Zeitungsausriß.
Übliche Feuergefechte in der Olympia-und Fußball-WM-Stadt Rio de Janeiro – diesmal in der Zoo-Region, nahe der Präfektur.
Erinnert wird daran, daß die Spezialeinheit BOPE just 2008 schon einmal den jetzt umkämpften Rio-Slum Vila Cruzeiro besetzt – und dies enorm medial gefeiert hatte. Die „Besetzung“ dauerte indessen nur eine Woche – dann kehrten die Banditenkommandos zurück – und die üblichen Machtverhältnisse des Terrors über die Slumbewohner. Bereits 1994 hatte den Angaben zufolge die Stadtregierung ein Abkommen mit den Streitkräften zur Kriminalitätsbekämpfung beschlossen – mit den allseits bekannten „Erfolgen“. Bereits damals waren die üblichen Absichtserklärungen weltweit in Medien durchgeschaltet worden.
Die Empörung der Bevölkerung, daß Polizei und Armee jetzt – wie in zahlreichen vorangegangenen Fällen – den Rückzug der in Guerrilhataktik operierenden Banditenkommandos aus Vila Cruzeiro zugelassen hatten, dauert an. „Die Autoritäten wollten natürlich nicht ihre eigenen Angestellten töten“, lauten Kommentare auf der Straße.
Polizeihubschrauber sind unter Banditenbeschuß. Ein SWAT-Waffenexperte identifizierte bei Rios Banditen MGs, die im Irakkrieg verwendet werden. Das Verteidigungsministerium will 800 Soldaten, Panzer, Hubschrauber und andere Militärtechnik nach Rio de Janeiro schicken. Die staatlichen Autoritäten versprechen erneut, was sie bei ähnlichen Einsätzen in den vergangenen Jahrzehnten versprachen, jedoch nie einhielten. Der neue Filmhit „Tropa de Elite 2″ zeigt dokumentarisch die Hintergründe staatlicher Politik, gibt derzeitige Propagandaerklärungen, die wie üblich in europäische Medien durchgeschaltet werden, der Lächerlichkeit preis. http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/08/tropa-de-elitenoch-dokumentarischer-als-der-berlinale-gewinner-landeskunde-pur-uber-das-heutige-brasilien/
Aus dem jetzt von Polizei und Marineinfanteristen besetzten Slum Vila Cruzeiro haben sich die Banditenkommandos in üblicher Guerrilhataktik ohne Verluste in andere der über 1000 Slums von Rio zurückgezogen, da Attacken auf Panzer natürlich sinnlos wären. Die Medien wiesen bei den Direktübertragungen der Banditenaktionen darauf hin, daß nicht wenige der Gangster just in Spezialeinheiten der Streitkräfte die Guerrilhataktik erlernten. Das organisierte Verbrechen schicke regelmäßig junge Leute in solche Militäreinheiten zur Ausbildung.
Zu den zahlreichen Geschäftsfeldern des laut brasilianischen Experten eng mit der Politik liierten organisierten Verbrechens gehört neben Banküberfällen, Frachtraub, Autodiebstahl, Wegelagerei, Auftragsmorden, Waffen-und Munitionshandel, Wirtschaftsinvestitionen u.a. auch der Drogenhandel. Rio de Janeiros Präfekt Eduardo Paes hatte mit enormem Propagandaaufwand der Stadt seit mehreren Jahren einen sogenannten „Choque de ordem“, Ordnungs-Schock verordnet – die Lage in Rio spricht Bände über die Resultate.
In Brasilien werden laut einheimischen Experten jährlich über 55000 Menschen ermordet.
http://odia.terra.com.br/portal/galerias/geradas/O_DIA_ONLINE_o_iraque_e_aqui_1673_5.html#foto_5
Zeitungsfoto. http://g1.globo.com/rio-de-janeiro/fotos/2010/11/veja-fotos-dos-carros-incendiados-no-rio.html
Langjährige Wandaufschrift in Vila Cruzeiro:“Achtung, Bewohner, vermeidet an Kriegstagen die Behausungen zu verlassen. In Dankbarkeit: CV“ (CV – Comando Vermelho, Rotes Kommando, eine der führenden Verbrecherorganisationen Brasiliens)
Menschenrechtspolitiker Marcelo Freixo zu Folter heute: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/29/marcelo-freixo-grundet-in-rio-de-janeiro-komitee-zum-kampf-gegen-folter-lula-regierunsbilanz/
Die Situation ist so bizarr, daß ein zugeschalteter Chef der Polizei-Spezialeinheiten die Direktübertragung von der Banditenkonzentration sogar analysiert. Die Banditenkommandos können sich in Guerrilhataktik problemlos zurückziehen, erreichen den riesigen Nachbarslum „Complexo do Alemao“, ungezählte Brasilianer schauen live zu – die Polizei räumt ebenso live eigene Unfähigkeit(?) ein, die Gangsterkommandos zu verfolgen und zu bekämpfen. Einmal im „Complexo do Alemao“ angekommen, seien diese Banditenkommandos weit schwieriger zu bekämpfen als zuvor in Vila Cruzeiro. Die mindestens 300 Banditen tragen moderne MGs, ein Großteil sind NATO-Marken.
Geier und TV-Hubschrauber über den Köpfen der Banditenkommandos – doch von Polizei, gar BOPE keine Spur. Die Panzerattacke ging vorhersehbar ins Leere.
Globo-News live: http://globonews.globo.com/videos/v/globo-news-ao-vivo/61910
Zeitungsfoto.
In Vila Cruzeiro war der brasilianische TV-Journalist Tim Lopes von einem Banditenkommando bestialisch gefoltert und danach lebendig verbrannt worden. Seitdem überließ der Staat dort den Verbrecherorganisationen weiter die Macht, die Slumbewohner dem neofeudalen Terror der Banditen.
Scheiterhaufen-Opfer in Rio de Janeiro – während Lula-Amtszeit. Zeitungsfoto von Rio-Lokalzeitung.
Grünen-Politiker Fernando Gabeira macht in Vila Cruzeiro Wahlkampf mit Banditenerlaubnis, laut Landesmedien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/06/brasiliens-grunen-kandidat-fernando-gabeira-macht-slum-wahlkampf-mit-banditenerlaubnis-laut-landesmedien-waffen-und-wahlerstimmen/
“Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.” Wie die Tourismusbranche in deutschsprachigen Ländern mittels ganzseitiger Anzeigen die Lage in Brasilien interpretiert
Medienfotos – anklicken: http://g1.globo.com/rio-de-janeiro/fotos/2010/11/veja-fotos-dos-carros-incendiados-no-rio.html
„Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.“ Wie die Tourismusbranche in deutschsprachigen Ländern mittels ganzseitiger Anzeigen die Lage in Brasilien interpretiert
Bislang kamen bei den neuesten Feuergefechten in Rio de Janeiro nach den sehr unvollständigen offiziellen Angaben rund 30 Menschen ums Leben, darunter zahlreiche Unbeteiligte, die von verirrten Kugeln getroffen wurden. Konflikte wie der jüngste brechen seit vielen Jahren regelmäßig aus. Die Banditenkommandos verfügen auch über Granatwerfer sowie schwere Maschinengewehre zum Abschießen von Polizeihubschraubern – was bereits in zwei Fällen gelang. In ganzen Stadtvierteln haben Verbrecherorganisationen angeordnet, daß sämtliche Geschäfte geschlossen bleiben – wie an den Vortagen fällt für Zehntausende von Schülern der Unterricht aus. Die brasilianische Tourismusindustrie befürchtet Auswirkungen auf die beginnende Hochsaison. Mit Rücksicht auf das Rio-Image vor Fußball-WM und olympischen Spielen berichten die stark von Staats-und Regierungsanzeigen abhängigen lokalen Medien derzeit weit weniger konkret und anschaulich über die tatsächliche Situation – ist daher jeder Interessierte auf möglichst viele eigene Recherchen angewiesen. Rios Gouverneur gehört zum Lula-Regierungsbündnis, amtliche Angaben zur Lage sind wenig brauchbar.
http://extra.globo.com//_img/capas/capa.asp
Wie die Bewohner der über 1000 Rio-Slums ihrer Basis-Menschenrechte beraubt, dem Terror neofeudaler Banditenkommandos ausgesetzt sind, findet auch im europäischen NGO-Business kaum Interesse, neoliberale Herzenskälte überwiegt.
Die Wirtschaftszeitschrift “Brasil Economico” zitiert einen Regierungsfunktionär Brasilias zum Ziel der Auslandspropaganda:”Unsere Priorität ist, das Image Brasiliens als einer großen, sozial, politisch und wirtschaftlich stabilen Demokratie zu positionieren.”
„Der Krieg von Rio“: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/25/der-krieg-von-rio-titelseite-zu-neuesten-feuergefechten/
Katholische Kirche, bischöfliche Slum-Seelsorge: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/05/rio-de-janeiros-bischofliche-slum-seelsorge-und-die-menschenrechtslage-in-der-olympia-stadt/
Fotoserie, Gewaltkultur: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/
“Schönheit und Fäulnis”. Neue Zürcher Zeitung/NZZ – Klaus Hart:https://www.nzz.ch/schoenheit_und_faeulnis-1.700750