Hartmut Mechtel
Störungen des Lockdowns verhindert
„Berlin verbietet Corona-Demonstrationen. Die Versammlungsbehörde hat die Proteste von Corona-Leugnern am Samstag in Berlin verboten. Der Innensenator kündigt ein konsequentes Vorgehen der Polizei an.“ Das sind Titel und Unterzeile der Mitteilung im Tagesspiegel vom 26. August 2020. „Störungen der Volksfeste verhindert. In den Nachmittagsstunden kam es in der Klement-Gottwald-Straße der Bezirksstadt zu Störungen der öffentlichen Ordnung, die von der Volkspolizei unterbunden wurden. Zur Feststellung der Personalien und Klärung der Umstände wurden Personen, die sich an der ungesetzlichen Zusammenrottung beteiligten, zugeführt. Die strafrechtlichen Konsequenzen werden geprüft.“ Diese Nachricht entstammt der Märkischen Volksstimme Potsdam vom 9. Oktober 1989.
Heute wird (nicht in den Mainstreammedien, aber von Selbstdenkern) oft festgestellt, die Situation sei vergleichbar, und in Leserkommentaren zum aktuellen Verbot der Demo las ich zuweilen, in der DDR habe man auch nicht um Genehmigungen für Demos ersucht. Beides ist nur zum Teil korrekt. Die ersten, noch kleinen Demonstrationen des Jahres 1989 waren in der Tat ungenehmigt (um nur die zu nennen, bei denen ich dabei war: am 7.7.89 Protest gegen die Wahlfälschung auf dem Alexanderplatz in Berlin, am 7.10. auf dem Potsdamer „Broadway“ als Aufruf zu Systemkorrekturen). Die größten Demonstrationen fanden in Berlin und Potsdam (und vielen anderen Orten) am 4. November statt. Diese waren angemeldet [die Demo in Potsdam von meiner Frau und dem Pfarrer Kwaschik] und sind (unter Änderung einiger Details wie der Marschroute und des Abschlussortes) genehmigt worden. Die angemeldete Berliner Großdemo 1989 wurde sogar vom Fernsehen der DDR live übertragen. Das sollte man sich heute mal vorstellen: ARD und ZDF übertragen live eine oppositionelle Demonstration. Und die Berichte in den DDR-Medien bestanden nicht mehr ausschließlich aus Beschimpfungen. Jedenfalls nicht nach dem 4.11.89. Halten wir fest: In den letzten Monaten der DDR wurde das Demonstrationsrecht nicht annähernd so rigoros unterdrückt wie jetzt. Es ist heute nicht besser, sondern schlimmer geworden.
Für die Zeit vor den Großdemos im November ’89 gilt freilich, dass sich die Verlautbarungen der Medien (und ihrer Auftraggeber) zum Verwechseln ähneln. Die Teilnehmerzahlen werden gefälscht. Potsdam, 7.10.89: Laut Presse/Polizei waren wir 200. Es mag schwer sein, Menschenmengen von über 100.000 zu schätzen, aber zwischen 2.000 (so viele – mindestens – waren wir tatsächlich) und 200 sollte sogar ein Polizist oder Journalist differenzieren können. In der Märkischen Volksstimme vom 9.10.89 war nachzulesen: „Antisozialistischen Provokationen in Potsdam Abfuhr erteilt … Einige Krakeeler nutzten eine ungenehmigte Demonstration und wollten sich auf der Potsdamer Klement-Gottwald-Straße breitmachen.Ihnen ging es nicht um öffentliche Meinungsäußerung. Ihr Ziel war Provokation … Es fällt auf, daß unter den Zugeführten [den Festgenommenen] sich eine größere Anzahl von Personen befand, die vorbestraft sind, keiner geregelten Arbeit nachgehen oder aufgrund ihres asozialen Lebenswandels als kriminell gefährdet gelten. 23 Personen z. B. sind bereits kriminell in Erscheinung getreten; fünf Personen sind ohne jegliches Arbeitsverhältnis … Die Parolen, die unsere Volkspolizisten gehört haben, sind auf fatale Weise identisch mit den gegenwärtigen Hetztiraden des Westfernsehens …
Die Demonstranten waren also hauptsächlich Asoziale, vom Westen angestiftete antisozialistische Provokateure (nicht etwa, wie ich damals beobachtete, ein Querschnitt durch die Gesellschaft, auch altersmäßig). Die Teilnehmerzahl der großen Berliner Demo vom 1. August 2020 wurde kräftig heruntergerechnet – gegen den Augenschein, den Fotos vermitteln: Wenn die Straße des 17. Juni zur Loveparade oder anderen Events von Menschen überquoll, las man, es sei eine Million vor Ort gewesen. Und die gleichermaßen gefüllte Straße fasste am 1.8. nur 17.000? Beide Zahlen mögen nicht exakt zutreffen, aber dass die 17.000 noch stärker heruntergerechnet sind als damals die Potsdamer 200 (das war ja bloß 1 zu 10, jetzt sind sie bei 1 zu 30 oder 40 angelangt), ist offensichtlich. Das wissen die da oben (in der Regierung und den staatstreuen Medien) natürlich auch, weshalb sie nun härtere Bandagen anlegen und die Demo komplett verbieten.
Der Berliner Innensenator Geisel sagte (am 26.8.2020): „Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird. Ich erwarte eine klare Abgrenzung aller Demokratinnen und Demokraten gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit unser System verächtlich machen …Wir dürfen nicht zulassen, dass Berlin zu einem großen Campingplatz für vermeintliche Querdenker und Verschwörungsideologen gemacht wird.“
Dass am 1.8.20 (wie am 7.10.89) die Demonstranten einem Querschnitt durch die Gesellschaft entsprachen, wurde übersehen. Es waren allesamt Corona-Leugner, sie waren Reichsbürger (ich habe noch nie einen gesehen, aber vielleicht gibt es sie ja wirklich) und Rechtsextremisten, Querdenker (war das nicht gestern noch ein positiv besetzter Begriff?) und Verschwörungsideologen. In beiden Fällen (Potsdam 1989, Berlin 2020) ist die pauschalisierende Abwertung derjenigen, die protestieren, offensichtlich. Der rechtsextreme Reichsbürger mitsamt seinen querdenkenden Kumpanen ist das Pendant zum DDR-Asozialen. Verachtens- und bekämpfenswert. Ein Feind.
Besonders übel ist aus Sicht der Politiker und ihrer Lautsprecher, dass die Anti-Lockdown-Demos rechtsoffen seien; dass sie auch linksoffen sind und für die Mitte und oben und unten auch geeignet, spielt keine Rolle oder ist – noch übler – Querfront. Dass die Parteien eine Querfront bilden (alle Parteien; die AfD hat gemeinsam mit CDU/CSU, SPD, FDP, Linken vor Merkel, Spahn und Drosten gekuscht und beginnt erst in den letzten Tagen, langsam aufzuwachen), scheint auch niemand aufzufallen in den alternativlosen Medien. Was ist schlimmer: die Maskenfolter für Kinder (und Erwachsene), die Ruinierung des Mittelstandes, die Außerkraftsetzung der Grundrechte (usw.) – oder dass diejenigen gemeinsam auf die Straße gehen, denen das aufgefallen ist? Ich freue mich darüber, dass es immer mehr Menschen auffällt, dass wir von Propagandisten verschaukelt werden, seien es Reichsbürger (falls es sie in nennenswerter Zahl gibt), AfD-Wähler, Sympathisanten anderer Parteien oder einfach nur freie Denker, würde mich sogar freuen, wenn die Antifa sich von ihrem Job als Knüppelgarde der Regierung beurlauben ließe und statt gegen ein fiktives Rechts gegen den neuen Faschismus von oben (Demoverbot unter fadenscheinigen Gründen, Etablierung der Überwachungsgesellschaft unter vorgeschobenen pseudomedizinischen Gründen, verbale Gewalt gegen Andersdenkende) am 29.8. mitläuft. Wer gegen Lockdown und Maskenzwang protestieren will, der ist willkommen (jedenfalls mir). Seine sonstigen Auffassungen tangieren mich nicht; ich mache sie mir nicht zueigen. Kann die Protestbewegung von rechts (wo immer das sein mag) unterwandert werden? Nur dann, wenn die regierenden Betonköpfe starrsinnig den Dialog verweigern. In den letzten Monaten der DDR war Dialog ein wichtiger Begriff. Auf der Berliner Großkundgebung am 4.11.89 sprachen – neben vielen Künstlern und Bürgerrechtlern – auch Gregor Gysi (wenig später SED/PDS-Chef) und Markus Wolf (der Ex-Stasi-Vize wurde zwar ausgebuht, aber er durfte sagen, was er wollte). Wenn sich heute ein Politiker unliebsamen Demonstranten stellt (was selten genug vorkommt), nennt er sie danach gern mal Pack oder Pöbel. Wie es mit der DDR weiterging, ist bekannt. Die Machthaber gaben dialogisierend auf. Die Oppositionsbewegung wurde von Angepassten (wie Merkel und Gauck) unterwandert, als keine Gefahr mehr drohte. Und dann kam der Anschluss (der das Meiste von dem, was an den runden Tischen beredet wurde, in den Papierkorb fegte, doch das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden). Wie wird es jetzt weitergehen? Das Verbot der Demonstration ist ein Keulenschlag. Wird er etwas aufhalten? Wird sich jemand daran halten? Kann man Millionen am Demonstrieren hindern? Wie lange wird es noch funktionieren, einen großen Teil des Volkes in Angst und Unwissenheit zu halten? Geht das Verbot nach hinten los (wie, zum Beispiel, seinerzeit die Ausbürgerung Biermanns, die fast zur Initialzündung einer privaten Opposition in der DDR wurde). Wenn die Regierenden zu Brachialmaßnahmen wie Demonstrationsverboten greifen, sind sie am Ende (oder kurz davor). Es bleibt ihnen zum weiteren Machterhalt nur noch die offene terroristische Diktatur. Sie sind zu weit gegangen. Und haben nichts gelernt aus der Vergangenheit.