Brasilianische Qualitätsmedien haben anläßlich des Karnevals 2015 erneut darauf hingewiesen, daß in Rio de Janeiro die führenden Sambaschulen von der Unterwelt, paramilitärischen Milizen und sogar einem Folteroffizier der Militärdiktatur beherrscht werden. Erst nach einer entsprechenden Veröffentlichung der Tageszeitung „O Globo“ regt sich nun nach dem Karneval etwas Kritik an der Tatsache, daß der Karnevalsparadegewinner“Beija-Flor“ sein diesjähriges Karnevalsmotto ausgerechnet auf Vorschlag des Diktators von Äquatorialguinea in Lob-und Hudel-Manier diesem afrikanischen Land widmete und sich dafür entsprechend bezahlen ließ. Auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung rangiert Äquatorialguinea weit abgeschlagen lediglich auf Platz 144, im Welt-Korruptionsranking auf Platz 168, wird deshalb auch als als „autoritäre Kleptokratie“ eingestuft.
Der Vorfall um „Beija-Flor“ weist auf das derzeitige kulturelle Klima in Brasilien, dessen Präsidentin der Arbeiterpartei Lulas angehört. Während der Karnevalsparade in Rio waren Diktator Obiang, dessen Sohn und Vizepräsident Teodorin, anwesend. Teodorin besitzt in Sao Paulo ein enormes Luxusappartement von 1500 Quadratmetern. Laut Botschafterangaben stammten die an Beija-Flor überwiesenen umgerechnet über 3 Millionen Euro nicht von der Regierung, sondern von Unternehmern und anderen Spendern in Äquatorialguinea.
Politisch korrekt haben brasilianische Sozialwissenschaftler nach dem Paradesieg von Beija-Flor heftig Kritik geübt. Die Sambaschule habe ihr Prestige an einen afrikanischen Diktator verkauft, der Karneval sei zur Industrie verkommen, Brasilien befinde sich in moralischer, politischer und juristischer Unordnung, hieß es. Afrika sei idealisiert worden, eine Diktatur zu würdigen, sei eine Schande. Als Witz kursiert, daß Beija-Flor als Motto des nächsten Karnevals den „Islamischen Staat“ erwählen werde. Der Rio-Karneval befinde sich nunmehr in einem moralischen Dilemma – man habe den Eindruck, dort sei alles käuflich. Als ob nicht bereits die üblen Skandale in Brasilien ausreichten, hole man sich nun auch noch Verfaultes von außerhalb ins Land.
Zitiert wurde in den brasilianischen Medien zudem ein Menschenrechtsaktivist aus Äquatorialguinea, dem zufolge das Sponsorengeld für Beija-Flor vom Diktator und seiner Familie dem Volke geraubt worden sei. Der Vorgang sei eine Beleidigung für die Äquatorialguineer. Von den Vorgängen um die Rio-Parade wisse man in dem Lande nichts, weil es keine unabhängigen Medien gebe.
Claudio Weber Abramo, Leiter der brasilianischen Filiale der Anti-Korruptions-NGO „Transparency International“ nannte den Sachverhalt keineswegs überraschend – schließlich hätten die Bewohner von Rio de Janeiro mit den „Sauereien“ der Sambaschulen seit vielen Jahren keinerlei Probleme. Seine NGO, so Abramo, habe derartige Skandale stets angeprangert. Der Bürgermeister von Rio, Eduardo Paes, beglückwünschte Beija-Flor zum Paradesieg.
Bundesaußenminister Steinmeier vor seiner Reise 2015 nach Brasilien:”Wir teilen ein Fundament gemeinsamer Werte und kultureller Verbundenheit.”
„Karnevalsparade von Rio ist kein Karneval“:</strong>http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/22/karneval-in-rio-2012-parade-im-sambodromo-ist-kein-karneval-urteilt-absolut-korrekt-janio-de-freitas-chefkommentator-und-karnevalsexperte-von-brasiliens-groster-qualitatszeitung-folha-de-sao-paul/
Zwei Männer auf Karnevalsball in Rio de Janeiro.
Brasilien – Klischees und Realität: http://www.hart-brasilientexte.de/2013/12/06/brasilien-vor-der-fusball-wm-mitteleuropaischer-mainstream-entdeckt-nach-jahrelanger-plattester-brasilien-prfortschrittliches-wirtschaftswunderland-boomland-global-player-etc-auf-einmal-die/
Hintergrund von 2007:
Selten zeigen sich die sozialen, kulturellen, politischen Probleme des Drittweltlandes so deutlich und konzentriert wie beim Karneval. Beim Defilee der besten Sambaschulen siegte dieses Jahr “Beija-Flor” aus dem Rio-Vorort Nilopolis und geriet prompt wegen des Parademottos in die Kritik. “Beija-Flor lügt über Afrika” titelte die auflagenstärkste Qualitätszeitung “Folha de Sao Paulo” und analysierte ausführlich den Umzug der Sambaschule. Afrika zu würdigen, sei groß in Mode, und afrikanische Könige zu preisen, bringe Höchstnoten ein, schrieb das Blatt. Selbst wenn dafür die Geschichte verdreht, Historiker zum Schweigen gebracht und alte politisch korrekte Lügen über die Sklaverei erzählt werden müßten. Afrika werde als “Mutter der Freiheit” hingestellt, obwohl der Sklavenhandel dort lange vor der Ankunft der Weißen begonnen habe, die Sklaverei für die afrikanischen Könige extrem lukrativ gewesen sei und diese sich am meisten gegen eine Abschaffung gesträubt hätten. Laut der Zeitung hatten schwarze Afrikaner massenhaft andere Schwarze versklavt, Flüchtige getötet. Schwarze Afrikaner seien schwerreiche Sklavenhändler gewesen, Käufer von Sklaven für afrikanische Farmen. Die Sambaschule Beija-Flor preise den Reichtum Afrikas, doch sage nicht, daß er von der Sklaverei herrühre. Herausgestellt werde Dahomè, obwohl dieser Staat mit am meisten von der Sklaverei profitiert habe. Afrikaner hätten an die 25 Millionen Menschen verkauft, mehr als doppelt so viel, wie nach Amerika verschleppt worden seien.In manchen pseudoprogressiven Medien ist bis heute verboten, solche historischen Fakten zu erwähnen. Selbst der Kannibalismus brasilianischer Indios wird bestritten.Brasilien schaffte erst 1888 – und damit als letzte große nicht-afrikanische Nation – offiziell die Sklaverei ab, beendete damit eines der entsetzlichsten Kapitel der Landesgeschichte. Doch in Afrika ging die Sklaverei munter in großem Stile weiter, wurde sie beispielsweise von Saudi-Arabien erst 1962 offiziell ausgetilgt, 1948 von Äthiopien.Nach Brasilien wurden etwa vier Millionen Afrikaner verschleppt, mit Segelschiffen nach Bahia oder Rio de Janeiro gebracht, dort weiterverkauft, schließlich auf die Kaffee-und Zuckerrohrplantagen, in die Goldminen getrieben. Die Ausbeutung war derart brutal, daß die meisten Sklaven keine dreißig Jahre alt wurden. Millionen von Schwarzen überlebten bereits die teils monatelange Überfahrt in den total überfüllten, stickigen Laderäumen der Koggen nicht. Gewöhnlich wird in den Geschichtsbüchern nur profitgierigen Sklavenhändlern der Kolonialmacht Portugal die alleinige Schuld an der Verschleppung von Angolanern, Kongolesen, Mocambikanern gegeben. Brasilianische Schwarzenorganisationen fordern immer wieder auch materielle Wiedergutmachung von Lissabonn. Das Thema ist indessen viel komplexer, sogar heikel – nur ganz wenige brasilianische Historiker wagen sich mit der Forderung an die Öffentlichkeit, endlich von unzulässigen Vereinfachungen zu lassen, Tabus zu brechen. Professor Manolo Florentino ist einer davon, gehört zur neuen Generation seiner Zunft, lehrt an der Universität von Rio de Janeiro, wies sich durch ein vielbeachtetes Buch als Sklavereiexperte aus. Er wirft vielen Historikern von heute vor, schlichtweg zu unterschlagen, wie die afrikanischen Eliten beim Menschenhandel mitmachten. Und sagt es deutlich:“Männer, Frauen und Kinder wurden versklavt und exportiert durch Afrikaner – ein Fakt, den auch die brasilianische Geschichtswissenschaft vergessen will.” Für Florentino bringt es nicht weiter, die aktive Rolle der Afrikaner am Sklavenhandel unerwähnt zu lassen, zu verstecken, um auf diese Weise etwa die kulturelle Identität der heute unter absurdem Rassismus leidenden Schwarzen zu stärken. Vielmehr sei es doch so gewesen: Auf beiden Seiten des Atlantik, in Afrika und in Brasilien, existierten archaische Gesellschaften – verbunden durch bestimmte Wertvorstellungen und eben den Handel mit Afrikanern. Jahrzehnte vor der offiziellen Sklaverei-Abschaffung kam es zu einem bezeichnenden Phänomen: Manche humaner gesinnten weißen Sklavenhalter gaben Schwarzen die Freiheit, nicht wenigen Afrikanern gelang es, sich freizukaufen. Kamen diese zu Geld, taten sie etwas Überraschendes – sie, die Ex-Sklaven, kauften sich auf den Menschenmärkten Rio de Janeiros oder Bahias Afrikaner, wurden somit selber Sklavenhalter. Verschleppte Afrikaner beuteten, so absurd es klingt, fern der Heimat ebenfalls verschleppte Leidensgenossen aus. Sklaverei – heute in Brasilien und in Afrika nur noch ein Thema für Historiker, Anthropologen ? Keineswegs. Vor allem brasilianische Bischöfe sprechen von einer tiefverwurzelten Sklavenhaltermentalität, weisen auf die extrem kraß ungerechte Einkommensverteilung – und das Fortbestehen von Sklaverei.Wer nach Rio de Janeiro kommt, sollte einmal die Rua Camerino nahe dem Hafen entlanggehen. Zeit für Reflexionen, denn keine Tafel, kein Denkmal erinnert daran, daß sich hier Brasiliens größter, entsetzlichster Menschenmarkt befand, in einer der bedeutendsten Sklavenhalterstädte der Weltgeschichte.