Die von Mittel-und Oberschichtsvierteln umgebene Favela Paraisopolis wird traditionell von Banditenkommandos des PCC beherrscht, die mittels „Sondergerichten“(tribunal do crime) auch die Slumbevölkerung terrorisieren und einschüchtern. Ständig patrouillieren Bewaffnete durch Gassen und Straßen des Slums. Für Banditenkommandos, die in den umliegenden Vierteln operierten, war Paraisopolis eine sehr praktische Fluchtmöglichkeit. In politisch korrekten Mainstream-Berichten Europas über Paraisopolis wird die grauenhafte Slum-Realität gewöhnlich verschwiegen.
Angeli, größte brasilianische Qualitätszeitung “Folha de Sao Paulo” Ende Oktober 2012 zur Gewaltkultur in Lateinamerikas größter Demokratie:”Ja, wir überfallen, vergewaltigen und morden. Das hat einen Superspaß gemacht.”
tags: brasilien, favela paraisopolis, sao paulo, tu graz
http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/terror-rap-statt-samba/763272.html
Bewohnerin der Favela Paraisopolis.
Der mutige Priester von Paraisopolis(2009)
Morddrohungen, Banditenkommandos, Polizeiwillkür
Deutsche Christen helfen/Amnesty International greift ein
Tim Cahill(Mitte), Brasilienexperte von Amnesty International in London – in der Paraisopolis-Broschüre zitiert.
„Mein größter Wunsch ist, daß all die deutschen Christen, die für unseren Kirchenbau spendeten, uns hier besuchen und die schier unbeschreiblichen, bizarren Probleme kennenlernen“, sagt der junge schwarze Slumpfarrer Luciano Borges Basilio mitten in einer der ungewöhnlichsten Regionen ganz Brasiliens.
Paraisopolis heißt Paradies-Stadt – doch paradiesisch ist hier garnichts. Lateinamerikas reichste Megacity Sao Paulo zählt über 2000 Slums – doch der von Padre Basilio zeigt die schmerzhaftesten Kontraste. Denn Paraisopolis grenzt direkt an ein Viertel der Wohlhabenden – nicht wenige davon blicken von ihren luxuriösen Penthouse-Appartements direkt auf das unüberschaubare Gassenlabyrinth, wo auf engstem Raum in Holz-und Backsteinkaten sage und schreibe 100000 Menschen in Moder, Abwässer-und Müllgestank hausen. Und das scheint einem Polizei-Thriller entlehnt: Zwar regiert Sao Paulos Gouverneur José Serra von seinem nahen Palast aus die führende lateinamerikanische Wirtschaftsregion mit ihren mehr als 1000 deutschen Firmen – doch in Paraisopolis herrscht unangefochten Brasiliens mächtigstes Gangstersyndikat PCC(Primeiro Comando da Capital – Erstes Kommando der Hauptstadt). „Das organisierte Verbrechen ist besser organisiert als die Polizei – oft sogar viel besser – während die Polizei desorganisiert ist“, analysiert Priester Basilio. „Das Verbrechen, der massive Handel mit harten Drogen sind ein ernstes Problem in Paraisopolis – doch wie überall in Brasilien schützt der Staat die Slumbewohner nicht, läßt sie in der Hand der Banditen.“ Für den Padre ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten, daß just der wichtigste Banditen-Geschäftszweig, nämlich der Drogenhandel, nur dank der reichen Großkunden von nebenan funktioniert. „Nachts kommen sie sogar in den Slum oder lassen sich das Rauschgift von hier bringen.“ Das symbolisiert die widersprüchliche Situation – in Rio de Janeiro ist es nicht anders. Anstatt dort – oder in Paraisopolis – jener kleinen Minderheit der Gangster das Handwerk zu legen und das hochlukrative Drogengeschäft zu stoppen, verletzt die Polizei bei Razzien permanent Grundrechte der völllig unschuldigen Bewohnermehrheit. „Dazu können wir als Kirche nicht schweigen, Polizeiwillkür darf man nicht hinnehmen. Padre Basilio nennt jüngste Fälle: Bei der Verfolgung von Gangstern, die in das Gassengewirr und Menschengewimmel des Slums flüchten, feuern die Beamten gewöhnlich blind drauflos. Ein Baby von 9 Monaten bekommt eine Kugel in den Arm, eine Sechzehnjährige in die Brüste. „Es wäre doch besser, die Banditen nicht zu kriegen, aber das Leben der Slumbewohner zu garantieren, anstatt wild herumzuballern!“
Der Priester macht es sich nicht so einfach wie manche politisch korrekten Menschenrechtsaktivisten, die nur Polizeiübergriffe anprangern, den Terror der hochbewaffneten Banditen aber verschweigen. „Ein Polizeioffizier erhielt 2009 hier in Paraisopolis einen Bauchschuss – die Beamten haben ja auch Familie und sind natürlich unter Streß und Hochspannung, wenn sie in einen Slum hineinmüssen.“Täglich werden in Brasilien mehrere Polizeibeamte ermordet. „Aber Willkür rechtfertigt das nicht.“ Die Kirche hält für verheerend, wenn wegen solcher diskriminierenden Vorgehensweisen die Kinder mit höllischer Angst vor der Polizei aufwachsen und sich auch als Erwachsene beinahe instinktiv vor ihr fürchten. Für Padre Basilio sind die Slumbewohner ohnehin bereits in einer grauenhaften Lage, werden erniedrigt und gedemütigt von den Bessergestellten: „Es gibt viel Elend und Hunger in Paraisopolis – trotz aller aufopferungsvollen Arbeit von Caritas. Die Arbeitslosigkeit ist hoch – und jene 15 Prozent, die weder lesen noch schreiben können, finden schwerlich einen Job. Slumbewohner kriegen meist nur Gelegenheitsarbeit. Für diese Menschen gebe ich mein Leben – denn mit Ermordung muß ich rechnen.“
Der Priester erhält seit Jahren immer wieder Morddrohungen, sogar per Internet, läßt sich aber nicht einschüchtern. „Aus dem Slum kommen die Drohungen mit Sicherheit nicht – die Leute hoffen hier stark auf die Kirche.“ Basilio weiß, daß in ganz Brasilien, und auch in Sao Paulo, immer wieder Geistliche ermordet werden.
Inzwischen hat er Amnesty International, die weltweit angesehenste Menschenrechtsorganisation, auf seiner Seite. Der Brite Tim Cahill, Brasilienexperte von Amnesty, hat sich jetzt vor Ort über die Zustände informiert, mit zahlreichen Augenzeugen gesprochen. Daß die Polizei weiterhin nicht auf Folterungen verzichtet, hält Cahill für schwerwiegend. “Die brasilianische Regierung hat zwar die Anti-Folter-Konvention unterzeichnet, doch wie wir hier in Paraisopolis sehen, fehlt jeglicher politischer Wille, Folterer zu bestrafen“, sagt er. „Die Polizei ist landesweit zunehmend in kriminelle Aktivitäten verwickelt, bildet Todesschwadronen und paramilitärische Milizen. Ein beträchtlicher Teil der Brasilianer, vor allem jene in den Slums, wird wie Wegwerf-Bevölkerung behandelt.“
Ein schwarzer Bürgerrechtler schildert Tim Cahill die Folterpraktiken in Paraisopolis: „Die Beamten haben zwei Lichtdrähte aus der Wand gerissen und meinem Freund in seiner eigenen Kate damit immer wieder Elektroschocks versetzt. Dann haben sie ihn auf den Kopf geschlagen, zu Boden getreten. Schließlich haben sie ihn in Ruhe gelassen, sind weggegangen – man kann nichts dagegen machen. Folter mit Elektroschocks zu sehen, sind wir hier im Slum schon richtig gewöhnt. “
Eine junge Frau beschreibt andere Formen von Polizeiwillkür: “Beamte pressen den Leuten Geld ab, rauben aus den Katen sogar Fernseher. Ja – die Polizisten behandeln uns wie Tiere. Hier verteidigt uns nur der katholische Padre – der hat schon viele Festgenommene aus dem Gefängnis rausgeholt, der hilft uns.“
Außergerichtliche Exekutionen seien weder in Paraisopolis noch in den anderen Slums von Sao Paulo oder Rio de Janeiro eine Seltenheit.
Tim Cahill von Amnesty International erinnert daran, daß die Regierung von Staatspräsident Luis Inacio Lula da Silva zu Beginn der Amtszeit 2003 sowohl den Vereinten Nationen als auch den Menschenrechtsorganisationen versprochen hatte, die eigenen Gesetze und internationalen Abkommen strikt einzuhalten. Gegen Ende von Lulas zweiter Amtszeit vermißt Cahill indessen ebenso wie die Kirche echte Fortschritte: “Die Lula-Regierung war eine Enttäuschung. Es gab große Versprechen, Pläne und Projekte, sogar einen konstruktiven Diskurs – doch die Probleme sind tief verwurzelt geblieben. Es wird weiter gefoltert und exekutiert, die Lage in den Gefängnissen ist nach wie vor grauenhaft, und es gibt sogar weiterhin Todesschwadronen und Sklavenarbeit. Echte Reformen werden durch wirtschaftliche und politische Interessen verhindert.“
Gilmar Mendes, Präsident des Obersten Gerichts, sagte unlängst, Brasiliens Gefängnissystem ähnele nazistischen Konzentrationslagern. Und Paulo Vannuchi, Brasiliens Menschenrechtsminister, räumt ein, daß tagtäglich außergerichtliche Exekutionen und Blutbäder von Polizisten sowie Todesschwadronen verübt würden. Für Tim Cahill ein unglaubliches Eingeständnis: “Dies zählt zu den absurden Dingen in Brasilien – Teile der Autoritäten erkennen diese Tatsachen an – aber tun so, als seien sie dafür nicht verantwortlich. Das große Problem Brasiliens ist heute, daß der offizielle Diskurs nichts mit der politischen Praxis zu tun hat. Wenn die Regierung in Brasilia weltweit mehr Anerkennung und Respekt will, muß sie sich für die Menschenrechte der eigenen Bevölkerung einsetzen, besonders der Unterprivilegierten.“
Für den schwarzen Priester Luciano Borges Basilio bedeuten solche Worte eine enorme Rückenstärkung. Von einem anderen Briten, seinem Priesterkollegen Jaime Crowe aus dem riesigen Slumviertel Jardim Angela mit über 300000 Bewohnern, erhält er moralische Unterstützung beinahe alle Tage. „Man kämpft und kämpft, sieht nur zu oft kein Resultat, wird frustriert. Dann sagt mir Jaime Crowe, mach weiter, gibt nie auf! Crowe hat in fast vierzig Jahren aus dem grauenvollen Jardim Angela eine weitgehend friedliche Stadtregion gemacht – das versuchen wir hier auch.“ Noch 1996 hatte die UNO Priester Crowes Gemeindebereich zur gewaltgeprägtesten Region des ganzen Erdballs(!) erklärt, gab es täglich Morde. „Wir haben in Brasilien eine Kultur der Gewalt und der Korruption – das alles ist sehr tief verwurzelt“, sagt Crowe. „Doch wir dürfen unsere Träume nicht aufgeben.“
Eingang zu Kate in Paraisopolis.
Hintergrund Favelas – Österreichs Südwind-Magazin:
http://www.suedwind-magazin.at/start.asp?ID=234729&rubrik=31&ausg=200304
Sao Paulos Kardinal Paulo Evaristo Arns:
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5318083,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4281011,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,1857985,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,1165227,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5017299,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,6259125,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4202051,00.html
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,2368848,00.html
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/09/cacau-rio-negro-amazonien/
Menschenrechtssamba von Jorge Aragao aus Rio de Janeiro, anklicken:
http://www.youtube.com/watch?v=XkvjkxERac4
tags: brasilien, claude lévi-strauss, traurige tropen
“Für die europäischen Städte bedeutet der Verlauf der Jahrhunderte einen Aufstieg; für die amerikanischen dagegen bedeuten schon wenige Jahre einen Niedergang.. Denn sie sind nicht nur neu erbaut: sie sind erbaut, um sich mit derselben Geschwindigkeit zu erneuern, in der sie errichtet wurden, das heißt schlecht…Sao Paulo galt damals als eine häßliche Stadt.”
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/20/brasilien-daten-statistiken-bewertungen-rankings/
« Brasilien, Ikarus, 2012. Ibirapuera-Park. – Brasilien: Gewalttote in Afghanistan – und in Sao Paulo. Beeindruckende Vergleiche der Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“ zwischen den Opferzahlen beider Länder. „Afghanistan ist dagegen sogar friedlich.“ Frankfurter Buchmesse 2013 – Gastland Brasilien. Wie Lula im Dez. 2012 in Berlin sagte, lebt Lateinamerika derzeit in einer Ära von „Frieden und Fortschritt“. (a „era de paz e progresso“ que a América Latina está vivendo na atualidade) »
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