Rio+20:
2011 konstatierten die Landesmedien, daß der Sao Paulo passierende Rio Tieté eine noch größere giftigere Kloake ist als vor 18 Jahren – sowie nach zwischenzeitlicher Investition von 1,6 Milliarden Dollar.
http://www.baukultur-made-in-germany.de/index.php/de/
Dr. Ulrich Hatzfeld: “Wir wollen zeigen, was die deutschen Architekten, Städtebauer können.
Deutschland als Exportnation muß sich Gedanken machen, wenn die Exportquote in einem so wichtigen Bereich wie der Architektur etwas steigerungsfähig ist.
Und wer wie wir gestern mal durch diese riesige Stadt Sao Paulo gefahren ist, der wird gespürt haben, was hier für eine Dynamik ist.
Wir haben eine Ausbildung Architektur, Städtebau, Ingenieurwesen, die, glaube ich, weltweit ihresgleichen sucht.Und auch wenn wir Deutschen uns unentwegt über uns selber ärgern wegen der vielen Normen und der Verfahren – ich glaube, der Rest der Welt beneidet uns darum.”
Sigurd Trommer:”Ist die Stadt noch Verheißung für die Gesellschaft, für uns Menschen – Verheißung von Sicherheit, Gesundheit, Freude, Entfaltung der Persönlichkeit, Lebensglück?
Das ist die Frage, die wir weltweit stellen müssen – ist die Stadt möglicherweise auch Beute – Beute, die man konsumiert, die man ausweidet und liegenläßt.”
http://www.hart-brasilientexte.de/2008/03/02/schlingensief-in-sao-paulo-texte-fotos-reflexionen/
PM 18/2011: “Baukultur made in Germany” auf der 9. Architekturbiennale Sao Paulo 2011 eröffnet | ||
02.11.2011 | ||
Der diesjährige deutsche Beitrag zur 9. Architekturbiennale São Paulo, der nonaBia, wird von der Bundesarchitektenkammer (BAK) im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) unter dem Motto „Baukultur made in Germany“ präsentiert. Nach dem Start der nonaBia am 1. November wurde heute die Projektschau deutscher Architektur- und Ingenieurbaukunst in einem der größten brasilianischen Kulturzentren, dem Centro Cultural São Paulo, eröffnet.
Von einer Jury waren 20 nationale wie internationale Projekte deutscher Architekten und Ingenieure ausgewählt worden, um sowohl hohe baukulturelle und städtebauliche als auch ingenieurtechnische Qualität deutscher Planerleistung vorzustellen. Bei der Auswahl spielten neben der internationalen Relevanz vor allem gute Beispiele nachhaltigen Bauens und besondere landes- und klimaspezifische Lösungen eine Rolle. Das Ausstellungsdesign wurde von dem Berliner Architekten Jürgen Mayer H. entworfen. Der Ausstellungsort ist ein gigantisches, vielschichtiges Gebäude im Zentrum São Paulos, in dem alle Kunstsparten zuhause sind: Monatlich erfreuen sich über 70.000 Menschen an Theater, Musik, Tanz, Ausstellungen, Lesungen und Diskussionen. So erreicht man ein breites Publikum, wie es auch Anliegen der nonaBia insgesamt ist. Ihr Kurator, der brasilianische Architekt Valter Caldana, hat die diesjährige Architekturschau unter das Motto gestellt „Architektur für alle – Zivilgesellschaft bauen“. Partner des deutschen Beitrags sind die Bundesingenieurkammer, das Goethe-Institut São Paulo, Deutsche Welle, Centro Cultural São Paulo, GEZE und light+building. (Ausführliche Informationen unter www.baukultur-made-in-germany.de) |
“Krise bestens überstanden”: Eingang von Slumkate in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo.http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/05/scheiterhaufen-in-sao-paulo-mindestens-15-menschen-in-der-megacity-seit-jahresbeginn-lebendig-verbrannt-laut-landesmedien-fogo-para-matar-rivais/
Sao Paulo – Fotoserie:
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/01/18/sao-paulo-fotoserie-uber-brasiliens-megacity/
Hintergrundtext:
Internationale Architekturbiennale 2007 in Sao Paulo
Noch bis Mitte Dezember ist in Lateinamerikas Kulturhauptstadt, der brasilianischen Megametropole Sao Paulo, die siebte Internationale Architekturbiennale zu sehen, eine der wichtigsten Biennalen dieser Art auf der Welt. 25000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, 200000 erwartete Besucher, rund eintausend präsentierte Projekte, darunter viele von großen Namen der modernen Architektur aus den USA, Japan, Europa. Dieses Jahr steht die Biennale unter dem Motto „Architektur – das Öffentliche und das Private“. In Brasilien, aber auch vielen afrikanischen Ländern ein Generalthema voller Brisanz – da der öffentliche Raum u.a. durch ein in Europa kaum vorstellbares Ausmaß an Gewaltkriminalität für den Bürger immer stärker reduziert wird, sich die Mittel-und Oberschicht in festungsartigen Privilegiertenghettos, den „Condominios fechados“gesprochen: Kondominiusch feschadusch) den „Gated Communities“ abschottet. Österreich ist auf der Biennale gleich zweimal sehr originell vertreten – durch das Architekturbüro von Gernot Hertl aus Steyr und das Architektenkollektiv „feld72“ aus Wien.
Die Megacity Sao Paulo hat etwa dreimal so viele Einwohner wie Österreich, ist Lateinamerikas reichste Stadt und zählt doch weit über 2000 Slums, in denen Lepra und Tuberkulose grassieren. Neben den Ghettos der Verelendeten die Privilegiertenghettos der Mittel-und Oberschicht, umgeben von übermannshohen Mauern, bewacht durch Privatpolizei. Einige besonders luxuriöse Wohnsiedlungen dieser Art grenzen direkt an Sao Paulos tropisch-üppigen Stadtpark Ibirapuera und könnten der dortigen Architekturbiennale glatt die Idee für das brisante Motto geliefert haben: O publico e o privado, das Öffentliche und das Private. Biennale-Präsident und Architekt Jose Magalhaes Junior
“Wir wollen eine schönere, eine kollektive Architektur für ein menschliches Zusammenleben – doch stattdessen haben wir diese boomenden Privilegiertensiedlungen, wahre Festungen. Da wird eine Art des Wohnens, eine Lebensform produziert, die nicht gerade ideal ist. Deshalb diskutieren wir auf der Biennale über eine multifunktionelle, multikulturelle Stadt, wo sich alle Bewohner überall treffen können – trotz unterschiedlicher Einkommen. Die Autoindustrie überschüttet uns mit Fahrzeugen, während eine Metro bis zum Biennale-Park immer noch fehlt. Unsere Häuser hier in Sao Paulo sind von hohen Stahlgittern umgeben – jedes Gebäude hat genau davor ein Haus für den Wachschutz. Bis in die sechziger Jahre gab es so etwas nicht.“
Josè Wolf, schweizerischer Abstammung, und vom Institut der Architekten Brasiliens, nennt das Biennale-Motto eine große Herausforderung:
“Unser Dilemma ist, daß der öffentliche Raum immer mehr reduziert wird, weil wir in Angst leben. Ich selbst kann zu bestimmten Tageszeiten, vor allem abends und nachts aus Sicherheitsgründen nicht mehr auf die Straße gehen. Wir haben hier eine Stadtguerillha.“
Mit um so größerer Neugier betrachten die fast ausschließlich brasilianischen Biennale-Besucher, wie man sich in Ländern wie Österreich dieser Problematik stellt. Das Architekturbüro von Gernot Hertl in Steyr zeigt auf Großfotos zahlreiche realisierte Projekte, darunter Geschäfts-und Wohngebäude, durchweg stimmige und elegante Lösungen – mit fließenden Übergängen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, wie es in Gesellschaften mit extrem starken Sozialkontrasten nicht zu verwirklichen wäre. Kuratorin Lilli Hollein wählte zudem das Architektenkollektiv „feld72“ aus Wien für die Biennale aus. „feld72“zeigt zwanzig architektonisch-künstlerische Arbeiten und eine provozierende Installation namens „urbanism for sale“: 74 Schaufensterpuppen mit bedruckten T-Shirts, Poster sowie 20000 verteilte Sticker mit 15 verschiedenen Statements zu öffentlichen und kommerziellen Räumen: This place has no soul/Here I am only a number/This place is full of joy – oder Be polite, you are being filmed here! „Einer nur versprochenen Welt an nie umsetzbaren Möglichkeiten“, so betont feld72, „setzen wir eine Welt an gelebten Erfahrungen im sozialen Raum gegenüber.“
Architekt Henning Rasmus leitet die Biennale-Ausstellung Südafrikas und sieht zahlreiche Parallelen zwischen seinem Kontinent und Brasilien. Und ist überzeugt, daß jene Privilegiertenghettos auch in Europa Mode werden.
“Unsere Kinder müssen das ausbaden, was wir jetzt bauen. Das sind die Städte von morgen. Man baut physisch sehr schnell Lebensmuster in die Landschaft, die man dann nicht mehr loswerden kann. Wir machen Wohnungsbauprojekte in Angola – jeder will in Angola in so einer Gated Community leben, weil das das Superluxusding überhaupt ist. Keiner versteht, daß das langfristig sehr schlecht ist, deprimental, ja.“
Das mehrstöckige Gebäude der Biennale und mehrere andere Parkbauten wurden von Architekt Oscar Niemeyer entworfen. Am 15. Dezember wird er hundert Jahre alt, weshalb man ihm zwei Sonderausstellungen widmete, die pure Würdigungen seiner Werke sind. Brasilianische Architekturkritiker wie Paulo Basilè aus Sao Paulo sind damit nicht einverstanden.
“Ich finde, man kann würdigen u n d kritisieren. Niemeyers Bauten sind ästhetisch sehr schön – doch manche haben in Bezug auf die Funktion, die Nutzung, die Akustik zahlreiche Probleme. Viele kritisieren diese fehlende Funktionalität. Denn Bauten sollten ja nicht nur schön sein, sondern eben auch funktionieren.“
Architekt Rasmus aus Südafrika bewertet Oscar Niemeyer ähnlich:
“Mir gefällt natürlich auch der große Wurf, die Skizze – das ist, wie er sich auch verkauft, wie er auch verkauft wird. Das ist halt ein Kulturkult, wer kritisiert schon das Leben von Popstars, macht auch keiner, alle finden das toll. Natürlich muß Architektur funktionieren, für Akustik und sowas kann man sich auch Leute anstellen. Im Grunde ist das nicht zu entschuldigen. Es wäre gut, wenn wir alle mehr Kritik an den, wie sagt man auf Englisch – the Starchitects, die Stararchitekten , wenn wir die mal kritischer unter die Lupe nehmen würden – alle. Die Architekten versuchen mitzudümpeln in diesem Spiel – dieses Fashion-Ding, mit Design und Architektur, das ist ein zweischneidiges Schwert. Wir können alle Fehler machen – ich weiß auch, manche Sachen kann ich als Architekt gut und andere kann ich nicht.“
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/11/brasilia-50-und-das-massaker-an-bauarbeitern/
Sao Paulos Architektur der weit über 2000 Slums:
Tags: Brasilien, Favela Paraisopolis, Sao Paulo, TU Graz
http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/terror-rap-statt-samba/763272.html
Bewohnerin der Favela Paraisopolis.
Der mutige Priester von Paraisopolis(2009)
Morddrohungen, Banditenkommandos, Polizeiwillkür
Deutsche Christen helfen/Amnesty International greift ein
Tim Cahill(Mitte), Brasilienexperte von Amnesty International in London – in der Paraisopolis-Broschüre zitiert.
„Mein größter Wunsch ist, daß all die deutschen Christen, die für unseren Kirchenbau spendeten, uns hier besuchen und die schier unbeschreiblichen, bizarren Probleme kennenlernen“, sagt der junge schwarze Slumpfarrer Luciano Borges Basilio mitten in einer der ungewöhnlichsten Regionen ganz Brasiliens.
Paraisopolis heißt Paradies-Stadt – doch paradiesisch ist hier garnichts. Lateinamerikas reichste Megacity Sao Paulo zählt über 2000 Slums – doch der von Padre Basilio zeigt die schmerzhaftesten Kontraste. Denn Paraisopolis grenzt direkt an ein Viertel der Wohlhabenden – nicht wenige davon blicken von ihren luxuriösen Penthouse-Appartements direkt auf das unüberschaubare Gassenlabyrinth, wo auf engstem Raum in Holz-und Backsteinkaten sage und schreibe 100000 Menschen in Moder, Abwässer-und Müllgestank hausen. Und das scheint einem Polizei-Thriller entlehnt: Zwar regiert Sao Paulos Gouverneur José Serra von seinem nahen Palast aus die führende lateinamerikanische Wirtschaftsregion mit ihren mehr als 1000 deutschen Firmen – doch in Paraisopolis herrscht unangefochten Brasiliens mächtigstes Gangstersyndikat PCC(Primeiro Comando da Capital – Erstes Kommando der Hauptstadt). „Das organisierte Verbrechen ist besser organisiert als die Polizei – oft sogar viel besser – während die Polizei desorganisiert ist“, analysiert Priester Basilio. „Das Verbrechen, der massive Handel mit harten Drogen sind ein ernstes Problem in Paraisopolis – doch wie überall in Brasilien schützt der Staat die Slumbewohner nicht, läßt sie in der Hand der Banditen.“ Für den Padre ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten, daß just der wichtigste Banditen-Geschäftszweig, nämlich der Drogenhandel, nur dank der reichen Großkunden von nebenan funktioniert. „Nachts kommen sie sogar in den Slum oder lassen sich das Rauschgift von hier bringen.“ Das symbolisiert die widersprüchliche Situation – in Rio de Janeiro ist es nicht anders. Anstatt dort – oder in Paraisopolis – jener kleinen Minderheit der Gangster das Handwerk zu legen und das hochlukrative Drogengeschäft zu stoppen, verletzt die Polizei bei Razzien permanent Grundrechte der völllig unschuldigen Bewohnermehrheit. „Dazu können wir als Kirche nicht schweigen, Polizeiwillkür darf man nicht hinnehmen. Padre Basilio nennt jüngste Fälle: Bei der Verfolgung von Gangstern, die in das Gassengewirr und Menschengewimmel des Slums flüchten, feuern die Beamten gewöhnlich blind drauflos. Ein Baby von 9 Monaten bekommt eine Kugel in den Arm, eine Sechzehnjährige in die Brüste. „Es wäre doch besser, die Banditen nicht zu kriegen, aber das Leben der Slumbewohner zu garantieren, anstatt wild herumzuballern!“
Der Priester macht es sich nicht so einfach wie manche politisch korrekten Menschenrechtsaktivisten, die nur Polizeiübergriffe anprangern, den Terror der hochbewaffneten Banditen aber verschweigen. „Ein Polizeioffizier erhielt 2009 hier in Paraisopolis einen Bauchschuss – die Beamten haben ja auch Familie und sind natürlich unter Streß und Hochspannung, wenn sie in einen Slum hineinmüssen.“Täglich werden in Brasilien mehrere Polizeibeamte ermordet. „Aber Willkür rechtfertigt das nicht.“ Die Kirche hält für verheerend, wenn wegen solcher diskriminierenden Vorgehensweisen die Kinder mit höllischer Angst vor der Polizei aufwachsen und sich auch als Erwachsene beinahe instinktiv vor ihr fürchten. Für Padre Basilio sind die Slumbewohner ohnehin bereits in einer grauenhaften Lage, werden erniedrigt und gedemütigt von den Bessergestellten: „Es gibt viel Elend und Hunger in Paraisopolis – trotz aller aufopferungsvollen Arbeit von Caritas. Die Arbeitslosigkeit ist hoch – und jene 15 Prozent, die weder lesen noch schreiben können, finden schwerlich einen Job. Slumbewohner kriegen meist nur Gelegenheitsarbeit. Für diese Menschen gebe ich mein Leben – denn mit Ermordung muß ich rechnen.“
Der Priester erhält seit Jahren immer wieder Morddrohungen, sogar per Internet, läßt sich aber nicht einschüchtern. „Aus dem Slum kommen die Drohungen mit Sicherheit nicht – die Leute hoffen hier stark auf die Kirche.“ Basilio weiß, daß in ganz Brasilien, und auch in Sao Paulo, immer wieder Geistliche ermordet werden.
Inzwischen hat er Amnesty International, die weltweit angesehenste Menschenrechtsorganisation, auf seiner Seite. Der Brite Tim Cahill, Brasilienexperte von Amnesty, hat sich jetzt vor Ort über die Zustände informiert, mit zahlreichen Augenzeugen gesprochen. Daß die Polizei weiterhin nicht auf Folterungen verzichtet, hält Cahill für schwerwiegend. “Die brasilianische Regierung hat zwar die Anti-Folter-Konvention unterzeichnet, doch wie wir hier in Paraisopolis sehen, fehlt jeglicher politischer Wille, Folterer zu bestrafen“, sagt er. „Die Polizei ist landesweit zunehmend in kriminelle Aktivitäten verwickelt, bildet Todesschwadronen und paramilitärische Milizen. Ein beträchtlicher Teil der Brasilianer, vor allem jene in den Slums, wird wie Wegwerf-Bevölkerung behandelt.“
Ein schwarzer Bürgerrechtler schildert Tim Cahill die Folterpraktiken in Paraisopolis: „Die Beamten haben zwei Lichtdrähte aus der Wand gerissen und meinem Freund in seiner eigenen Kate damit immer wieder Elektroschocks versetzt. Dann haben sie ihn auf den Kopf geschlagen, zu Boden getreten. Schließlich haben sie ihn in Ruhe gelassen, sind weggegangen – man kann nichts dagegen machen. Folter mit Elektroschocks zu sehen, sind wir hier im Slum schon richtig gewöhnt. “
Eine junge Frau beschreibt andere Formen von Polizeiwillkür: “Beamte pressen den Leuten Geld ab, rauben aus den Katen sogar Fernseher. Ja – die Polizisten behandeln uns wie Tiere. Hier verteidigt uns nur der katholische Padre – der hat schon viele Festgenommene aus dem Gefängnis rausgeholt, der hilft uns.“
Außergerichtliche Exekutionen seien weder in Paraisopolis noch in den anderen Slums von Sao Paulo oder Rio de Janeiro eine Seltenheit.
Tim Cahill von Amnesty International erinnert daran, daß die Regierung von Staatspräsident Luis Inacio Lula da Silva zu Beginn der Amtszeit 2003 sowohl den Vereinten Nationen als auch den Menschenrechtsorganisationen versprochen hatte, die eigenen Gesetze und internationalen Abkommen strikt einzuhalten. Gegen Ende von Lulas zweiter Amtszeit vermißt Cahill indessen ebenso wie die Kirche echte Fortschritte: “Die Lula-Regierung war eine Enttäuschung. Es gab große Versprechen, Pläne und Projekte, sogar einen konstruktiven Diskurs – doch die Probleme sind tief verwurzelt geblieben. Es wird weiter gefoltert und exekutiert, die Lage in den Gefängnissen ist nach wie vor grauenhaft, und es gibt sogar weiterhin Todesschwadronen und Sklavenarbeit. Echte Reformen werden durch wirtschaftliche und politische Interessen verhindert.“
Gilmar Mendes, Präsident des Obersten Gerichts, sagte unlängst, Brasiliens Gefängnissystem ähnele nazistischen Konzentrationslagern. Und Paulo Vannuchi, Brasiliens Menschenrechtsminister, räumt ein, daß tagtäglich außergerichtliche Exekutionen und Blutbäder von Polizisten sowie Todesschwadronen verübt würden. Für Tim Cahill ein unglaubliches Eingeständnis: “Dies zählt zu den absurden Dingen in Brasilien – Teile der Autoritäten erkennen diese Tatsachen an – aber tun so, als seien sie dafür nicht verantwortlich. Das große Problem Brasiliens ist heute, daß der offizielle Diskurs nichts mit der politischen Praxis zu tun hat. Wenn die Regierung in Brasilia weltweit mehr Anerkennung und Respekt will, muß sie sich für die Menschenrechte der eigenen Bevölkerung einsetzen, besonders der Unterprivilegierten.“
Für den schwarzen Priester Luciano Borges Basilio bedeuten solche Worte eine enorme Rückenstärkung. Von einem anderen Briten, seinem Priesterkollegen Jaime Crowe aus dem riesigen Slumviertel Jardim Angela mit über 300000 Bewohnern, erhält er moralische Unterstützung beinahe alle Tage. „Man kämpft und kämpft, sieht nur zu oft kein Resultat, wird frustriert. Dann sagt mir Jaime Crowe, mach weiter, gibt nie auf! Crowe hat in fast vierzig Jahren aus dem grauenvollen Jardim Angela eine weitgehend friedliche Stadtregion gemacht – das versuchen wir hier auch.“ Noch 1996 hatte die UNO Priester Crowes Gemeindebereich zur gewaltgeprägtesten Region des ganzen Erdballs(!) erklärt, gab es täglich Morde. „Wir haben in Brasilien eine Kultur der Gewalt und der Korruption – das alles ist sehr tief verwurzelt“, sagt Crowe. „Doch wir dürfen unsere Träume nicht aufgeben.“
Eingang zu Kate in Paraisopolis.
Hintergrund Favelas – Österreichs Südwind-Magazin:
http://www.suedwind-magazin.at/start.asp?ID=234729&rubrik=31&ausg=200304
Sao Paulos Kardinal Paulo Evaristo Arns:
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5318083,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4281011,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,1857985,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,1165227,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5017299,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,6259125,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4202051,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,2368848,00.html
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/09/cacau-rio-negro-amazonien/
Menschenrechtssamba von Jorge Aragao aus Rio de Janeiro, anklicken:
http://www.youtube.com/watch?v=XkvjkxERac4
Tags: Sao Paulo, Schlingensief
Christoph Schlingensief beim Website-Interview in Sao Paulo.
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/05/09/christoph-schlingensief-sao-paulo/
“Für mich ist der kleine Moment der Verunsicherung wichtig, der Moment der Irritation, auch der Schnelligkeit, und manchmal auch der Metaphysik, wo sich etwas verselbständigt, wo ich nicht mehr eingreifen kann, und ich plötzlich merke, hier sind Schwebezustände erreicht, was ist da eigentlich los?…Wenn ich jetzt über Deutschland rede, aus der Distanz mal wieder, dann denke ich, was haben wir da eigentlich für Probleme – das sind Luxusleiden – und in diesem Luxusleiden vergißt man den Blick auf ganz zentrale Sachen – z.B. wie kann man andere Regionen integrieren?…Ich glaube, in Deutschland habe ich das Staunen verlernt, habe ich dort immer das Gefühl, alles schon mal gesehen zu haben, schon zu kennen…Ich merk das auch bei Mitarbeitern – wenn die nachher ihre Ideen nur aus dem Internet rausholen, ja dann sieht das alles so aus wie!…Man muß eigentlich Sao Paulo in Berlin vertreiben…Am Ende, wenn ich in den Todeskrampf komme, dann atme ich noch einmal aus, verschwinde wohin auch immer…Die wahre Provokation ist, wenn man versucht, das Leben zu berühren – das ist das, was die meisten nicht mehr aushalten. Und wenn man das mal macht und einfach sagt, Moment mal, das ist doch ein Teil unseres Lebens – was ich hier zeige, ist doch garnicht so abnorm!…Jetzt bin ich in Sao Paulo und bin der glücklichste Mensch im Moment, weil das hier so toll läuft. Das muß man bekanntmachen in Deutschland! Ich erlebe hier etwas, das gibt mir Gänsehautzustände – ich erlebe was, das ich da nicht habe. Und das kann man jetzt auch nicht transportieren, exportieren – man kann aber erzählen von Dingen, die noch geschehen, die möglich sind. Und die verlernt man eben in dem Zeitalter, in dem wir da angekommen sind… Gottseidank oder leider – ich kann die Schnauze nicht immer halten. So Sachen darf man einfach nicht sagen, ich weiß es von Kollegen, man sagt es lieber nicht – man will es sich ja nicht verderben. Bloß keine Position beziehen!…Ich habe hier zwei ausführliche Vorträge gehalten, daß ich das Gefühl habe, daß man hier nicht richtig im Gleichgewicht ist. Daß auf der einen Seite zur Selbstdarstellung unheimlich Farbe verbraucht wird – und der andere läuft in Schuhen rum, wo man sagt, das sind ja gar keine Schuhe mehr, keine Sohle – und daß ich das garnicht mag.”
Die Aufdringlichkeit der Sinne
Vom machtgeschützten Verlust der gesellschaftlichen Sehkraft – Oskar Negt(2000)
“Der Verlust jener in sinnlicher Erfahrung begründeten Urteilsfähigkeit der Menschen hat in unserem Jahrhundert für viele Menschen tödliche Folgen gehabt. Das Wegsehen, die machtgeschützte Sinnenblindheit, wenn Menschen verfolgt und getrieben, vergewaltigt und öffentlich gequält werden – das gehört nicht der Vergangenheit an.”
Schuhputzer in Sao Paulo.
« Brasilianer an ausländischen Universitäten: 2010 studierten dort rund 8800 – 128000 sind es aus dem BRIC-Staat China, laut brasilianischen Landesmedien. – Brasiliens Korruptionskrise unter Dilma Rousseff: Jetzt Arbeitsminister Carlos Lupi durch Medienenthüllungen schwer belastet. Rousseffs bemerkenswerte Mitarbeiterauswahl. »
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