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„Die Diskussion um Biosprit geht weiter.“
Hintergrund:
”Falschinformationen aus erster Hand – Umweltjournalist Norbert Suchanek zur wichtigen Reise des deutschen Umweltministers Sigmar Gabriel nach Brasilien, weltgrößter Ethanolexporteur. **
Seit 2005 haben internationale Investmentfonds, Konzerne und Milliardäre wie George Soros mehrere Milliarden US-Dollar in brasilianische Ethanol- und Biodieselprojekte gepumpt. Exporte in die EU – einer der potentiell größten Abnehmer von Biosprit – sollen diese Investitionen in naher Zukunft vergolden. Dafür will der nach Brasilien gereiste Bundesumweltminister Sigmar Gabriel nun den Freibrief geben und kuendigte ein bilateralen Energieabkommens mit Brasilien an, das Regierungschefin Angela Merkel am 14. Mai in Brasilia unterzeichnen soll.
Basis des von Gabriel angestrebten Bioenergiedeals sind die Aussagen der brasilianischen Regierung, dass die Bioenergieproduktion weder die nationale Nahrungsmittelproduktion noch den Amazonasregenwald bedrohten. Den Medien sagte der deutsche Umweltminister in Brasilia, er sei zufrieden mit den Information über die Bioenergie- und besonders die Ethanolproduktion, die er von seiner Amtskollegin Marina Silva bekommen habe. Der Amazonasregenwald sei nicht bedroht und in Brasilien gebe es keine Konkurrenz zwischen Nahrungsmittel- und Biotreibstoffanbau, versicherte Marina Silva – wider besseren Wissens. Denn in Wirklichkeit hat die Ausweitung der Energiemonokulturen wie Zuckerrohr und Soja bereits die nationale Nahrungsmittelproduktion seit Jahren negativ beeinflusst. Brasiliens wichtigste Grundnahrungsmittel sind Reis und Bohnen: Doch sie verlieren seit Jahren an Boden, stellt der Roberto Malvezzi von der brasilianischen Landpastorale Comissáo Pastoral da Terra (CPT) im Internetmagazin EcoDebate die Aussagen Marina Silvas richtig. Laut offiziellen Regierungszahlen (Censo Agropecuário) ging die Reisanbaufläche seit 1990 von 4.233.000 Hektar auf 2.997.000 Hektar im vergangnen Jahr zurück. Roberto Malvezzi: ”In 15 Jahren verlor Reis 1.236.000 Hektar, quasi 25 Prozent seiner Anbaufläche.Bei den Bohnen sieht es kaum anders aus. Ihre Anbaufläche reduzierte sich seit 1990 von 5.504.00 Hektar auf 4.331.000 Hektar im vergangenen Jahr. ”Brasiliens Bohnen verloren 12 Prozent an Boden. Gleichzeitig verdoppelten sich die Soja-Flächen von über 11 Millionen Hektar auf fast 21 Millionen Hektar. ”Aber die brasilianische Bevölkerung isst kein Soja, schreibt Malvezzi. ”Es ist klar, dass sich Zuckerrohr und Soja über die Anbauflächen von Reis und Bohnen ausgebreitet hat, vor allem im Süden und Südosten Brasiliens. Aber auch in Bahia, wo Bohnen für Biodiesel Platz machen mussten. Klare Folge der Ausweitung der Energiepflanzen sei auch ein Voranschreiten der Rinderzucht weiter in die Amazonasregenwaldgebiete und auf Kosten des artenreichen Trockenwaldökosystems namens Cerrado. Roberto Malvezzi: ”Und jetzt bedrohen bewässerte Zuckerrohrplantagen auch noch das Tal des Sáo Francisco. Sie zerstörten den Caatinga-Trockenwald und verbrauchten das restliche Wasser des `Alten Chico´.All dies könnte Bundesumweltminister Gabriel aus erster Hand und vor Ort von den betroffenen Bevölkerungen erfahren. Doch bevorzugt er lieber bei seiner Reise Gesprächspartner wie den Vizegouverneur des Bundesstaates Pará, der ”Umweltschutzgesetze als ein Hindernis für umweltschädliche Goldminen ansieht. Pará ist nicht nur der Amazonasstaat mit den größten Bauxit- und Eisenerzminen sowie den seit Jahren schlimmsten Abholzungsraten. Pünktlich zum Besuch Gabriels in Pará, wo er sich die ”Heile Welt eines Schutzgebiets zeigen ließ, veröffentlichten Forscher der Organisation Imazon neue drastische Abholzungszahlen aus Sued- und Suedostamazonien. ”Die Motorsägen sind zurückgekehrt schrieb der Estado de Sáo Paulo am 30. April. In Mato Grosso und Pará habe sich die Waldzerstörung während der ersten drei Monate gegenüber der Vorjahresperiode quasi verdreifacht.Und genau dort, in Pará, steht zufaeelig auch Brasiliens erste Biodieselfabrik auf Basis von afrikanischen Oelpalmenplantagen mitten in Suedostamazonien. Doch nicht nur dies stimmt kritische Forscher und Umweltschuetzer bedenklich. Die Regierung Parás will auch das Riesenstaudammprojekt Belo Monte am Rio Xingu durchsetzen. Vor fast genau 20 Jahren noch musste die damalige brasilianische Regierung dieses Staudammprojekt – damals trug es noch den Namen Altamira – aufgrund massiver nationaler und internationaler Proteste zurück in die Schubladen schieben. Brasiliens Präsident Lula da Silva kramte es nun zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder hervor.
Umweltminister Gabriel in Brasilien. Deutsche Unternehmen steigen zunehmend in brasilianische Ethanolbranche ein. **
Laut Angaben des ”Handelsblatts steigen derzeit immer mehr deutsche Unternehmen in die hoch lukrative Ethanolerzeugung des Tropenlandes ein. So werde der börsennotierte Hamburger Konzern ”Conergy AG gemeinsam mit einem alteingesessenen brasilianischen Zucker-und Alkoholkonzern zwei Ethanolfabriken für rund 200 Millionen Dollar errichten.Die Hälfte der Investitionssumme stamme von der Conergy AG. Von 2009 an solle die brasilianische Tochter nach Wunsch der Conergy-Führung entscheidend zum Konzernumsatz beitragen, hieß es weiter. Gemäß anderen Wirtschaftsblättern haben derzeit auch die deutschen Zucker-und Ethanol-Konzerne Südzucker und Nordzucker Investitionsinteressen in Brasilien. Bereits von 2006 bis 2007 hatten ausländische Investoren, darunter deutsche, ihren Anteil an der Zucker-und Ethanolproduktion Brasiliens von 5,7 auf über 12 Prozent erhöht. Inzwischen dürfte der Prozentsatz weit höher liegen, da u.a. der britische Mineralölkonzern BP 2008 die Hälfte eines Joint Venture zwischen den brasilianischen Konzernen Santelisa Vale und Grupo Maeda gekauft hatte und durch diese Beteiligung im brasilianischen Teilstaat Goias Ethanol herstellen wird. Die Investitionen wurden mit über einer halben Milliarde Euro angegeben. Französische Konzerne kauften bereits reihenweise brasilianische Ethanolfabrikena auf; europäische Großbanken, auch aus der Schweiz und Frankreich, sind ebenfalls längst in der brasilianischen Ethanolbranche tätig. Multinationale Unternehmen aus den USA, darunter Bunge, kaufen seit Jahren immer mehr brasilianische Ethanolfabriken sowie zugehörige Zuckerrohrplantagen auf. Bill Gates und Google sind ebenfalls dabei, ins Ethanolgeschäft des Tropenlandes einzusteigen. Gemäß brasilianischen Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlern erhöhen sich wegen der ausländischen Investitionen derzeit die brasilianischen Bodenpreise geradezu explosionsartig. Laut ”Handelsblatt entfallen derzeit rund die Hälfte der Ethanolexporte Brasiliens auf die USA und 28 Prozent auf Europa. Der Zeitung zufolge wiederholt der brasilianische Ethanol-Branchenverband kurioserweise ungerührt Argumente, die seit Jahren laut Experten-und Presseberichten als komplett widerlegt gelten: ”Es wird in Brasilien kein Zuckerrohr im Amazonas angebaut.2007 wurden über tausend Sklavenarbeiter auf einer Ethanol-und Zuckerrohrfarm befreit, die just in Amazonien lag. Weiter hieß es vom Ethanol-Branchenverband, der Zuckerrohranbau nehme in Brasilien so geringe Flächen ein, daß überhaupt keine Rinderzucht verdrängt werde. Das erscheint angesichts der gegenteiligen Faktenlage wie ein schlechter Witz. Ein Hinweis darauf, mit welchen Methoden in der weltweiten Diskussion um Ethanol und die Nahrungsmittelkrise gearbeitet wird.Am 13. Mai kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Brasilien, um ein bilaterales Energieabkommen zu unterzeichnen.
« „Ich sehe keinen Linksruck.“ Der deutsche Unternehmer und DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun im „Handelsblatt“ über Lateinamerika 2008. Brasilien – „sozialdemokratische Politik der Mitte“. – Brasilien: Mord an Urwaldmissionarin Dorothy Stang: Weltweite Empörung über Freispruch von Großfarmer. Lula-Regierung um Image besorgt. »
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