Philip Miha und Jaime Aroxa – die Stars des Zouk in Brasilien
In keiner brasilianischen Stadt kann man so gut alle lateinamerikanischen Rhythmen – von Samba bis Forró und Tango – tanzen wie in Rio de Janeiro. Mit einer Ausnahme – Zouk. Da ist Sao Paulo landesweit unschlagbar.
YouTube:Philip Miha tanzt Zouk in der Talkshow von Jó Soares: http://www.youtube.com/watch?v=T9V_NLqcUks
YouTube: Philip Miha mit Zouktänzerinnen: http://www.youtube.com/watch?v=1w4SxX8SQZY
Philip Miha mit Tänzerin
Sonntags ins „Buena Vista“, donnerstags der Carioca-Clube ab neun – zuerst der Kurs mit dem nationalen Zouk-Idol Philip Miha, danach die Zouk-Disco – eine rauschende, wilde, sinnliche, lustvolle Ballnacht. Eine kleine Minderheit musik-und tanzbesessener Paulistanos ist verrückt nach Zouk, Brasiliens schwierigstem Paartanz, einem Rhythmus, dessen Wurzeln auf den französischen Antillen in der Karibik liegen, den man deshalb auch die französische Lambada nennt. Ein Modetanz ist Zouk aber weder dort noch in Brasilien, in Afrika, der arabischen Welt – oder gar in Paris – mit der größten, besten, vielseitigsten Zouk-Szene von Europa. Denn Zouk hat es in sich, ist nichts für banale Disco-Hopser mit Höllenangst vor Körperkontakt – Zouk ist die charmantere, elegantere, sinnlichere Version der brasilianischen Lambada – aber nicht unbedingt schwerer als Salsa.
Aus Brasilien – nach wie vor Weltspitze im Paartanz, nirgendwo ist er populärer – kommen derzeit die interessantesten Impulse für die Welt-Zouk-Szene – und eine Brasilianerin, Anna Torres, 30, ist mit ihren Zouk-Kompositionen sogar in Paris die populärste Zouk-Interpretin.
Ihr absoluter Hit heißt Liberdade, Freiheit, ist aber nicht etwa ein Politsong, sondern die stimmigste Anleitung, die beste Definition für Zouk. Im Carioca – Clube von Sao Paulo schmettert sie den Song mit Feuer und Carisma in den übervollen Saal – und die Massen singen, tanzen mit.
„Liberdade, seja livre” – fühl dich frei, laß deinen Körper einfach mal schweben, fliegen, fließen – tanze einfach, schließ die Augen, laß dich fallen – laß deinem Körper mal freien Lauf, laß ihn ausdrücken, was er fühlt, und seine Sprache wird verstanden – du wirst es sehen. Wir beide ganz eng zusammen, Haut an Haut, meine Augen in deinen, wir genießen, wir lachen – wir schweben – und werden nicht müde vom Zouk.
”Liberdade, für mich kaum zu fassen, war die Nummer Eins auf Radio Latina in Paris”, sagt Anna Torres, „wird auch auf den französischen Antillen irre viel gespielt – ich bin mit Liberdade als einzige Brasilianerin auf der neuen CD „World of Zouk” – und jetzt, wegen der Konzerte, halb in Paris, und halb in Brasilien. Ich glaube, in Frankreich mögen sie einfach diese südamerikanische Sinnlichkeit, wie ich ja selber auch. Liberdade hat Swing – und einen interessanten Text – obwohl den dort kaum einer versteht. Zouk heißt ja so viel wie Fest der Liebe, Zouk ist sehr romantisch – das alles fasziniert mich.”
Aber Anna Torres – wenn ich mich so umsehe bei deiner Show – dieses wogende Meer von rauschhaft ineinander verwobenen Paaren – Dreher, Schlenker – die Frauen mit ganz langen fliegenden Haaren lassen sich immer wieder nach hinten, nach den Seiten, oft über die Knie des Cavalheiro fallen, berühren dabei mit dem Kopf fast den Dielenboden, werden aufgefangen, eng umarmt, nach oben, in die Waagerechte gezogen – eine unglaubliche, wie zufällige Abfolge improvisierter, aus dem Augenblick geborener Schritte, Drehungen – wer tanzt denn sowas in Paris – das ist doch für Europäer unheimlich kompliziert?
”Dort stechen in der Zouk-Szene die Leute von den Antillen heraus, die sind unschlagbar – aber auch die normalen Franzosen tanzen Zouk – och viel, viel simpler, nicht so brasilianisch, so ähnlich wie Lambada – die schmeißen sich nicht so wild und aufregend hin und her. Da gilt – zwei Schritte nach vorn, zwei zurück – aber auch sehr, sehr intim, sehr erotisch.” Wie hier in Brasilien das Bein des Cavalheiro ganz tief zwischen den Schenkeln seiner Partnerin – denn so führt er ja. Und alleine das, scheint mir, ginge sicherlich vielen Frauen in Deutschland erheblich über die Hutschnur, würde womöglich als extrem machistisch, als unverschämt, provozierend, gar sexistisch empfunden. Aber davon keine Spur – man muß es im stimmigen Ambiente beobachten, oder besser noch, ausprobieren!
„Ich glaube”, so Anna Torres, „Zouk paßt sich der Tanzkultur jedes Landes an – hat ja unheimlich viel mit einer Reggae-Variante Jamaikas und dem brasilianischen Nordost-Rhythmus Embolada gemeinsam – rätselhaft, diese Ähnlichkeit.”
In Afrika tanzt man Zouk nicht paarweise, dafür aber viel schneller, und im kontinentalen Brasilien in jeder Region andere Zouk-Varianten – siehe Reggae im archaischen Nordost-Teilstaate Maranhao, aus dem Anna Torres stammt – Reggae tanzt man dort eng aneinandergeschmiegt zu zweit. Im Amazonas-Teilstaat Parà , wo die Lambada erfunden wurde, ist auch die Zouk-Szene “ mit wieder anderen Schrittkombinantionen – stark, geben hervorragende Bands eine CD nach der anderen heraus “ in Rio, Sao Paulo, über dreitausend Kilometer entfernt, einfach nicht zu kriegen. „So ist das eben bei einem Land mit kontinentalen Ausmaßen. Doch von einer Zouk-Szene in Deutschland habe ich noch nichts gehört – n Berlin, in Köln, und anderen Ecken Deutschlands will ich möglichst bald auftreten, schon lange mein Plan. ”
Vielleicht springt der Funke ja über – denn Anna Torres hat auch traumhaft schöne Zouk-Versionen französischer Klassiker, wie „Ne me quitte pas” im Repertoire. Oder Imagine – und sogar Gesellschaftskritisches, ein Song von Gilberto Gil über das Elend in den Slums, die Scheinheiligkeit der Landeseliten – ”Nos Barracos da Cidade”.
–Zouk-Aktivist Philip Miha”
Wer in Brasilien, in Sao Paulo Zouk sagt, meint auch Philip Miha – d e r Zouk-Tanzlehrer, Zouk-Aktivist der Nation, hochgewachsen, gertenschlank, unermüdlich, geduldig, nebenbei Volleyballtrainer. Inzwischen tanzt er Zouk in TV-Serien, Theatern, verbreitet seine Zouk-Philosophie auch in den Talkshows:
„Viele Leute haben doch Angst vor Berührung, vor Körperkontakt – Zouk knackt diese Barriere auf – mit diesem sinnlichen Rhythmus, diesen sinnlichen Bewegungen. Und der Kontakt mit dem Partner ist doch nicht nur körperlich, der ist auch spirituell – und das ist eigentlich das Tollste am Zouk! Du drückst beim Tanzen aus, was Du fühlst – läßt deinen Körper einfach mal sich so bewegen, wie er will. Und je mehr Leute auf der Welt Zouk ganz verschieden tanzen, umso reicher wird doch unsere Szene, die hier wie eine große Familie funktioniert. Alle paar Wochen Zouk-Feten auch außerhalb Sao Paulos – Zouk tanzen in Badehose und Bikini – zwischendurch ein Sprung in den Pool. Bei den anderen brasilianischen Tänzen – Samba, Forró, Bolero – hält man sich grade, aufrecht – Schultern, Arme ein bißchen steif, damit man gut führen kann. Zouk ist völlig anders – da ist der ganze Körper locker, gelöst, im Fließen – und das harmonisch! Zouk – das ist wie eine Sucht, ein Laster, eine Leidenschaft, von der man nicht mehr loskommt!”
Stimmt – mir gehts genauso. Vorher war Miha Lambada-Fan, denn dieser Rhythmus hat das gleiche Schrittmaß, wird genauso gezählt. „Aber heute ist Zouk der Lambada immer weniger ähnlich.” Claro – Miha hat eine ganze Menge Schrittkombinationen dazuerfunden, entwickelt Zouk ständig weiter, bringt seine Zoukeiros auf immer neue Ideen. Auch ihn fasziniert die regionale Vielfalt seines Landes – weshalb es d e n Durchschnittsbrasilianer eigentlich nicht gibt. „Brasilien – das sind im Grunde mehrere Staaten – wenn man mal richtig herumreist, trifft man so ziemlich alle Kulturen der Welt hier an.” Auch deshalb so viele nationale Zouk-Versionen:”Die Kultur jedes der sechsundzwanzig Teilstaaten ändert, beeinflußt den Tanzstil. Die Leute in Rio de Janeiro sind irgendwie lockerer, leichter, gehen schwingender, tanzen Zouk daher anders sinnlich – die in unserer Industriestadt Sao Paulo sind Arbeiter, sehr genau, Perfektionisten, wollen eben auch Zouk ganz perfekt tanzen. Und alles kein Vergleich mit Pará in Amazonien.”
Also, beim nächsten Paris- oder gar Brasilienbesuch mal in der Zouk-Szene umschauen – in Deutschland ist sie leider noch winzig.
Clärchens Ballhaus – wo man sich vor 1990 gut amüsieren konnte: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/ballhaus-urgestein-im-gespraech-ick-mach-bis-ich-den-arsch-oben-hab-12567915.html
„Im Westen haben sie nur Scheiß erzählt über den Osten, als ob wir Untermenschen wären. Das hat sich immer noch nicht geändert.“
1990 endete vorhersehbar die große, jahrzehntelang aufregende Zeit des Tanzlokals – heute dominiert nur noch das übliche Berliner Banal-Programm.
tags: brasilien-paartanzkultur 2014, forró, salsa, samba, semana da cultura latina, tango, tanzkongreß sao paulo, zouk
Alle Fotos, Videos auf Facebook, anklicken:
https://www.facebook.com/semanadaculturalatina
Exzellente Tanzkurse, exzellente Tanzlehrer – außergewöhnlich interessante Tanzaufführungen und Bälle – das Beste dieser Art aus ganz Brasilien. Üblicherweise haben mitteleuropäische Medien an derartigen Höhepunkten brasilianischen Kulturlebens keinerlei Interesse.
Ausländische Kongreßbesucher, darunter aus Deutschland, nutzten die ausgezeichnete Möglichkeit, ihre Tanzkenntnisse zu verbessern. Das Interesse von Mitgliedern der deutschen Gemeinde in Brasilien an landestypischem Paartanz ist extrem gering.
http://www.hart-brasilientexte.de/2013/10/21/brasilien-und-samba/
Auffällig ist die weiter wachsende Popularität des Kuba-Salsa – aus einem Karibikstaat mit etwa soviel Einwohnern wie Rio de Janeiro. Während es Argentinien, Kuba mit beträchtlichem Erfolg gelungen ist, eigene Musik-und Tanzkultur zu exportieren, scheiterte die im Falle Brasiliens an soziokulturellen Faktoren, Ineffizienz, Desorganisation, fehlendem politischen Willen der zuständigen politischen Verantwortlichen. Diese indessen sorgen dafür, daß niedrigwertiger US-Pop von der nordamerikanischen Kulturindustrie problemlos nach Brasilien durchgeschaltet wird, dort dominiert. Gleiches gilt für neoliberale Länder wie Deutschland – siehe den Einfluß der US-Kulturindustrie auf die Musikauswahl deutscher Sender.
Selbst auf einem brasilianischen Tanzkongreß wie in Sao Paulo wird daher von interessierter Seite versucht, brasilianische Rhythmen und Tänze mit Techno, Rap, Baile-Funk-Musik zu verwässern, mischen entsprechend orientierte Tanzprofis diese Musik allen Ernstes in Samba oder Forró. Begleitmusik eines solchen Events ist in Pausen, vor Aufführungen nicht zufällig billigster US-Pop.
Brasiliens große Zeitungen haben über den Tanzkongreß erwartungsgemäß nicht berichtet.
Der Umfang des Kulturexports aus einem Riesenland wie Brasilien spricht Bände – nur 0,2 % vom Weltvolumen: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/12/22/brasiliens-kulturexport-nur-02-prozent-vom-weltvolumen-retrato-de-um-pais-que-nao-exporta-sua-cultura-o-estado-de-sao-paulo-brasilianische-musik-verkauft-sich-garnicht-so-gut-im-ausland/
http://www.hart-brasilientexte.de/tag/brasilien-kultur-und-gesellschaft-sammelbandtexte/
Charmanter Tanzlehrer Marcos Brilho.
http://www.semanadaculturalatina.com.br/
Alle Fotos, Videos auf Facebook, anklicken:
https://www.facebook.com/semanadaculturalatina
https://www.youtube.com/user/semanaculturalatina/feed
Tanzlehrer Patrick Carvalho.
Kuba-Salsa in Sao Paulo.
Samba-Cancao – Tanzlehrer Joao Carlos Ramos
http://joaocarlosramos.blogspot.com.br/2011/03/joao-carlos-ramos.html
”JOÃO CARLOS RAMOS
Dançarino e coreógrafo carioca, começou a dançar nos concursos das “Discos” dos clubes do subúrbio do Rio de Janeiro, organizando grupos amadores de dança de sua região.
Aos 19 anos ingressou no “Grupo Coringa Dança” da coreógrafa Graciela Figueroa dedicando-se ao estudo da dança contemporânea. Diversificou seu trabalho em diversas áreas realizando coreografias para teatro e musicais no Brasil, como “Brasil Brasileiro” de Claudio Segóvia, “ARN” – Intrépida Trupe (RJ), shows e vídeo-clipes de Jorge Benjor, Lulu Santos, Zeca Pagodinho e Paulo Moura.
Trabalhos no exterior no Ano Brasil\França – Carreau du temple em Paris, In-Transit – Haus der Kulturen der Welt em Berlin, Summer Dance Festival – Lincon Center Square em Nova Yorque e Printemps de Commediens em Montpellier.”
http://www.hart-brasilientexte.de/2008/07/29/warum-es-mit-brasiliens-erotischem-sex-bergab-geht-ganz-zu-schweigen-vom-rest-der-welt-stephen-kanitz-nennt-einen-wichtigen-aspekt-die-stupide-abschaffung-des-sinnlichen-paartanzes/
Jaime Aroxa – wie jedes Jahr Tanzlehrer und Mitorganisator des Tanzkongresses: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/20/jaime-aroxa-gesichter-brasiliens/
http://www.ila-web.de/brasilientexte/aroxatropical.htm
http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/20/zouk-festival-in-berlin-kaum-zu-fassen/
http://www.hart-brasilientexte.de/2013/10/21/brasilien-und-samba/
Jaime Aroxa aus Rio de Janeiro, und besonders Zouk-Experte Philip Miha aus Sao Paulo haben den Zouk durch viele neue Schrittkombinationen stark bereichert, diese u.a. durch Workshops auch in Europa bekannt gemacht. Zahlreiche Tanzlehrer in Europa lehren daher Schritte von Miha und Aroxa, den meisten Tanzbegeisterten ist das nicht bewußt. Kurios, daß diese brasilianischen Zouk-Schrittkombinationen inzwischen in Europa auch auf Salsa-Rhythmen getanzt werden.
Der von den Autoritäten zum Schaden einheimischer Musik-und Tanzkultur geförderte, hochaggressive “Baile Funk” mit sexistischen Primitiv-Rhythmen, kopiert aus den USA – regelmäßig Schießereien mit Toten, Verletzten – auch am Wochenende des Tanzkongresses von Sao Paulo: http://g1.globo.com/rs/rio-grande-do-sul/noticia/2014/11/tiroteio-dentro-de-boate-com-baile-funk-deixa-feridos-em-porto-alegre.html
Auf Kuba tanzt der allergrößte Teil der Kinder und Jugendlichen bereits in der Schule, darunter in den Pausen, Salsa, beherrscht viele Schrittkombinationen sehr gut. In neoliberalen Ländern wie Deutschland wurde von interessierter Seite effizient dafür gesorgt, daß entsprechende lokale Kultur in eine Nische gedrängt wurde. Können deutsche Schüler eigentlich noch die Paartänze der deutschen Kultur?
Aufforderung zum Tanz.
« Vorheriger Beitrag – Seyran Ates und die Erfolge der Neuen Rechten »
Noch keine Kommentare
Die Kommentarfunktion ist zur Zeit leider deaktiviert.