Journalistinnen und Journalisten haben es schwer in Deutschland. Das gilt besonders für die Auslandsberichterstattung. Seit nunmehr einem Jahr ergießt sich ein Strom der Kritik über ihre Beiträge zum Ukraine-Konflikt. Die Glaubwürdigkeit ist dahin. Mehr oder weniger landeskundige Autodidakten weisen innerhalb weniger Stunden Fehler in journalistischen Beiträgen nach, zumeist ohne sich vom Schreibtisch erhoben zu haben. Eine einfache Internet-Recherche genügt oftmals, um hochdotierten Rechercheuren das Leben schwer zu machen.
Mehrmals traf dieses ärgerliche Phänomen des Netzzeitalters das ZDF. Mindestens zehn formale Beschwerden gingen im vergangenen Jahr bei dessen Intendanten Thomas Bellut ein. So mokierten sich etwa Zuschauer darüber, dass das Heute Journal ukrainische Faschisten mit ihrem Symbol, der Wolfsangel, durchs Bild fahren lässt, während die zuständige Journalistin tapfer von „Freiwilligen im Kampf gegen die Separatisten“ spricht.
In Deutschland ist es zwar strafbar, dieses Symbol zu verwenden. Aber entsprechend der Linie des Außenministeriums- und somit wohl auch des ZDF – dürfen Neonazis in der Ukraine politisch keine erwähnenswerte Rolle spielen. Also formulierte Reporterin Katrin Eigendorf in Mariupol standhaft: „Trotz der bedrohlichen Lage – es sind vor allem Bataillone von Freiwilligen, die warten und entschlossen sind, ihre Stadt zu verteidigen.“ Währenddessen flattert im Hintergrund der Nazi-Wimpel. In ihrem Beitrag ließ sie gleich vier dieser Freiwilligen als Kronzeugen für eine „russische Aggression“ zu Wort kommen.
Der Verein mit dem umständlichen Namen „Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien“ übersetzt unsystematische Kritik aus dem Publikum in formal korrekte Beschwerden. So auch in diesem Fall. Als Ergebnis nahm das ZDF immerhin die Nazi-Folklore aus dem Online-Beitrag. In seinem Antwortschreiben teilte Intendant Thomas Bellut allerdings mit, er selbst habe die beanstandeten Symbole „erst nach wiederholtem Ansehen aufspüren können“. Insofern wollte er darin auch weder eine „unkommentierte Zurschaustellung“ noch eine „Verharmlosung der Träger“ sehen.
Vermutlich teilt diese Sicht der Dinge auch Katrin Eigendorf. Immerhin verbreitete sie per Twitter aus dem Kriegsgebiet Bilder von Kämpfern des „Rechten Sektor“ und des Bataillon „Azow“. Sie versah die Fotos mit Hinweisen wie: „Wollen die Stadt verteidigen“ oder „Morgen wollen sie wieder kämpfen“. Dass der Azow-Kommandeur, der bekennende Neonazi Andrej Biletzki, für eine „rassische Reinigung der Nation“ eintritt und „das von Semiten angeführte Untermenschentum“ als seinen Gegner in der Ostukraine betrachtet, hatte für sie wohl keinen Nachrichtenwert. Wichtiger ist, dass Akteure, die auf der Seite des freien Westens kämpfen, sich grundsätzlich verteidigen, während der Gegner immer angreift (Rückblick auf ein besonderes Jahr für den Kriegs- und Krisenjournalismus).
Ein Blick in die lange Liste der Publikumsbeschwerden zeigt, dass diese stille Leidenschaft für arische Helden bei Reporterin Katrin Eigendorf schon länger anhält. Bereits im Mai 2014, während des von den Separatisten einberufenen Referendums über die Ostukraine, wurden mehrere Menschen von der ukrainischen Nationalgarde und dem Freiwilligenbataillon „Dnipro“ ermordet. Das Magazin Stern schildert die Umstände eines Zwischenfalls wie folgt:
Die ukrainische Nationalgarde, die in Krasnoarmeysk heute mehrere Regierungsgebäude besetzt und das Referendum unterbrochen hatte, eröffnet vor einem Wahllokal Feuer auf die wartenden Menschen. Mindestens ein Mensch ist getötet worden. Auf Video halten die Menschen fest, wie das ukrainische Militär auf Unbewaffnete schießt.
Bei der Moskau-Korrespondentin des ZDF, Anne Gellinek, klingt der selbe Vorgang hingegen so: „In Krasnoarmeysk versuchen prorussische Bewaffnete die Wahl zu stören, indem sie das Wahllokal einfach besetzen. Bei einem Schusswechsel wird ein Mann getötet und einer verletzt.“
Kurz darauf beschrieb Katrin Eigendorf das am Zwischenfall beteiligte Freiwilligenbataillon als eine Armee, die sich „zur Wehr setzen werde, gegen die Separatisten und Moskau“. Der ukrainische Bezirk Dnipropetrowsk sei eine „Region, da gibt es keine Separatisten, die die Bevölkerung terrorisieren“. Zu diesem Zeitpunkt war dem ZDF zwar bekannt, dass es die Aktivisten des Dnipro-Bataillon waren, die unbewaffnete Zivilisten erschossen. Das änderte jedoch nichts an der lobenden Haltung von Reporterin Katrin Eigendorf.
Laut Recherche der „Ständigen Publikumskonferenz“ finanzierte der Gouverneur der Region, Igor Kolomoisky, einer der reichsten Männer der Ukraine, diese mit Rechtsradikalen durchsetzte Privatarmee. Die ZDF-Korrespondentin lobt im Interview vom 12. Mai seine politische Leistung bei der Durchführung des Referendums und behauptet, es seien die Separatisten, die die Bevölkerung der Ostukraine terrorisieren. Kein Wort von den Gewaltaktionen des Freiwilligenbataillons am Tag des Referendums.
Solche Vorhaltungen nerven. Während sich die ARD inzwischen erkennbar um eine stärkere Ausgewogenheit bemüht, gehen die politisch konservativen Teile des deutschen Pressewesens, namentlich die FAZ, Die Welt und das ZDF, dazu über, derartige Gegenrecherchen als eine Folge von „Moskaus Medienpolitik“ einzuordnen. Jörg Eigendorf, Mitglied der Chefredaktion von Die Welt, sieht in nicht gleichlautenden Darstellungen gar eine „Gefahr für die europäischen Gesellschaften“. Er wähnt sich nicht nur, wie die Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz, in einem Informationskrieg, sondern gar in einem „Desinformationskrieg“.
Dass er auch die „Ständige Publikumskonferenz“ für eine Kriegspartei hält, legt ein Vorgang nahe, über den deren Vorsitzende Maren Müller auf der Homepage des Vereins berichtet. Im November richtete sich die Welt-Journalistin Ileana Grabitz mit dem Wunsch um ein Interview an sie. Die Frauen trafen sich und unterhielten sich bei laufenden Aufnahmegeräten zwei Stunden lang. Allerdings erschien in Die Welt kein Artikel über die Arbeit der „Publikumskonferenz“.
Vor kurzem erfuhr Maren Müller, dass zeitgleich ein anderer Journalist der Zeitung eine Auskunft zu ihrer Person beim Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen (BStU) gestellt hatte. Dirk Banse interessierte sich für eine Stasi-Überprüfung von Mandatsträgern, die Maren Müller vor vielen Jahren als Mitglied des SPD-Landesverbandes Sachsen durchlaufen hatte. „Ich fiel aus allen Wolken, als ich erfuhr, dass ein Journalist des Investigativteams von Die Welt zu meiner Person recherchiert“, schreibt Müller.
Ihre Überraschung dürfte umso größer ausgefallen sein, als ihr klar wurde, dass die beiden Welt-Kollegen, Ileana Grabitz und Dirk Banse, zur gleichen journalistischen Elite-Einheit des Springer-Verlages gehören, dem „Streng-Vertraulich-Investigativteam„. Dort kümmert sich Dirk Banse laut Selbstauskunft um „Stasi-Verstrickungen und Fälle mit nachrichtendienstlichem Hintergrund“. Ihre damalige Gesprächspartnerin Ileana Grabitz fungiert gar als stellvertretende Ressortleiterin. Das klingt nach Chefangelegenheit.
By the way: Der Ressortleiter der investigativen Truppe ist seit 2010 Jörg Eigendorf, verheiratet mit der Ukraine-Korrespondentin des ZDF, Katrin Eigendorf. Nun ist es hinreichend besorgniserregend, dass ein Journalist sich im Bereich Außenpolitik in eine Kriegssituation halluziniert und eine ausgewogene Berichterstattung entsprechend als „einen wichtigen Etappenerfolg“ für den imaginierten Gegner bewertet. Ein solches Recht auf parteiische bzw. kriegerische Berichterstattung existiert in einer demokratischen Gesellschaft nicht.
Spätestens wenn er Kritikern seiner parteiischen Berichterstattung nicht nur pauschal Verbindungen zu gegnerischen Geheimdiensten unterstellt, sondern sogar sein „Investigativteam“ auf sie ansetzt, ist der Punkt erreicht, an dem sich der deutsche Journalismus und der Springer-Verlag im Besonderen jenseits des demokratischen Selbstverständnisses bewegen, das man so gerne lauthals für sich reklamiert. Dass hier zudem der Verdacht naheliegt, Ressortleiter Eigendorf verfolge mit seiner Arbeit für den Springer-Verlag die kleinlichen Rachegelüste seiner handwerklich weniger bewanderten Ehefrau beim ZDF, das macht diese peinliche Angelegenheit so unappetitlich, dass man sich unwillkürlich fragen will: Wie tief könnt ihr eigentlich sinken, so genannte Journalisten?