„Die Arbeiter wurden Bedingungen analog der Sklaverei unterworfen. Zara ist direkt verantwortlich.“ Brasiliens Staatsanwältin Fabiola Zani. Bestätigung von Uralt-Anklagen der katholischen Kirche in der größten Demokratie Lateinamerikas.
„Sklaverei mit Etikett“- O Estado de Sao Paulo zum Zara-Fall. „Es gibt Sklaverei unter uns, sogar in Sao Paulo.“ José de Souza Martins, Soziologe.
Brasiliens Sozialpolitik unter Lula und Rousseff erhält viel Lob aus Mitteleuropa.
Hintergrund von 2007:
Der Papst und die Sklavenarbeiter
Kirche kämpft seit Jahrzehnten gegen „moderne“ Sklaverei in Lateinamerika
Im Mai reist Benedikt XVI nach Brasilien und wird sich auch über den Kampf der Kirche gegen die Sklavenarbeit informieren. In Lateinamerikas größter Demokratie gibt es laut Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation immerhin noch bis zu 40000 „Trabalhadores Escravos“. Der größte Teil davon wird auf Großfarmen Amazoniens ausgebeutet, vor allem im nördlichen Teilstaate Parà, wo der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler einen schweren Stand hat. Weil Kräutler gemeinsam mit den Menschenrechtsaktivisten der Landseelsorge die Sklavenhalter von heute anprangert, erhält er immer wieder Morddrohungen, steht derzeit unter Polizeischutz. Der Papst reist in die Wirtschaftsmetropole Sao Paulo, drittgrößte Stadt der Welt, in der eine besonders perfide Form der Sklavenarbeit existiert. Im Zentrum der Megacity, nur wenige Fußminuten von Bankenpalästen und der lateinamerikanischen Leitbörse entfernt, kommt man an mehrgeschossigen Gebäuden vorbei, die von außen wie normale Wohnhäuser aussehen. Doch fast alle Appartements sind vollgestopft mit Industrie-Nähmaschinen, an denen Frauen und Männer aus Bolivien von morgens bis spät in die Nacht Hosen und Shorts, Blusen und Hemden nähen. Über hunderttausend solcher Textilarbeiter sind es in ganz Sao Paulo, doch auf den Straßen trifft man relativ selten einmal einen Bolivianer. Luiz Bassegio leitet die Migrantenseelsorge der brasilianischen Bischofskonferenz und kennt die Hintergründe sehr genau: “Diese Bolivianer waren in ihrer Heimat arbeitslos, stammen aus den Slums von La Paz oder aus dem bitterarmen Hinterland, wurden von gerissenen Anwerbern hierhergeschleust, haben keine Aufenthaltspapiere, schuften 16 bis 18 Stunden täglich ohne Arbeitsvertrag in etwa dreitausend illegalen Textilfabriken, in denen sie auch schlafen. Sie werden dort regelrecht eingesperrt, kriegen schlechtes Essen, haben höchstens den Sonntag frei. Das sind sklavenähnliche Bedingungen!“
Um das Honorar für die Anwerber zurückzuzahlen, bekommen die Bolivianer gewöhnlich ein halbes Jahr und länger überhaupt keinen Lohn – man nimmt ihnen den Paß oder sonstige Ausweise ab, hindert sie selbst mit Gewalt daran, die Fabrik zu verlassen. Wer aufmuckt, dem wird angedroht, ihn bei der brasilianischen Fremdenpolizei anzuzeigen. Pedro ging es so:“Mein Boß hat mir die Papiere weggenommen, mich eingesperrt – aber ich habe es geschafft, bin geflüchtet.“
Abeiterinnen werden häufig vergewaltigt.
Von zehn Fällen klarer Menschenrechtsverletzungen betreffen sechs stets Frauen. Die Bolivianer sind Analphabeten oder haben nur geringste Schulbildung, sprechen meist kein Portugiesisch. Die Besitzer der Fabriquetas, wie man hier sagt, sind Brasilianer, Koreaner – doch größtenteils ebenfalls Bolivianer, die eine Marktlücke entdeckten: Durch ihr Ausbeutungssystem unterbieten sie die Preise brasilianischer Hersteller und selbst Chinas bei weitem, beliefern gewinnbringend sogar große Textilkaufhäuser und Boutiquen. Luiz Bassegio:“Auch Ketten wie C & A und andere Multis nehmen viel Ware ab!“
Ein Bolivianer, der beispielsweise schicke, modische Shorts herstellt, arbeitet daran pro Stück etwa zwei Stunden – und bekommt dafür dann umgerechnet allerhöchsten 45 Cents. Theoretisch. Denn im Migrantenzentrum der katholischen Kirche ist die häufigste Klage der Bolivianer, daß Fabriqueta-Besitzer überhaupt nichts zahlten, die Arbeiter nach einiger Zeit feuerten – und aus Bolivien neue anheuerten. Ein Mutter mit drei Kindern hatte aufgemuckt, landete sofort auf der Straße – und berichtete, was eigentlich mit den vielen bolivianischen Kindern wird:“Zur Schule gehen sie alle nicht, werden neben den Nähmaschinen angebunden, damit sie nicht stören, oder in ein Zimmer gesperrt.“
Wie kann die Kirche diesen Arbeitern helfen? “Wir sind in einer schwierigen Lage“, sagt Migrantenseelsorger Bassegio. „Die meisten dieser Textilfabriken sind zwar illegal, doch die staatlichen Aufsichtsbehörden würden nur bei einer Anzeige reagieren. Die Arbeiter ohne Aufenthaltserlaubnis haben natürlich Angst, die Polizei zu rufen. Würden wir von der Kirche Anzeige erstatten, verlören all die Bolivianer ihre Arbeit, flögen auf die Straße. Das kommt daher natürlich nicht in Frage.“ Die behördliche Kontrolle ist zudem eher ein schlechter Witz. Wird doch einmal ein Fabriqueta-Boß gestellt, droht man ihm hohe Bußgelder und sogar die Ausweisung an, wenn er nicht binnen zehn Tagen ordentliche Dokumente, auch die Arbeitspapiere der Näherinnen und Näher, vorlegt. Gemäß einer Staatsanwältin passiert dennoch nichts:“Innerhalb der zehn Tage wird die Fabrik kurzerhand an einen unbekannten Ort verlegt.“ Und Sao Paulo ist eben riesig, dort leben 24 Millionen Menschen. Seelsorger Bassegio hat daher sehr bizarre Probleme zu lösen, wird gelegentlich zum Detektiv, um die bolivianischen Sklavenarbeiter zu unterstützen:“Wir versuchen möglichst vielen von ihnen klarzumachen, daß sie aufgrund bilateraler Abkommen durchaus Rechte haben. In unserem Migrantenzentrum haben wir bereits elftausend Bolivianern dabei geholfen, eine Aufenthalts-und Arbeitserlaubnis zu bekommen, haben mit ihnen die nötigen Formulare ausgefüllt, verlangte Dokumente besorgt. Die meisten wissen, daß das geht, haben aber Angst, es zu versuchen.“
Nötig ist beispielsweise ein polizeiliches Führungszeugnis aus Bolivien – aber wie das beschaffen, wenn man in der Fabrik eingesperrt ist, zudem gar kein Geld für eine Reise nach Bolivien hätte? „Die Bosse wollen natürlich verhindern, daß ihre Arbeiter sich Rechte erwerben, solche Dokumente haben.“
Brasiliens Kirche hält für mehr als absurd, daß ausgerechnet in Lateinamerikas reichster Stadt noch diese Art von Sklavenarbeit existiert – und unter den Augen des Staates immer mehr Bolivianer in dunklen, muffigen Hinterhoffabriken voller Ratten und Schaben an Tuberkulose und tödlichem Denguefieber erkranken. Migrantenseelsorger Bassegio: „Brasilia muß endlich handeln. Die Kirche macht deshalb Druck auf die Regierung, die offenbar nicht weiß, wie sie mit diesen vielen Bolivianern umgehen soll. Alle zurückschicken? Wir meinen – hier geht es um universelle Bürgerrechte. Keine einzige Gewerkschaft nimmt sich der Bolivianer an. Bei unserer Arbeit bekommen wir Hilfe von den deutschen Katholiken, von Misereor und Adveniat – dafür sind wir sehr dankbar!“
„Eine der größten Schwierigkeiten des kulturellen Beobachters angesichts der politischen Szenerie Brasiliens ist, nicht der Versuchung zu Fatalismus oder Zynismus nachzugeben. Schließlich sind es soviele Dinge, die sich seit so langer Zeit wiederholen…“ Daniel Piza, O Estado de Sao Paulo
Sklaverei unter Indianerstämmen Brasiliens:
Amnesty International 2002:
BRASILIEN
SKLAVENARBEIT NIMMT WIEDER ZU
Erst im Jahre 1888 hat Brasilien die Sklaverei offiziell abgeschafft, doch es gibt sie bis heute. Vor allem im Norden und Nordosten wird sie von etlichen Großgrundbesitzern in modifizierter Form weitergeführt. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Morde an Landgewerkschaftern zu.
Für viele brasilianische Zeitungen war es unlängst der Aufmacher: Zum ersten Mal wurde ein “moderner” Sklavenhalter in flagranti ertappt und sofort hinter Gitter gebracht – das gab es noch nie seit Brasiliens Rückkehr zur Demokratie im Jahre 1985. Vielen erschien das als beachtlicher Fortschritt. Nur – und das vermeldeten die Blätter nicht – ging die Sache wie üblich aus: “Nach drei Tagen war der betroffene Großgrundbesitzer Max Cangussi wieder frei. Er wurde lediglich verpflichtet, seinen Sklavenarbeitern den zustehenden Lohn zu zahlen. Kein Prozess, keine Enteignung des Großgrundbesitzes, wie eigentlich vorgeschrieben,” sagt Antonio Canuto von der kirchlichen Organisation CPT, die solche Fälle immer wieder aufdeckt. Ihre Informationen leitet die Initiative auch an die Internationale Arbeitsorganisation ILO weiter.
Max Cangussi hatte in Maranhão, dem ökonomisch am wenigsten entwickelten Teilstaat Brasiliens, Männer anwerben lassen, um 230 Kilometer vom nächsten Ort entfernt Weideland einzäunen und Bäume und Sträucher entfernen zu lassen. Für die viermonatige schwere Arbeit zahlte er kein Geld, sondern vergütete die Arbeiter lediglich durch Nahrungsmittel. Die Männer wurden in einer brüchigen Lehmhütte untergebracht – ohne Toilette und Wasseranschluss. Wasser gab es nur in einem lehmigen Bach. Wer gegen diese Zustände protestierte, berichteten die Sklavenarbeiter später der Polizei, wurde von Cangussi mit der Waffe bedroht.
“Seit dem vergangenen Jahr nimmt die Zahl solcher Berichte deutlich zu”, erläutert Canuto. “Auf manchen Farmen wurden von der Bundespolizei bis zu fünf Mal hintereinander Sklavenarbeiter entdeckt.” Meist ohne Folgen. Vor allem im riesigen Amazonas-Teilstaat Pará – er ist um ein Vielfaches größer als Deutschland – regiert laut CPT inzwischen fast völlige Straffreiheit: Bußgelder – umgerechnet etwa hundert Mark für jeden entdeckten “Sklaven” – werden nicht gezahlt, Prozesse kommen nicht voran. Dem kleinen Team der Bundespolizei, das die Farmen überwachen soll, wurden Gelder, Personal und Transportmittel, darunter Hubschrauber, gekürzt. Die Spezialisten reagieren fast nur noch auf Anzeigen und kommen gewöhnlich viel zu spät: häufig vergeht ein ganzer Monat. In der Zwischenzeit haben die betreffenden Großgrundbesitzer längst Wind von der Anzeige bekommen und die Sklaven schon davongejagt.
Laut Antonio Canuto ist Schuldsklaverei am üblichsten: Angeworbenen wird gute Bezahlung versprochen, doch werden Kosten für Arbeitsgeräte, Transport und Verpflegung vom Lohn abgezogen. Das Leistungspensum setzt der Farmer dann extrem hoch an. Lebensmittel gibt es nur im Farmladen und zu überhöhten Preisen. Ergebnis: Am Monatsende erhalten die Arbeiter nicht nur kein Geld – man eröffnet ihnen auch noch, dass zuerst die entstandenen Schulden abzutragen seien. Vor Fluchtversuchen wird gewarnt. Gewöhnlich stehen bewaffnete Aufseher mit scharfen Hunden bereit.
Allein in Pará sind im vergangenen Jahr 1100 Fälle von Sklavenarbeit registriert worden; im Jahr 2000 waren es rund 350. Nach Angaben des Arbeitsministeriums ist davon auszugehen, dass auf jeden von der Sondereinheit befreiten Landarbeiter drei weitere kommen, die unter sklavenähnlichen Bedingungen leben müssen.
Dem Terror von Großgrundbesitzern und bezahlten Killerkommandos sind besonders in Pará Führer der Gewerkschaften und der Landlosenbewegung ausgesetzt, weil sie die neuzeitliche Sklaverei öffentlich anprangern. Allein zwischen Juli und Oktober 2001 wurden acht Aktive erschossen – in ganz Brasilien waren es 2001 über 25. “Im Auftrag der Großgrundbesitzer werden immer mehr bewaffnete Milizen gebildet”, kritisiert Bischof Tomas Balduino, Präsident der CPT: “Das grenzt an Bürgerkrieg.”
Auf Sklavenarbeiter wirkt zudem einschüchternd, wie die Behörden Polizeigewalt decken: 1996 hatten bei einem Massaker rund 200 Militärpolizisten einer Sondereinheit nach amtlichen Angaben 19 Landlose getötet – kirchliche Kreise nannten weit höhere Opferzahlen. Alle Beteiligten, auch die Offiziere, sind weiter auf freiem Fuß und noch immer im Dienst. Wann es zu einem Gerichtsverfahren kommt, ist völlig offen.
Klaus Hart
Der Autor arbeitet als Korrespondent in São Paulo.
« Libyen-Intervention: Schwere Nato-Bombardements am Sonntag, laut brasilianischen Medien. Kaum unabhängige Informationsquellen, nur Nachrichtenagenturen und üblicher psychologischer Krieg. Regierungsgegner von NATO-Bodeneinheiten auf libyschem Territorium gedrillt und ausgerüstet. Deutsch-französische Milan-Raketen an Regierungsgegner, laut Die Zeit. – Sklavenarbeit in Brasilien unter Lula-Rousseff: Billabong, Brooksfield, Cobra d´Agua, Ecko, Gregory, Tyrol, Zara – diese Marken von Arbeitsministerium für Sklavenarbeit verantwortlich gemacht, laut Landesmedien. Demokratie mit Sklavenarbeit. »
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