Die Megacity Sao Paulo ist Brasiliens Stadt mit der größten Schwarzenbevölkerung “ deshalb wird der „Dia da Consciencia Negra”, der nationale Tag des schwarzen Bewußtseins, am 20. November stets besonders intensiv und vielfältig begangen. In der Kathedrale der City die „Missa Afro”, der „Encontro das Congadas”, danach ein Protestmarsch, den ganzen Tag über in der ganzen Stadt Konzerte von in-und ausländischen Musikern.
Indessen: „Grund zum Feiern haben wir auch diesmal nicht”, sagt der Schwarzen-Aktivist und Künstler Emanoel Araujo, Kurator des „Museu Afro-Brasil” in Sao Paulos Ibirapuera-Park. „Vor 120 Jahren wurde zwar die Sklaverei offiziell abgeschafft, doch immer noch gibt es unzählige Sklavenarbeiter in diesem Riesenland”, prangert Araujo an. Der weiße Chico Whitaker, Träger des Alternativen Nobelpreises, pflichtet ihm bei:”Wir sind ein Land der Apartheid und nur eine Fassaden-Demokratie!” Nach Nigeria hat Brasilien die größte dunkelhäutige Bevölkerung des Erdballs, haben über die Hälfte der Einwohner afrikanische Vorfahren so wie Barack Obama. Dennoch haben es Schwarze noch nie bis in den Präsidentenpalast geschafft, ist die Rassendiskriminierung ungleich schärfer als in den USA. Deshalb kämpft auch die bischöfliche Kommission für Gerechtigkeit und Frieden, in der Chico Whitaker aktiv ist, auf der Seite der dunkelhäutigen Brasilianer, kooperiert mit der Schwarzen-Seelsorge. Bischof Joao Alves dos Santos, der die „Pastoral Afro-Brasileira” leitet, kommt gerade von der Wallfahrt schwarzer katholischer Gemeinden in Brasiliens wichtigsten Pilgerort Aparecida bei Sao Paulo. Sie findet landesweit alljährlich kurz vor dem 20. November statt und ist zugleich größte nationale Demonstration für Schwarzen-Bürgerrechte. „Wir sind immer noch ein Land der Apartheid”, sagt auch Bischof Santos „nur sehr langsam zeichnen sich Fortschritte ab.” Dunkelhäutige seien die typischen Slumbewohner, hätten die geringsten Bildungschancen “ die Kirche suche daher die Sklavennachfahren auf verschiedenste Weise zu befähigen, wirkungsvoller für ihre Interessen zu kämpfen. Der Pastoralbischof weist auf das sehr erfolgreiche Bildungsprojekt des Franziskanerordens namens EDUCAFRO, das Schwarzen über ein Kurssystem den Zugang zu ihnen gewöhnlich verschlossenen Universitäten sowie zu höher qualifizierten, besser bezahlten Berufen öffnen soll. Der schwarze Franziskaner Frei David dos Santos hatte solche Kurse 1993 erstmals in Elendsvierteln Rio de Janeiros gestartet “ inzwischen funktioniert das EDUCAFRO-Netz landesweit. Santos, heute geradezu eine Symbolfigur der brasilianischen Schwarzenbewegung, ergeht es wie vielen kirchlichen Menschenrechtsaktivisten “ er bekommt Morddrohungen, nicht nur die Kirche bangt um sein Leben.Im Franziskanerkloster Sao Paulos leitet der quirlige, temperamentvolle Ordensbruder Valnei Brunetto alle regionalen EDUCAFRO-Projekte, organisiert kämpferische Schwarzen-Demos, bei denen seine Kurs-Studenten im City-Gewühl unüberhörbar große  Afro-Trommeln bearbeiten. „Was wir hier machen, ist auch Befreiungstheologie in der Praxis!” Glatt könnte man sagen, Brunetto habe die falsche Hautfarbe “ denn er ist weiß. Natürlich hat sich Brunetto die einzige nationale Schwarzenzeitschrift „Raça Brasil” mit ins Boot geholt “ Herausgeber Mauricio Pestana, ein exzellenter Rhetoriker und Karikaturist, kommt alle paar Tage ins Franziskanerkloster. „Brasilien ist das rassistischste Land der Welt”, sagt er unumwunden. Aus seiner Sicht sind rassistische Strategien überall auf der Welt fehlgeschlagen “ ob in den USA, Südafrika oder Teilen Europas. In Brasilien, so Pestana mit ironischem Unterton, funktioniere der „Racismo” dagegen geradezu perfekt, wirke dessen Maschinerie sehr intelligent. Damit die Vorherrschaft der Weißen nicht in Gefahr gerate, habe man den Dunkelhäutigen nur zu oft die eigene Identität geraubt. Rassismus werde häufig schlichtweg verdrängt, vielen sei die perfide Diskriminierung garnicht bewußt. Dabei brauche man in Sao Paulo, Lateinamerikas reichster Stadt, sich nur die von Misere gezeichneten Schwarzen-Ghettos und die bourgeoisen Weißen-Viertel anzuschauen. „Rassentrennung pur”. Unter Politikern, Führungskräften seien „Negros” die Ausnahme.  „Gegen all dies kämpfen wir an “ auch mit Hilfe der Kirche.”
Hintergrund:
Der Ehemann ist weiß, die Ehefrau ist schwarz. Am Hoteleingang verwehrt ein Wächter der Ehefrau den Zutritt: Prostituierte dürfen nicht mit aufs Zimmer. Wer glaubt, dieser Vorfall wäre die Ausnahme, irrt. Unter der Oberfläche scheinbarer Integration zeigt sich das Bild einer verdeckten Apartheid.
Die Schwarzen müssen wissen wo ihr Platz ist, lautet eine uralte, immer noch hochaktuelle Redewendung in Brasilien. Gemeint ist damit: Sklavennachfahren haben nichts in der Mittel- und OberÂschicht, deren Kreisen und Ambiente zu suchen. Sie werden entsprechend stigmatiÂsiert und behandelt. Wie dies in der Praxis funktioniert, bekam jetzt der Züricher Fritz Müller, Fachdirektor der Credite-Suisse-Bank, in Rio de Janeiro zu spüÂren. Als er mit seiner schwarzen, aus Rio stammenden Ehefrau Adriana nach einem RestaurantÂbeÂsuch ins First-Class-Hotel Intercontinental zurückkehrte, wurÂde Adriana von einem muskulöÂsen Wachmann grob geÂstoppt: Eine Garota de Programa, so heißen Prostituierte im Rio-Slang, dürfe nicht mit aufs Zimmer. Direktor Müller ließ sich von seiner Frau übersetzen worum es ging und schlug gehörigen Krach, stellte den WachÂmann zur ReÂde, verlangte von der HotelleiÂtung eine formelle EntschuldiÂgung. Denn ohne entsprechende Vorschrift hätte der Wächter kaum so gehandelt.
Rassismus – Machismus
Die Zeitung O Globo beÂschrieb den Fall unter der treffenden Überschrift „Fünf-Sterne-Rassismus“. Kaum ein mit einer dunkelhäutigen BrasiliaÂnerin beÂfreundeter oder verheirateter EuÂropäer, der in Rio, Sao Paulo, Salvador de Bahia oder Fortaleza nicht ähnliche Erfahrungen geÂmacht hat. Wer brasilianisches Portugiesisch nicht versteht, bekommt kaum mit, daß der Gang über die Strandpromenade für seine Partnerin gelegentlich eiÂnem Spießrutenlauf gleicht. Weiße Mittelschichtsmachos der übelsten Sorte, in Brasilien alles andere als dünn gesät, lassen eine Bösartigkeit oder Obszönität nach der anderen fallen, gehen davon aus, daß der tumbe Gringo sicher nichts versteht und wohl immer noch glaubt, was die meisten Reiseführer kolportieÂren: Brasilien, ein wunÂdervoller SchmelzÂtiegel der Rassen, ein Beispiel gelungener Integration verÂschiedener Hautfarben, von DisÂkriminierung keine Spur.
Wer aber die Oberfläche, die schillernde Erscheinungsebene verläßt, stößt auf Brasiliens hocheffiziente verdeckte Apartheid. Die ist von den schwachen, wenig respektierten SchwarzenÂorÂganisationen weit schwerer zu packen und zu attackieren als die aus SüdÂafrika bekannte ofÂfene RasÂsentrenÂnung. Schwarze, MuÂlattÂInnen gehören in die Slums, in die Unterschicht, in die drekÂkigsten, schlechtbezahltesten BeruÂfe. Schwarze Frauen sind gemäß diesem Denk- und Verhaltensmuster Hausdienerinnen, Reinemachefrauen, bestenfalls SuperÂmarktkassiererinnen. Oder aber: Schwarze Frauen sind bis zum Beweis des Gegenteils Prostituierte, Touristenhuren, die man entsprechend behandeln kann.
Untersuchungen belegen, daß inforÂmelle Mechanismen gewöhnlich den AufÂstieg Dunkelhäutiger in gutbezahlte qualifizierte Mittelschichtsberufe verhindern. PrivatbanÂken bilden da keine Ausnahme. Bei mehreren spricht das gängige System der zwei Kundenschlangen Bände. Wer besser verdient und umgeÂrechÂnet mindestens einige tauÂsend Mark auf seinem Konto hat, steht in der kürzeren Fila, wird bevorzugt behandelt und ist geÂwöhnlich weiß. Wer zu den Schlechtbezahlten gehört, aber glücklich ist, dennoch ein Konto besitzen zu dürfen, muß in der längeren Schlange gelegentlich Stunden warten, schaut neidisch, frustriert oder mit Groll auf die Bevorzugten mit dem dickeren Geldbeutel. Welche Hautfarbe in der langen Fila dominiert, läßt sich in Rio gut beobachten.
Wer mit dunkler Haut denÂnoch den sozialen Aufstieg schafft, hat im Alltag fast pausenÂlos Ärger. In Sao Paulo wird eine efolgreiche schwarze Schauspielerin von weißen Madames immer wieder auf der Straße gefragt, ob sie nicht als Hausdienerin anfangen wolle, sie sehe so gut und gesund aus. Der schwarze Sänger und Komponist Dicró wird in Rio de Janeiro von Sicherheitsleuten zu seiner eigenen Show nicht auf die Bühne gelassen. Ironisch erklärt er: „MehrÂmals haben sie mich auch schon geschnappt, als ich meinen eigenen Wagen klauen wollte.“ Wie überführte Autodiebe werden ebenfalls immer wieder gutverdienende schwarze FußballÂspieler traktiert, die teure Importwagen fahren. Oleude Ribeiro vom Verein Portuguesa von Sao Paulo wurde mit Blaulicht in seinem Ford-Jeep gestoppt und mit dem Revolver am Kopf gründlich durchsucht: „Mein tiefentsetzter kleiner Sohn wollÂte danach wissen, ob diese Männer Banditen waren. SchwieÂrig, ihm zu erklären, daß alles nur geschah, weil wir Schwarze sind.“
Der auch in EuÂropa bekannte schwarze brasilianiÂsche Musiker Djavan erläutert: „Wenn du berühmt wirst, verlierst du sozusagen deine Hautfarbe. Das heißt nicht, daß dich die Leute auf einmal mögen. Sie beginnen nur, dich zuzulassen.“
« Martha Huggins, wichtigste Expertin über Folter in Lateinamerika, speziell Brasilien. – Brutale häusliche Macho-Gewalt in Brasilien: Immer mehr Frauen leben deshalb obdachlos auf der Straße. Häufige Ehrenmorde. Brasilienklischees sind Diktaturprodukt, entstanden unter Judenhasser Getulio Vargas. “In puncto Gleichberechtigung ist Brasilien weiter als viele westliche Länder.”(National Geographic Deutschland 2011) »
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