Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasilien; Kuriose Deutung der Straßenproteste des Nationalfeiertags(7.9.2013) durch in-und ausländische Medien. Landesweite Protestaktion der katholischen Kirche – „Aufschrei der Ausgeschlossenen“ zumeist verschwiegen, wie in Vorjahren. Brasiliens abstürzende Pressefreiheit – laut Reporter ohne Grenzen. Frankfurter Buchmesse, Gastland Brasilien – Landesrealität und Propaganda.

Montag, 09. September 2013 von Klaus Hart

 http://www.hart-brasilientexte.de/2009/06/10/paulo-sergio-pinheiro-uno-sonderberichterstatter-menschenrechtsexperte-der-mehrheit-der-brasilianer-werden-deren-rechte-verweigert-in-allen-brasilianischen-polizeiwachen-wird-gefoltert-jeder-we/

Brasilianische Qualitätsmedien haben aus Sicht brasilianischer Beobachter bei der Interpretation, Deutung, Kommentierung der jüngsten Proteste soviele Merkwürdigkeiten verbreitet, daß sie künftig nur noch schwerlich als seriöse Quelle für Informationen über derartige Manifestationen in Frage kommen dürften. Zudem sei ersichtlich, daß sich in den Redaktionen der stark von Staats-und Regierungsanzeigen abhängigen Medien offenbar ein permanenter Konflikt zwischen Journalisten, die an wahrheitsgemäßer Information interessiert sind, und Führungskadern, die an politisch-wirtschaftliche Vorgaben gebunden sind, abspielt.

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/09/07/brasiliens-nationalfeiertag-schwarzer-block-black-bloc-von-sao-paulo-blockierte-stadtautobahnen-strasenschlachten-mit-der-polizei/

„Aufschrei der Ausgeschlossenen“ und Polizeistaat:  http://www.correiocidadania.com.br/index.php?option=com_content&view=article&id=8826:manchete100913&catid=34:manchete

Lula in Berlin – brasilianischer Systemkritiker “rasch entfernt” aus Veranstaltung:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/12/07/brasiliens-ex-prasident-lula-in-berlin-diskussion-mit-frank-walter-steinmeier/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/09/07/brasiliens-systemkritikerproteste-auftakt-am-nationalfeiertag-durch-aufschrei-der-ausgeschlossenen-organisiert-von-der-katholischen-kirche-strasenschlachten-in-millionenstadten-massives-poliz/

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Kardinal Odilo Scherer(r.) neben Bischof Milton Kenan Junior beim Protestgottesdienst in der Kathedrale von Sao Paulo.

Bischof Milton Kenan Junior im Website-Interview:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/11/24/brasilien-sao-paulo-brasiliandia-bischof-milton-kenan-juniorweiterhin-regionen-mit-extremem-elend-groser-armut-im-lande-bischof-ist-initiator-einer-friedensdemonstration-an-der-slumperipherie/

Leonardo Boff contra Odilo Scherer:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/09/13/leonardo-boff-spielt-papst-erklarer-papst-oberinterpretierer-in-deutschland-boff-sagt-wie-er-den-papst-haben-willangeblich-haben-die-armen-wahrend-der-beiden-franziskus-vorganger-keine-zentrale/

Der deutsche katholische Priester Konrad Körner aus Ampferbach/ Bayern:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/11/28/brasilien-der-deutsche-katholische-priester-konrad-korner-aus-ampferbach-friedenskundgebung-in-brasilandiasao-paulo-2012/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/09/06/brasilien-wieder-katholischer-padre-erschossen-diesmal-in-fortaleza-nach-dem-gottesdienst-priester-regelmasig-opfer-der-gewaltkultur-des-landes/

 So wurde beispielsweise in den tonangebenden Medien Sao Paulos, aber auch Medien Europas,  durchweg darauf verzichtet, die erhellenden Bewertungen des deutschstämmigen Kardinals der Erzdiözese, Odilo Scherer, auch nur zu erwähnen. Scherer hatte im Auftakt-Protestgottesdienst am Nationalfeiertag betont: “Es gibt in Brasilien noch soviel Armut und Elend, gesellschaftlichen Ausschluß, soziale Ungerechtigkeit, Korruption – noch soviel Gewalt: Wir sehen, daß es strukturelle Gewalt gibt, die sich immer mehr organisiert als eine Parallelmacht – die innerhalb des Staates existiert und die Gesellschaft unterdrückt. Die Justiz ist in Brasilien noch sehr prekär und langsam – weit davon entfernt, die Bedürfnisse des Volkes adäquat zu erfüllen. “

Auch der kirchliche Mainstream Mitteleuropas verzichtet offenbar darauf, diese Einschätzung Scherers wiederzugeben.

Scherers Worte wurden bemerkenswert illustriert durch die Vorgänge vor der Kathedrale, im gesamten Stadtgebiet, wo der Staat  seit den Morgenstunden massive, die Bevölkerung einschüchternde Kräfte der Militärpolizei, von deren Sondereinheiten, postiert hatte. Die kirchliche Kundgebung vor der Kathedrale wurde permanent durch den Lärm von Polizeihubschraubern gestört, von denen aus das Geschehen vor den Stufen der Kathedrale offenbar intensiv beobachtet und möglicherweise auch gefilmt wurde.

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Laut Mediendeutung gab es am Nationalfeiertag nicht nur in Sao Paulo eine „Welle der Gewalt“, für die hauptsächlich der „Black Bloc“ verantwortlich gemacht wurde. Jener „Black Bloc“ halte friedliche Protestierer nunmehr davon ab, in so großer Zahl wie noch im Juni 2013 auf die Straßen zu gehen.

Indessen stellt sich die Sachlage, aus der Nähe betrachtet, ganz anders dar. Schließlich hätte sich jenes Potential an friedlichen Protestierern durchaus den traditionell absolut gewaltfreien Demonstrationen des „Aufschreis der Ausgeschlossenen“ der durch den jüngsten Papstbesuch gestärkten katholischen Kirche anschließen können – tat dies indessen offensichtlich nicht. Die Gründe für das beobachtete massive Fernbleiben potentieller Demonstranten liegen daher offenkundig woanders. 

Bemerkenswert ist auch die Medien-Darstellung des Black-Bloc-Protestzugs von Sao Paulo am Nationalfeiertag. So wurde der Black Bloc als Ausbund von Gewalttätigkeit beschrieben. Indessen hätte sich das Potential friedlicher Protestierer dem Black-Bloc-Protestzug problemlos anschließen können, da dieser über Stunden, mit bemerkenswerter körperlicher Kondition der Teilnehmer, durchweg friedlich Avenidas und sogar Stadtautobahnen Sao Paulos passierte. Auch medienpolitisch interessant wurde dann das Geschehen am Schluß des Protestzugs vor dem Stadtparlament, das seit den Morgenstunden durch doppelte Absperrgitter und ein Polizei-Großaufgebot gesichert worden war. Während Augenzeugen beobachteten, daß aus der Spitze des Protestzugs einige Steine gegen die Glasfassade des Stadtparlaments geflogen waren, berichteten die Medien allen Ernstes, der Black Bloc habe versucht, in das Gebäude einzudringen. Dies wäre nicht zuletzt deshalb unmöglich gewesen, weil an der Parlaments-Frontseite zu diesem Zeitpunkt zusätzlich Spezial-Einsatzkräfte mit Tränengasgranaten postiert worden waren. Diese Einsatzkräfte ließen bereits Sekunden nach den ersten Steinwürfen einen wahren Regen an extrem laut explodierenden Tränengasgranaten auf den Protestzug niedergehen, erzeugten dort entsprechende Wut und Empörung – noch Kilometer entfernt wunderten sich bald darauf uninformierte City-Besucher über ätzendes Tränengas in Augen und Nase. Nach dem massiven Einsatz von Tränengasgranaten entzündeten sich dann erwartungsgemäß Straßenschlachten – also erst Stunden nach dem durchweg friedlichen Protestzug des Black Bloc durch Sao Paulo. 

Pressefreiheit:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/26/brasiliens-medien-berichten-in-groser-aufmachung-uber-den-absturz-auf-dem-pressefreiheit-ranking-von-reporter-ohne-grenzen-warum-brasilien-aus-mitteleuropa-soviel-lob-erhalt/

Wie Qualitätsmedien Sao Paulos schrieben, sehen die Veranstalter des „Aufschreis der Ausgeschlossenen“ keine Schwächung der Proteste im Land, ebensowenig einen Verlust der Führungsrollen an die nationalen Black Blocs. Von den Veranstaltern wurden die Forderungen der „anarchistischen Bewegungen“ als legitim bezeichnet – was bemerkenswert ist. Die „Achsen der Forderungen“zwischen beiden Spektren seien sich nahe – es gehe um bessere öffentliche Dienstleistungen und um den Kampf gegen Korruption.  Zu den Demonstrationen des „Aufschreis der Ausgeschlossenen“ habe man in der Tat in diesem Jahr vier-bis fünfmal soviele Teilnehmer erwartet wie vergangenes Jahr. Dies erlaubt viele Reflexionen über die rasche, effiziente Reaktion der politisch Verantwortlichen auf die am 13. Juni nach empörend brutalen Polizeieinsätzen Sao Paulos aufgeflammten landesweiten Proteste, auf den Entwurf von möglichst griffigen Erklärungs-und Argumentationsmustern durch die zuständigen Stellen. Denn für den Nationalfeiertag 2013 war allgemein, selbst von hohen Politikern,  mit sehr massiven Straßenprotesten gerechnet worden – die interessanterweise ausblieben.

Auffällig ist, daß die Black Blocs von Brasilien seit dem Nationalfeiertag von tonangebenden Medien als „faschistisch“ bzw. „faschistoid“ charakterisiert werden – die Black Blocs hätten die Kontrolle der Straßenproteste, darunter am Nationalfeiertag übernommen. Dafür fehlen indessen Anhaltspunkte.

Nicht wenige Brasilianer werfen auch in Sao Paulo Staat und Regierung vor, zwecks Verhinderung von Protesten ein für europäische Begriffe unvorstellbar massives Polizeiaufgebot  zu mobilisieren – indessen den Schutz der Bevölkerung vor Kriminellen, vor Überfällen und Raub, Raubmord stetig zu verkleinern. Nicht zufällig häufen sich in den letzten Jahren selbst in den Mittelschichtsregionen Sao Paulos Straßenraub und Diebstahl, patrouillieren hochspezialisierte Gelegenheitskriminelle ständig durch die Stadt, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu agieren. Selbst in den Citybereichen wird inzwischen Autofahrern abgeraten, frei an den Straßen zu parken – stattdessen streng bewachte Bezahl-Parkplätze aufzusuchen. Die wachsende Bedeutung des organisierten Verbrechens erinnert an die Äußerungen von Kardinal Odilo Scherer zur „Parallelmacht“. 

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Weltsozialforum-Miterfinder, katholischer Menschenrechtsaktivist Chico Whitaker, Mitglied der “Brasilianischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden” der Bischofskonferenz CNBB – im Website-Interview am Rande der Kundgebung Sao Paulos kritisiert er die Atompolitik der Rousseff-Regierung, den Bau des AKW “Angra 3″ bei Rio mit deutscher Hilfe,  das zur Diktaturzeit mit Bonn geschlossene Atomabkommen. In brasilianischen und mitteleuropäischen Medien kam er – als einer der hochkarätigsten Persönlichkeiten des diesjährigen „Aufschreis der Ausgeschlossenen“ –  in Berichten zu den Protesten des Nationalfeiertags vorhersehbar nicht vor. 

„Das Bildungs-und Gesundheitswesen funktioniert nicht – oft brauchen die Leute einen Arzt, kriegen einen Termin aber erst in drei Monaten – und sind dann schon tot. Die Politiker hören nicht auf das Volk, wollen die Gesellschaft garnicht anhören –  die reden nur, haben sich vom Volk entfernt. Die heutigen Forderungen der Straßenproteste vertritt die katholische Kirche bereits seit Jahrzehnten – ich inbegriffen.  In Brasilien sehen wir heute plastisch, was Desinformation bewirkt – die Regierungspropaganda deckt alles zu. Der größte Teil der Brasilianer kämpft ja ums tägliche Überleben.“

Ausgerechnet Leonardo Boff spielt derzeit wieder einmal den Papst-Erklärer für deutsche Medien:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/03/15/jesus-wurde-der-zutritt-zum-konklave-der-kardinale-verweigert-wie-sich-leonardo-boff-die-wahl-von-papst-francisco-einem-jesuiten-vorstellte/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/03/11/brasilien-und-die-befreiungstheologie-clodovis-boff-bruder-von-leonardo-boff-stellt-sich-hinter-benedikt-xvi-essenz-der-befreiungstheologie-wurde-vom-papst-verteidigt-keinerlei-kritik-an-vatika/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/03/20/brasilien-leonardo-boff-nennt-deutschstammigen-kardinal-odilo-scherer-reaktionar-und-autoritar-i-%C2%B4m-happy-that-odilo-scherer-is-not-the-pope-boff-gegenuber-clarinbuenos-aires/

Während Kardinal Odilo Scherer die evangelikalen Sektenkirchen, ihre Machenschaften stets kritisierte und analysierte, begrüßte Leonardo Boff die evangelikalen Wunderheilersekten als  ”Bereicherung”:

 “Saudo a expansao dos evangelicos, porque sou a favor de todo tipo de diversidade.” 

Sektenkirchen in Brasilien:  Sekten verfolgen Journalisten:  http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/14/brasilianische-sekten-verfolgen-journalisten-gesteuerte-prozeslawinen/

Brasiliens starkes Sekten-TV:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/07/27/brasilien-olympische-spiele-erstmals-von-sekten-tv-rede-record-ubertragen-staatsprasidentin-dilma-rousseff-trifft-sich-in-londoner-studios-mit-sektenchef-edir-macedo/

Antikatholische Wunderheilersekten – gute Karten in Deutschland:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/07/16/brasiliens-evangelikale-sekten-mit-guten-karten-in-landern-wie-deutschland-was-kritische-qualitatsmedien-brasiliens-berichten-und-was-deutsche-medien-beispiel-jesusmarsch-2012/

“Ausgedachte Wirklichkeiten: Die Distanz des politischen Journalismus zur tatsächlichen Politik war nie zuvor so groß wie heute.” Frankfurter Allgemeine Zeitung 2013 

Frankfurter Buchmesse 2013 – offenbar keinerlei Veröffentlichungen zur gravierenden Menschenrechtslage des Landes, keinerlei Einladung von Dissidenten, Systemkritikern, namhaften verfolgten Menschenrechtsaktivisten:  http://www.hart-brasilientexte.de/2012/10/17/frankfurter-buchmesse-2013-gastland-brasilien-literatur-und-landesrealitaet-keinerlei-veranstalterhinweis-auf-gravierende-menschenrechtslage-auf-daten-und-fakten-von-amnesty-international-und-bras/

http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/12/folter-ohne-ende-tortura-sem-fim-brasiliens-soziologiezeitschrift-sociologia-uber-folter-unter-der-lula-regierung/

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/05/29/brasilien-in-oecd-ranking-2013-der-lander-mit-den-glucklichsten-menschen-nur-auf-viertletztem-platz-deutschland-platz-17-brasilien-platz-33-brasil-e-o-4-pais-mais-infeliz/

Aktueller Polithumor aus Brasilien, anklicken:

http://www.hart-brasilientexte.de/2013/06/28/brasilien-systemkritikerproteste-2013-wir-mussen-weniger-rauben-polithumor-uber-eine-prasidentin-und-ihre-minister-anklicken/

“Die Parasiten”:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/06/25/brasilien-systemkritikerproteste-2013-die-parasiten-mich-uberrascht-nicht-das-die-proteste-eine-gewalttatige-seite-haben-was-in-unseren-hospitalern-gefangnissen-polizeiwachen-und-politike/

Indianerproteste:  http://www.hart-brasilientexte.de/2013/10/02/brasiliens-systemkritikerproteste-2013-guarani-indianer-in-sao-paulo-fur-reservatsdemarkierung-gegen-staudamme-in-amazonien/

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“Gegen den Staatsterrorismus”.

    NEU: Fotoserie Gesichter Brasiliens

    Fotostrecken Wasserfälle Iguacu und Karneval 2008

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