Ist es 70 Jahre nach Kriegsende möglich, die Verbrechen der Befreier zu thematisieren, ohne den Vorwurf heraufzubeschwören, damit Nazi-Verbrechen relativieren zu wollen?
Michael Renz: Die Nazi-Verbrechen im Namen Deutschlands sind nicht relativierbar. Diese Schuld wird in der deutschen Geschichte immer eine Rolle spielen, an sie gilt es weiter intensiv zu erinnern. Und wir stellen sie in unserer Dokumentation auch nicht in Relation zu den Vergehen der Befreier. Wir legen großen Wert auf den Begriff Befreier – denn es war eine Befreiung. Ohne die Millionen alliierter Soldaten, die dafür ihr Leben aufs Spiel gesetzt und verloren haben, wäre Europa nicht von der Knute der Nazis befreit worden. Was nun die Frage nach dem Zeitraum „70 Jahre nach Kriegsende“ betrifft: Historiker aus dem anglo-amerikanischen Raum sagen uns: Mit dem Thema seid ihr aber spät dran – es ist doch längst Faktum in der Forschung, dass es Verbrechen auf Seiten der Befreier gegeben hat.
Sind diese Verbrechen vor allem als Vergeltungstaten einzuschätzen?
Michael Renz: Unsere These dazu lautet: Soldaten aller im Zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten haben Kriegsverbrechen begangen, der Unterschied dabei: Auf deutscher Seite wurden die Kriegsverbrechen von oben angeordnet und definitiv beabsichtigt. Dort waren sie die Regel und nicht die Ausnahme. Bei den Alliierten sprechen wir dagegen über Verbrechen, die die Ausnahme und nicht die Regel waren.
Ende Februar ist Miriam Gebhardts Buch „Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs“ erschienen. Ist auch das ein Hinweis darauf, dass die Zeit reif ist, dieses Thema in der Erinnerungskultur umfassender zu verankern?
Annette Harlfinger: Tatsächlich sind die Vergewaltigungen deutscher Frauen im Osten zum Ende des Zweiten Weltkriegs schon über Jahrzehnte ein Thema, belegt durch Dokumente sowie durch Opfer- und Augenzeugenberichte. Das ist in die Erinnerungskultur eingegangen, während die Aufmerksamkeit für die Vergewaltigungen im Westen nicht besonders ausgeprägt war. Das hat auch damit zu tun, dass die Erinnerungskultur politisch ausgerichtet war. Opferberichte, wonach Frauen von amerikanischen Soldaten vergewaltigt worden waren, gab es schließlich auch, aber in der jungen Bundesrepublik wollte niemand das Verhältnis zum Bündnispartner belasten. Mittlerweile hat die historische Forschung aber erkannt, dass dies ein thematisches Feld ist, das noch klarer beackert werden muss. Miriam Gebhardt hat mit ihrem Buch „Als die Soldaten kamen“ für Deutschland eine erste große Untersuchung vorgelegt, in den USA gibt es bereits deutlich mehr Forschungen dazu.
Wie binden Sie diesen aktuellen Trend in der historischen Forschung in Ihre Dokumentation ein?
Annette Harlfinger: Miriam Gebhardt kommt in der Doku zu Wort und schildert ihre Erkenntnisse. Dabei werden wir auch die umstrittene Methode ansprechen, mit der sie zu ihrer Schätzung der Gesamtzahl an Vergewaltigungen im Westen und Osten kommt. Sie hat als Grundlage die Zahl der Besatzungskinder genommen, die 1945 und in den Jahren danach zur Welt gekommen sind und deren Vater laut Aussagen der Mütter ein alliierter Soldat aus dem Westen war. Sie nimmt an, dass nur fünf Prozent der Vergewaltigungen angezeigt oder von den Müttern öffentlich gemacht wurden und dass nur jede zehnte Vergewaltigung zu einer Schwangerschaft führte – eine Schätzung auf Schätzung. Ihre Zahl ist entsprechend hoch: 430.000 Fälle allein für den Westen. Der amerikanische Historiker Robert Lilly kommt dagegen in seiner Schätzung auf rund 11.000 deutsche Frauen, die von Soldaten der US-Army vergewaltigt worden sein sollen.
Liegt denn bei den „Verbrechen der Befreier“ der Fokus vor allem auf den US-Militäreinheiten?
Michael Renz: Nein, wir schauen auch, wie Briten und Kanadier darin verstrickt waren. Auch da gab es Übergriffe gegen Kriegsgefangene und eine Spirale der Gewalt als Folge von deutschen Übergriffen auf alliierte Kriegsgefangene. 70 Jahre nach Kriegsende stellt sich dabei zunächst die Frage: Woher wissen wir eigentlich von den Fällen – es gibt kaum Akten, keine Kriegsgerichtsakten, auch in den Kriegstagebücher der Militäreinheiten sind die Vorkommnisse meist nicht eingetragen. Am ergiebigsten ist da die US-amerikanische Memoirenliteratur, in der oft unverblümt dargestellt wird, dass diese oder jene fünf Kriegsgefangenen beim Vormarsch im Weg waren und deswegen an die nächste Wand gestellt wurden. Bei den Briten findet man dagegen selten solche eindeutigen Erinnerungen. Während US-Schriftsteller Ernest Hemingway in den 50er Jahren ganz offen an seinen Verleger schrieb, dass er deutsche Kriegsgefangene erschossen habe, die frech geworden seien, findet man solche Bekenntnisse bei britischen Kriegsteilnehmern nicht.
Wie widmen sich britische Historiker dem Thema, dass es bei der Befreiung im Zweiten Weltkrieg zu den erst später so genannten Kollateralschäden gekommen ist?
Michael Renz: Unter den britischen Fachhistorikern ist das kein Novum, in der breiten Öffentlichkeit allerdings schon. Der Historiker Anthony Beevor, vor einigen Jahren schon mit seinem Buch „D-Day – Die Schlacht um die Normandie“ am Thema dran und derzeit mit seiner umfassenden Publikation zu „Der Zweite Weltkrieg“ im Gespräch, hat im vergangenen Sommer die Kriegsverbrechen der Befreier in einer britischen Tageszeitung thematisiert und einen Shitstorm geerntet, wie er es denn wagen könne, am Glorienschein zu kratzen.
Schildern Sie Fallbeispiele mit Zeitzeugen-Interviews, um in der Dokumentation das traumatische Thema Vergewaltigung durch Soldaten der Befreier umzusetzen?
Annette Harlfinger: 70 Jahre nach Kriegsende stellt sich nicht nur die Frage, wie viele der Zeitzeugen noch leben. Ebenfalls ist zu fragen: Möchte man es hochbetagten Opfern von damals wirklich noch einmal zumuten, vor der Kamera das weit zurückliegende Geschehen in Erinnerung zu rufen? Wir greifen deswegen in unserer Dokumentation auf Audio-Interviews zurück, die in den 90er Jahren anonym geführt wurden. Zudem nutzen wir Tagebücher und Autobiografien. Wir erzählen zum Beispiel die Geschichte der 1974 verstorbenen Schauspielerin und Kabarettistin Ursula Herking, die damals in ihrer Autobiografie „Danke für die Blumen“ Übergriffe durch US-amerikanische Soldaten dokumentiert hatte. Mit Assoziativ-Drehs setzen wir dann zum Beispiel Zitate aus diesen Lebenserinnerungen um. Allerdings verzichten wir bewusst auf Reenactments – das Nachstellen von Vergewaltigungen und Erschießungen erschien uns nicht angemessen.
Werden die militärischen Operationen vor allem mit Archivbildern vom Sturm auf Hitlers Atlantikwall am D-Day veranschaulicht oder drehen Sie an der Omaha-Beach und an anderen Orten in der Normandie ganz aktuell?
Michael Renz: Natürlich sind wir an den Originalschauplätzen unterwegs, drehen in der Normandie, in Dachau und anderswo. Aber ebenso greifen wir auf die historischen Zeugnisse zurück, die uns bereits vorliegen. Und an Fallbeispielen schauen wir dann, wie zum Beispiel die Briten das Konzentrationslager Bergen-Belsen und die US-Amerikaner das KZ in Dachau befreit haben – in dem einem Fall wurde mehr Wert auf Prozesse gegen die KZ-Schergen gelegt als in dem anderen, in dem eher der kurze Prozess bevorzugt wurde.
Sind auch die Luftangriffe, mit denen die Alliierten 1944 und 1945 den Krieg dorthin zurückbrachen, wo er begonnen hat, ein Thema in Ihrer Dokumentation?
Michael Renz: Spätestens seit Jörg Friedrichs Buch „Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940 – 1945“ kann man keinen Bogen mehr um das Thema machen. Allerdings sind die Luftangriffe aus unserer Sicht nicht als Kriegsverbrechen zu bewerten: Sie hatten ein militärisches Ziel, die Kriegskraft des Gegners zu schwächen. Das war im Ergebnis grausam und schrecklich, aber militärisch gerechtfertigt.
Und wie umfangreich kommen in den 45 Filmminuten die Fachhistoriker zu Wort?
Annette Harlfinger: Historiker, Psychologen und Kriminalexperten sind unsere einzigen O-Ton-Geber, das reicht von britischen Militärhistoriker über US-Gutachter bei den Guantanamo- und Abu Ghraib-Prozessen bis zu Kriminalpsychologen, die erklären, warum Menschen, die eigentlich Helden sind, zu Verbrechern werden. Und neben der schon erwähnten Miriam Gebhardt kommt vor allem auch Robert Lilly zu Wort, der einzige Historiker, der auf Basis der Militärakten forschen konnte, in denen die Vergewaltigungen erwähnt sind.
Mit Annette Harlfinger und Michael Renz sprach Thomas Hagedorn. ZDF
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Nordstream 2:
Ausriß, Pegida-Plakat.
“Amerikas Anmaßung” – Richard Kiessler, Thüringer Allgemeine: “…Die Interventionskriege der USA in Vietnam, Irak oder Afghanistan haben diesen Glauben ins Wanken gebracht. Aber erschüttern müssen uns die kaltschnäuzigen Lauschangriffe der NSA, die uns wie eine Bananenrepublik dastehen lassen…In Deutschland wächst eine Generation heran, für die das Festhalten an transatlantischen Bindungen keineswegs mehr selbstverständlich ist…Die Gewißheit, dem Mißtrauen der US-Regierung ausgesetzt zu sein, verletzt eine Mehrheit der Deutschen tief…Die USA suchen mit ihren Spionagefähigkeiten 4.0 handfeste wirtschaftliche Vorteile aus den Ideenküchen deutscher Unternehmen zu ziehen…Die Weltmacht jenseits des Atlantik fühlt sich frei, alles zu tun, was ihr nützt. Wir folgen dieser Anmaßung nicht.” 9.7.2015
http://www.hart-brasilientexte.de/2019/12/23/usa-sanktionen-gegen-nord-stream-2-mehrere-tage-nach-verhaengung-immer-noch-keine-adaequate-groko-antwort-in-relation-zum-wertvolumen-des-deutsch-russischen-gasgeschaefts-thueringen-ministerpraeside/
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