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Angriffskrieg

Angriffskrieg

… findet ein solcher in der Ukraine statt? Und von wem wird er geführt? Vor allem aber: Warum sollte der US-geführte NATO-Wertewesten damit ein Problem haben?


Hat er ja auch nicht. Seine Lautsprecher sind Heuchler, Moralisten, Spiegelfechter. Jeder Krieg des Wertewestens war nicht nur ein Angriffskrieg sondern auch viel mehr gegen zivile Infrastruktur gerichtet, als es Russland in der Ukraine jemals tun könnte. Es genügt, sich an die Kriege gegen Korea, Vietnam, Irak, Libyen und Syrien (Liste unvollständig) zu erinnern.


Jeder Krieg des Wertewestens war ein Angriffskrieg. Doch nie haben es die medialen Politschranzen gewagt, dies auch so offen auszusprechen. Aber jetzt, im Ukraine-Konflikt, bei dem man es mit einem Gegner zu tun hat, den man nicht „zur Not“ einfach „in die Steinzeit zurückbomben“ kann, ist es zum manischen Zwang geworden, vom „russischen Angriffskrieg“ zu fabulieren. Die Millionen toter Zivilisten in Korea, Vietnam und dem Irak waren natürlich nur „Kollateralschäden“ im Rahmen „humanitärer Interventionen“, ein „Anti-Terror-Kampf“ (1) oder gar „Polizeiaktionen“ (siehe Korea-Krieg). Das Leugnen der Verantwortung des „Wertewestens“ für die eigenen, losgetretenen Kriege, fernab der eigenen Grenzen manifestiert sich im Verschweigen desselben.

Abgesehen davon, dass der „Wertewesten“ Ende der 1990er Jahre zu all dem noch den Präzedenzfall Jugoslawien geschaffen hat. Der Krieg gegen diesen Balkan-Staat brach so ziemlich alle Regeln des Völkerrechts, zu denen sich auch die Aggressoren — wie man sieht in verlogener Weise — bekannt hatten. Allein, dass er losgetreten wurde, war ein Völkerrechtsverbrechen. Keiner der Verantwortlichen wurde dafür jemals zur Verantwortung gezogen. Die Journaille zur Durchsetzung der zu veröffentlichenden Meinung hat es nie gewagt, das Verbrechen als solches zu benennen, geschweige denn diese zu verurteilen (2). Dafür stellte man, ganz im Sinne von Siegerjustiz, die Repräsentanten des angegriffenen Staates vor abhängige, voreingenommene Gerichte.

Russland tut in der Ukraine mitnichten das Gleiche wie die NATO in Jugoslawien, Libyen, dem Irak oder Syrien. Aber selbst wenn man es annähme, wird die hässliche Propaganda des „Wertewestens“ überdeutlich, wenn man das Muster erkennt, nachdem er Kriege ideologisch beurteilt. Ein Muster welches sich zusammenfassen lässt als: „Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Was wir tun, das ist zweifelsfrei gut, notwendig, angemessen und alternativlos. Wenn ihr es tut, ist es verbrecherisch und verdient das Entsetzen und die Verabscheuung der Guten. Und die Guten sind natürlich wir, und nur wir.“

Die, per se verlogene, Doppelmoral des „Wertewestens“ möchte an einem Beispiel belegt werden. Am 25. Mai 1999 wurden NATO-Sprecher Jamie Shea im Rahmen einer Pressekonferenz zum Stand des brutalen Angriffskrieges gegen Jugoslawien einige Fragen gestellt. Eine dieser, samt Antwort des NATO-Sprechers, wollen wir uns wieder ins Gedächtnis bringen.

Zuvor zur Erinnerung: Kraftwerke in Jugoslawien zu bombardieren, war völlig in Ordnung (3, 4), wegen „Dual Use“, Sie wissen schon. Kraftwerke werden indirekt schließlich auch für militärische Zwecke betrieben. Diese Bombardierungen wurden von den Tätern und ihren medialen Beisitzern moralisch legitimiert. Nun argumentiert die russische Führung und dessen Militär in Bezug auf gleichartige Angriffe in der Ukraine exakt in der gleichen Weise und wird dafür vom „Wertewesten“ moralisch delegitimiert.

Damit nun zur Frage :

„Wenn Sie sagen, dass die [jugoslawische] Armee über viele Generatoren verfügt, warum entziehen Sie dem Land nicht nur 70% der Elektrizität, sondern auch der Wasserversorgung, weil die [NATO] Ihrer Meinung nach nur militärische Einrichtungen angreift.“ (5)

Antwort :

„Leider sind die Kommando- und Kontrollsysteme auch von der Elektrizität abhängig. Wenn Milosevic wirklich will, dass seine Bürger Wasser und Strom haben, muss er nur die Bedingungen der NATO akzeptieren, und wir werden diese Kampagne stoppen. Solange er das nicht tut, werden wir weiterhin die Ziele angreifen, die seine Armee mit Strom versorgen. Wenn es Konsequenzen für die Bevölkerung gibt, ist das sein [Milosevics] Problem. Wasser und Strom werden gegen die serbische Bevölkerung eingesetzt, wir haben sie dauerhaft oder für lange Zeit „abgeschnitten“, um das Leben der 1,6 Millionen Kosovaren zu schützen, die aus ihren Häusern vertrieben wurden und deren Leben schwer geschädigt wurde. Dieser Unterschied wird nicht jedem gefallen, aber für mich ist dieser Unterschied von grundlegender Bedeutung.“ (5i)

Die Bedingungen der NATO beinhalteten übrigens die Aufgabe der Souveränität des Staates Jugoslawien und seine weitere Zersplitterung. Und kurz nachdem dieser schäbige Krieg gegen das Land siegreich für die US-NATO beendet wurde, erbaute man in der Jugoslawien geraubten Provinz Kosovo die größte Militärbasis der USA in Europa, Camp Bondsteel.

Mir ist nicht bekannt, dass, ob der Begründung des NATO-Sprechers für die Bombardierung ziviler Infrastruktur in Jugoslawien, die westlichen Massenmedien in Empörung und Verurteilung aufgegangen wären. Aber jetzt, im Ukraine-Konflikt, läuft ihnen nur so der Geifer der Empörung aus den Lautsprechern — Doppelmoral, Verlogenheit, ideologische Verblendung und grenzenloser Opportunismus eben.

Es gab im Jahre 1999 keinen NATO-Bündnisfall. Kein Mitgliedsland des Paktes war in seiner Souveränität bedroht. Kurzum: Es handelte sich um einen völkerrechtswidrigen, verbrecherischen Angriffskrieg.

Nicht anders war es, als die USA, im Bunde mit Großbritannien und einer „Koalition der Willigen“ unter konstruierten Vorwänden den Irak überfielen. Ein Land mit dem sie gar keine gemeinsame Grenze besitzen, ein Land das tausende Kilometer weit weg von den eigenen Territorien liegt. Dieser verbrecherische Angriffskrieg ist praktisch bis zum heutigen Tage nicht beendet und er hat über eine Millionen Iraki, in der überwiegenden Mehrzahl Zivilisten, das Leben gekostet.

Wo waren die Rufe der deutschen Politiker und Gazetten nach umfassenden Sanktionen gegen die Aggressoren? Es gab sie nicht. Es konnte diese nicht geben. Denn dann hätte der Schwanz mit dem Hund gewedelt. Weil man nie souverän in seinen Entscheidungen war. Und dazu eingespurt auf die Ideologie der tatsächlich Mächtigen, denen man Vasallendienste leistet. Auch die libysche Tragödie hat entscheidend der Wertewesten zu verantworten, als er unter ebenso fadenscheinigen Vorwänden wie im Falle des Iraks, einen verbrecherischen Angriffskrieg gegen das nordafrikanische Land startete und, ebenso wie im Irak, dessen Führer ermorden ließ.

Keine Sanktionierung, keine Gerichtsverfahren, ja nicht einmal das Wort Angriffskrieg kommt den Hütern der zu veröffentlichenden Meinung über die Lippen, wenn es um die oben angerissenen Kriege westlicher Staaten geht. Aber jetzt suhlen sie sich, bellizistisch aufgebürstet, in ihrer Doppelmoral, um einen von ihnen selbst extrem eng geframten Konflikt im Osten Europas als russischen Angriffskrieg zu bejammern. Es ist im Grunde eine erbärmliche, abstoßende Show.

Damit kommen wir ein weiteres Mal zu den öffentlich-rechtlichen Sendern hierzulande, die der Macht nach dem Munde sprechen und sich mehr als je zuvor auf die Zungen beißen, wenn es um die Vermittlung der Wahrheit geht, auch (zum Beispiel) jener des Jugoslawien-, Irak- und Libyen-Krieges und folgerichtig auch jener des Krieges in der Ukraine.


publikumsservice@tagesschau.de, tagesschau@ndr.de

An die Redaktion der ARD-Tagesschau,

Guten Tag,

mein Anliegen in diesem offenen Brief ist recht kurz gefasst und die Antwort Ihrerseits sollte deshalb nicht allzu schwer sein:

Warum verwenden Sie bei der Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt beständig das Vokabular vom „russischen Angriffskrieg“, vom „russischen Aggressor“, gar von einem „verbrecherischen Angriffskrieg auf eine Demokratie“ (6)? Wobei ich mich bei letzterem frage, ob Sie tatsächlich allen Ernstes annehmen, dass es in der Ukraine eine auch nur halbwegs funktionierende Demokratie gäbe (7 bis 20).

Damit Sie besser verstehen, worauf ich hinaus will, weise ich Sie darauf hin, dass, so dieses Vokabular bei Ihnen einen tatsächlich sachlichen und damit journalistischen Standards genügenden Hintergrund hat, sich dieses mit Ihrer Berichterstattung zu anderen Konflikten extrem „beißt“. Nur als Beispiele seien Ihre Berichterstattungen zu den Angriffskriegen unter US-amerikanischer Führung gegen Jugoslawien, Irak, Libyen und Syrien genannt (21 bis 23).

In Erwartung einer baldigen, ebenfalls veröffentlichten Antwort

Peter Frey

Bitte bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen – insbesondere der deutlich sichtbaren Verlinkung zum Blog des Autors – kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Bei internen Verlinkungen auf weitere Artikel von Peds Ansichten finden Sie dort auch die externen Quellen, mit denen die Aussagen im aktuellen Text belegt werden. Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2023.

(1) 30.10.2008; Deutsche Welle; Ein trauriger Haufen: Bushs „Koalition der Willigen“; https://www.dw.com/de/ein-trauriger-haufen-bushs-koalition-der-willigen/a-3752994

(2) 27.03.2019; MDR; NATO-Einsatz in Jugoslawien: Der Sündenfall?; https://www.mdr.de/heute-im-osten/interview-zwanzig-jahre-nato-angriff-jugoslawien-100.html

(3) 23.05.1999; CNN; NATO strikes at Yugoslav power plants; http://edition.cnn.com/WORLD/europe/9905/23/kosovo.01/

(4) 25.05.1999; Washington Post; Philip Bennett, Steve Coll; NATO Warplanes Jolt Yugoslav Power Grid; https://www.washingtonpost.com/wp-srv/inatl/longterm/balkans/stories/belgrade052599.htm

(5, 5i) 25.05.1999; NATO, Brüssel; NATO-Sprecher Jamie Shea; https://www.nato.int/kosovo/press/p990525b.htm

(6) 12.09.2022; ARD, monitor; Georg Restle; Der Tagesthemen-Kommentar von Georg Restle zu Waffenlieferungen in die Ukraine vom 12.09.2022; https://www1.wdr.de/daserste/monitor/interaktiv/kommentar-waffenlieferungen-ukraine-100.html

(7) 21.08.2021; ORF; Ukraine: Oppositionelle Internetseite geschlossen; https://orf.at/stories/3225731/

(8) 30.07.2022; The Grayzone; „These are animals, not people“: Zelensky frees convicted child rapists, tortures to reinforce depleted military; https://thegrayzone.com/2022/07/30/zelensky-militants-convicted-child-rape-torture-military/; deutsche Übersetzung entnommen bei: https://www.barth-engelbart.de/?p=238390

(9) 04.03.2022; The Grayzone; Alexander Rubinstein, Max Blumenthal; How Ukraine’s Jewish president Zelensky made peace with neo-Nazi paramilitaries on front lines of war with Russia; https://thegrayzone.com/2022/03/04/nazis-ukrainian-war-russia/

(10) 30.12.2021; taz; Bernhard Clasen; Sender verboten und verschwunden; https://taz.de/Pressefreiheit-in-der-Ukraine/!5824760/

(11) 03.02.2021; ORF; Drei oppositionelle Nachrichtensender in Ukraine verboten; https://orf.at/stories/3200001/

(12) 13.07.2019; Deutsche Welle, dpa; Ukrainischer Sender mit Granatwerfer beschossen; https://www.dw.com/de/ukrainischer-fernsehsender-mit-granatwerfer-beschossen/a-49580901

(13) 01.11.2018; OSZE; OSCE Representative disappointed after third extension to Kirill Vyshinsky’s pre-trial detention in Ukraine, reiterates call for his release; https://www.osce.org/representative-on-freedom-of-media/401867

(14) 19.03.2022; Ukrainische Regierung; DEKRET ?153/2022 DES PRÄSIDENTEN DER UKRAINE; https://www.president.gov.ua/documents/1532022-41765

(15) 06.10.2022; Twitter-Konto des ukrainischen Oberbefehlshabers; https://twitter.com/CinC_AFU/status/1578083916296192000?

(16) 08.11.2021; Ottawa Citizen; David Pougliese; Canadian officials who met with Ukrainian unit linked to neo-Nazis feared exposure by news media: documents; https://ottawacitizen.com/news/national/defence-watch/canadian-officials-who-met-with-ukrainian-unit-linked-to-neo-nazis-feared-exposure-by-news-media-documents

(17) 04.03.2022; The Grayzone; Alexander Rubinstein, Max Blumenthal; How Ukraine’s Jewish president Zelensky made peace with neo-Nazi paramilitaries on front lines of war with Russia; https://thegrayzone.com/2022/03/04/nazis-ukrainian-war-russia/

(18) 11.01.2016; Ukraine Human Rights; Von Nationalisten erbautes Konzentrationslager in Lysyanka; https://de.ukraine-human-rights.org/dec/informationen/racism/

(19) 30.09.2022; Correctiv; Kimberly Nicolaus; Ja, auf diesem Foto trägt ein ukrainischer Soldat einen Totenkopf-Aufnäher mit SS-Motiven; https://correctiv.org/faktencheck/2022/09/30/ja-auf-diesem-foto-traegt-ein-ukrainischer-soldat-einen-totenkopf-aufnaeher-mit-ss-motiven/?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

(20) 14.09.2022; Telegram; Wolodymir Selenskyj; nachträglich von seinem Telegram-Kanal entferntes Bild mit sichtbarem Totenkopfabzeichen am Arm; https://web.archive.org/web/20220914123205/https://t.me/s/V_Zelenskiy_official

(21) 17.05.2018; ARD-Tagesschau; Der Kosovo-Krieg; https://www.tagesschau.de/jahresrueckblick/meldung125906.html

(22) 18.01.2006; ARD-Tagesschau; Krieg gegen den Irak; https://www.tagesschau.de/jahresrueckblick/meldung105450.html

(23) 20.12.2010; ARD-Tagesschau; Der Krieg im Irak; https://www.tagesschau.de/jahresrueckblick/meldung140226.html

(Titelbild) Krieg, Panzer, Gefecht; Bild von Rohit Verma auf Pixabay; 04.05.2020; Lizenz: Pixabay License

„Das wird Russland ruinieren“, verkündete Außenministerin Annalena Baerbock zu Beginn des Krieges mit Blick auf die Sanktionen gegen Russland. Ein Jahr später zeigen die jüngsten Zahlen des Internationalen Währungsfonds: Das Gegenteil ist der Fall. Die Ampel schadet mit ihrem Kurs der deutschen Wirtschaft mehr als der russischen. Um nur 0,1 Prozent wird das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands in diesem Jahr wachsen, so die Prognose des IWF. Dem gegenüber stehen 0,3 Prozent prognostiziertes Wachstum in Russland – der IWF korrigierte seine ursprüngliche Prognose für das Land um 2,6 Prozent nach oben. Damit wird nach IWF-Schätzung die russische Wirtschaft stärker wachsen als die deutsche. Deutschland gehört wie Großbritannien, das dem IWF zufolge sogar einen Einbruch von 0,6 Prozent zu erwarten hat, zu den wirtschaftlichen Schlusslichtern in Europa. Besser da stehen dagegen viele Länder, die sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen haben: So wird China in diesem Jahr ein Wachstum von 5,2 Prozent prognostiziert, Indiens Wirtschaft wächst demnach um 6,1 Prozent. „Die Sanktionen dürfen uns nicht härter treffen als die russische Führung.“ Das sagte Kanzler Scholz zu Beginn der Sanktionspakete. Wann kommt diese Regierung endlich zur Vernunft? Statt die – offenkundig – sinnlosen Wirtschaftssanktionen weiterzuführen, die unsere Wirtschaft ruinieren und den Krieg in der Ukraine nicht stoppen, sollte die Bundesregierung dem Beispiel Brasiliens folgen und sich für Verhandlungen zur Beendigung des Krieges einsetzen und den Wirtschaftskrieg zum Schaden der Menschen in diesem Land beenden.