie von Rio einen Akt der Gerechtigkeit gegenüber diesen Jüdinnen “ jetzt seien sie endlich Teil der Gemeinde.
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/06/osterprozession-in-tiradentes-brasilien/
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http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/27/zdf-adveniat-gottesdienst-in-favela-cachoeirinha-von-sao-paulo-2011-brasiliens-kontraste-fotoserie/
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