Klaus Hart Brasilientexte

Aktuelle Berichte aus Brasilien – Politik, Kultur und Naturschutz

Brasiliens Schriftsteller Ignacio de Loyola Brandao zum Zeitgeist 2012:“Ich weiß, daß sich die Welt verändert hat, und wenn ihr meine Meinung wollt, die Welt wurde langweilig, fad, öde.“ „…ficou chato.“

Freitag, 09. März 2012 von Klaus Hart

„Man hat den Fußball genauso banalisiert wie die Nacktheit, die Sinnlichkeit.“ (Kolumne in O Estado de Sao Paulo)

Kaum ein Buchautor Brasiliens kann nur vom Schreiben leben. Ignacio de Loyola Brandao aus Sao Paulo beispielsweise hat über 25 Romane und Erzählungen verfaßt, einige davon, als er zwei Jahre auf Einladung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes(DAAD) in Deutschland lebte. In der Megametropole leitet der Dichter eine Mode-und Frauenzeitschrift. ”Sehen wir mal von Paulo Coelho ab, der in der ganzen Welt viele Bücher verkauft, haben 99 Prozent der Autoren noch einen anderen Beruf, müssen arbeiten gehen, sind Ärzte, Bankangestellte, Ingenieure oder Journalisten so wie ich. An die dreihunderttausend Leute lesen wöchentlich meine Kolumne in der Qualitätszeitung O Estado de Sao Paulo, doch Leser meiner Bücher werden sie deshalb nicht, eigenartig, merkwürdig. Dabei verkauft sich jedes für brasilianische Verhältnisse gar nicht schlecht, so um die 25000 Stück –  aber eigentlich eine lächerliche Auflage.”
Auch Brandao beklagt im Website-Interview den mangelnden Kulturaustausch mit den Nachbarländern: ”Wo werden die meisten Autoren Lateinamerikas verlegt? In den USA, Kanada, in Deutschland, Italien. Wenn ich bisher an internationalen Literaturdebatten teilnahm, war das in Berlin, Heidelberg, Frankfurt, München, in Toronto, aber nie hier im Lande, nie in Lateinamerika. Selbst argentinische Autoren kenne ich nur aus meiner Zeit in Berlin, als sie dort im Exil waren!”

„Brandao entlarvt mit Ironie und Empörung die Jagd nach Erfolg um jeden Preis.“ „…die Wildnis des modernen Lebens, wo persönliche Beziehungen, Freundschaften nur genutzt werden, um in der Gesellschaft aufzusteigen, wo es keine Solidarität gibt, wo nur die Erscheinungsebene Wert hat. Um mundo fake, enfim.“

Brandao über sich 2013: „Ich bin die Mischung des Alten und Neuen“. „Ich habe keine Angst davor, mittelalterlich genannt zu werden, oder anachronistisch…Ich habe kein Handy…Das Handy macht uns zu Gefangenen…In diesen sozialen Netzwerken ist eine immense Einsamkeit. Und soviel Neid, soviel Ablehnung… Ich brauche diese ganzen dummen Twitter-Sprüche nicht… Ich schreibe noch gerne Briefe, stecke sie ins Kuvert, schaffe sie auf die Post. In den Menschenschlangen rede ich mit den Leuten, treffe auf Themen für meine Kolumnen.“

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„Arnaldo Jabor: „Das Land verlor die Intelligenz  und das moralische Bewußtsein.“ „Es wächst im Land eine Kultur der Kulturlosigkeit.“

“Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen sind von Angst und Aussichtslosigkeit geprägt, man belügt sich, betrügt sich und letztlich ist jeder auf sich allein gestellt.” 

Ganz gleich, in welcher Gesellschaftsschicht die Vignetten angesiedelt sind: In der Mehrzahl spielt Gewalt eine Rolle. Direkte Gewalt wie Überfälle und Schusswechsel oder strukturelle Gewalt, also Armut und menschenunwürdige Lebensbedingungen, prägen das Bild São Paulos, das Luiz Ruffato zeichnet. “Es waren viele Pferde” vermittelt somit eine Stimmung der Aussichtslosigkeit und Angst, wie schon Paulo Lins’ 1997 erschienener Roman “Die Stadt Gottes”, der in den Favelas von Río de Janeiro angesiedelt ist. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen sind von Angst und Aussichtslosigkeit geprägt, man belügt sich, betrügt sich und letztlich ist jeder auf sich allein gestellt. Von der Leichtigkeit des Karnevals und seinen Sambarhythmen, die wir gewöhnlich mit Brasilien verbinden, ist in Ruffatos São Paulo der Einsamkeit, der Alkoholexzesse und des Rassismus nichts zu spüren. In Ruffatos São Paulo halten Weiße Schwarze zunächst einmal für Verbrecher und Indianer für dumm.
Es waren viele Pferde – der Titel stammt von einer Vignette – ist ein bedrückendes und beeindruckendes Buch, das hinter die Fassaden der Glitzerwelt der berühmten Avenida Paulista blickt. Luiz Ruffato beschreibt eine soziale Wirklichkeit Brasiliens, die wie seine Prosa ihren eigenen Regeln gehorcht, und wie sie in den offiziellen Werbebroschüren für die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Sommerspiele zwei Jahre später nicht vorkommt. 

Literatur:

Luiz Ruffato: Es waren viele Pferde. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler. Assoziation A, Berlin und Hamburg 2012, 160 Seiten, EUR 18,00. (Deutschlandfunk 2013)

http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/22/kulturminister-gilberto-gils-amtszeit-eine-grausige-bilanz-fur-brasilien/

Deutschland und Buchbiennale 2008 in Sao Paulo – interessante deutschsprachige Autoren vor Ort, doch kaum Besucher-und Experteninteresse. “Kaum Vorkenntnisse über deutsche Kultur, deutsche Literatur”. “O nosso Brasil é ainda uma grande incognita”. Robert Menasse über kuriosen Erfolg von Ingeborg Bachmann. **

Auf Lateinamerikas wichtigster Buchmesse wurde erneut deutlich, wie schwer es Literatur in einem Land mit hoher Analphabetenrate und extremen Sozialkontrasten, Massenelend hat. In der Lepra-und Todesschwadronen-Megacity mit den über 2000 Slums  bekamen dies auch die angereisten und groß angekündigten deutschsprachigen Autoren zu spüren, reflektierten im Website-Interview: Julia Franck, Ulrich Peltzer, Antje Ravic Strubel und Ilija Trojanow, dazu Robert Menasse aus Österreich und Perikles Monioudis aus der Schweiz saßen bei ihren Biennale-Literaturdebatten schlichtweg in leerem Saal. Der große Alt-68er Oskar Negt traf sich im Goethe-Institut mit dem Schriftsteller und Kolumnisten Zuenir Ventura, einem der besten Kenner brasilianischer Slum-Strukturen – beide mußten ebenfalls mit einem halbleeren Saal vorliebnehmen – nicht einmal die geladenen Gäste waren erschienen. Hinweis auf hiesigen Zeitgeist.

buchmessepodiumklein.jpgUlrich Peltzer, Julia Franck, Marcelo Backes, Antje Ravic Strubel

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