Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasiliens Verkehr: 25 Kilometer LKW-Wartestau vor Sojahafen. Warum die Automultis die Transportpolitik von Lula-Rousseff so lieben. Starke Konkurrenznachteile wegen fehlendem Bahntransport in Riesenland, 24-mal größer als Deutschland.

http://g1.globo.com/parana/noticia/2011/02/fila-de-caminhoes-para-descarregar-no-porto-de-paranagua-chega-25km.html

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/03/rousseff-regierung-in-brasilia-macht-spekulanten-neues-riesengeschenk-leitzinsen-auf-1175-prozent-erhoht-brasil-lider-global-em-juros-reais-folha-de-sao-paulo/

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/02/04/neue-deutsche-umweltpolitik-in-brasilien-umweltjournalist-norbert-suchanek-uber-die-folgen-des-sojawahns-brachiale-naturvernichtung-dank-immer-hoherer-zucker-und-ethanolimporte-thyssenkrupp/

Brasiliens Kirche appelliert an Europas Christen: Schweigt nicht zu diesen Zuständen hier. Hintergrund von 2008

Sklavenarbeit, Umweltvernichtung, teure Nahrungsmittel und Misere in Brasilien – für volle Auto-Tanks in europäischen Staaten wie Deutschland? Die katholische Kirche des Tropenlandes hat jetzt an die deutschen Gläubigen appelliert, zu den unmenschlichen Bedingungen bei der Erzeugung des Kraftstoffs Ethanol aus Zuckerrohr nicht zu schweigen. Padre Antonio Garcia Peres, Generalsekretär der brasilianischen Wanderarbeiter-Seelsorge, sagte, die deutschen Kirchen müßten die Öffentlichkeit über die gravierenden Hintergründe und Folgen der Ethanolproduktion aufklären, vor allem brutale Menschenrechtsverletzungen  sowie Umweltzerstörung anprangern. Padre Peres lebt, arbeitet seit vielen Jahren nahe der Wirtschaftsmetropole Sao Paulo mitten in einer traditionellen Landwirtschaftsregion. „Die Böden im Teilstaat Sao Paulo zählen zu den fruchtbarsten der Erde – deshalb wurden hier früher alle wichtigen Grundnahrungsmittel, von Bohnen bis Reis, Getreide aller Art, angebaut. Wenn ich mich jetzt umschaue – ein wahrer Ozean von Zuckerrohr zur Ethanolerzeugung. Es ist der reine Wahnsinn – pure Geld-und Profitgier hat diesen absolut verrückten Ethanolboom ausgelöst, das muß man entlarven!“ Durch die Ethanolproduktion werde die Nahrungserzeugung stark reduziert, erhöhten sich die Lebensmittelpreise. In Sao Paulo, Brasiliens größter Stadt, seien schwarze Bohnen, ein wichtiges, sehr nährstoffhaltiges Grundnahrungsmittel im Lande, in den letzten zwölf Monaten um 168 Prozent verteuert worden. Mit  zunehmenden Ethanolexporten  auch nach Deutschland  werde all diese negative Entwicklung weiter forciert.

Ist das die einsame Position eines Provinzpadres, der die Welt, die neuen Zeiten nicht mehr versteht? Schließlich rühmt auch Deutschlands Wirtschaft jenes Ethanol als „Biosprit“, als sauber, umweltfreundlich, fortschrittlich. Padre Peres ist längst gefragter Experte, reist häufig in europäische Länder, wird von Nichtregierungsorganisationen ebenso wie von der UNO regelmäßig konsultiert. Nicht zufällig nennt diese die Erzeugung von Agro-Treibstoffen sogar „ein Verbrechen gegen die Menschheit“ – Lateinamerika werde ebenfalls von der neuen, weltweiten Hunger-und Nahrungsmittelkrise erfaßt.  Padre Peres hat die gesamte Bischofskonferenz Brasiliens hinter sich, arbeitet eng mit kirchlichen, nicht-kirchlichen Umwelt-und Menschenrechtsaktivisten zusammen. Und beruft sich stets auf Jesus Christus: „Er hat uns gelehrt, brüderlich zu handeln, für christliche Werte zu kämpfen. Kirche darf nicht heißen, nur Gottesdienste zu zelebrieren, eine leere Spiritualität zu predigen. Echter Glaube zeigt sich in der täglichen Praxis! Deshalb darf die Kirche jetzt Jesus Christus nicht verraten, darf nicht mithelfen, diese unerträglichen Zustände zu verstecken oder zu bemänteln, sondern muß ganz im Sinne von Jesus klar Position beziehen, muß informieren und hinterfragen, hat dort in Deutschland jetzt eine ganz wichtige Rolle.“ Vor dem Hintergrund der Nahrungskrise müßten die Kirchen zudem ein weltweites Netz der Solidarität knüpfen, auf die Einhaltung der Menschenrechte dringen. „Die Wohnlager der Zuckerrohrarbeiter erinnern mich an deutsche KZs – nur durch abstoßendes, inhumanes Sozialdumping sind brasilianisches Ethanol, brasilianischer Zucker auf dem Weltmarkt so billig!“

Padre Peres beobachtet, wie nicht nur im Teilstaate Sao Paulo mit seinen deutschen Auto-Multis von VW bis Mercedes-Benz europäische, darunter deutsche Investoren Milliarden Euro in die Ethanolerzeugung stecken. „Pflegt man in Deutschland nicht diesen wunderschönen Diskurs von der sozialen Verpflichtung des Eigentums, vom Wert des human factor – vergißt das aber in Brasilien?“, fragt er ironisch. Und richtet auch an die Investoren einen Appell:“Sie dürfen nicht nur auf rasche Superprofite schauen, sondern müssen hier beim Respektieren von Menschenrechtsnormen und Sozialstandards ein Beispiel geben! Mit Menschenleben darf man nicht spielen – Investoren sollten sich nicht zu Komplizen skandalöser Zustände machen!“

Brasilien ist die zehntgrößte Wirtschaftsnation, Sao Paulo ihr reichster , ökonomisch führender Teilstaat. „Und dennoch verdeckte Sklaverei, viele Arbeiter sterben vor Erschöpfung!“ Kaum zu fassen, aber Zuckerrohrarbeiter auf den endlosen Plantagen verdienen monatlich allerhöchstens umgerechnet etwa 300 Euro. Wer als Zuckerrohrschneider mit dem schweren Haumesser pro Tag nicht mindestens acht Tonnen schafft, fliegt raus. Immer mehr Arbeiter nehmen deshalb harte Drogen wie Crack, um durchzuhalten, die körperlichen Schmerzen zu ertragen. „Das sind bitterarme, häufig schlecht ernährte Wanderarbeiter aus dem tausende Kilometer entfernten Nordosten – man braucht sich nur vorzustellen, wie die am Ende des Arbeitstages aussehen – fix und fertig!“ Unter den Zuckerrohrplantagen liegt das bis Argentinien reichende, weltgrößte Süßwasservorkommen. „Das wird durch den massiven Pestizideinsatz kontaminiert.“

Über dreitausend Kilometer von Padre Peres entfernt, fordert in Amazonien der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler sogar einen Stopp für weitere Zuckerrohrplantagen, kritisiert den Ethanolboom ebenfalls scharf. „Wer im Weg ist, wird erschossen“, sagt Kräutler zu den vielen Morden an Umwelt-und Menschenrechtsaktivisten, die sich den Vernichtern der Schöpfung in den Weg stellten. Der Bischof selbst überlebte Attentate, ist von Mord bedroht, wird rund um die Uhr durch Polizisten bewacht. Daß man in Europa meist so gleichgültig gegenüber den Zuständen in Lateinamerika ist, erbittert ihn. „Es ist kurzsichtig zu sagen, damit habe ich nichts zu tun! Wir sind in einer einzigen Welt. Wir tragen auch Verantwortung für andere Teile der Welt und die Menschen, die dort leben. Gerechtigkeit heißt, daß wir uns gerade für diese Völker, die heute im Abseits stehen, einsetzen – und das ist auch Aufgabe der Kirche. Profitgier zerstört Amazonien!“

Aber was stimmt denn nun? Deutsche Politiker, deutsche Wirtschaftsexperten sagen doch immer, die Ethanolproduktion schädige Brasiliens Regenwälder nicht, in Amazonien wachse gar kein Zuckerrohr, nur viel weiter südlich – und Brasiliens Staatschef Lula sagt das auch. Der französische Menschenrechtsanwalt und Franziskaner Xavier Plassat, der in Brasilien die Anti-Sklaverei-Aktionen der Bischofskonferenz leitet, widerspricht  diesen „Experten“ und auch Lula:“Das ist die Unwahrheit. Lula sagte all dies in Europa just an dem Tag, als auf einer Zuckerrohrplantage in Amazonien über eintausend Sklavenarbeiter befreit worden sind! Ein alter Hut, daß in vier Amazonas-Teilstaaten seit Jahren Zuckerrohr angebaut wird!“

Moment mal: Sagen nicht Lula, seine zu einer Wunderheilersekte zählende Umweltministerin Marina Silva, zudem europäische Politiker nicht immer, Ethanol-Treibstoff werde nachhaltig erzeugt, europäische Nachhaltigkeitskriterien für den Ethanol-Import würden bereits erfüllt? „Allein der massive Einsatz von Sklavenarbeitern bei der Ethanolerzeugung beweist, daß von Nachhaltigkeit keine Rede sein kann“, betont Padre Antonio Canuto, Generalsekretär der bischöflichen Landpastoral (CPT). „Wenn unsere Ministerin Marina Silva der deutschen Seite erklärt, daß die Ethanolproduktion weder zu Lasten des Regenwaldes noch der Nahrungserzeugung gehe, sagt sie nicht die Wahrheit!“ Roberto Malvezzi, Umweltexperte der Bischofskonferenz und Misereor-Partner, ist gerade von einer Vortragsreise durch Deutschland zurückgekehrt, stimmt im Interview Padre Canuto zu, weist auf die grauenhafte Ausbeutung ungezählter Sklavenarbeiter. „Der Zuckerrohranbau zerstört nicht nur Amazonien, sondern auch unsere wertvollen Savannenregionen und das Pantanal!“ In dieses tierreichste Feuchtgebiet der Erde reisen auch viele europäische Touristen – manche bemerken, wie man auch das zerstört. Dort hatte sich bereits 2005 der bekannte brasilianische Umweltaktivist Francisco Barros aus Protest gegen die forcierte naturvernichtende Ethanolproduktion selbst verbrannt.

Bischofskonferenz Brasiliens für Rückverstaatlichung von Minenkonzern Vale

Die katholische Kirche Brasiliens hat das Plebiszit von 2007  über eine Rückverstaatlichung des Minenkonzerns „Vale“ als Erfolg bezeichnet. Gegen den scharfen publizistischen Widerstand aller kommerziellen Medien sowie gegen den Willen der Regierung hatte die Bischofskonferenz(CNBB) gemeinsam mit den nationalen Sozialbewegungen die einwöchige Aktion gestartet. Gemäß den vorläufigen Resultaten votierten über vier Millionen Brasilianer. Rund 97 Prozent sind dafür, daß das zweitgrößte Bergwerksunternehmen der Welt, zugleich größter Eisenerzexporteur der Erde, wieder in öffentlichen Besitz übergeht. Gemäß einer neuen Studie ist über die Hälfte der Brasilianer ebenfalls dieser Auffassung –  in einem Land mit extrem niedrigem Bildungsniveau wußten mehr als zwanzig Prozent bei der Meinungsumfrage keinerlei Antwort. Laut einer anderen seriösen Studie sind 62 Prozent der Brasilianer gegen Privatisierungen staatlicher Unternehmen und nur 25 Prozent dafür.

Brasiliens Caritas-Präsident, der für die CNBB-Sozialpastoralen verantwortliche Bischof Demetrio Valentini und Joao Pedro Stedile, Führer der Landlosenbewegung MST, sowie der katholische Jurist Fabio Konder Comparato hatten  bei Audienzen im Präsidentenpalast, im Nationalkongreß und im Obersten Gericht die Plebiszitergebnisse erläutert und entsprechende politische Schritte gefordert. Valentini und Stedile hatten zuvor in einer gemeinsamen Erklärung betont, ein strategisches, mit öffentlichen Geldern errichtetes Unternehmen wie „Vale“ dürfe niemals privatisiert werden. Die „phantastischen Gewinne“ des Konzerns müßten allen Brasilianern zugute kommen und nicht nur einer Gruppe von Investoren und Banken. Mit den derzeit realisierten Profiten könnte man 167 Krankenhäuser und über 200000 Wohnungen bauen sowie 1,6 Millionen Landlose ansiedeln. Nach Darstellung renommierter Rechtsexperten, hieß es in der Erklärung weiter,  basierte die Privatisierung von 1997 auf Betrug. „Dies bedeutet Landesverrat durch einen Teil der damaligen sozialdemokratischen Regierung, die sich dafür eines Tages vor den Gerichten dieses Landes verantworten muß.“ Zudem werden die Argumente des früheren, inzwischen verstorbenen CNBB-Präsidenten Luciano Mendes bekräftigt, der die Privatisierung als antiethisch und unverantwortlich bezeichnet hatte.

Das Unternehmen, so Bischof Valentini,  sei für ein Dreißigstel des tatsächlichen Wertes verhökert worden. So habe man allein die Eisenerz-und Bauxitvorkommen bei der entsprechenden Ausschreibung fälschlich um zehn Milliarden Tonnen niedriger angegeben. Die Regierung von Präsident Luis Inacio Lula da Silva unterwerfe sich nach wie vor dem internationalen Finanzkapital. Dadurch werde eine echte Sozialpolitik nahezu verhindert.

Chico Whitaker, Träger des Alternativen Nobelpreises von 2006 sowie Mitglied der CNBB-Konferenz für Gerechtigkeit und Frieden, sagte:“Vale do Rio Doce sollte wieder ein Staatsunternehmen werden – die Gewinne könnten dann sozialen Zwecken dienen.“

Angesichts der öffentlichen Kritik hatte sich der Bergbaukonzern immer wieder als patriotisch, sozial und umweltfreundlich bezeichnet, für entsprechende landesweite PR-Kampagnen auch den in Europa sehr bekannten Weltmusik-Star Carlinhos Brown eingespannt.

Das Plebiszit wurde vor allem in katholischen Kirchengemeinden, aber auch auf öffentlichen Plätzen abgehalten.

Laut Presseberichten hatte Lula im Präsidentschaftswahlkampf von 2002 versprochen, den Konzern wieder zu verstaatlichen, war indessen später davon abgerückt. Zu Lulas Überraschung hatte ein Kongreß seiner Arbeiterpartei im September mit großer Mehrheit eine Beteiligung an dem Plebiszit beschlossen. Lula selbst und die gesamte PT-Führung lehnten es dagegen öffentlich als schädlich und „irreal“ ab. Der Minenkonzern hatte 2006 Lulas Wiederwahlkampagne mitfinanziert.

Seit 1997 erfuhr „Vale“ gemäß Börsenangaben einen Wertzuwachs von über 3000 Prozent.

http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/09/brasilien-fallt-auf-tourismus-ranking-des-weltwirtschaftsforums-auf-52-platz-zuruckzuvor-45-rang-tourismuspolitik-unter-lula-und-rousseff/

Dieser Beitrag wurde am Montag, 28. Februar 2011 um 20:57 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Kultur, Naturschutz, Politik abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

«  –  »

Keine Kommentare

Noch keine Kommentare

Die Kommentarfunktion ist zur Zeit leider deaktiviert.

    NEU: Fotoserie Gesichter Brasiliens

    Fotostrecken Wasserfälle Iguacu und Karneval 2008

    23' K23

interessante Links

Seiten

Ressorts

Suchen


RSS-Feeds

Verwaltung

 

© Klaus Hart – Powered by WordPress – Design: Vlad (aka Perun)