Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasilien: Mord an Urwaldmissionarin Dorothy Stang: Weltweite Empörung über Freispruch von Großfarmer. Lula-Regierung um Image besorgt.

 microondasklein1.jpg(Rio-Scheiterhaufen-Szene aus Berlinale-Sieger „Tropa de Elite“)

Landesmedien setzen Standard&Poors-Höherstufung(Investment Grade) mit Folter, Scheiterhaufen, Morden an Menschenrechtlern sowie der Rückstufung beim Bildungsniveau in Beziehung. „Verdeckte Diktatur“.

In Brasilien hat Empörung ausgelöst, daß der als Auftraggeber des Mordes an der katholischen Urwaldmissionarin Dorothy Stang zu 30 Jahren verurteilte Großfarmer Vitalmiro Moura in einem Berufungsverfahren freigesprochen worden ist. Menschenrechtsorganisationen und die brasilianische Anwaltsvereinigung OAB nannten die von einem Geschworenengericht in der Amazonas-Großstadt Belem gefällte Entscheidung falsch und absurd. David Stang, Bruder der 2005 von dem Berufskiller Rayfran Sales in Anapu erschossenen Missionarin, zeigte sich in Belem entsetzt. Er wolle weiterhin für die Bestrafung aller Täter und Hintermänner kämpfen. „Der Ablauf des Verfahrens ist typisch für die Region – so läuft es hier Tag für Tag.“

Der Todesschütze Sales hatte in dem Berufungsverfahren seine frühere Aussage zurückgenommen, daß der Großfarmer Moura ihm die Tatwaffe gegeben und und für den Mord eine Geldsumme versprochen habe. Daraufhin betonten die Geschworenen, für die Tatbeteiligung Mouras gebe es keinerlei Beweise. Der zuständige Staatsanwalt Edson Souza nannte indessen Moura mitschuldig und stellte eine Berufung gegen das Urteil in Aussicht. Seit er den Fall übernommen habe, würden an ihn und seine Familienangehörigen Morddrohungen gerichtet. Das Geschworenengericht erhöhte die zuvor gegen den Berufskiller Sales verhängte Haftstrafe von 27 auf 28 Jahre. In Amazonien werden gemäß Rechtsexperten nur wenige Prozent der Mordtaten gesühnt – ein Großteil der Verurteilten sei nach relativ kurzer Zeit, oft durch Flucht, wieder auf freiem Fuß. Nach den zahlreichen öffentlichen Stellungnahmen gegen den Freispruch des Großfarmers hat schließlich auch das Menschenrechts-Staatsekretariat der Regierung in Brasilia seinen „Widerspruch” erklärt. Man erwarte, daß das neuerliche Urteil rasch korrigiert werde, da es das in Brasilien weitverbreitete Gefühl  allgemeiner Straflosigkeit verstärke, was Kriminalität und Gewalt stimuliere.  Mit dem Freispurch werde die Straflosigkeit regelrecht zelebriert.  Da die Welt gerade den 60. Jahrestag der UNO-Menschenrechtsdeklaration begehe, sei dies besonders erschreckend. Der Minister des Obersten Gerichts von Brasilien, Celso de Mello, sagte, der Freispruch könne der Welt ein negatives Image des Landes vermitteln. Die internationale Gemeinschaft könne den Eindruck gewinnen, daß in Brasilien die Grundrechte der Menschen nicht respektiert würden. „Eine Lizenz zum Töten, Anreiz für weitere Verbrechen“ nennt die bischöfliche Bodenpastoral CPT den Freispruch des Großfarmers. Nunmehr sei im Amazonas-Teilstaate Pará kein einziger Auftraggeber von Morden an kirchlichen Menschenrechtsaktivisten, Kleinbauern oder Landgewerkschaftsführern mehr hinter Gittern. Der Mord an Dorothy Stang war im Bistum des aus Österreich stammenden Bischofs Erwin Kräutler verübt worden, nach dessen Angaben sich zahlreiche Hintermänner weiterhin auf freiem Fuß befinden. Ein Konsortium aus Bodenspekulanten und Holzfirmen habe die Tat bis ins kleinste Detail geplant. Wegen vieler Morddrohungen steht Kräutler derzeit unter Polizeischutz. Dorothy Stang hatte in dem Urwaldbistum gemeinsam mit anderen kirchlichen Menschenrechtsaktivisten offiziell ausgerufenes Projekt zur nachhaltigen Waldnutzung verteidigt, dessen Flächen sich Grundbesitzer und Holzfirmen aneignen wollten. Das Projekt war für Landlose und Kleinbauern gedacht, die indessen terrorisiert wurden. Erst kürzlich war erneut ein Umweltaktivist der Region erschossen worden, der gegen die Amazonaszerstörung durch Holzfirmen öffentlich protestiert hatte. Ebenso wie Dorothy Stang hatte er kurz vor seiner Liquidierung den zuständigen Behörden und den Medien mitgeteilt, daß man ihn ermorden wolle.   Der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel hatte erst kürzlich diese Amazonasregion bereist, jedoch dort zu den Morden an Umweltaktivisten bzw. der Verfolgung von Umweltschützern  offenbar nicht Stellung genommen.

Brasiliens Qualitätsmedien kommentieren unterdessen ironisch Staatschef Lula, der unablässig auf Massenkundgebungen die Verleihung des sogenannten Investment Grade durch die Rating-Agentur Standard & Poors feiert. Die Höherstufung definiert das Tropenland als sicherer und stabiler für ausländische Investoren, die nunmehr auch bessere politische Rahmenbedingungen vorfänden – bestimmte Finanzinstitutionen dürfen damit erstmals Geld in Brasilien anlegen. Höherstufung für Spekulanten, so die Kommentatoren, Rückstufung indessen bei Bildungsniveau, Analphabetenrate und Menschenrechten. 16 Millionen Analphabeten und über 50 Millionen Halbanalphabeten unter Lula, dazu Folter, Todesschwadronen, Scheiterhaufen. Am Tage der gefeierten Höherstufung sei in der Zeitung gleichzeitig berichtet worden, daß auf Rio de Janeiros Straßen jährlich die rund 18000 Leichen, darunter Mord-und Unfallopfer, im Durchschnitt erst nach sieben Stunden abtransportiert würden, was Schmerz und Agonie der Angehörigen enorm verstärke. „Das ist ebenfalls ein gutes Kriterium zur Klassifizierung von Ländern: Der Grad von Natürlichkeit, mit dem über den täglichen  Horror berichtet wird.“ Als Beispiel wurde der auf der Stadtautobahn Rio de Janeiros mittels Autoreifen verbrannte Rumpf einer Frau genannt, der man zuvor die Gliedmaßen und den Kopf abgehackt hatte. Zwei Zeitungen hatten lediglich kurz darüber berichtet. „Niemand entsetzte sich über den Tod der Frau. Niemand suchte den Fall zu interpretieren.“

„Wo sind die Künstler?“

In einem Leitartikel der Zeitung „O Dia“ warf der Komponist und Sänger Tico Santa Cruz den Künstlern Brasiliens vor, zu den Zuständen zu schweigen. „Heute, in unserer verdeckten Diktatur, sehen wir eine Künstlerkaste, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, untätig, egoistisch, hinterhältig, zynisch ist – scheinbar nur daran interessiert, Klatschnachrichten zu verbreiten und auf den VIP-Listen zu erscheinen. Aus Angst vor Vergeltung oder finanziellen Verlusten ziehen es viele vor, sich nicht in die Politik einzumischen.“

Hintergrund:

Der deutschstämmige Kardinal Aloisio Lorscheider über politische Herrschaftsmethoden in der brasilianischen Demokratie **Â

”Keineswegs nur in Ceará sind die Herrschenden, zynisch und skrupellos agierende Clans, nicht gewillt, Macht und Privilegien abzutreten. Deshalb wird das Volk ganz bewußt dumm gehalten, da es dann leichter manipulierbar ist.

 Bildungsprojekte werden verhindert. Ungebildete, Analphabeten wissen nicht, wie sie sich in der heutigen Welt bewegen sollen. Sie kennen ihre Rechte nicht und fordern sie auch nicht ein. Sie lassen sich fatalistisch treiben, sie verbinden sich nicht mit anderen, sie organisieren sich nicht. Wir müssen hier weiterkämpfen, um etwas durchzusetzen und die Unterprivilegierten zu organisieren, ihnen bewußt zu machen, welches ihre Rechte sind. Sie müssen sagen: Wir sind das Volk!

(Lorscheider, Erzbischof von Fortaleza, 1993 im Exklusivinterview. Der Kardinal verstarb im Dezember 2007)

Gemäß einer vom Nachrichtenmagazin ”Veja veröffentlichten Studie können auch unter der Lula-Regierung von den fünfzehn-bis vierundsechzigjährigen Brasilianern nur 26 Prozent ausreichend lesen und schreiben, also einen einfachen Zeitungs-oder Buchtext nicht nur ablesen, sondern auch verstehen.

Amazonasbischof Erwin Kräutler aus Österreich – die Killer lassen nicht locker. Kopfgeld auf fast 400000 Euro erhöht. **

Tags:

Kampf für Menschenrechte und Natur stört Großfarmer und Holzfirmen

Der Haß von Kräutlers Todfeinden aus Politik und Wirtschaft ist so gewachsen, daß sie gemäß neuesten Informationen das Kopfgeld enorm erhöht haben.

Hintergrund:

Brasiliens Bischof Erwin Kräutler über Lulas Umweltpolitik: Profitgier zerstört Amazonien **

500 Jahre Lateinamerika – kein Grund zum Feiern

Picus Verlag Ges. mbH

EUR 8,50

Mein Leben ist wie der Amazonas. Aus dem Tagebuch eines Bischofs.

Herder, Freiburg

Lebenswelten und Problemfelder in Amazonien heute

Picus Verlag

EUR 7,90

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”Wirtschaftsentwicklung bedeutet Kahlschlag, Brandrodungen, Mord

Der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler hat Geldgier und das Streben nach raschem Profit für die nach wie vor ungehinderte Zerstörung der Amazonas-Urwälder verantwortlich gemacht. Die zahlreichen Warnungen der brasilianischen Kirche vor den Folgen dieses Umweltverbrechens hätten unglücklicherweise nicht die erhoffte Wirkung, erklärte Kräutler gegenüber der Presse. Wirtschaftliche Entwicklung Amazoniens sei gleichbedeutend mit Kahlschlag, Brandrodungen und Mord. Großgrundbesitzer hätten schlichtweg befohlen, Riesenflächen abzuholzen, um damit wirtschaftliche Aktivität zu demonstrieren und somit gewaltige ”Entwicklungskredite einheimsen zu können.

Kräutler, der das Amazonas-Bistum Altamira leitet, wies auf jüngste Regierungsangaben, wonach allein im vergangenen November und Dezember rund zweitausend Quadratkilometer Urwald abgeholzt worden seien. Brasilia habe eingeräumt, daß die zerstörte Fläche noch weit größer sein könne. ”Tropenwald in solchen Dimensionen zu vernichten, ist ein Verbrechen. Die Regierung lasse all dies zu, sei aber sehr besorgt darum, ihre ”Initiativen gegen Abholzung und Brandrodungen weltweit bekannt zu machen. Man gebe sich allergrößte Mühe, das ”Image Brasiliens im Ausland zu verteidigen, meinte Bischof Kräutler ironisch. Staatsangestellte, die sich ernsthaft für den Umweltschutz einsetzten, seien indessen von Ermordung bedroht. Kräutler nannte als Beispiel den Leiter der staatlichen Umweltbehörde IBAMA am Bischofssitz in Altamira, Roberto Scarpari. Als dieser kurz in Rio de Janeiro weilte, sollte auf Scarpari ein als Raubmord getarntes Attentat verübt werden, was die Polizei indessen im letzten Moment habe verhindern können. Die Liquidierung von Scarpari in Rio hätte schwerlich den Verdacht auf die Auftraggeber gelenkt, betonte Kräutler. Der IBAMA-Leiter sei bereits längere Zeit im Visier von Holzfirmen Amazoniens, die ihn regelrecht haßten. Scarpari habe für die Überwachung eines Gebietes von der Größe europäischer Länder nur wenige Beamte zur Verfügung. Das brasilianische Umweltministerium sei lediglich eine Schein-Institution, de facto unfähig und uneffizient. Die Zerstörung Amazoniens, so Kräutler, trage stark zum Klimawandel bei. Â

 In Brasilien wird seit den neunziger Jahren ein sogenanntes ”Pilotprojekt der G-8-Staaten zum Schutze der tropischen Regenwälder realisiert – Hauptfinanzier ist Deutschland, also der deutsche Steuerzahler. Die Fakten zeigen, wozu dieses ”Pilotprojekt tatsächlich dient. Brasilianische Umweltexperten betonen seit langem, daß das sogenannte Schutzprojekt völlig uneffizient sei und in Wahrheit der Gegenseite nütze. Der ebenfalls vom Steuerzahler finanzierte Propagandarummel um das ”Pilotprojekt ist enorm.

Wieder ein brasilianischer Umweltaktivist ermordet. Wieder totales Desinteresse in Europa? **

Kurz vor dem Eintreffen des deutschen Umweltministers Sigmar Gabriel in Lateinamerikas größter Demokratie Brasilien ist im Amazonasteilstaat Parà erneut ein Umweltaktivist liquidiert worden. Der Kleinbauer Emival Barbosa Machado, 50, hatte mehrfach öffentlich kriminelle Aktivitäten von Holzfirmen, darunter den massenhaften Abtransport illegal gefällten Edelholzes,  und die provozierende Untätigkeit der staatlichen Umweltbehörde IBAMA angeprangert.

Gemäß seinen Angaben wurden sogar Bewohner einer im Rahmen der Agrarreform gegründeten Siedlung gezwungen, diesen Holzfirmen Edelholzstämme zuzuliefern. Ein Landarbeiter der Siedlung, der dagegen protestierte, sei von den Holzunternehmern ermordet worden. Selbst in TV-Interviews hatte Machado erklärt, daß man ihn wegen der Kritik an diesen Zuständen umbringen wolle. Als er jetzt in der Stadt  Tucurui sein Haus verließ, trafen ihn drei tödliche Schüsse. Politisch verantwortlich für die IBAMA und die herrschenden Zustände ist Brasiliens Umweltministerin Marina Silva, mit der Gabriel zusammentreffen  wird, sowie die Gouverneurin von Parà, die zur Arbeiterpartei von Staatschef Lula gehört. Gabriel will auch den Teilstaat Parà besuchen, in dem theoretisch ebenso wie in ganz Amazonien das größtenteils vom deutschen Steuerzahler finanzierte Pilotprojekt der G-8-Staaten  zum Schutze der Regenwälder  seit den neunziger Jahren effizient realisiert wird. De facto hat seit dem Start des Pilotprojekts die Vernichtung der Amazonaswälder Rekordraten erreicht.  Die von dem in Parà wirkenden Bischof Erwin Kräutler aus Österreich immer wieder angeprangerten Menschenrechtsverletzungen, darunter Großgrundbesitzer-Terror und Sklavenarbeit, sind bislang in Europa kaum beachtet worden. 2005 war in Kräutlers Bistum die nordamerikanische Umweltaktivistin und Missionarin Dorothy Stang von Pistoleiros im Auftrage von Farmern, illegalen Holzfirmen und regionalen Politikern erschossen worden. Die Marina Silva unterstehende IBAMA geriet jetzt zudem erneut in die Schlagzeilen, weil sie in Pará auch nicht gegen massive Abholzungen und Brandrodungen in Indianerreservaten vorging. Die Umweltverbrechen waren bereits Ende letzten Jahres durch Satellitenaufnahmen entdeckt worden. Brasiliens Medien berichten regelmäßig über Naturzerstörung durch Indianerstämme.

TV-Nachrichtenvideo über den Mord an Machado: http://g1.globo.com/Noticias/Brasil/0,,MUL427218-5598,00-AGRICULTOR+E+ASSASSINADO+APOS+DENUNCIAR+DESMATAMENTO+NO+PA.html

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 07. Mai 2008 um 20:33 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Naturschutz, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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