Kein anderes Land steht so heftig in der Kritik von Umweltschützern wie Indonesien, weil es Regenwald in Ölpalmplantagen umwandeln lässt. Doch nicht nur in Südostasien macht sich die aus Afrika stammende Ölpalme als Basis von Pflanzenöl und Biodiesel in Regenwaldregionen breit. Auch im Amazonasbecken sind die Ölpalmplantagen auf dem Vormarsch. Brasiliens Regierung und Agrarindustrielle haben Pläne, die Indonesiens Ölpalmexpansion weit in den Schatten stellen könnten.
  Der Ausbau der Bio- oder Agrartreibstoffe ist längst erklärtes Ziel der brasilianischen Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Dabei geht es zum einen um Ethanol aus Zuckerrohr. Doch das Agrarenergieprogramm der Regierung setzt ebenso auf Treibstoff auf Pflanzenölbasis. Laut Regierungsbeschluss muss ab 1. Juli dem Diesel in Brasilien 3 Prozent Biodiesel beigemischt werden.  Noch stammt derzeit etwa 90 Prozent des brasilianischen Biodiesels aus Soja, so die Schätzung des Sekretariats zur Agrarenergieproduktion. Doch die Zukunft gehöre nach Meinung der brasilianischen Agentur für Landwirtschaftliche Forschung, Embrapa, der exotischen Oelpalme (Elaeis guineensis), denn sie lasse sich besser im feuchttropischen Amazonien anbauen als Soja und verspräche deutlich höhere Energie-Ernteerträge: 5.000 bis 6.000 Liter Biodiesel je Hektar gegenüber nur 800 Liter aus Sojabohnen. Schon seit Jahren produziert die noch während der Militärdiktatur 1973 gegründete und dem Agrarministerium angeschlossene Embrapa in Amazonien Ölpalmsamen sowohl für den nationalen Einsatz wie für den Export vor allem nach Kolumbien “ weiteres großes Expansionsgebiet der Ölpalme in Lateinamerika. Nach Meinung der Agraringenieure Embrapas in Manaus besitze das brasilianische Amazonasgebiet das weltweit größte Palmdieselpotential mit schätzungsweise 70 Millionen Hektar potentielle Anbaufläche “ 10 mal mehr als die gesamten heutigen Ölpalmplantagen Indonesiens. Brasilien, so die Embrapa, könnte jährlich 350 Millionen Kubikmeter Erdöl durch Palmdiesel aus Amazonien ersetzen und 7 Millionen Familien eine Existenz als Palmölproduzent verschaffen. Die auch Dendê genannte Ölpalme aus Afrika sei ideal für eine „Nachhaltige Entwicklung” Amazoniens. Laut Embrapa gibt es Ölpalmplantagen bereits in fast allen Amazonasstaaten: in Amazonas, Acre, Amapá, Rondônia, Roraima, Tocantins und vor allem in Pará. Brasiliens Gesamtplantagenfläche von Elaeis guineensis beträgt derzeit über 70.000 Hektar. Der größte Teil davon befindet sich im südostamazonischen Pará in den Distrikten Moju, Acará und Tailândia – Sitz des Agrarriesen Agropalma, der wiederum zur Bankengruppe Alfa gehört.  Die Gruppe Agropalma ist seit Jahren Lateinamerikas größter Palmölproduzent mit 33.000 Hektar eigenen Ölpalmplantagen und zusätzlich 186 unter Vertrag stehenden Bauern mit jeweils etwa 6 bis 12 Hektar Anbaufläche. Die Gruppe betreibt auch die erste Biodieselfabrik auf der Basis von Palmöl (Palmdiesel), die 2005 von Präsident Lula eingeweiht wurde. In den nächsten zwei Jahren will nun Agropalma seine Plantagen um 11.000 Hektar erweitern. Um die Ölpalmexpansion aber noch schneller in Amazonien voranzutreiben drängt die Industrie- und Agrobusiness-Lobby schon seit 2005 auf eine Änderung des brasilianischen Waldschutzgesetzes. Im so genannten Código Florestal von 1965 ist bisher festgelegt, dass Landbesitzer in Amazonien lediglich 20 Prozent ihres Regenwaldbesitzes legal abholzen dürfen. Der Rest, 80 Prozent, muss als Waldreservat, Reserva Legal genannt, erhalten bleiben. Wird mehr, also illegal abgeholzt, so muss theoretisch mit einheimischen Baumarten wiederaufgeforstet werden.  Brasiliens Agrarindustrie ist dieser Código Florestal schon seit jeher ein Dorn im Auge. „Mit nur 20 Prozent produktiver Fläche mache ich keinen Gewinn, lamentiert beispielsweise Blairo Maggi, Brasiliens mächtigster Soja-Produzent, Multimillionär und Gouverneur des Amazonasstaates Mato Grosso. Auch Agropalmas Direktor Marcello Amaral Brito bezeichnete das Waldschutzgesetz als ein Investitionshindernis. „Kennen Sie jemanden, der ein Apartment mit fünf Zimmern kauft, aber nur eines Nutzen darf?” Das sei mehr oder weniger die Situation hier in Amazonien, so Direktor Brito 2006 im Journal „O Eco”.  Gestützt von Bundeslandwirtschaftsminister Reinhold Stephanes passierte nun vergangenen Dezember die von der Agrarlobby lang ersehnte Änderung des Código Florestal die Landwirtschaftskommission in Brasilia. Falls das neue Gesetz auch die beiden noch ausstehenden Prüfungen vor den Kommissionen für Umwelt und Nachhaltige Entwicklung sowie für Verfassung, Justiz und Bürgerrecht bestehen sollte, dann steht dem Ziel der brasilianischen Regierung hin zum Weltgrößten Palmdiesel- und Bioenergieproduzenten nichts mehr im Wege. Denn die Änderung setzt nun exotische, für die industrielle Anwendung entwickelte Baumarten wie Ölpalmen aus Afrika oder Eukalyptus aus Australien den einheimischen Arten gleich.  Bis zu 30 Prozent der illegal abgeholzten Flächen dürften nach dem neuen Código Florestal unter dem Namen „Wiederaufforstung” für Ölpalm- und Eukalyptusplantagen verwendet werden: Palmöl zur Biodieselproduktion; Eukalyptusholz zur Herstellung von Holzkohle für Amazoniens energiehungrige Stahlindustrie oder künftig auch zur Produktion von Ethanol aus Zellulose. Die auf dem Weg gebrachte Gesetzesänderung bedeutet faktisch, dass Palmöl- und Eukalyptusholzproduzenten nicht mehr nur 20 Prozent der Fläche legal, sondern 50 Prozent abholzen dürfen. Mit dem neuen Código Florestal, so sein Initiator Senator Flexa Ribeiro aus Pará, „kehrten außerdem die Landbesitzer, die ihren Wald illegal abholzen ließen, zurück in die Legalität und hätten wieder ein Anrecht auf Agrarkredite und staatliche Hilfe.” Einer der Hauptprofiteure des neuen Waldschutzgesetztes, Agropalma, hat nicht zufällig seinen Sitz in dem Distrikt Amazoniens mit den seit Jahren größten illegalen Abholzungen, Tailândia in Pará. 70 Prozent der Region ist bereits (groesstenteils illegal) abgeholzt – und „reif“ zur Wiederaufforstung. Vergangenen März nun kündigte Parás Gouverneurin Ana Júlia Carepa an, Tailândia bei der Wiederaufforstung zu helfen – mit Ölpalmen zur Biodieselproduktion!    Â
Código Florestal Das brasilianische Waldschutzgesetz von 1965, der Código Florestal, setzt die Fläche fest, die Landbesitzer legal abholzen dürfen. Wer Land in Amazonien besitzt, darf lediglich 20 Prozent des darin befindlichen Regenwaldes roden. Der Rest, 80 Prozent, muss als Waldreservat, Reserva Legal genannt, erhalten bleiben. In der Region des Cerrado darf legal 65 Prozent der Fläche abgeholzt werden. Die „Reserva Legal” beträgt dort nur 35 Prozent der Fläche. Alle weiteren Waldbiome dürfen bis zu 80 Prozent gerodet werden. Die geschützte Fläche beträgt nur 20 Prozent. Trotz des Código Florestal sind illegale Abholzungen seit Jahrzehnten die Regel.Â
« Morddrohungen gegen immer mehr Bischöfe und Padres in Brasilien – starke Einschränkung der Seelsorge-und Menschenrechtsarbeit. Franziskaner in Brasilien. – „Aufstände der Verzweiflung“ – UNO-Sonderberichterstatter Jean Ziegler im Deutschlandfunk zu Hungerunruhen. »
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