In Brasilien werden täglich laut offiziellen Angaben durchschnittlich 137 Morde verübt, die Dunkelziffer dürfte sehr hoch sein.
Touristen in Bahia nehmen derzeit besonders interessante Urlaubsfotos in ihre Heimatländer der Ersten Welt mit. Scharfschützen, martialisch aufgebaut vor den vielgerühmten barocken Kirchen von Salvador da Bahia, martialische Militärpatrouillen, das gab es lange nicht zu sehen. Die politisch Interessierten unter den ausländischen Touristen werden sich, falls des Portugiesischen mächtig, mit Einheimischen an den Tisch setzen und unglaublich viele teils hochdramatische, grauenhafte Fakten und Zusammenhänge besonders aus den riesigen Slums erfahren, was in den auf Imagepflege bedachten Lokalblättern Bahias indessen nicht mitgeteilt wird. Gespräche mit informierten Einheimischen sind aufschlußreicher Anschauungs- und Nachhilfe-Unterricht über die Menschenrechtslage in einem Teilstaat, der von einem Gouverneur aus Lulas Arbeiterpartei PT „regiert“ wird.Wer die tatsächliche Lage in Bahia, fern der infantilen Propaganda, kennt, wird künftig das Lachen der Acarajé-Verkäuferinnen ganz anders interpretieren.
Brasiliens größte Qualitätszeitung „Folha de Sao Paulo“, Ausriß:“Mit Streik der Militärpolizei hat Salvador Welle von Tötungen und Plünderungen. Zwei Wochen vor dem Karneval, schädigt die Angst vor Gewalt den Tourismus und schließt die Pforten des Handels, Armee besetzt Straßen.“
“Mord in Itabuna” – anklicken: http://www.vermelhinhodabahia.com/2012/02/morte-em-itabuna-agora-foi-um.html
http://www.vermelhinhodabahia.com/2012/02/homem-sangrado-na-madrugada-de-itabuna.html
Video von Geschäftsplünderung – anklicken:http://www.bahianoticias.com.br/principal/noticia/110575-video-mostra-acao-de-saqueadores-na-loja-selfshop-piraja.html
Manche ausländische Touristen in Bahia werden mit Urlaubsreisen in andere Länder Lateinamerikas und der Karibik vergleichen und bestimmte Vergleiche zu Brasiliens Spezialdemokratie anstellen. Und sich fragen, warum in bestimmten kommerziellen Brasilien-Reiseführern so vieles fehlt, was man mit eigenen Augen gesehen, von politisch-sozial gut informierten Einheimischen erfahren hatte.
Die Blätter Rio de Janeiros verfahren längst genauso, seit die Stadt für Olympia und Fußball-WM ausgesucht wurde.
Wie in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften die Situation gemäß geltenden Regelungen interpretiert wird:
Bahia leidet nach Angaben dortiger Tourismusunternehmer seit einigen Jahren darunter, daß die bislang stark vertretenen inländischen Touristen, vor allem aus Sao Paulo, es vorziehen, angesichts des günstigen Wechselkurses, des künstlich stark überbewerteten Real, in sicheren Ländern der Ersten Welt Urlaub zu machen.Nicht wenige Touristenhotels von Bahia sind daher inzwischen auffällig leer, zumal auch ausländische Touristen ausbleiben. Wie Landesmedien in den Tagen der Mordserie von Bahia schrieben, will die Regierungs-Tourismusagentur Embratur versuchen, mehr ausländische Touristen anzulocken. Brasilianische Touristen hätten 2011 im Ausland 21,1 Milliarden Dollar ausgegeben – ausländische in Brasilien dagegen nur 6,7 Milliarden Dollar. Auffällig viele Brasilianer reisen wiederholt nach Kuba, obwohl der Karibikstaat keinerlei auffällige Tourismuswerbung in Brasilien betreibt.
Laut Landesmedien wurde von der Rousseff-Regierung ein Projekt zur Mord-Reduzierung gestoppt:
“Governo suspende plano para reduzir homicidios.”(O Globo)
“O governo suspendeu, por tempo indeterminado, a elaboração de um plano de articulação nacional para a redução de homicídios, um dos pilares da política de segurança pública anunciada pelo ministro da Justiça, José Eduardo Cardozo, no início do ano. A decisão surpreendeu e irritou integrantes do Conselho Nacional de Segurança Pública (Conasp), que acompanham a escalada da violência no país.”( O Globo)
Damit stellt sich u.a. angesichts der Lage in Bahia für viele Brasilianer die Frage, wieviele Menschenleben die derzeitige offizielle Menschenrechtspolitik bereits gekostet hat. Auch die Zahl der Crack-Toten, Opfer der geltenden Drogenpolitik angesichts der Crack-Epidemie, wird nicht offiziell bekanntgegeben.
Chico Buarque: http://www.youtube.com/watch?v=9jM07LOV_as
http://www.youtube.com/watch?v=EbVm1EXbAuA
Meu caro amigo me perdoe, por favor
Se eu não lhe faço uma visita
Mas como agora apareceu um portador
Mando notícias nessa fita
Aqui na terra tão jogando futebol
Tem muito samba, muito choro e rock’n’roll
Uns dias chove, noutros dias bate sol
Mas o que eu quero é lhe dizer que a coisa aqui tá preta
Muita mutreta pra levar a situação
Que a gente vai levando de teimoso e de pirraça
E a gente vai tomando e também sem a cachaça
Ninguém segura esse rojão
Meu caro amigo eu não pretendo provocar
Nem atiçar suas saudades
Mas acontece que não posso me furtar
A lhe contar as novidades
Aqui na terra tão jogando futebol
Tem muito samba, muito choro e rock’n’roll
Uns dias chove, noutros dias bate sol
Mas o que eu quero é lhe dizer que a coisa aqui tá preta
É pirueta pra cavar o ganha-pão
Que a gente vai cavando só de birra, só de sarro
E a gente vai fumando que, também, sem um cigarro
Ninguém segura esse rojão
Meu caro amigo eu quis até telefonar
Mas a tarifa não tem graça
Eu ando aflito pra fazer você ficar
A par de tudo que se passa
Aqui na terra tão jogando futebol
Tem muito samba, muito choro e rock’n’roll
Uns dias chove, noutros dias bate sol
Mas o que eu quero é lhe dizer que a coisa aqui tá preta
Muita careta pra engolir a transação
E a gente tá engolindo cada sapo no caminho
E a gente vai se amando que, também, sem um carinho
Ninguém segura esse rojão
Meu caro amigo eu bem queria lhe escrever
Mas o correio andou arisco
Se me permitem, vou tentar lhe remeter
Notícias frescas nesse disco
Aqui na terra tão jogando futebol
Tem muito samba, muito choro e rock’n’roll
Uns dias chove, noutros dias bate sol
Mas o que eu quero é lhe dizer que a coisa aqui tá preta
A Marieta manda um beijo para os seus
Um beijo na família, na Cecília e nas crianças
O Francis aproveita pra também mandar lembranças
A todo o pessoal
Adeus
Chico Buarque über die Dekadenz der Sambaschulen Brasiliens – 2012 sind bei den Proben für die Karnevalsparade so monoton und extrem schnell getrommelte Samba-Enredos zu hören, daß es wie die Umsetzung von Techno und Rio-Funk erscheint. Samba-Experte Nei Lopes wies im Januar 2012 in seiner Musikkolumne tiefironisch darauf hin, daß Samba und Sambaschule keineswegs das gleiche seien, miteinander zu tun hätten. In nicht wenigen Medien deutschsprachiger Länder gilt indessen weiter die Sprachregelung, jene merkwürdig, während der Karnevalsparade präsentierte Musik als Samba zu klassifizieren. Chico Buarque sieht es anders:
Tags: , Elend in Brasilien, Missionarin Marianne Diener´, Rhein-Neckar-Zeitung
Das riesige, an Ressourcen reiche Land Brasilien hat viele Gesichter. In weiten Teilen des Südens und in der Mitte ist es erschlossen und weit entwickelt. Im heißen Norden sieht es jedoch ganz anders aus. Dorthin reicht der Arm des Staates nur selten. Die Menschen im Mündungsgebiet des Amazonas sind nur mit dem Schiff zu erreichen. Viele sind bettelarm, leiden an Krankheiten und Mangelerscheinungen. Es gibt kaum soziale oder medizinische Versorgung. Dort wird Hilfe dringend gebraucht.
Welche Art von Hilfe können Sie leisten?
In den letzten vier Jahren gehörte ich zu einer Gruppe, die von der Millionenstadt Belém am Atlantik mit mobilen Arzt- und Zahnarztpraxen in die vernachlässigten, isolierten Regionen ging. Medizinische Behandlung, Unterweisung in Gesundheitsvorsorge und die Verkündung des christlichen Glaubens waren die Schwerpunkte. Meine Aufgabe war es, die Einsätze vorzubereiten und zu organisieren, im Vorfeld Kontakt mit den Menschen vor Ort aufzunehmen, Einsatzorte zu bestimmen und Transportwege zu erkunden. Um medizinische Hilfe leisten zu können, absolvierte ich in Brasilien die Ausbildung zur Krankenschwester.
Was bewog Sie, in die Mission zu gehen?
Nach meiner Ausbildung zur Paramentenstickerin und mehreren Jahren Berufserfahrung, weilte ich privat zu einem Aufenthalt in Brasilien. Die Zustände in den Armenvierteln bewegten mich tief. Anhand der Bibel wollte ich das gesehene Elend begreifen, suchte nach Antworten und fragte mich: “Was ist meine Gabe, die ich zum Helfen einsetzen kann?”
CeBIT Hannover und Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/18/cebit-2012sudamerikas-shooting-star-zu-gast-in-hannover-partnerland-brasilien-staatschefin-dilma-rousseff-kommt/
…
Was wird Ihr neuer Wirkungskreis sein?
Ich werde wieder nach Belém in den Bundesstaat Para in Nord-Ost-Brasilien gehen. Dort gehöre ich zu einem Team, das sich für die Bewohner am Rande der Müllhalde der Metropole einsetzt. Diese Menschen leben von dem riesigen Müllberg und arbeiten dort unter schrecklichen, gesundheitsgefährdenden Bedingungen. (Rhein-Neckar-Zeitung)
Missionarin Marianne Diemer wirkt in dem Amazonas-Teilstaat Pará, aus dem Deutschland vom Minenkonzern Vale den größten Teil des benötigten Eisenerzes bezieht. Vale wurde jetzt zum übelsten Unternehmen der Erde gekürt, wird laut Handelsblatt von der Rousseff-Regierung über Beteiligungen kontrolliert, macht jährlich gigantische Gewinne.Diese dienen, wie das Beispiel der deutschen Missionarin Marianne Diemer zeigt, indessen nicht, wie versprochen, der Elendsbekämpfung.
Brasilias Politik wird in Deutschland von interessierter Seite häufig als “progressiv” gelobt.
Leonardo Boff: “Lula machte die größte Revolution der sozialen Ökologie des Planeten, eine Revolution für die Bildung, ethische Politik.“
Missionarin Barbara Ludewig: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1201698/
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/
Die Slums in Belem:
Die Lebensumstände in den Hütten und Baracken, bei tropischer Hitze, starken Gewitterregen…
Slum-Großfeuer: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/12/slum-sao-paulos-in-flammen-tv-video-uber-2000-favelas-in-der-megacity/
Bischof Bernardino sagte in Sao Paulo den Kirchenmedien vor dem Adveniat-Gottesdienst, Brasiliens durchlebe derzeit eine enorme politische Krise. Brasilien sei zwar theoretisch eine Republik, doch die republikanischen Prinzipien würden mißachtet. In der Verfassung von 1988 heiße es, alle Brasilianer hätten die gleichen Rechte. “Doch in Wahrheit ist dies eine Lüge.” Es reiche aus, in die Slums zu gehen. “Wir müssen uns von der Diktatur der wirtschaftlichen Macht befreien – und von einer politischen Macht, die sich der wirtschaftlichen Macht unterwirft.”
Überlebende des jüngsten Großfeuers der Favela kampieren an der Straße.
Beim staatlich gesponserten Weltsozialforum in Belem spielte die hohe Konzentration von grauenhaftesten Pfahlbau-Slums in der Millionenstadt kaum eine Rolle – Belem ist indessen selbst laut offiziellen Angaben die brasilianische Stadt mit den meisten präkären Behausungen des Landes. Laut Zensus von 2010 überleben 53,9 Prozent der zwei Millionen Belem-Bewohner in derartigen “aglomerados subnormais”. Es handelt sich um provisorische Hütten auf Pfählen über fauligem Wasser, in das alle Notdurft verrichtet, aller Abfall geworfen wird. Steigt bei Hochwasser, nach starken Regengüssen der Wasserstand an, dringt diese Mischung in die Hütten ein, bewirkt entsprechende Krankheiten und Epidemien. Natürlich war auch beim Weltsozialforum 2012 in Porto Alegre kein Thema, wieso es im “Boomland” Brasiliens eigentlich unter Lula-Rousseff noch solche unsozialen Zustände gibt. Unweit von Belem agiert der weltgrößte Eisenerzerzeuger, der laut Handelsblatt von der Rousseff-Regierung über Beteiligungen de facto kontrollierte Minenkonzern Vale – mit interessanten Gewinnmargen.
Unterdessen stellte sich heraus, daß die in den letzten Jahren mit großem Propagandaaufwand gestarteten Bauprojekte für die ärmere Bevölkerung größtenteils nur auf dem Papier stehen: Gemäß einer neuen CGU-Studie wurden sieben von zehn derartigen Vorhaben garnicht realisiert, handelt es sich bei 74 Prozent der angekündigten Milliardeninvestitionen lediglich um Versprechungen.
Die Favela do Moinho liegt nahe dem City-Viertel Cracolandia, Crack-Land, wegen der offenen Crack-Szene: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/07/brasiliens-crack-epidemiecrack-in-sao-paulo-das-problem-wird-weiterverbreitet-du-auf-der-strase-her-mit-dem-handy-brasiliens-grausige-beschaffungskriminalitat/
Der jüngste Großbrand – anklicken: http://www.flickr.com/photos/59161888@N03/6623359609/
“Sternsinger-Hilfe kommt an”: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/02/01/sternsinger-hilfe-kommt-an-projekte-in-brasilien-und-indien/
In den aus Pappe und Holzresten sowie anderen leicht brennbaren Materialien errichteten Elendsvierteln Sao Paulos brechen immer wieder Großfeuer aus, kommen zahlreiche Verelendete in den Flammen um. Dies gilt auch für die Innenstadt-Favela do Moinho, an deren Hütten und Baracken unglaublich dicht Züge vorbeifahren. Nach dem letzten Großbrand kampieren zahlreiche überlebende Slumbewohner auf dem Fußweg einer nahen Straße. Was diese Menschen zusätzlich auszustehen haben, wenn starke Tropengewitter toben, kann man sich leicht vorstellen.
Leonardo Boff: “Lula machte die größte Revolution der sozialen Ökologie des Planeten, eine Revolution für die Bildung, ethische Politik.“
Ausriß. Letztes Großfeuer in der Favela do Moinho.
Fotos von Ende Januar 2012. Lateinamerikas reichste Stadt Sao Paulo und die Überlebenden des Moinho-Großbrands.
Brasiliens Goethe-Gesellschaft:
Brasiliens katholische Kirche, Adveniat unterstützen die Slumbewohner.
Brasiliens Wachstumsbranche Crack – Havanna reagiert weiter zurückhaltend, anti-marktwirtschaftlich: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/16/brasiliens-crack-kinder-unter-lula-rousseff-trotz-offiziellem-kinderstatut-zahlreiche-kinder-landesweit-als-kunden-der-crack-wachstumsbrance/
Viele Slumbewohner überleben als Abfallsammler.
Hausen an stinkender Kloake – in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo. “Ich lebe hier schon 14 Jahre so in dieser Kate.”(Mutter von vier Kindern) Cachoeirinha-Slum, nahe dem Platz des Adveniat-Gottesdiensts.
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/07/eu-lateinamerika-karibik-stiftung-startet-in-hamburg/
Der Teilstaat Sao Paulo ist die führende Wirtschaftsregion Lateinamerikas mit der entsprechenden Konzentration von Ober-und Mittelschicht – man kann sich daher vorstellen, wie die Slums in den stark unterentwickelten Regionen des Nordens und Nordostens der siebtgrößten Wirtschaftsnation aussehen.
Infolge der menschenunwürdigen Überlebensbedingungen sind in den Favelas von Sao Paulo typische Slumkrankheiten überall sichtbar – von Behinderungen fast jeder Art bis hin zu Asthma, verschiedenstem Hautausschlag und Lepra. Der Slum Rocinha in Rio de Janeiro hat laut Landesmedien die höchste Tuberkuloserate Brasiliens.
“Brasilien ist eine Industriemacht, die achtgrößte Wirtschaftsnation der Welt, modern und fortschrittlich.”
“Progressive Regierung”.
Derartige Lebensverhältnisse in der siebtgrößten Wirtschaftsnation verletzen, legt man bestimmte Wertvorstellungen zugrunde, Basis-Menschenrechte, Gesetze, Verfassung, internationale Konventionen – gemäß heute in neoliberalen Ländern wie Deutschland dominierenden Bewertungskriterien ist die Situation in den Slumhütten, das gesamte komplexe Spektrum der sozialen Lage Brasiliens, indessen Ausdruck fortschrittlicher, moderner Politik in einem Boomland, das daher, ebenso wie seine politisch Verantwortlichen, entsprechend viel Lob erhält.
http://www.adveniat.de/blog/?p=960
“Die Wirtschaftskrise hat Brasilien kaum gespürt”(WAZ)
Der soziale Aufstieg von Lula: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/04/lula-bekommt-500000-dollar-von-lg-fur-vortrag-in-sudkorea-laut-brasilianischen-landesmedien-uber-eine-million-dollar-damit-vier-monate-nach-ende-der-amtszeit-kassiert-laut-kalkulation-von-parte/
“Ich habe sechs Kinder – mit dem im Bauch sinds dann sieben.”
Eingang zu völlig fensterloser Kate.
“Wirtschaftsmacht der Zukunft”:
Spürbare Preissprünge bei brasilianischen Lebensmitteln in den letzten Monaten.
Lateinamerikas teure Lebensmittel – Preissteigerungen um 40 Prozent in den letzten vier Jahren – Gefahr für Hungerbekämpfung: http://exame.abril.com.br/economia/mundo/noticias/precos-dos-alimentos-na-america-latina-sobem-40-em-4-anos–2
Wie in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften die Situation interpretiert wird:
Brasiliens soziale Kontraste: http://www.hart-brasilientexte.de/tag/soziale-ungleichheit-in-brasilien/
Aktivisten der katholischen Basisgemeinde von Cachoeirinha. “Das ist gegen die Menschenwürde, so viele Leute in diesem Schlamm, diesem Moder hausen zu lassen. So viele Familien, mit vielen Kindern, leben hier nur in einem einzigen Hüttenraum, vor der Türöffnung hängt ein Lappen – so ist das. Die Mafia der Drogengangster ist hier sehr stark, die beobachten alles und jeden hier, das ist furchtbar. Wer jemanden aus dem Drogenmilieu, aus der Sucht rausholen will – also jemanden, der für deren Profit sorgt, da werden die böse, da wird man gnadenlos verfolgt. Die Polizei kommt und geht wieder – aber die Banditenkommandos bleiben, terrorisieren, zwingen den Bewohnern das Gesetz des Schweigens auf. Wer sich nicht unterwirft, weiß, was ihn erwartet. 2014 ist die Fußball-WM, da will man Brasilien als Land der Ersten Welt erscheinen lassen – aber hier an der Peripherie ist es nach wie vor triste. Die meist kinderreichen Familien haben monatlich nur so um die 200, 220 Real maximal. Doch im Ausland wird verbreitet, alles toll, alles gut in Brasilien. Wir merken, es ist schwierig, Menschen von außerhalb für diese Situation zu sensibilisieren, die das hier nicht kennen, es sich nicht vorstellen können. Wir haben unsere christlichen Kriterien, und wir haben Ausdauer – das macht den Unterschied. Denn entweder ist man Christ – oder ist mans nicht, halbe-halbe geht nicht.”
Favelakinder Sao Paulos – Fotoserie: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/favelakinder-in-sao-paulo-gesichter-brasiliens/
Mittwoch, 11. Mai 2011 von Klaus Hart **
Avenida Paulista, Sao Paulo.
Zwei Crack-Süchtige, laut brasilianischen Augenzeugen, vor Bahnhofseingang, Dezember 2011, nahe der Kulturbehörde des Teilstaats Sao Paulo. Im Dezember hat Brasiliens Regierung zum wiederholten Male eine Anti-Drogen-Kampagne verkündet – zahlreiche Kampagnen dieser Art waren in den vergangenen Jahrzehnten gestartet worden – mit den bekannten Resultaten.
Crack-Epidemie unter der Lula-Rousseff-Regierung: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/03/brasiliens-crack-epidemie-unter-der-rousseff-regierung-wie-crack-wirktverkehrsumleitung-wegen-offener-crack-szene-die-strasen-total-verstopft-in-sao-paulo/
Weltsozialforum-Erfinder Oded Grajew: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/20/weltsozialforum-2010-in-porto-alegre-und-brasilien-das-system-hier-ist-einfach-verfault-weltsozialforum-erfinder-oded-grajew-in-sao-paulo/
Tags: , Belo Monte, Dilma Rousseff
Laut Brasiliens Landesmedien zahlt die Rousseff-Regierung seit April die fällige Quote von 6,5 Million Dollar nicht, was die Organisation zu drastischen Einsparungen, darunter Entlassungen zwinge. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation hatte von der Rousseff-Regierung den Stopp des Baus des Amazonas-Wasserkraftwerks “Belo Monte” verlangt. Die Rede ist von “Repressalien Brasiliens” gegen die Organisation Amerikanischer Staaten.
http://www.bpb.de/publikationen/JU16H0,0,Vom_Umgang_mit_der_Diktaturvergangenheit.html
Folter in der größten Demokratie Lateinamerikas: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/12/folter-ohne-ende-tortura-sem-fim-brasiliens-soziologiezeitschrift-sociologia-uber-folter-unter-der-lula-regierung/
Manche Medien berichten über Brasiliens gravierende Menschenrechtslage – andere nicht.
The best of non-profit advertising and marketing for social causes
Posted by Marc | 12-05-2008 23:21 | Category: Human rights, Media
Two ads from Associação Brasileira de imprensa, the Brazilian press organisation.
Copy: “A censura nunca desiste. Ela sempre volta disfarçada. 3 de Maio Dia Mundial da Liberdade de Imprensa.”
“The censorship never gives up. It always return disguised. 3th of May, world day for the freedom of press.”
I have seen more censorship ads from Brazil in the past. What going on? Is censorship a big problem in Brazil?
”Leider sind es nicht mehr so viele, die die ganze Wahrheit wissen wollen. Man biegt sehr schnell ab, um bei seiner Meinung bleiben zu können – und bei den als angenehm empfundenen Lösungen. Ich habe mir angewöhnt, Leute danach zu beurteilen: Wieviel Wahrheit erträgt jemand?” Deutscher Menschenrechtsbeauftragter Günter Nooke im Website-Interview 2009.
Samstag, 10. Dezember 2011 von Klaus Hart **
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/
http://brueckenbauer.blogspot.com/2011_05_01_archive.html
“Jeden Tag wird in Brasilien gefoltert.” Ausriß 2011
Texte von 2011:
Der Militär-und Medien-Zirkus um die „Erstürmung“ und „Eroberung“ der Rio-Slumregion „Complexo do Alemão“ wäre schon jetzt ein heißes Thema auch für Deutschlands Kommunikationswissenschaftler – aber wie es aussieht, trauen sie sich nicht. Als „Farce“ hatten brasilianische Rechtsexperten und Menschenrechtspriester die Slumbesetzung vom letzten November verurteilt – und schneller als erwartet ausgerechnet von der Gegenseite die Beweise geliefert bekommen. Die schwerbewaffneten Banditenkommandos des organisierten Verbrechens sind rasch zurückgekehrt, zitieren Brasiliens Landesmedien aus vertraulichen Militärberichten. Die Gangster haben, wie es heißt, wieder Verkaufspunkte für harte Drogen installiert, der hochprofitable Rauschgifthandel geht perfekt neoliberal weiter. Der Terror gegen Bewohner des Parallelstaats der Slums ebenfalls – trotz Militärpräsenz sind mindestens vier Menschen ermordet worden. Eine Frau wird zur Abschreckung totgeschlagen, weil sie an der Plünderung eines Banditenhauses teilnahm – TV-Teams auch des Auslands hatten solche Volkszorn-Szenen am Start der Militäroperation gern gefilmt. Doch nun beklagen sich die Bewohner ausgerechnet über eine unzureichende Präsenz von brauchbaren Polizisten – von den Militärs würden die herumstreunenden Banditen gar nicht bemerkt. Viele Soldaten stammen ja just aus diesen Slums. Zudem seien 42 Militärpolizisten zwar wegen Raub, Erpressung und Übergriffen gegen die Bewohner angezeigt, doch bisher nicht bestraft worden.
Die militärische Besetzung ist Modell und Beispiel für das ganze Land, sagt der neue Justizminister Cardozo – hat er es gar böse-ironisch gemeint? Panzer, martialisch wirkende Militärpatrouillen, deren Fotos gern auch in die Erste Welt durchgeschaltet werden, sind den Angaben zufolge jedenfalls keinerlei Hindernis für die Banditenkommandos des organisierten Verbrechens. Das mag für Mitteleuropäer bizarr, grotesk, unglaublich erscheinen, für unsereinen hier ist es banale Normalität.
Immer wieder wird in der Ersten Welt behauptet, in den lateinamerikanischen Ländern zeige sich deutlich, dass die bisher praktizierte Drogenbekämpfung per Polizei und Militär nichts bringe, man sich andere Konzepte überlegen müsse. Was denn für eine Drogenbekämpfung, möchte man gegenfragen. In der Banken-City von Sao Paulo beispielsweise, der führenden Wirtschaftsmetropole Lateinamerikas, wird Crack, die zerstörerischste harte Droge, direkt neben Polizeipräsidien, Polizeiwachen massenhaft und offen verkauft und ebenso offen gleich von Hunderten konsumiert. Die Beamten im Hauptsitz der Stadtgendarmerie schauen direkt auf eine kilometerlange Straße, in der sich ganze Horden grauenhaft verwahrloster und abgemagerter Gestalten mit Crack zügig ins Jenseits befördern. Manche Brasilianer fragen daher, ob es nicht eher so ist, dass die Sicherheitskräfte, von Ausnahmen abgesehen, der unter Staatschef Lula aufgeblühten Crack-Branche eine ordentlich-angenehme Abwicklung der Geschäfte garantieren. 1,2 Millionen Brasilianer sind laut Expertenschätzungen bereits Crack-süchtig. Kenarik Felippe von der angesehenen nationalen Richtervereinigung für Demokratie (AJD): „Der Staat ist ins organisierte Verbrechen verwickelt. Besonders die Slumbewohner leiden stark unter der Gewalt durch Polizei, paramilitärische Milizen und die Banditenkommandos. Im ganzen Land, und nicht nur in Rio de Janeiro, foltern Staatsangestellte, gibt es Todesschwadronen, zu denen Staatsbeamte gehören. Man redet nur von den kleinen Fischen im Rauschgiftgeschäft, nicht von den Drogenbaronen.“ Der Richter und AJD-Präsident Luis Barros Vidal fordert, die „Farce von Rio“ auf keinen Fall zu unterstützen. „Die Geheimdokumente der Militärs zeigen, dass die Drogenmafia, der Drogenhandel in diesen Slums fortbestehen. Die regierenden Autoritäten, die von einem groß angelegten Krieg gegen die organisierte Kriminalität sprachen, machten also leere, falsche Versprechen, handeln unredlich. Wir sehen die Resultate – Tote und nochmals Tote. Selbst UNO-Friedenstruppen wären erfolglos, weil vordringlich soziale und wirtschaftliche Probleme gelöst werden müssen, die Slumbewohner vor allem feste Arbeitsplätze brauchen.“ Niemand wisse das besser als die brasilianische Regierung, früher unter Lula, jetzt unter Dilma Rousseff. „Todesschwadronen sind derzeit in Rio aktiv – doch auch in Sao Paulo, landesweit, straflos“, fügt Richter Vidal gegenüber dem Blättchen hinzu, in Brasilien fehle eine Kultur der Menschenrechte. Zu erkennen seien „starke Merkmale eines totalitären Staates, der das Gesetz nicht respektiert“; mit Blick auf Fußball-WM und Olympische Spiele am Zuckerhut werde ein Medienspektakel veranstaltet.
Und das hatte es von Anfang an in sich. In brasilianischen Qualitätsmedien, die nur einen winzigen Bruchteil der Bevölkerung erreichen, hieß es immerhin, die jüngsten Polizei-und Militäroperationen seien nur für das Ausland gedacht – de facto ändere sich nichts. Rio habe wegen der geplanten Sportereignisse international Kompetenz demonstrieren müssen, um Milliardeninvestitionen zu erhalten. Es werde wieder Wahlen geben – und die Politiker würden erneut Gelder des organisierten Verbrechens brauchen.
In mitteleuropäischen Medien weiß man’s offenbar viel besser. Rio de Janeiro wolle mit dem Drogenhandel Schluss machen, wird freundlicherweise unterstellt, obwohl sogar Rios Sicherheitschef Beltrame öffentlich erklärt, dies keineswegs vorzuhaben.
Aber richtig klasse ist der Mediengag über die „heldenhafte“ Einnahme jenes „Complexo do Alemão“: Unentwegt ballern Polizei und Militär fotogen auf nicht vorhandene Gegner, was das Zeug hält. Alles wird von zahlreichen TV-Teams direkt an der Seite der Einheiten begeistert abgefilmt und teuer weltweit verbreitet. Sozusagen „sturmreif geschossen“ fehlt nur noch die „Eroberung“ des Slumkomplexes. Dies geht so vonstatten, dass Soldaten und Elitepolizisten mit handverlesenen Journalisten einfach die Gassen zur Slumspitze hochgehen und dort die Landesfahne hissen. Schließlich hatte man den Banditenkommandos tage-und nächtelang reichlich Zeit und Möglichkeiten zum Rückzug in üblicher Guerilla-Taktik gegeben und auf eine Einkesselung verzichtet – die Gangster verteilten sich auf andere der weit über 1.000 Rio-Slums.
Wohl einmalig in der Fernsehgeschichte, wie der TV-Globo-Nachrichtenkanal vom Hubschrauber aus den problemlosen Rückzug der schwerbewaffneten Banditenkommandos aus dem Slum Vila Cruzeiro direkt übertrug. Die Konditionen, um die Banditen zu schnappen, waren bestens.Warum, so ist zu fragen, ließen Polizei und Armee die Gangster entkommen? Man saß vor dem Fernseher und traute seinen Augen nicht. Stundenlang sah man von nahem, wie sich die Verbrecherkommandos davonmachten, und bekam es von Polizeiexperten auch noch kommentiert: „Kampfhubschrauber wie die im Vietnamkrieg greifen jetzt nun mal leider nicht ein.“
Jahrzehntelang, so wird in Europa verbreitet, wagten sich die Sicherheitskräfte angesichts übermächtiger Banditenpräsenz nicht in den „Complexo do Alemão“ – umso mehr sei daher die Rückeroberung zu würdigen. Sind Lula und seine Nachfolgerin Dilma Rousseff also wahrhaft todesmutig, weil sie den Slumkomplex noch vor der „Erstürmung“ besuchten? Spaß beiseite – Lula war 2008, 2009 und sogar im Oktober 2010, kurz vor dem Militäreinsatz, im „Complexo do Alemão“, hatte teils sogar Ehefrau Marisa dabei. Rios Polizei und Militär kennen die Favela-Gegend bestens, 2002 wurden zur Besetzung gar 50.000 Mann aufgeboten. Mehr Sicherheit gibt’s deshalb nicht – seit 2007 wurden in Rio über 25.000 Gewalt-Tote gezählt.
Jetzt, nach vertraulichen Militärberichten, weist die Leiterin eines angesehenen kirchlichen Rio-Sozialprojekts auf ein „großes Massaker im „Complexo do Alemão“, wobei vor allem Jugendliche getötet, doch keinerlei Informationen darüber freigegeben wurden. Laut Uni-Anthropologen Luiz Mott, angesehenster Schwulenaktivist des Tropenlandes, hält Brasilien bei Morden an Homosexuellen weltweit eine „grauenhafte Führungsrolle“, verschlechterte sich unter Lula die Situation der Gays. Bei Tötungen durch Schusswaffen liegt Brasilien gemäß NGO-Daten an der Spitze, 92 Prozent der Rio-Morde bleiben straffrei.
Gregor Gysi von der deutschen Partei DIE LINKE gilt als Rechtsexperte, war 2010 in Brasilien, kennt daher sicherlich die Positionen der dortigen Richtervereinigung für Demokratie gut – und schlussfolgert: „Von allen linken Präsidenten hat Lula, der als am wenigsten links eingeschätzt wird, die größten Erfolge.“
Brasiliens neue Staatspräsidentin, zuvor Lulas Chefministerin, verschont die Nation bisher mit dem vom Ziehvater gewohnten Schwall aus Propagandareden – dafür haben es die politischen Ereignisse in sich.
Der angesehene kirchliche Menschenrechtsanwalt Sebastiao Bezerra da Silva wurde sadistisch gefoltert und ermordet – auch in den acht Regierungsjahren zuvor war das Verfolgen von Menschenrechtsaktivisten normal. Silva ermittelte gegen die landesweit aktiven, von Staatsangestellten geleiteten Todesschwadronen, gegen folternde Militärpolizisten und bekam deshalb Morddrohungen. Im archaischen nordöstlichen Teilstaat Maranhao, der laut Kirchenangaben bei Gefängnis-Folter an der Spitze steht, kam es zur ersten Häftlingsrevolte unter Rousseff – sechs Männer wurden getötet, Fotos der abgeschlagenen Köpfe waren in den Regionalzeitungen zu sehen. Maranhao wird von Gouverneurin Roseane Sarney regiert, die mit Dilma Rousseff befreundet ist, und bei nettem privaten Beisammensein mit ihr zur Laute allerlei populäre Liebeslieder sang. Eine unabhängige Untersuchungskommission zum Häftlingsaufstand gibt es nicht, Brasilia reichen die Angaben der Militärpolizei – ein Relikt der Militärdiktatur. Der Teilstaat ist zudem Herrschaftsgebiet des Oligarchen José Sarney, der einst die Folterdiktatorenpartei ARENA führte – und heute als Senatspräsident den brasilianischen Nationalkongress. Mit ihm, dem hochwichtigen politischen Bündnispartner, feierte Dilma Rousseff ihren Wahlsieg – auch das spricht Bände.
Auch die neue Menschenrechtsministerin Maria do Rosario beschreibt – wie ihr Vorgänger – die größte lateinamerikanische Demokratie als Folterstaat, nennt Torturen in total überfüllten Gefängnissen und selbst in psychiatrischen Anstalten ein „gravierendes nationales Problem“. Als Dilma Rousseff noch zuständige Chefministerin war, hatten derartige Eingeständnisse allerdings keinerlei praktische Bedeutung. Gleiches gilt für den jetzt auf der Berlinale gezeigten sozialkritischen Streifen „Tropa de Elite 2“, der Brasiliens bedrückende Menschenrechtslage eindrücklich abbildet. Wie im Vorgängerfilm, der 2008 den Goldenen Bären gewann, gibt es wieder eine der für Rio de Janeiro typischen Scheiterhaufenszenen – weder Lula noch Rousseff haben sich jemals zu dieser in den Slums unweit des neuen ThyssenKrupp-Stahlwerks gängigen Hinrichtungs-und Einschüchterungspraxis geäußert.
Wie es sich gehört, hat Brasilien als vielgelobte Demokratie und strategischer Partner auch der Berliner Regierung natürlich die UNO-Menschenrechtsabkommen unterzeichnet. Von möglichen Sofortmaßnahmen der Rousseff-Regierung zwecks Umsetzung ist aber nichts bekannt. Dafür erfährt man aus einer jetzt veröffentlichten Studie, was sich unter dem Gespann Lula-Rousseff noch so entwickelte. Bei Tötungen durch Schusswaffen liegt Brasilien weltweit an der Spitze – und von drei Ermordeten sind zwei schwarz. Der Soziologe Julio Waiselfisz, dessen Team die Studie erarbeitete, spricht von „Merkmalen der Ausrottung, Vernichtung“ und von fehlender öffentlicher Sicherheit für die arme, mehrheitlich schwarze Bevölkerung. Mit der öffentlichen Sicherheit passiere dasselbe wie bei Bildung, Gesundheit, Sozialversicherung – es werde privatisiert. „Wer kann, zahlt für privaten Sicherheitsdienst. Die Schwarzen gehören zu den Ärmsten, leben in Risikozonen und können nicht zahlen.“
Laut unvollständigen Statistiken werden in Brasilien jährlich immerhin etwa 55.000 Menschen ermordet. Die UNICEF ergänzt: Bei Morden an 15-bis 19-Jährigen liegt Brasilien weltweit an der Spitze, 38 Prozent der brasilianischen Jugendlichen leben in Armut und Misere. Die Rousseff-Regierung sollte daher in Programme für Gesundheit, Bildung und Sicherheit investieren, die sich gezielt an die 33 Millionen Heranwachsenden zwischen 10 und 19 Jahren richten. Aber irgendwie scheint Brasilia gar nicht so gut bei Kasse zu sein, wie Lula unter Hinweis auf angeblich fette Devisenreserven stets verkündete. Als die hausgemachte Erdrutsch-Umweltkatastrophe im Januar bei Rio de Janeiro rund tausend Todesopfer forderte – etwa 500 Menschen werden noch vermisst – fehlte es den Rettungsmannschaften arg an Mitteln und Ausrüstung, weil zuvor beim Katastrophenschutz extrem gespart worden war. Als Präsidentin Rousseff die Region besuchte, wurde sie mit ihren eigenen Fehlleistungen aus der Zeit als Chefministerin direkt konfrontiert. Das großflächige Abholzen und Bebauen von Steilhang-Risikozonen war erlaubt und wurde sogar gefördert– doch nun bettelt Rousseff gar die Weltbank um einen Milliardenkredit an, damit Slumbewohner aus entsprechenden Zonen umgesiedelt werden können. Bereits 2008 wurde die Region von einer solchen Umweltkatastrophe heimgesucht – und der Lula-Regierung vorgerechnet, für Präventivmaßnahmen nur 12 Prozent (!) der vorgesehenen Haushaltsmittel investiert zu haben. Sogar die UNO wirft Lula vor, bereits 2005 ein Katastrophenwarnsystem versprochen zu haben, das aber immer noch nicht funktioniere.
Um 2010 Rousseffs Wahlsieg zu garantieren, wurden die Regierungsausgaben, darunter für Propaganda, stark erhöht. Derzeit werden sie, notgedrungen, drastisch zurückgefahren, denn die Sozialbewegungen protestieren heftig, weil Präsidentin Rousseff die Anhebung des Mindestlohns deutlich unter der kräftigen Teuerungsrate hielt. Die umgerechnet etwa 248 Euro brutto monatlich passen schwerlich zu den erneuten Versprechen, nun aber wirklich Hunger und Misere auszutilgen. Das Mindestsalär bekommen laut offiziellen Angaben 29,1 Millionen registriert oder unregistriert Beschäftigte sowie 18,6 Millionen Sozialversicherte, darunter zwei von drei Rentnern. Doch ein Großteil der unregistriert, ohne Arbeitsvertrag und rechtliche Absicherung Beschäftigten hat deutlich geringere Einkünfte – in einem Land mit inzwischen oft deutlich höheren Preisen als in Deutschland, gerade bei Grundnahrungsmitteln als in Deutschland – und in einer Phase schmerzhafter Preisanstiege.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch das Phänomen, dass Gewerkschaften inzwischen sogar Rechtsparteien applaudieren, weil die einen höheren Mindestlohn vorschlugen. Zugleich wird an die enormen Diätenerhöhungen der Kongresspolitiker sowie an das Einkommen von „Working Class Hero“ Lula erinnert. Seit Januar bekommt er monatlich allein als Ehrenpräsident der Arbeiterpartei umgerechnet rund 6.000 Euro, dazu die satten Bezüge als Ex-Staatschef. Zudem erhält er seit seinem 51. Lebensjahr eine Entschädigung von 1.900 Euro monatlich, weil er 31 Tage in Diktatur-Haft saß. Als ihm jetzt ein Unternehmen für einen Vortrag 100.000 Dollar Honorar anbot, lehnte Lula laut Landesmedien ab – entweder 200.000 Dollar oder kein Vortrag. Da bietet sich ein Vergleich mit den Hilfen des Anti-Hunger-Programms „Bolsa Familia“ an – denn 42 Prozent der Empfänger, also 5,3 Millionen Menschen, leben gemäß neuen Studien nach wie vor im Elend. Zwischen 14 und maximal 105 Euro werden monatlich ausbezahlt – pro Familie wohlgemerkt, meist sind sie kinderreich. Die Möglichkeit, Elend und Hunger unter den Bezugsempfängern rasch durch eine angemessene Hilfe zu beseitigen, werde nicht einmal erwogen, empören sich Kommentatoren. Die Regierung kürzt jetzt stattdessen sogar die Gelder eines Hausbauprogramms für die Unterschicht fast um die Hälfte.
Im Zuge des Rousseff-Starts erfuhr man auch, wie Brasilien heute kulturell tickt. Nach der Umweltkatastrophe erklärte die Präsidentin für mehrere Tage Staatstrauer, der Teilstaat Rio de Janeiro sogar für eine ganze Woche – doch selbst am Zuckerhut gingen die Vorkarnevalsfeste der Sambaschulen und andere karnevalistische Aktivitäten auf vollen Touren weiter. Renommierte Therapeuten und Sozialwissenschaftler haben auf diesen befremdlichen Umgang mit Tragödien aufmerksam gemacht. Andererseits – beim Kulturexport kommt das Riesenland laut UNO-Daten nur auf 0,2 Prozent des Weltvolumens, liegt auf Platz 26, gleichauf mit Rumänien. Zum Rousseff-Start verließ der Komponist und Dirigent John Neschling nach 14 Jahren frustriert das Land in Richtung Schweiz. Er hatte das völlig unbedeutende Sinfonieorchester Sao Paulos zu einem international anerkannten aufgebaut, wurde jedoch von der reaktionären Teilstaatsregierung gefeuert. Beim Weggang verwies er auf fehlende Kulturpolitik, eine paralysierende und unsensible Staatsbürokratie, brutalen Umgang mit Kulturgütern. Neschlings Rückkehr nach Europa ist symptomatisch, ein schmerzhafter Verlust für Brasilien.
In Ländern wie Deutschland betreibt eine bestimmte Gutmenschen-Szene um den einst interessanten brasilianischen Befreiungstheologen einen regelrechten Kult. Sie bewahrt ihn vor öffentlicher Kritik, die als politisch unkorrekt gälte. Im Tropenland dagegen wird Boff seit den neunziger Jahren zunehmend heftig kritisiert. Selbst frühere Anhänger werfen ihm Fehleinschätzungen über die katholische Kirche, intellektuelle Unehrlichkeit und Opportunismus vor. Boff sei eitel auf Medienpräsenz aus – was mit Verbalattacken auf Papst und Vatikan natürlich am leichtesten gelinge.
In der Tat wirkt Boffs Eindreschen auf den Papst infantil und lächerlich. Nationale Religionsexperten bescheinigen ihm eine unbestreitbare Rolle in der Reflexionsgeschichte Brasiliens, nennen ihn sehr intelligent und intuitiv. Boff spüre sehr gut bestimmte gesellschaftliche Probleme und Tendenzen, sei ein brillanter Professor. Doch seine Äußerungen müssten kritisch analysiert werden – andernfalls akzeptiere man häufig Dinge, die nicht der Wahrheit entsprächen.
In Deutschland sind evangelikale Wunderheiler-Sekten unbeliebt – Boff begrüßte indessen bereits im Jahr 2000 öffentlich die Expansion der Evangelikalen vorbehaltlos als Bereicherung. In Brasilien fasste man sich an den Kopf. Denn die evangelikalen Sektenkirchen propagieren massiv die „Theologie der Prosperität“, wonach materieller Wohlstand eine Gabe Gottes sei und durch die Macht des Glaubens erreicht werden könne. An Misere, persönlichem Misserfolg sei der Teufel schuld, den man auf speziellen Tempelsitzungen austreibe – wobei natürlich jeder Gläubige soviel Geld wie möglich an die Kirche spenden müsse. Mit dieser Theologie, analysieren Sozialwissenschaftler, verbreiten die Evangelikalen Illusionen, beuten die Leute aus, schaffen Leiden. Und fördern sogar Rassismus und Diskriminierung, da die schwarze Bevölkerung nunmehr nur deshalb arm sei, weil sie sündige. Gemäß aus Afrika ererbten Schlechtigkeiten werde sie als eine verfluchte Rasse angesehen, die sich von allen Vorfahren und Wurzeln lösen müsse.
Wenn Boff diese wie Wirtschaftsunternehmen funktionierenden Kirchen als Bereicherung auffasse, müsse man seine Bewertungen relativieren, zeige sich zunehmende Oberflächlichkeit. Im akademischen Umfeld, bei den Studenten sei Boffs frühere Attraktivität weg.
Boff müsste wissen, dass evangelikale Kirchen im Christlich-Ethischen mancherlei Sonderwege fahren. So wurde ein Bischof der politisch einflussreichen „Universalkirche vom Reich Gottes“, der Brasiliens zweitgrößter TV-Sender gehört, wegen Mordes eingesperrt. In Salvador da Bahia hatte er laut Polizei im Tempel gemeinsam mit zwei Pastoren einen 14-jährigen Jungen sexuell missbraucht und danach lebendig verbrannt.
Manche mögen Boff zustimmen, wenn er die Evangelikalen-Ausbreitung begrüßt, weil ihm „jede Art von Vielfalt“ so gefällt. Denn nun ist in rappelvollen „Gotteshäusern“ endlich mal echt was los, ziehen Ex-Killer und Ex-Frauenaufreißer wie Pastor Salles vom Leder:„Ich war reich, hatte Villen und tausende Frauen – in Rio hörten tausende schwerbewaffnete Banditen auf mein Kommando. Ich war Bankräuber, Berufskiller, Monster, Psychopath – so viele Opfer flehten vergeblich um Barmherzigkeit! Wie von den Dämonen gefordert, habe ich mit meiner Frau unseren sechs Monate alten Sohn getötet, in der Pfanne gebraten, sein Fleisch gegessen – ich war schon in der Hölle!“
Frei Betto, wichtigster Befreiungstheologe Brasiliens, hochangesehen bei Kardinälen, Bischöfen und Padres der Kirche des Riesenlandes, analysiert solche evangelikalen Sekten tiefgründig, fühlt sich durch ihre nervende Präsenz im Alltag nicht eben bereichert. Leonardo Boff indessen wirft kurioserweise dieser Kirche „feudale Mentalität“, „totalitäre Ideologie“ und „mittelalterliche Strukturen“ vor, gar die Ablehnung von Kritik und Alternativen. Damit hat er schlichtweg die Dynamik, Entwicklung und Komplexität der katholischen Kirche nicht begriffen. Als anschauliches Beispiel gilt, dass Rom zwar Kondome kritisiert, deren massive Verteilung in der pastoralen Aids-Prävention indessen zulässt – und fördert, gemäß katholischer Moraltheologie.
Der Soziologe Claudio Monteiro leitet in Sao Paulo die bischöfliche Aids-Pastoral – direkt neben seiner Bürotür kann sich jedermann aus einem stets gut gefüllten Plastikbehälter gratis und überreichlich mit Kondomen eindecken. Monteiro lacht über Boffs Vorwurf, dass die katholische Kirche in der Kondomfrage lebensfeindlich, verantwortungslos und intolerant handele. „Leonardo Boff gehörte zum Franziskanerorden, der in Brasilien eines der ersten Aids-Präventionsprojekte startete und natürlich Kondome verteilt – seit über 16 Jahren. Unsere nationale Aids-Pastoral, von einem Bischof geführt, verfährt genauso. Völlig unmöglich, daß Boff davon nicht weiß. Wenn er die Ausbreitung der Evangelikalen, die Expansion des religiösen Fundamentalismus positiv bewertet, ist dies fragwürdig und anfechtbar.“
Boff greift immer wieder auch in die Politik ein. Im letzten Präsidentschaftswahlkampf unterstützte er zuerst die evangelikale Predigerin Marina Silva. Die Ex-Umweltministerin zählte zur Revolutionären Kommunistischen Partei Brasiliens, wuchs im befreiungstheologischen Spektrum der Katholiken auf und ging dann zur „Assembleia de Deus“. Richtig, die von Pastor Salles, dem Ex-Killer und Ex-Frauenaufreißer, die zudem laut Eigendarstellung Homos zu Heteros umdreht und Strich-Transvestiten zu Geistlichen macht.
Zuletzt wechselte Marina Silva von Lulas Arbeiterpartei zu den brasilianischen Grünen. Die verkaufen sie als lupenreine Umweltschützerin – obwohl zahlreiche verhinderbare Umweltverbrechen in ihre Amtszeit fallen. Amazonas- und Savannenwälder werden vernichtet, Brasilien avanciert zum weltgrößten Agrargiftverbraucher, das Geschäft mit Gen-Pflanzen boomt. Umweltschützer laufen Sturm gegen das gigantische Umleitungsprojekt am Rio Sao Francisco – Marina Silva verteidigt es als „ökologisch nachhaltig, wirtschaftlich machbar und sozial gerecht“. Was sie von massenhafter Folter durch Staatsangestellte oder von den landesweit operierenden Todesschwadronen hält, erfährt man bis heute nicht.
2002 nahm Leonardo Boff begeistert an der Wahlkampfkarawane von Lula teil, verglich ihn mit Mahatma Gandhi, lobte sogar dessen Vize, den Milliardär und Diktaturaktivisten José Alencar. Angesichts der Korruptionsskandale schwenkte er später um, verurteilte Lulas Politik als niederträchtig neoliberal.
2010 aber, als Marina Silva die Stichwahl nicht erreichte, wechselte Boff flugs zu Lulas Wunschkandidatin und bisheriger Chefministerin Dilma Roussef – und wieder zu Lob über den grünen Klee: „Lula machte die größte Revolution der sozialen Ökologie des Planeten, eine Revolution für die Bildung, ethische Politik.“ Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, den strikt antiökologischen Kurs von Lula-Rousseff kritisiert er nicht, die von ihm so heftig gescholtene, stark systemkritische katholische Kirche Brasiliens tut das umso kräftiger: Fehlende soziale Besorgnis bei Lula und Rousseff trotz Hunger, Misere und rasch wachsenden Slums, Zementierung der grauenhaft ungerechten Einkommensverteilung, Begünstigen der ohnehin Privilegierten. Boff faselt von sozialer Ökologie-Revolution, dabei ist längst klar, dass Dilma Rousseff das umweltvernichtende Mega-Wasserkraftwerk „Belo Monte“ in Amazonien unbedingt realisieren will. Nach ihrem Wahlsieg erneut ein Schwenk: Boff geißelt das Belo-Monte-Projekt.
Mancher hat vielleicht den desillusionierenden ARD-Weltspiegel-Beitrag „Brasilien: Kindsmord am Amazonas“ über das Töten von Kindern bei Indianerstämmen gesehen – rund 600 Babies werden danach jährlich allein in Amazonien umgebracht. Viele Indianer sitzen wegen Sex mit Kindern im Gefängnis, auch Indios sind als Naturzerstörer bekannt. Yanomami pflegen gar das Verprügeln der eigenen Ehefrau mit Freunden, bei Fremdgeh-Verdacht – von Schamanen als Hexen beschuldigte Indiofrauen wurden ermordet – das Blättchen hatte über diese Praktiken berichtet. Boff indessen ignoriert diese Fakten: „Und ich habe sie immer bewundert, sie sind unsere großen Meister im Hinblick auf die Haltung gegenüber der Natur. Die sind technologisch gesehen rückständig, aber zivilisatorisch, sie sind vorwärts, sie sind reicher als wir. Wenn wir lernen wollen, was wir für eine Beziehung mit der Natur eingehen sollen, die Beziehung zwischen dem Alter und den Kindern, den Erwachsenen und alten Leuten, die Beziehung zwischen Arbeit und Freizeit, die Beziehung zwischen Leben und Tod, dann müssen wir die Indianer hören. Die haben eine große Weisheit und vieles haben sie uns zu sagen.“ Kommentar überflüssig.
Obama in Brasilien
Auf Gesten und Symbolik, sorgsam abgestimmt zwischen beiden Seiten, sei besonders zu achten, hatte Brasilia vor der Ankunft des US-Präsidenten verlauten lassen. Und als Barack Obama dann in den Amtssitz von Präsidentin Dilma Rousseff schritt, ging es Schlag auf Schlag. Mitten in der persönlichen Unterredung befahl Obama über einen Mitarbeiter die Attacke auf Libyen mit zunächst 110 Tomahawk-Raketen. Und etwas später, mitten im Bankett für Obama im brasilianischen Außenministerium, ging es richtig los mit den Bombardements. „Ein historischer Tag“, titelten die Zeitungen – und „historisch“ verhielt sich Brasiliens neue Staatschefin, die einst als Guerilleira gegen die Militärdiktatur kämpfte, eingesperrt und gefoltert wurde. Erst nach der Abreise Obamas äußerte sie Missfallen über die Kriegserklärung ausgerechnet in Brasilien – vermied indessen, wie viele Brasilianer erwartet hatten, dies Obama sofort und direkt zu sagen, womöglich die offiziellen Gespräche abzubrechen. Mit einer Note, die einen Waffenstillstand in Libyen erbat, wurde ebenfalls solange gewartet, bis Obama abgereist war. Brasiliens wichtigster Befreiungstheologe, Frei Betto, nannte es gegenüber dem Blättchen „zumindest takt- und geschmacklos, den Krieg gegen Libyen just in Brasilien zu erklären, das gegen eine solche kriegerische Aggression ist.“ Der Diskurs des Westens sei Demokratie, das Interesse indessen Öl und nicht etwa die Verteidigung der Menschenrechte in Libyen. Brasilia hatte sich im UN-Sicherheitsrat, abgestimmt mit Russland, Indien und China, wenigstens der Stimme enthalten, eine friedliche Lösung befürwortet.
Absolut symbolträchtig ging es beim Bankett zu – denn wie zu hören war, hatte Rousseff offenbar mit Ziehvater Lula da Silva abgemacht, dass am Tische direkt neben den beiden Obamas just der hochwichtige Regierungspartner José Sarney sitzen sollte. Die USA hatten 1964 zur Unterstützung des Militärputschs sogar eine Kriegsflotte vor die Küste Brasiliens entsandt. Und nun prosteten sich just der Präsident dieses Landes und der damalige Chef der brasilianischen Folterdiktatorenpartei ARENA freundlichst zu, unterhielten sich auch Michelle Obama und Sarney sichtlich nett miteinander. Er gilt in Brasilien nach wie vor als der archaischste, reaktionärste und politisch mächtigste Oligarch, ist Präsident des Kongresssenats und wurde trotz seiner Verwicklung in zahllose Skandale von Lula stets hochgeschätzt und umworben. „I love this guy“, sagte Obama einmal über Lula – und wollte ihn gerne mit am Tisch. Doch der mit scharfem politischen Instinkt gesegnete Ex-Gewerkschaftsführer lehnte die Einladung ab. Als hochbezahlter Ehrenpräsident seiner Arbeiterpartei PT hatte er womöglich Rücksicht zu nehmen auf jenen Parteiflügel, der sich scharf gegen einen Libyenkrieg wandte, an die Kriege im Irak und in Afghanistan erinnerte, die Obama-Regierung als „Feind des Weltfriedens“ einstufte. Vor Obamas Ankunft brodelte es in diesem Teil der PT, der sich den Sozialbewegungen eng verbunden fühlt, die Obama zur „persona non grata“ erklärt hatten. Zorn erregte daher, dass Brasiliens Regierung, eingeschlossen Dilma Rousseff, und die Führungsspitze der Arbeiterpartei die von PT-Mitgliedern angekündigten Proteste gegen den Besuch Obamas verurteilten. Wie durchsickerte, sollten solche Aktivitäten erstickt, unzufriedene Kader auf Linie gebracht werden. Zu den Abweichlern gehörte sogar Rousseffs Frauenministerin Iriny Lopes. Zu Kriegsbeginn nicht am Tische mit Obama sitzen zu wollen, könnte Lula eines Tages Lorbeeren einbringen – wer erinnert sich dann noch an die Hintergrund-Details? Sehr aufschlussreich, was dann in Chile ganz anders lief als in Brasilia. Eine weit politisiertere Öffentlichkeit erreichte, dass beim Obama-Besuch die Diktaturproblematik nicht ausgeklammert wurde. Anders als unter Dilma Rousseff wurde im chilenischen Regierungssitz natürlich eine Pressekonferenz anberaumt, konnte ein chilenischer Journalist offen fragen, ob Obama und dessen Regierung bereit seien, sich für die Beteiligung am Militärputsch vom 11. September 1973 zu entschuldigen – und bei den gerichtlichen Ermittlungen über Diktaturverbrechen zu kooperieren. Der Journalist erinnerte an bezeichnende Fälle, darunter die Ermordung von Orlando Letelier, Außenminister von Salvador Allende, 1976 in Washington. Dem überraschten Obama blieb nichts weiter übrig, als zuzustimmen – er vermied indessen, um Entschuldigung zu bitten.
Obama plante vor Rio de Janeiros Opernhaus eine Rede ans Volk, zog sich dann aber wegen der drohenden Proteste ins Innere des imposanten Gebäudes zurück, wollte handverlesenes Publikum. Draußen PT-Fahnen und „Obama-go-home“-Plakate – drinnen fragwürdigste Symbolik. Die nationale Schwarzenbewegung forderte, dass sich der erste dunkelhäutige US-Präsident zum grauenhaften Rassismus klar positionieren muss. Schwarzen-Aktivist Mauricio Pestana: ”Es gibt keinerlei Zweifel, dass im ‚demokratischen’ Brasilien von heute schwarze Bürger mehr Opfer von Folter, Mord und Verschwindenlassen sind als in irgendeiner autoritären Epoche unserer Geschichte.“ Die Schwarzenbewegung hatte versucht, über die neue Ministerin für Rassengleichheit, Luiza Bairros, das Rassismusthema auf die Besuchs-Agenda zu setzen, wurde jedoch abgeblockt. Der Studentenverband UNEAFRO nannte Obama „den Verräter der Schwarzen in aller Welt“ – und wird sich jetzt vermutlich bestätigt fühlen. Obama hatte nicht vor, den Rassismus, andere gravierende Menschenrechtsverletzungen in Brasilien zu kritisieren. Seine Besuchsvorbereiter griffen daher tief in die Symbol-Kiste, ließen vor der Rede eine Afro-Band aufspielen und platzierten viele Schwarzen-Aktivisten gut sichtbar vor dem US-Präsidenten. Die Ansprache wurde von Brasiliens wichtigsten Kommentatoren arg verrissen: Denn Obama lobte ausgerechnet die brasilianische Demokratie als beispielhaft, stellte damit klar, welche Menschenrechtskriterien er nach eigenem Werteverständnis an Brasilien anlegt. Systematische Folter durch Staatsangestellte, Todesschwadronen, Scheiterhaufen, neofeudale Banditen-Diktatur in den Armenvierteln, Morde an Menschenrechtsaktivisten, Sklavenarbeit – „no problem“ fürs Weiße Haus. Brasilien werde zum Modell für die Welt, so Obama. In Rio wurde ganz in der Nähe seines Copacabana-Hotels kurz nach der Abreise der Systemkritiker und Anwalt Ricardo Gama, der hohe Politiker auf seiner Website aufs Korn nahm, bei einem Attentat von zwei Kopfschüssen getroffen. Er wird hoffentlich überleben. Zuvor war ein kirchlicher Menschenrechtsanwalt in Nordostbrasilien ermordet worden. In Sao Paulo liquidierten zwei Militärpolizei-Todesschwadronen seit 2006 mindestens 150 Menschen, steht in einem neuen Untersuchungsbericht. Als ausgesprochenen Folterstaat beschrieb sogar Brasiliens neue Menschenrechtsministerin Maria do Rosario ihr eigenes Land – kein einziges Massenmedium brachte die Äußerung. Nicht zufällig ist Brasilien jetzt auf dem britischen Welt-Demokratie-Index vom 41. auf den 47. Platz zurückgefallen – liegt auf dem neuesten UNO-Ranking für menschliche Entwicklung nur auf Platz 73. – Libyen immerhin auf dem 53., Chile auf dem 45., Argentinien auf dem 46 und der Iran auf dem 70. Platz.
Aber heißt es nicht immer, seit Lula zeige Brasilia gegenüber den USA zunehmend Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit? Brasiliens Qualitätsmedien analysierten ironisch Wikileaks- Enthüllungen. Öffentlich habe es nur zu oft leere antiamerikanische Rhetorik gegeben – „ im vertraulich-privaten Umgang indessen Liebkosungen für die Brüder im Norden, Anerkennung der Hegemonie des Partners.“ US-Diplomateneinschätzungen lauteten, das Tropenland sei noch gar nicht reif, um ein Global Player zu sein. Für US-Sozialwissenschaftler sind die brasilianischen Regierenden unfähig zu längst überfälligen strukturellen Reformen, gibt es „gravierende interne Probleme“. Menschenrechtsaktivist Fabio Konder Comparato, Rechtsprofessor an Brasiliens führender Bundesuniversität in Sao Paulo: “Wir hatten bis heute nie Demokratie, leben immer unter einem oligarchischen Regime. Unsere Politik hat stets zwei Gesichter. Eines für außen, zivilisiert – und eines für innen, grausam. Wir halten diese Doppelzüngigkeit des Charakters im gesamten politischen Leben aufrecht. Die Wahlen sind Theater. Lula bewies, dass er für die Oligarchie nicht gefährlich ist. Ich widerspreche dem Begriff Redemokratisierung.“
Frankreichs Rafale-Kampfflugzeuge starteten auf Befehl von Präsident Nicolas Sarkozy als erste gen Libyen, bombten, was das Zeug hielt, feuerten neueste Hightech-Raketen auch auf zivile Ziele, zeigten aller Welt, was in den Kisten steckt. Der überstürzt wirkende Rafale-Einsatz hatte womöglich seinen besonderen, zynischen Hintersinn – denn Lateinamerikas größte Kriegswaffenmesse LAAD in Rio de Janeiro stand vor der Tür. Rafale-Oberverkäufer Sarkozy bemüht sich seit Jahren meist vergeblich, bei seinen Auslandsreisen die superteuren Jagdbomber an den Mann zu bringen, auch in Brasilien. 2010 schien der Ankauf durch die Lula-Regierung fast sicher – doch selbst in französischen Medien wurde herumgemäkelt, größtes Verkaufshindernis sei die fehlende Praxiserprobung im Kriegseinsatz. Das Argument ist nun wohl vom Tisch. Am Tag der Messeeröffnung von Rio schrieb die „O Globo“, dass die Rafales nun „mit Erfolg bei den Attacken gegen Libyen“ getestet worden seien, und in einer LAAD-Sonderbeilage warb der französische Rüstungskonzern gleich ganzseitig, die Vortrefflichkeit der Bomber sei im Kampf bewiesen worden. Deutsche Medien zitieren Jean-Pierre Maulny, stellvertretender Direktor des französischen Instituts für Internationale und Strategische Beziehungen (IRIS), wonach der Libyen-Einsatz ein Weg sein könne, um für die nunmehr „kampferprobten“ Rafale-Bomber Propaganda zu machen. Dabei war es in Libyen vorhersehbar zu keinerlei Luftkämpfen gekommen, wurden durch die Bombardements, wie man inzwischen weiß, aber zahlreiche Zivilisten umgebracht, deren Häuser zerstört, immense Massenfluchten ausgelöst.
Die brasilianische Öffentlichkeit hat, anders als die mitteleuropäische, weit weniger Illusionen, worauf der Libyenkrieg tatsächlich zielt. Schließlich hatten führende Blätter, darunter Brasiliens auflagenstärkste Zeitung „Folha de Sao Paulo“, den Europa-üblichen Mainstream von Anfang an der Lächerlichkeit preisgegeben. Gleich auf einer ganzen Seite analysierte der renommierte Politikexperte und Universitätsprofessor José Luis Fiori, dass es um Libyens Öl und die Kontrolle einer Grenzregion zu Europa gehe, nicht aber um Menschenrechte. Die würden von den großen Mächten stets benutzt, um geopolitische Entscheidungen zu legitimieren. Afrika nannte Fiori den Schauplatz eines neuen imperialistischen Wettkampfs – es sei nicht ausgeschlossen, dass über eine neue Form des Kolonialismus ebenso nachgedacht werde wie über die Eroberung bestimmter afrikanischer Staaten, die durch europäische Kolonialisten geschaffen worden waren. Lokale Konflikte würden künftig immer häufiger – und stets seien die USA involviert.
Wer das womöglich linkslastig fand, bekam „ausgewogen“ im selben Blatt die Version des konservativen Politikers und Ex-Finanzministers Luiz Carlos Bresser-Pereira präsentiert, wonach Libyen lediglich abgestraft werde, weil es sich dem informellen Kolonialismus der Großmächte nicht unterwerfe. Der Libyenkrieg werde nicht mit guten Absichten geführt. Man versuche dort nicht, wie behauptet werde, „das Massaker an einem revoltierenden Volk zu verhindern“, sondern wolle die Herrschaft über ein ölreiches Land wiedergewinnen. In Libyen, so Bresser-Pereira, gebe es im übrigen gar kein revoltierendes Volk. Einzige „Massenmanifestation“, von der Journalisten Fotos machten, sei eine Masse von Autos in Bengasi gewesen – zwecks Feier der NATO-Bombardements. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei der offene Kolonialismus durch einen informellen ersetzt worden – die alten Metropolen assoziierten sich mit korrupten Eliten der armen Länder. Dies treffe besonders auf den mittleren Osten sowie auf Staaten Lateinamerikas und Afrikas zu. Lediglich asiatische Länder und einige Staaten wie Libyen zeigten sich nicht fügsam für diese neue Herrschaftsform. „Deshalb verzeichneten sie Wachstum und verbesserten den Lebensstandard der Bevölkerung.“ Der Anwalt und Ex-Minister verwies auf den UNO-Index für menschliche Entwicklung und verglich – Libyen liege auf dem 53. Platz, Lateinamerikas größte Demokratie Brasilien indessen nur auf dem 73. Platz. Für Unbotmäßigkeit werde Libyen jetzt bestraft durch zwei alte imperiale Mächte, Frankreich und Großbritannien, gefolgt von den USA. Sarkozy meine, durch sein Vorgehen wiedergewählt zu werden – „doch die Franzosen wissen, dass dieser Krieg wenig Sinn hat und dass sie Sarkozy nicht vertrauen können“.
Kommentatoren, die solcher Sicht widersprechen? Keine. Leicht nachvollziehbar, dass sich auch Brasiliens Künstlerschaft nicht vom europäischen Mainstream beeindrucken lässt, darunter der populäre Schriftsteller ÉnricoVeríssimo in seiner landesweit nachgedruckten Kolumne: „Alles wiederholt sich in Libyen, angefangen mit der Scheinheiligkeit der selektiven Empörung: Einige Tyrannen, zuvor toleriert, wenn nicht gar offen unterstützt wie Saddam, werden unakzeptabel und attackierbar, während der Knüppel andere schont, die noch nütze sind. Danach folgen die Verluste an Zivilisten, angeklagt von der einen Seite und bestritten von der anderen, Fotos verstümmelter Kinder und Diskussionen über die Effizienz von ‚chirurgischen’ Luftschlägen. Und so haben wir ein weiteres Beispiel eines modernen Beitrags zu den Kriegstaktiken, die eigenartige Doktrin des humanitären Bombardements.“
Komponist Aldir Blanc fragt, wie viele unschuldige Zivilisten bereits durch das westliche Bombardement auf Libyen umgekommen seien. Und macht sich bitter-ironisch über „Hilaria Clinton“ lustig, legt ihr folgendes Zitat in den Mund: „Unsere Politik ist, das da zu bombardieren und das Wort Petroleum durch Menschenrechte zu ersetzen.“ Der Komponist erinnerte zudem an das US-Geheimgefängnis in Ägypten, in dem des islamischen Terrors Verdächtigte gefoltert worden seien.
Da erübrigt es sich beinahe, Positionen aus der recht befreiungstheologisch orientierten Kirche des größten katholischen Landes zu erwähnen. Frei José Francisco, Leiter des Franziskaner-Sozialwerks in der Megacity Sao Paulo, eine der angesehensten Franziskaner-Persönlichkeiten Brasiliens, nennt die Einschätzung des Weltsozialforum-Gründers Oded Grajew völlig korrekt, wonach die Waffenverkäufer Regierungen wollen, die Kriege führen. „Eine große Wirtschaft, zu deren Stützen die Rüstungsindustrie gehört, muss Kriege haben – denn zur kapitalistischen Basis gehört Konsum. Für die Rüstungsindustrie bedeutet dies – sie wird durch Kriege stimuliert. Die unterstützen die Wirtschaft jener großen Länder, die heute die Welt beherrschen.“ Für Andersdenker Francisco versucht in Libyen lediglich eine Gruppierung, an die Macht zu kommen – „doch eine Mobilisierung des Volkes gibt es dort nicht. Bemerkenswert, dass Vatikan und katholische Friedensbewegung Pax Christi mit ihrer Position zum Libyenkrieg der NATO-Haltung komplett widersprechen. Der Krieg zeigt, wie oft die UNO leider instrumentalisiert wird.“ Für den Franziskaner ist völlig klar, dass das Völkerrecht jetzt auf jene anzuwenden ist, die durch Bombardements in Libyen ungezählte Zivilisten umbrachten. „Die an den Luftangriffen beteiligten Länder müssen raschestmöglich Wiedergutmachung und Entschädigung an die Hinterbliebenen der Todesopfer sowie an Verletzte und anderweitig Geschädigte leisten. Die Täter und ihre politisch-militärischen Auftraggeber müssen gemäß Völkerrecht bestraft werden. Ich weiß, dass in der brasilianischen Kirche sehr viele denken wie ich.“
Zu ihnen zählt Waldemar Rossi. Einst war er aktiver Diktaturgegner, bereitete mit Gewerkschaftsführer Lula Streiks vor – heute leitet er unter einem deutschstämmigen Kardinal in Sao Paulo die bischöfliche Arbeiterseelsorge. „Seit den ersten Bombardements hat die NATO nicht nur die Streitkräfte Libyens attackiert, sondern auch Zivilisten, die dabei umkamen. Auf normale libysche Bürger wurde keinerlei Rücksicht genommen. Notwendige Entschädigung, Wiedergutmachung bringt indessen die Getöteten nicht zurück ins Leben. Zur Verteidigung von Ölinteressen nehmen sich die an den Luftschlägen beteiligten Regierungen das Recht heraus, jegliche Verbrechen zu begehen – wie zuvor bereits im Irak und in anderen Staaten. Absolut verrückt, dass Barack Obama den Libyenkrieg anfangs von einem Copacabana-Hotel aus koordiniert hat.“ (Während seines jüngsten Brasilienaufenthaltes – Anm. d. Red.) Schwer vorauszusagen, ob auch westliche Libyenkrieger Fronturlaub an der Copacabana machen werden – die Kollegen aus dem Irakkrieg sind längst da und sorgen als Sextouristen für reichlich Negativschlagzeilen. „Die Truppe auf der Suche nach Sex provoziert Polemik“, titelte schon 2007 ein Rio-Blatt. Washington finanziere diesen Fronturlaub, habe das US-Konsulat bestätigt.
Wie wäre das in Deutschland – dürfte man selbst nach richterlichem Verbot noch offen auf der Straße und vor Konzertmikros singen, dass schwarze Frauen stinken und mit diesen Kraushaaren hässlich aussehen? In Brasilien darf man – ein Lied dieses Inhalts machte 1996 Furore, Komponist Tiririca, ein Musikclown und Kinderstar, ging mit dem Song in die Fernsehshows und forderte alle zum Mitsingen, Mittanzen auf. Bis heute kann sich jedermann „Veja os cabelos dela“ von brasilianischen Websites herunterladen. Obwohl die nationalen Schwarzenorganisationen über ein Jahrzehnt lang gegen Sony Music wegen des rassistischen Lieds klagten – und jetzt schließlich gewonnen haben. Der Musikkonzern muss umgerechnet über eine halbe Million Euro Entschädigung zahlen und durfte das Lied bereits seit Jahren nicht mehr vertreiben. Der Text indessen ist überall greifbar und hat es in sich. Diese Negerin stinkt wie verrückt, mehr noch als ein Stinktier, singt Tiririca, der Geruch dieser Frau ist nicht zum Aushalten. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich waschen – aber sie ist stur, will nicht hören. Und dann schau dir mal die grauenhaften Kraushaare von der Negerin an – die sind wie dieser Putzschwamm, mit dem man Töpfe und Pfannen scheuert.
Blonde Mädchen und Jungen Brasiliens trällern das Lied lustvoll in den teuren Privatkindergärten der weißen Mittelschicht, es klingt durch Schulkorridore, wird auf Feten gesungen, eignet sich prächtig, um Schwarze zu hänseln, zu beleidigen. Aber wieso kann ausgerechnet so ein offen rassistisches Lied in Brasilien diesen Erfolg haben? Ein führender Schwarzenaktivist, Mauricio Pestana, Herausgeber der einzigen Schwarzenzeitschrift, „Raca Brasil“, sagte dem Blättchen in Sao Paulo: „Brasilien ist das rassistischste Land der Erde – hier wirken die Strategien des Rassismus seit jeher sehr intelligent. Es gibt keinerlei Zweifel, dass im `demokratischen` Brasilien von heute schwarze Bürger mehr Opfer von Folter, Mord und Verschwindenlassen sind als in irgendeiner autoritären Epoche unserer Geschichte. Dagegen kämpfen wir an.“
Nicht einfach, wie der Fall des Tiririca-Lieds zeigt. Die Schwarzenorganisationen protestierten 1996 sofort, beriefen sich auf ein Gesetz gegen Rassendiskriminierung, reichten Klage ein – sogar im Nationalkongress wurde darüber diskutiert. Eine Richterin verbot den Verkauf der Tiririca-CD wenigstens für den Teilstaat Rio de Janeiro – Sony Music ging in Berufung. Die Lieder Tiriricas seien unschuldig, für Kinder gemacht und ohne Vorurteile. „Die Ausdrucksfreiheit unserer Künstler ist unantastbar“, betonte ein Sony-Music-Manager. Der Musikkonzern musste das Lied schließlich von der CD nehmen.
Aber wieso ist wegen der erfolgreichen Entschädigungsklage eigentlich Sony Music am Pranger – und nicht der Liedermacher Tiririca, fragen derzeit viele. Da zeigt sich ein Dilemma der Schwarzenbewegung – denn dieser unheimlich populäre Tiririca ist ja selber dunkelhäutig. Auch er wurde gleich am Anfang mit verklagt: „Aber meine eigene Frau ist doch eine Schwarze – und ich bin ein Mulatte!“, sagte er den Richtern. Freispruch.
Denn schmerzhafte Tatsache ist, dass sich in Brasilien Schwarze gegenseitig rassistisch beschimpfen, herabsetzen – selbst als „hässlich schwarz“ titulieren. Immer wieder kommt es vor, dass sogar schwarze Frauen, die schwarze Männer beleidigend als „preto“ beschimpften, von schwarzen Militärpolizisten vorübergehend festgenommen werden.
Mit acht Jahren arbeitete jener Francisco Everardo Oliveira Silva, genannt Tiririca, bereits als Zirkusclown, sitzt heute, mit 45 Jahren, sogar im Nationalkongress, gehört zum Regierungsbündnis der neuen Präsidentin Dilma Rousseff. Und hievte durch ein Rekordergebnis von 1,3 Millionen Stimmen eine ganze Reihe belasteter Politiker seiner Republikanischen Partei mit ins Parlament. „Was macht so ein Kongressabgeordneter? Ich weiß es nicht. Votiere für mich und ich erzähle es dir!“ Dieses banale Wahlkampfmotto Tiriricas hat bestens funktioniert – viele Brasilianer finden es zum Heulen, doch bezeichnend für den Zustand des Politikbetriebs. Und der tief verwurzelte Rassismus ist weiterhin vertrackt, äußert sich auf überraschende Weise, selbst im öffentlichen Gesundheitswesen. „Man muss sich das so vorstellen“, sagt Lucia Xavier von der Schwarzenorganisation „Criola“ in Rio. „Eine schwarze Frau geht zur Behandlung und auch zur Krebsvorsorge in eine öffentliche Klinik, doch der weiße Arzt tastet nicht einmal ihre Brust ab, weil er sich vor der Frau ekelt, ja, wegen ihrer Hautfarbe Ekel empfindet. Und damit wird die Frau ihres Rechts auf korrekte medizinische Behandlung beraubt. Die Frau teilt mit, dass sie Schmerzen habe, doch den Arzt interessiert das nicht, dessen Team ebenso wenig – weil man die Frau wegen ihres ganzen Erscheinungsbildes nicht mag.“ Nicht zufällig sind die Sterblichkeitsraten der Schwarzen weit höher als die der Weißen. Dunkelhäutige, immerhin die Bevölkerungsmehrheit, besetzen nur 3,5 Prozent der Führungsposten, sind im höheren Management extrem selten. Erklärt wird dies gewöhnlich mit dem sehr begrenzten Zugang dieser Bevölkerungsgruppe zu besserer Qualifikation. Das weitverbreitete Vorurteil, dass Schwarze keine intellektuelle Kompetenz besäßen, wird dagegen kaum einmal als Hinderungsgrund genannt. Befragte schwarze Manager räumten ein, sich lange Zeit tatsächlich als weit weniger kompetent eingestuft und unter einem tiefsitzenden Minderwertigkeitskomplex gelitten zu haben. Eine Folge dieses geringen Selbstwertgefühls: Als Lebenspartner, Freunde oder Bekannte werden erstaunlich häufig hellhäutige Personen bevorzugt. Es gibt dafür sogar eine gängige Redewendung – „melhorar a raça“, die Rasse verbessern. Und das heißt, Kinder mit Weißen zu zeugen, um so die Farbe der Familie aufzuhellen und dadurch in der Gesellschaft an Wert zu gewinnen. Als eine schwarze Favela-Frau nach sechs kaffeebraunen Kindern zum ersten Mal eine auffällig helle, beinahe weiße Tochter zur Welt bringt, bei einem dunkelhäutigen Vater, freut sich die ganze Sippe wie wild und feiert das Ereignis. Schwamm drüber, dass da irgendwas mit der Vaterschaft nicht stimmen kann – der Papa freut sich ja auch, dass die Kleine so überraschend hell geraten ist. In ungezählten Slumfamilien bläut man die Aufhell-Idee besonders den Mädchen frühzeitig ein, sucht ihnen Beziehungen zu schwarzen Jungen auszureden. Als ein Mädchen zum ersten Mal zu Hause mit dem schwarzen Freund auftaucht, fallen schon die Schwestern über sie her: Willst du denn die Rasse verschlechtern, die Familie noch schwärzer machen, bist du verrückt? Dunkelhäutige Frauen, die sich hocharbeiten und dann auf einmal in einem Großraumbüro allein unter 100, 200 Weißen sitzen, berichten davon, als „schwarzes Schaf“ tituliert zu werden, sich diskriminiert zu fühlen.
Besonders in den Slums von Sao Paulo sind auch andere Verhaltensmuster möglich. Politisierte Schwarze suchen sich für ein Abenteuer, eine nicht-feste Beziehung, gern eine Hellhäutige – aber zum Heiraten, zum Familiegründen muss es eine Schwarze sein. So werde die eigene Identität gestärkt. Eigentlich auch eine Form des Rassismus, kommentiert eine dunkle Paulistana. Auffällig wiederum, dass schwarze Männer, die Karriere machen, gar als Fußballspieler zu viel Geld kommen, Blondinen als Statussymbol bevorzugen. Der dunkelhäutige Historiker Joel dos Santos formulierte es bitter so: „Die Weiße ist schöner als die Schwarze – und wer vorankommt, wechselt nun einmal automatisch den Wagen.“
Wirtschaften in Brasilien
Jetzt in der Erntezeit brennen sie wieder bis zum Horizont – die riesigen Zuckerrohrplantagen des Tropenlandes. Fliegt man über das Flammenmeer, vergisst man’s nie wieder. Nossa Senhora – der ätzende Qualm steigt ja höher als die Maschine! Unten kriegt man Angstzustände, wenn der Bus plötzlich von dichtem Rauch eingehüllt wird, an beiden Straßenseiten Flammen züngeln, Gluthitze eindringt, der Fahrer flucht, weil er nichts mehr sieht. Während der gefürchteten „Queimadas da cana“ häufen sich tödliche Verkehrsunfälle, explodieren gar Tanklaster. „Niemals hatte ich soviel Angst um die Kinder, meine Frau und mich wie im PKW in einer solchen Feuerzone – ich dachte, jetzt sind wir alle geliefert“, sagt Mario Mantovani, Präsident der Umweltstiftung „SOS Mata Atlantica“, in Sao Paulo. „Und dabei kam ich grade von einem Umweltschutzkongress, hielt einen Vortrag über den Wahnsinn der Treibstoffproduktion aus Zuckerrohr!“ Deutsche Multis, deutsche Zuckerunternehmen, deutsche Banken und Spekulanten sind seit Jahren in die Ethanol- und Zuckerbranche Brasiliens groß eingestiegen, mischen heftig mit, tragen entsprechende Mitverantwortung. Unter Staatschef Lula hat die Branche einen Boom erlebt, wuchs in seinen acht Amtsjahren der Anteil ausländischer Multis von fünf auf über 35 Prozent. In der Megacity wirbt die „Industria Sucroalcooleira“ gerne mit Großfotos des grünen, wogenden Meers aus Zuckerrohr, Cana. Das wirkt auf viele direkt sympathisch, wie die so schön gelben, doch extrem umweltschädlichen, massiv mit gefährlichsten Agrargiften besprühten Rapsfelder in Deutschland. Abgefackelt werden seit der Kolonialzeit kurz vorm Ernten die störenden, unnützen Zuckerrohr-Seitenblätter. Brasilianische Wissenschaftler nennen die Flächenbrände „pervers“ und ein Umweltverbrechen – Mario Mantovani machen sie Naturschutzgebiete kaputt. Auch jetzt, 2011, sind wieder reichlich Schutzzonen draufgegangen, weil das Feuer außer Kontrolle gerät, sich in Wälder hineinfrisst. Und immer werden sogar Plantagenarbeiter von den Flammen eingekreist und verbrennen lebendig – ebenso wie Unmengen an theoretisch streng geschützten Tieren. „Alle denkbaren Vorteile des Ethanoltreibstoffs werden allein durch das Abfackeln aufgehoben. Man braucht sich nur den Ausstoß an klimaschädlichem Dioxin und Kohlenmonoxid anzuschauen. Die Gesundheitsposten in Städten bei Sao Paulo sind voll von Leuten, die wegen der Plantagenbrände Sauerstoff-Behandlungen machen müssen, schwere Atemprobleme haben. Unser Staat dürfte diese Ethanolunternehmen nicht auch noch finanzieren, sogar über die Entwicklungsbank! Es gibt kein Umweltbewusstsein in Brasilien. Die Kultur des Landes ist Zerstörung.“ Mantovani klassifiziert Brasilien als viertgrößten Erzeuger klimaschädlicher Gase – wegen der Brandrodungen im Regenwald und dieser Plantagenbrände. „Doch der heutige Weltmarkt will garnicht wissen, ob das Zuckerrohr von Sklavenarbeitern geerntet wurde und ob man die Plantagen abgebrannt hat.“
Hauptbetroffene sind die Zuckerrohrarbeiter, die zudem über Haut und Atmung den krebserzeugenden Brandruß aufnehmen. Die Feuer zerstören die Bodenfruchtbarkeit und kontaminieren Oberflächen- und Grundwasser, vernichten zudem sämtliche natürlichen Feinde von Schädlingen, daher werden immer mehr Agrargifte eingesetzt. Brasilien ist wegen der Zuckerrohr-Monokulturen heute weltgrößter Verbraucher selbst solcher Gifte, die in der EU und in den USA längst verboten sind. Klar, ein Großteil kommt von deutschen Multis. Alles dummes Zeug, was Mantovani da erzählt – ginge es nach den auch in Deutschland überreichlich verbreiteten Argumenten zugunsten der brasilianischen Ethanolproduktion. Die wird als ökologisch und „Bio“ gerühmt. Bitte, es geht doch, so wie bei der Windkraft. „E 10 – mehr Bio im Benzin“, wirbt das Bundesumweltministerium: „Biokraftstoffe spielen eine wichtige Rolle beim Klimaschutz und bei der Energieversorgung.“
Francisco Anselmo de Barros, genannt Francelmo, einer der wichtigsten, bekanntesten Umweltaktivisten Brasiliens, verbrannte sich 2005 selbst, um gegen die Ausweitung der „Biosprit“-Produktion zu protestieren. Doch das Tropenland bleibt weltweit führender Zuckerproduzent und -exporteur, zudem zweitwichtigster Hersteller von Ethanol. Zwischen 2009 und 2010 hat die EU ihre Zuckerkäufe in Brasilien verdreifacht – das Bundesumweltministerium rechnet mit großen Ethanol-Importen. Für Roberto Malvezzi, kirchlicher Umweltexperte wie Francelmo, ist „Biosprit“ jedenfalls kein sauberer Kraftstoff: „Um die Anbauflächen zu erweitern, vertreibt das exportorientierte Agrobusiness Indiostämme und Kleinbauern sogar durch Terror und Mord. Hinter moderner Fassade verstecken Großfirmen nur zu oft Sklavenarbeit.“ Nur durch solch abstoßendes Sozialdumping seien brasilianischer Zucker und Ethanol auf dem Weltmarkt so billig und wettbewerbsfähig.
Anfang 2011 passiert eine kuriose Panne, ist monatelang Ethanol an den Tankstellen häufig teurer als Benzin, dieses die landesweit beste und billigste Kraftstoffalternative. Denn der Wirkungsgrad von Benzin ist deutlich größer. Wegen der hohen Weltmarktpreise für Zucker stellten die Ethanolfabriken auf Zuckerproduktion um, provozierten eine „Biosprit“-Versorgungskrise, musste die Regierung große Ethanol-Mengen ausgerechnet aus den USA importieren. „Das ist so, als würde Saudi-Arabien Öl einführen“, spottete die Wirtschaftspresse. Universitätsprofessor Dr. Eduardo Moreira, Ethanolexperte aus Sao Paulo, rechnet mit solchen Krisen immer wieder. Ethanol könne Benzin nicht ersetzen – nicht einmal in Brasilien, sei nur eine Art Neben-Treibstoff: „Obwohl unsere Produktionsbedingungen extrem vorteilhaft sind, kann dieser Kraftstoff nicht einmal hier mit Benzin konkurrieren.“ An diesen Produktionsbedingungen sind in- und ausländische Teilhaber natürlich höchst interessiert, weil sich nur so hohe Profite erzielen lassen. Deutsche und österreichische Landwirte haben wiederholt vergeblich auf das brasilianische Sozialdumping hingewiesen und faire Spielregeln gefordert. „Durch diese gewissenlose Form der Produktion ist es der Landwirtschafts-Industrie Brasiliens möglich, die Preise am Weltmarkt zu unterbieten”, hieß es in einer Bauernzeitschrift. „Weder europäische Bauern noch solche aus den Entwicklungsländern können mithalten.” Wird Brasilien die gigantischen, durch die Zucker- und Ethanolproduktion verursachten Umweltschäden rückgängig machen, all die vernichteten Tierarten der Natur zurückgeben? Über politische Positionen dazu von deutscher Seite ist nichts bekannt.
„Wer Ethanol tankt, kippt sich Blut in den Tank“, sagt Brasiliens katholischer Priester Tiago – „Biosprit ist Todessprit“, urteilt Befreiungstheologe Frei Betto. „Denn die Ethanolproduktion bringt zahllosen Armen und Hungernden der Erde den Tod.“ Zu den komplexen Auswirkungen des Biosprit-Booms gehören derzeit in Brasilien brutale Preissprünge bei Lebensmitteln. „Wenn man die Ackerflächen für Nahrungsmittel verkleinert, steigen deren Preise, sterben viele Menschen, die sich keine guten Grundnahrungsmittel leisten können. Unsere Regierung spricht von 16,2 Millionen hungernden Brasilianern in absolutem Elend – aus meiner Sicht sind es doppelt so viel!“, sagte er dem Blättchen. Hungernde, Unterernährte seien besonders anfällig für viele auch tödliche Krankheiten, vegetieren mit stark geschwächtem Immunsystem dahin, verlieren Initiative und Konzentrationsfähigkeit. „Wegen immer mehr Zuckerrohrplantagen wurden riesige Urwaldgebiete Amazoniens abgeholzt, das ökologische Gleichgewicht, die Ökosysteme in Nord- und Südamerika geschädigt, was sich auf die ganze Welt negativ auswirkt. Denn Amazoniens Tropenwald ist der größte des Planeten. Und die Regenfälle, ob im Süden Floridas oder Argentiniens, hängen von der Verdunstung in Amazonien ab.“
Die Förderung des Zuckerrohranbaus bewirke zudem Landvertreibung, starkes Slumwachstum, mehr Morde und Drogenhandel, mehr Kinderprostitution. „84 Prozent der Brasilianer leben bereits in den Städten“, so Frei Betto. „Die Menschen migrieren dorthin auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen, was aber gravierende zerstörerische Konsequenzen hat, weil Risikozonen illegal mit Slums bebaut werden. Deshalb haben wir jedes Jahr Erdrutschkatastrophen mit vielen Toten. Ein Heer von Arbeitslosen zieht im Lande umher und verdingt sich bei der Zuckerrohrernte, haust den Rest der Zeit aber in Armenvierteln mit Drogen, Gewalt, Prostitution. Es fehlt eben dringlich eine Bodenverteilungsreform, um die Menschen auf dem Lande zu halten.“
Brasiliens Kreuz mit dem Sex
Bei Morden an Homosexuellen habe das Land im Weltvergleich „eine grauenhafte Führungsrolle“, prangert der Schwulen-Führer und Anthropologe Luiz Mott an. Es handele sich um „Hass-Verbrechen, ausgeführt mit besonderer Grausamkeit“. In Brasilien würden mehr Gays getötet als bei Homosexuellen-Hinrichtungen im Iran, Saudi-Arabien, Sudan, Nigeria und weiteren sieben Staaten, in denen die Todesstrafe für Schwule gelte. „In den USA, mit etwa 100 Millionen mehr Bewohnern, tötet man 25 Gays pro Jahr, hier 250!“ Die Dunkelziffer sei indessen sehr hoch, man erfahre nur von einem Bruchteil der Morde. Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gehe in die Geschichte als „Vampiro dos Gays“ ein. Da erschien lobenswert, dass die neue Regierung unter Präsidentin Dilma Rousseff an 6.000 öffentlichen Mittelschulen des größten bisexuellen Landes der Erde eine intensive Aufklärungskampagne zugunsten der Rechte von Schwulen, Lesben und Transvestiten starten, einen so genannten „kit anti-homofobia“ verteilen wollte. „Wir machen keine Propaganda für sexuelle Optionen“, erklärte dann jedoch überraschend die Präsidentin, zog den „kit“ zurück. Man werde sich in das Privatleben der Leute nicht einmischen.
Geplant war, den Heranwachsenden auch sehr anschauliche Videos vorzuführen, in denen als Vorteil der Bisexualität genannt wird, doppelt so viele Chancen zu haben, eine attraktive Person, einen Beziehungspartner zu finden. In einem Lande immerhin, in dem entgegen gängigen Klischees Einsamkeit ein Massenphänomen ist. Der Stimmungswandel bei Präsidentin Rousseff, hieß es in den Landesmedien, sei auf Druck der starken puritanischen Fraktion evangelikaler Sekten im Regierungsbündnis erreicht worden. Doch nicht wenige Brasilianer meinen, dass man mit dem Aufklärungs-Kit bei Brasiliens Jugendlichen ohnehin nur offene Türen eingerannt hätte – alles ist den Heranwachsenden ja aus ihrem Lebensumfeld bekannt. Die geplante Anti-Homophobie-Kampagne ginge an den Landesrealitäten vorbei, weil sie die gravierendsten Probleme aussparte – wohl um keine schlafenden Hunde zu wecken.
Einen wichtigen Hinweis hatte 2010 der brasilianische Erzbischof Dadeus Grings gegeben, der als Problem nannte, dass die heutige Gesellschaft pädophil sei – und die Menschen leicht dafür anfällig. Als Erzbischof konnte er schwerlich in die Details gehen. Yvonne Bezerra da Silva, bildende Künstlerin und Slum-Sozialexpertin kann das, nimmt kein Blatt vor den Mund. Bereits in den neunziger Jahren spricht sie sich für Sexualerziehung schon für Siebenjährige aus, will Kenntnisvermittlung über Familienplanung für Arme an sämtlichen Grundschulen. „Die große Mehrheit der Unterschichtskinder ist Teil völlig zerrütteter Familien, nicht selten hausen auf nur neun Quadratmetern zehn Personen; Jungen und Mädchen sehen täglich homo- und heterosexuellen Verkehr, betrachten diesen Umstand gleichwohl als natürlich, nicht etwa als unmoralisch oder Sünde.“ Auch der Umgang mit Rauschgift sei alltäglich. „Für die Mädchen gehört zu den gängigen Erfahrungen, mit acht, neun oder zehn Jahren vergewaltigt zu werden. Alles ist für sie Teil eines bekannten und akzeptierten Konzepts, integrierender Bestandteil ihrer Existenz.“ Als sehr dramatisch stuft Yvonne Bezerra de Mello die Situation der Jungen ein. Bereits von sechs oder sieben Jahren an ließen sie sich von Jugendlichen oder erwachsenen Männern sexuell missbrauchen, kennen bis 13 oder 14 nur homosexuellen Verkehr. „Keineswegs selten ist, dass bereits Zehnjährige zwei- bis dreimal pro Tag Sex mit Männern haben – und wie die anderen stets im Tausch gegen irgendetwas, häufig umgerechnet nur 75 Cents; im Unterschied zu den Mädchen, die sich sexuell missbrauchen lassen, als ob es ihr Schicksal wäre.” Nicht wenige Brasilianer nennen Fälle allgemein bekannt, dass sogar an öffentlichen Schulen schwächere Schüler von den stärkeren selbst in Gruppen vergewaltigt, zu Analverkehr gezwungen werden, was für die Betroffenen keineswegs selten zu einem lebenslangen Trauma und gestörten Beziehungen zum anderen Geschlecht führt. Denn was jene Jungen, die sich in der brutalen Macho-Gesellschaft nicht gegen Vergewaltigung wehren konnten, durch andere erlitten haben, wird verbreitet, herumerzählt – mit den entsprechenden psychologischen Wirkungen.
Den Roman „Ana in Venedig“ von Thomas-Mann-Experte Joao Silverio Trevisan aus Sao Paulo hat vielleicht mancher gelesen – in Brasilien ist der Autor indessen auch ein angesehener Schwulen-Aktivist, der den eigenen Haufen politisch unkorrekt immer wieder in die Mangel nimmt. Als Brasiliens Oberstes Gericht 2011 gleichgeschlechtlichen Partnerschaften die gleichen Rechte zubilligt wie verheirateten homosexuellen Paaren, hat dies Trevisan heftig begrüßt – und kommentiert. ”Die Menge an verheirateten Männern, die in Brasilien ihre Homosexualität heimlich ausleben, ist skandalös und erschreckend hoch. Bei der brasilianischen Bisexualität handelt es sich um eine heimlich ausgelebte Homosexualität … Männer schlafen gerne miteinander – und danach heiraten sie Frauen. Das ist in Brasilien historisch … Es ist die Scheinheiligkeit, in der wir leben. Brasiliens Kultur ist karnevalisiert. Es ist die Kultur der Maske … Wir benutzen die Maske im Guten wie im Bösen … Die falsche Bisexualität gehört zu dieser Maske … Ich übe ernste Kritik an der Homosexuellenbewegung. Es ist eine der Elite, und was sie erreichte, war durch Lobbyarbeit. Die brasilianische Homosexuellengemeinde ist politisch entfremdet…” Aber warum fühlen sich in Brasilien so viele Leute durch Gays gestört, warum gibt es all diese Gewalt? „Der Macho fühlt sich bedroht, man frage mich nicht, warum. Ich persönlich denke, dass sich hinter den ideologischen Motiven sehr ernste psychologische verstecken. Vereinfacht könnte man sagen: Sie sind bedroht, weil es irgendeine Art von Verzauberung, Anziehung gibt, gegen die sie sich verteidigen.”
Karnevalisierte Kultur und Kultur der Maske – Trevisan gibt wichtige Hinweise zum Verständnis soziokultureller Besonderheiten Brasiliens, die im Alltagsleben teils extrem widersprüchlich daherkommen. Wer wird schon gerne zugeben, dass ihm Analverkehr mit Tieren unheimlich liegt – aber beinahe auf jedem Marktplatz, bei großen Kabarettisten und Musikclowns wie Caçarola ist die verbreitete Zoophilie ein beliebtes Thema. Zum „Tarado do Sertao“, einem lustigen Forró, im Internet leicht zu finden, lässt es sich gut tanzen – und mitsingen: „Liebe machen mit der Eselin im Wald – ach war das schön!“ Wer meint, hier werde Sensationalismus betrieben, wird bei Wikipedia Brasilien über Zoophilie geschrieben finden, dass im Lande bekanntlich viele junge Menschen Geschlechtsverkehr mit Tieren pflegten. Hühner überleben ihn gewöhnlich nicht, heißt es. Gruppen von Jungen liquidierten auf diese Weise ganze Hühnerställe alter Frauen. Brasilianerinnen berichten, dass Sexpartner ihnen gestanden hätten, den ersten Geschlechtsverkehr des Lebens mit Tieren gehabt zu haben. Den Frauen war diese Praxis männlicher Jugendlicher und Männer indessen gut bekannt, überraschte gar nicht. Esel-Songs wie von Caçarola sind ja jedermann geläufig.
Heitere Szenen würden besonders im brasilianischen Nordosten auf den Straßen ausgelöst, wenn an Zoophilie gewöhnte Esel sich ihren Partnern näherten, an ihnen rieben und dadurch für jedermann das Zoophilie-Verhältnis offenbar werde. Bekannt ist der Habitus junger Männer, mit ihrer neuen Freundin jene Ecken von Stadt oder Dorf zu meiden, wo ein vorher zur Zoophilie genutzter Esel, eine Eselin plötzlich auftauchen und diese Männer kompromittieren könnte. Ist eine Weide in Sicht, wo solche Esel grasen, machten diese Männer mit ihren Partnerinnen schleunigst kehrt oder einen Bogen – ob im Nordosten oder im südlichen Paraná. Ein bekannter Musiker erläuterte im Interview, dass Jungen im Nordosten bei Eseln die nötige Höhe herstellten, indem sie hinter den Tieren Ziegelsteine aufschichten. Genug der Details, höchstens noch ein makabrer Schlenker in die Politik. Leonel Brizola aus Rio, zu Lebzeiten Vizepräsident der Sozialistischen Internationale und nach eigenen Angaben Freund von Willy Brandt, sprengte 1994 zu Ostern eigenhändig einen berüchtigten Kerker auf der paradiesischen Ilha Grande in die Luft, um sich von dunklen Punkten in seiner politischen Biographie zu befreien. Die Explosion tötete, so ein Gefängniswärter und zahlreiche Inselbewohner, auch etwa 300 zumeist von Lepra und anderen Krankheiten befallene Hunde, die von den zuletzt 700 Häftlingen zum Zwecke der Zoophilie gehalten wurden.
Was stimmt denn nun? Bis heute wird das Tropenland von europäischen Öko-Parteien, Umweltorganisationen wie Germanwatch sowie vielen Medien heftig gelobt, weil es den Strombedarf zu etwa 80 Prozent aus Wasserkraftwerken decke. Das sei sehr klima- und umweltfreundlich, es gebe keinerlei schädliche Emissionen, der Strom sei sauber. Beim Klimaschutz habe Brasilien die Nase vorn, hieß es in Kopenhagen. Doch dann kommt so ein schnauzbärtiger Öko-Ami wie Philip Fearnside daher, der als Biologe auch noch für ein brasilianisches Regierungsinstitut arbeitet, und sagt bereits seit 1995, alles Mumpitz – das Gegenteil sei richtig.
Die Bilder könnten ja nicht gegensätzlicher sein: Hier grausig rauchende Schlote von Kohlekraftwerken, dort dagegen die Idylle von Stauseen, in denen fröhliche Kinder baden und Touristendampfer sowie Segelboote unterwegs sind. Aber so einer wie Fearnside will uns weismachen, richtig schlimm seien die Staudämme besonders in Amazonien, schlimmer als die mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerke. Der geplante Staudamm von Belo Monte am Rio Xingú gar werde eine regelrechte Treibhausgas-Fabrik. Komischerweise behaupten so etwas auch andere Wissenschaftler Brasiliens – aber man muss nach ihnen regelrecht suchen, weil in der öffentlichen Meinung die Wasserkraft-Bewunderer dominieren.
Dr. Sergio Pacca von der Bundesuniversität in Sao Paulo ist jedenfalls so ein Quertreiber, der Wasserkraftwerke auch als extrem klimafeindliche Methan-Schleudern kritisiert. Giftiges Methan entstehe im Staubecken – durch Zersetzung organischer Materie mittels Mikroorganismen unter Ausschluss von Sauerstoff, bekommt man von Pacca zu hören. „Je höher die Temperatur, umso schneller läuft der Prozess ab. In tropischen Ländern vermehren sich die Mikroorganismen rascher und bilden entsprechend mehr Methangas als in den kühleren Ländern. Bei einem neuen Staubecken wird die dortige reiche Biomasse überflutet – Basis der Methanproduktion.“ Selbst wenn die teilweise noch vorhandenen Urwälder vorher abgeholzt worden seien, bleibe noch viel Wurzelwerk im Boden. Und das entstehende Methan, so Pacca, werde an die Atmosphäre abgegeben, trage sehr stark zum Treibhauseffekt bei.
Darauf muss man erstmal kommen, zumal das klimaschädliche Potenzial einer Tonne Methangas laut neueren Studien 34-mal größer als das einer Tonne Kohlendioxid ist, über das gewöhnlich immer geredet wird. „Selbst kleinere Mengen Methan müssen daher beim globalen Klimawandel wichtig genommen werden“, so Sergio Pacca. Es sei einfach nicht haltbar, Wasserkraftwerke mit anderen Energietechnologien zu vergleichen, ohne den Methan-Faktor zu berücksichtigen. Doch genau dies geschiehe.
Würden nicht Indianerstämme aus ihrem Lebensraum vertrieben, wäre Belo Monte eigentlich gar nicht so schlecht, ist auch in Deutschland zu hören – Brasilien wollw sich ja schließlich entwickeln, wirtschaftlich wachsen, habe ein Recht darauf. Leute wie Pacca oder gar Fearnside, der Amazoniens Stauwerke seit Jahrzehnten vor Ort am intensivsten beforscht, kommen mit ihren Einwänden da nie vor, was stutzig macht. In Brasilien wird Fearnside auch von Regierungsstellen kräftig beharkt, weil er Belo Monte ablehnt, das immerhin auch Ex-Präsident Lula und seine Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff unbedingt durchziehen wollen.
Fragt man den Biologen in der drückend heißen Amazonasmetropole Manaus, etwa 4.000 Kilometer nördlich von Sao Paulo, wie das eigentlich funktioniert – er als Ausländer am staatlichen Nationalinstitut für Amazonasstudien/INPE, aber in scharfer Gegnerschaft zu Brasilias gigantomanischen Wasserkraftprojekten – kommt als Antwort nur ein kurzes ironisches Lachen. Vielleicht kann man einem wie Fearnside schlecht an den Karren fahren – der Mann bekam den UN-Umweltpreis „Global 500“, dazu den brasilianischen Öko-Nationalpreis.Darüber hinaus gehört Fearnside zur Akademie der Wissenschaften Brasiliens und ist weltweit einer der führenden Experten für Klimaerwärmung. „Unter jenen, die die Erlaubnis für alle derzeit im Bau befindlichen Amazonas-Wasserkraftwerke erteilten, gibt es welche, die alles bestreiten, was ich sage. Ich zitiere sie natürlich ausführlich.“
Spricht man Fearnside auf das überschwängliche Kopenhagen-Lob für Brasilias Klimaschutzpolitik an, kommt noch so ein ironisches Lachen. „Zwar gibt es viele Studien wie die von mir über den Methan-Sachverhalt, doch wird in der Presse und in politischen Reden so oft wiederholt, dass diese Energie sauber sei, dass die Leute schließlich nur dies gehört haben und sich daher nicht weiter in die Sachlage vertiefen. Doch an den Fakten über die klimaschädlichen Emissionen ändert das nichts.“
Fearnside nutzt gerne anschauliche Beispiele – wie den Hinweis auf das beim Öffnen einer Colaflasche zischend entweichende Gas. „Alles organische Material, Kohlenstoff im Boden, Bäume und Wasserpflanzen zersetzen sich auf dem Grund des Stausees – das Wasser dort ist also unter hohem Druck stark methanhaltig und gelangt schließlich in die Turbinen der Wasserkraftwerke, wo ebenfalls noch hohe Drücke herrschen. Aber danach gelangen die Wassermassen dann an die freie Atmosphäre. Die im Wasser gebundenen Gase, darunter Methan, zischen in Bläschen heraus – deshalb mein Vergleich mit der Colaflasche. Und die Sicherheitsabläufe der Stauseen wirken auf ähnliche Weise. So wird der Treibhauseffekt erheblich befördert. In Amazonien wirken Wasserkraftwerke im Endeffekt häufig schädlicher, negativer, als die zur Elektrizitätsgewinnung verbrannten fossilen Energieträger.“ Die bereits in Amazonien existierenden Wasserkraftwerke produzierten daher keineswegs saubere Energie, seien in Bezug auf den Klimaschutz keineswegs nützlich. Belo Monte treibe es auf die Spitze. „Vier Monate im Jahr kann man wegen tiefen Wasserstands keine einzige Turbine betreiben, da entsteht dann ein Schlammbecken von 3.500 Quadratkilometern, wo üppig Pflanzen wachsen, die später zu Methan zersetzt werden. Doch in amtlichen Umweltgutachten für Brasiliens Wasserkraftwerke wird stets nur der geringe Gasaustritt über die Wasseroberfläche berücksichtigt, nicht der über Turbinen und Sicherheitsabläufe.
Ebenfalls in Manaus forscht André Muggiati von Greenpeace und kann ebenso wenig Gründe für soviel deutsches Lob an Brasilias Klimaschutzpolitik entdecken. „Die Abholzung ist Hauptursache der Treibhausgase aus Brasilien. Das Land ist daher der viertgrößte Luftvergifter der Welt – nach Indonesien, China und den USA.“ Und für den brasilianischen Umweltexperten Dr. Fabio Olmos ist jene Germanwatch-Statistik, die Brasilien an vorderste Stelle rückt, eine „unehrliche Form, die Situation darzustellen. Es ist unverständlich, wieso jemand diese Germanwatch-Statistik überhaupt für bare Münze nimmt.“
Inzwischen haben Brasiliens Umweltschützer zusätzliche altbekannte Sorgen, weil seit dem Start der Rousseff-Regierung gleich eine ganze Serie systemkritischer Öko-Aktivisten ermordet worden ist – allein fünf im April bei Curitiba, drei im Juni in Amazonien. Auch ein Menschenrechtsanwalt wurde erschossen. Entsprechend stark ist das Klima der Einschüchterung und Angst. Brasiliens neue Menschenrechtsministerin Maria do Rosario räumte ein, dass auch in Amazonien Todesschwadronen aktiv sind, zu denen bekanntlich Staatsangestellte gehören. Laut Landgewerkschaftsangaben wurden in den letzten Jahren, also unter der Lula-Regierung, nach 17 derartigen Morden nicht einmal Ermittlungsverfahren durch die Bundespolizei eingeleitet.
Indessen erhält die Rousseff-Regierung – ebenso wie die Vorgängerregierung – aus Europa, darunter Deutschland, sehr viel Lob und wird ausdrücklich als modern und progressiv eingestuft. Das wird wohl mit dem neoliberalen Wertewandel zusammenhängen. Auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung rangiert Brasilien jedenfalls nur auf Platz 73, und die UNO-Bildungsstatistik verzeichnet das Tropenland gar erst an 93. Stelle. Aufschlussreich ist da, welche Länder bessere Plätze belegen: Iran (89), Saudi-Arabien (84), Botswana (81), Libyen (66), Bolivien (61), Bahrein (49), Argentinien (40) Kuba (16).
Die Presselandschaft des Tropenlandes bietet ein eher erfreuliches Bild. Investigativer Journalismus ist auffällig stark in Qualitäts-und Alternativmedien – unabhängig agierende Reporter und Redakteure widersetzen sich den weltweit üblichen Medien-Eingriffen durch Parteien oder Regierungsfunktionäre und enthüllen kontinuierlich gravierende Skandale um Machtmissbrauch und Korruption an der Staatsspitze. Auch der Libyenkrieg zeigt es plastisch – es gibt viel weniger Mainstream als in Deutschland.
Kurz vor seinem Abtreten sorgte Staatschef Lula Ende 2010 für ein kommunikationswissenschaftlich bemerkenswertes Faktum: Vor Vertretern großer Auslandsmedien, besonders aus der Ersten Welt, lobte er in Rio de Janeiro die internationale Presse geradezu euphorisch für ihre Berichterstattung über das heutige Brasilien. Die günstige Darstellung sei verantwortlich für das gute Image, das das Land derzeit im Ausland habe. Die brasilianischen Landesmedien kommentierten Lulas Auftreten teils tief ironisch – denn die Auslandskorrespondenten behandelte er völlig anders als die nationale Presse, die er konstant und sogar wütend kritisierte, ihr sogar vorwarf, ihn zu verfolgen oder nicht die guten Seiten seiner Regierung zu zeigen. Auffällig war gerade in den letzten Jahren: Je schärfer die Kritik von innen an Lula, dessen Arbeiterpartei und seiner Chefministerin Dilma Rousseff, inzwischen Nachfolgerin im Präsidentenpalast, umso lauter das Lob von außen.
Noch mitten im Präsidentschaftswahlkampf von 2010 ärgerte sich Lula öffentlich heftig über Zeitungsenthüllungen, die ihn zum Entlassen von Regierungsmitgliedern zwangen: Wunschkandidatin Dilma Rousseff hatte für ihren Chefministerposten eine enge Freundin, Erenice Guerra, bestimmt. Lula nahm sie zunächst in Schutz, würdigte ihre „enormen Leistungen für das Land“. Doch Brasiliens investigative Journalisten förderten Tag für Tag mehr belastendes Material gegen Erenice Guerra zutage – bis Lula sie schließlich feuern musste. Und Dilma Rousseff bricht bereits im ersten Amtsjahr sämtliche Entlassungsrekorde, rutscht mit ihrer ganzen Regierung in eine tiefe Korruptionskrise. Wegen Presseenthüllungen musste sie sich zuerst ausgerechnet von ihrem engen Freund, Wahlkampfleiter und wichtigstem Minister, dem Chef des Zivilkabinetts, Antonio Palocci, trennen. Dann stürzten der Transportminister und über zwanzig weitere hohe Regierungsfunktionäre. Die Liste der Gefeuerten wird fast täglich länger.
Ohne wache, unabhängig agierenden Journalisten wäre im heutigen Brasilien kaum ein realistischer Einblick in die weiter von Lula mitbestimmte Regierungsarbeit unter Dilma Rousseff möglich. Aber immer noch ist eine Unmenge zwielichtiger Figuren auf höchsten Posten.
Brasiliens Presse unterscheidet sich soziokulturell erheblich von der mitteleuropäischen. Der Mainstream wird häufiger durchbrochen, das sachliche Gegenüberstellen von Positionen und Beobachtungen ist normal. Die Scheu vor unbequemen Fakten ist geringer, die Schilderung selbst schockierender Alltagstatsachen gewöhnlich authentischer, unbefangener und weit weniger politisch korrekt. Als Anfang 2011 bei einem Häftlingsaufstand Menschen geköpft wurden, zeigten Landesmedien die abgeschlagenen Köpfe, um den Brasilianern ein realistisches Bild der gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu vermitteln.
Brasiliens Qualitätsmedien stellen auch den Libyenkrieg anders dar als der mitteleuropäische Mainstream – sie wiesen sofort auf die zivilen Opfer der Bombardements hin, nannten als Hauptmotiv der Militäraktionen strategische Ressourcen wie Erdöl und betonten Parallelen zu den unter einem Vorwand begonnenen Irakkrieg.
Doch es gibt auch die andere Seite der Medaille. Eine Fundamentalkritik, wie sie die Universitätsprofessorin Zilda Iokoi, eine frühere politische Gefangene, auf einer Tagung des Goethe-Instituts Sao Paulo äußerte, ist durchaus zutreffend: „Die großen tonangebenden Medien Brasiliens berichten systematisch über viele brisante Fakten nicht – und das ist Zensur. Neun Familien beherrschen das nationale Mediensystem – man liest nur, was die Zeitungsbosse wollen. Oft schreiben Journalisten über Unerwünschtes, doch deren Texte werden gekürzt, zensiert. Mir sagen Journalisten beim Interview immer wieder: Ich weiß aber nicht, ob es gedruckt, gesendet wird.“ Welchem Kollegen in Mitteleuropa kommt dies nicht irgendwie bekannt vor …
Vieles, was große kommerzielle Medienkonzerne wie „O Globo“ trotz hervorragender, mit zahlreichen Publizistik-Preisen geehrter investigativer Journalisten nicht liefern – oder nicht liefern wollen, kommt allerdings seit Jahren wenigstens teilweise von alternativen Internet-Medien, darunter der befreiungstheologisch orientierten Nachrichtenagentur ADITAL, von der Wochenzeitung „Brasil de fato“ oder der Radioagencia NP. Längst sind Brasiliens Leitmedien gezwungen, Blogs und Community Media zu verfolgen und dort geäußerten Vorwürfen nachzugehen.
Anfang 2011 erinnerte Brasiliens nationaler Presseverband ANJ in ganzseitigen Anzeigen an die enorme Leistung jener investigativen Journalisten, die Lulas größtes politisches Desaster, den so genannten Mensalao-Skandal um Parteien-und Abgeordnetenkauf, an die Öffentlichkeit brachten. Lula drohte sogar die Amtsenthebung – in nicht wenigen Auslandsmedien wurde das Thema indessen auf sehr kleiner Flamme gehalten. Gleiches galt für die auffällig engen freundschaftlichen Beziehungen des angeblich linksorientierten Ex-Gewerkschaftsführers ausgerechnet zu Oligarch José Sarney, Ex-Chef der Folterdiktatorenpartei ARENA, starker Mann des rechtsgewirkten Partido do Movimento Democrático Brasileiro (PMDB) und wichtigster politischer Regierungspartner auch derzeit unter Dilma Rousseff. Als Lula von einem Journalisten auf die Unterstützung durch die „Sarney-Oligarchie“ angesprochen wurde, entgegnete er irritiert und verärgert: „Sie müssen sich medizinisch behandeln lassen, vielleicht eine Psychoanalyse machen, um das Vorurteil zu vermindern.“ Für die Hilfe der Sarney-Gruppe sei er durchaus dankbar.
Ein Hinweis darauf, dass in Brasilien die Uhren in der Politik und auch im Journalismus tatsächlich anders gehen als in Mitteleuropa, sind zudem die vom Steuerzahler finanzierten Ausgaben für Propagandaanzeigen der Regierung, etwa in den Zeitungen, die unverhältnismäßig hoch sind. Sie übersteigen ganze Sozialetats – bei fortdauerndem Hunger und weiter rasch wachsenden Slums.
Kritik einheimischer Journalisten geht jedoch nur zu oft ins Leere, wird kaum wahrgenommen. Laut José Arbex, Kommunikationsexperte und Universitätsprofessor aus Sao Paulo, verhinderte der Mensalao-Skandal die Wiederwahl Lulas nicht, weil dieser von einer Gesellschaftsschicht unterstützt werde, die keine Zeitung lese und sich daher nicht betroffen fühle. Aus dem gleichen Grunde habe auch der Skandal um Erenice Guerra keine größeren nachteiligen Wirkungen für die Wahl von Dilma Rousseff gehabt.
Ein TV-Wahlkampfspot zeigte die Verhältnisse ebenfalls exemplarisch: In der UNO-Vollversammlung von New York erheben sich Staatschefs, Außenminister und Diplomaten von den Plätzen und jubeln Lula stehend zu. Brasilianische Journalisten gingen der Sache nach. An jenem Tag nahmUNO-Generalsekretär Kofi Annan seinen Abschied und erhielt entsprechende Ovationen. Wahlkampfmanager montierten diese hinter den nur schwach applaudierten Lula-Auftritt. Als vorhersehbar beschrieben und kommentierten lediglich zwei, drei Qualitätszeitungen diesen alten PR-Trick und zitierten Oppositionspolitiker, die von „großem Betrug“, Verletzung der Wahlgesetze und „lächerlichen Lügen“ sprachen – weitere Reaktionen der Öffentlichkeit gab es nicht.
Doch Qualitätszeitungen sind im größten Teil des Landes gar nicht erhältlich. Und Manipulationen dieser Art werden auch dadurch erleichtert, dass aufgrund des laut Intellektuellen und kirchlichen Menschenrechtsaktivisten absichtlich niedrig gehaltenen Bildungsniveaus drei Viertel der Erwachsenen nicht in der Lage sind, einen simplen Zeitungs- oder Buchtext auch nur zu lesen, geschweige denn zu verstehen. So hat gemäß Umfragen das Gros der Pflichtwähler gar nicht begriffen, um was es bei den zahlreichen Korruptionsskandalen um Lula und dessen Regierung eigentlich ging – Skandale immerhin, die in Ländern wie Deutschland zu enormer öffentlicher Empörung geführt hätten. Auch die Wirkungsmöglichkeiten alternativer Internet-Medien sind dadurch stark eingeschränkt.
Die Interamerikanische Pressegesellschaft (SIP) hat Attacken von Lula und anderen hohen Politikern auf unbequeme Landesmedien scharf verurteilt. Angesehene Diktaturgegner veröffentlichten sogar ein „Manifest zur Verteidigung der Demokratie“, warfen Lula „Autoritarismus“ vor und wandten, wenden sich gegen offene und verdeckte Einschüchterung von Journalisten.
Die Auslandsmedien ignorieren derartige Vorgänge in der Regel ebenso wie die alltäglichen gravierenden Menschenrechtsverletzungen, darunter landesweite, systematische Folter durch Staatsangestellte, das Wüten der Todesschwadronen, die Scheiterhaufen von Rio de Janeiro, die Massengräber für „Nichtidentifizierbare“, die außergerichtlichen Exekutionen. Brasiliens Qualitätsmedien berichten darüber detailliert und kontinuierlich, kritisierten auch die jüngsten Slum-Besetzungen von Rio de Janeiro durch Militär und Polizei erstaunlich scharf. Von Auslandsmedien kommt dagegen fast nur Lob.
Entsprechend zufrieden ist Brasilia, das in den letzten Jahren erhebliche Summen in die Auslandspropaganda investierte. Laut Wirtschaftszeitschrift Brasil Economico wurden allein 2009 umgerechnet über 40 Millionen Euro verausgabt. Zitiert wird ein Regierungsfunktionär Brasilias: „Unsere Priorität ist, Brasiliens Image als das einer großen, sozial, politisch und wirtschaftlich stabilen Demokratie zu stärken.“ Auch die Inlandspropaganda wurde unter der Lula-Rousseff-Regierung enorm forciert. 2003, zum Amtsantritt, hätten 499 Medien Regierungsgelder für Propaganda-Verbreitung erhalten, 2009 seien es indes schon 7.047 Medien gewesen, heißt es in kritischen Analysen. Viele brasilianische Politiker besäßen Zeitungen, Radio-und TV-Stationen, und zahlreiche Medien seien von Regierungspropaganda regelrecht abhängig.
Für Propagandazwecke ausgegebene Mittel fehlen dann natürlich für die Hunger-und Elendsbekämpfung, für Bildung und Gesundheit.
Nicht ungewöhnlich ist schließlich, dass hohe Politiker, gegen die ermittelt wird, Medien gerichtlich untersagen lassen, darüber zu berichten.
Fast täglich drucken die Zeitungen aber weiterhin interessante, unbequeme, gut fundierte Texte, die Brasilienklischees und offiziellen Versionen widersprechen. Als die Lula-Rousseff-Regierung weltweit verbreiten ließ, dass die internationale Wirtschafts-und Finanzkrise auf Brasilien nur geringe Auswirkungen gehabt habe, belegten investigative Journalisten just das Gegenteil, weisen auf Rekordentlassungen, den Stopp vieler Industrieprojekte, auf Exportprobleme und Deindustrialisierung sowie auf geschönte offizielle Statistiken hin.
Und Wikileaks rennt mit seinen Brasilien-Enthüllungen bei den einheimischen Journalisten lediglich offene Türen ein. Leere antiamerikanische Rhetorik Brasilias wurde stets gegeißelt und die jetzt bekanntgewordene, ans Weiße Haus gerichtete „Bitte um Verständnis für Sprüche gegen die USA in Wahlkampfzeiten“ daher genüsslich zitiert. „Es existierten zwei Beziehungen zwischen Brasilien und den Vereinigten Staaten während der acht Lula-Jahre im Präsidentenpalast“, analysierte Fernando Rodrigues von der Folha de Sao Paulo, Brasiliens größter Qualitätszeitung. „In der Öffentlichkeit gab es Prügel für die Nordamerikaner – im vertraulich-privaten Umgang indessen Liebkosungen für die Brüder im Norden.“ In der Öffentlichkeit dominiere zwar ein bestimmter infantiler Antiamerikanismus – im Wirtschaftlichen dagegen die Anerkennung der Hegemonie des Partners. „Im kulturellen Bereich, um die Schizophrenie komplett zu machen, sieht man sogar eine enthusiastische Übernahme von Sitten, Gebräuchen, Moden.“
Dr. Claudio Guimaraes dos Santos in Sao Paulo zählt zu den wichtigsten Denkern Brasiliens und liefert zum Verständnis der widersprüchlichen (Medien-)Realität des Landes wichtige Argumente: „Das Volk schaut den schockierendsten Skandalen stumm zu – die immense Passivität des Brasilianers wird teils durch fehlende Bildung und Kultur verursacht. Es fehlt Bewusstsein dafür, dass man eine solidarische Gesellschaft aufbauen müsste. Die brasilianische Demokratie ist krank. Eine der Säulen der Demokratie, der freie, mündige, kritische, bewusste Bürger, existiert in Brasilien nicht. In den letzten zweihundert, dreihundert Jahren hat man eine unkritische Masse geschaffen – unfähig, zu entscheiden. Unsere Eliten sind immer kulturloser, ungebildeter. Niemand mag schlechtes, verdorbenes Essen – doch schlechte Informationen schlucken alle massenweise und völlig unkritisch. Hier fehlt intellektueller Dialog. Ich fordere meine Kollegen stets auf: Wenn ihr es nicht aussprecht, wer wird es dann tun? Der Fußballer, der Pagodesänger, der schlechte Politiker, der jede Chance zum Reden sofort nutzt? Wenn wir schweigen, beherrschen diese Leute die Szene. Deshalb dürfen wir auch Risiken nicht scheuen!“
Als Deutschlands Bundespräsident Christian Wulff 2011 die chaotische Megacity, Lateinamerikas führenden Wirtschaftsstandort mit über 1.200 deutschen Firmen besucht, wird am Ankunftstag im Zentrum ein Obdachloser lebendig verbrannt, am Abreisetag ein weiterer. In Sao Paulo wüten Todesschwadronen der Militärpolizei, gibt es Massengräber, über 2.000 grauenhafte Slums mit Hunger und Lepra, prostituieren sich schon zehnjährige Mädchen für weniger als einen Euro, um Crack zu kaufen – und vor aller Augen in ganzen Horden zu konsumieren. Man muss sich diese Zustände vergegenwärtigen, die von den allermeisten Paulistanos apathisch-passiv hingenommen oder sogar verdrängt werden, um Situation und Rolle der etwa 70.000 Juden im Menschenmeer der elf, zwölf Millionen zu verstehen. Denn diese „judeus“ scheinen schärfer zu diskutieren, sich effizienter zu engagieren, bringen Resultate, von denen dann alle, ob Arme oder Reiche, etwas haben. Lateinamerikas bestes Hospital, ein Riesenkomplex namens „Albert Einstein“ im Viertel Morumbi, haben die Stadt-Juden errichtet – geleitet wird es von dem weltbekannten Mediziner Claudio Lottenberg, Präsident der jüdischen Gemeinde ganz Brasiliens.
Der in Israel geborene Oded Grajew aus Sao Paulo, Erfinder, Aktivist des Weltsozialforums, verweist auf dessen Bedeutung für die jüngsten arabischen Entwicklungen. „Für jene, die das Weltsozialforum und unsere Spezialforen in Ägypten oder Tunesien mit Interesse und Sensibilität frequentierten, ist alles, was derzeit in der arabischen Welt geschieht, keinerlei Überraschung.“
Und dann Pedro Herz, dessen Kulturkaufhäuser, mit Kinos, Theatern, Kursen und Konzerten in ganz Brasilien tonangebend sind. In einem Land des Analphabetismus, in dem sogar ungezählte Uni-Studenten in ihrem Leben nicht einen einzigen Roman lasen, wird der Deutschstämmige zum Kulturpionier – die größte „Livraria Cultura“ Sao Paulos ist selbst am Wochenende voll wie ein Supermarkt, dort kaufen sogar lateinamerikanische Staatspräsidenten. „Da bin ich stolz drauf – wir verkaufen Ideen!“, sagt Pedro Herz.
Nachvollziehbar daher, dass viele im kosmopolitischen Sao Paulo die jüdische Gemeinde bewundern, stark und gut organisiert empfinden, ausdrücklich als ein Beispiel für die anderen Einwanderergemeinden nennen. Die Juden, heißt es, seien sich einig im Kampf für Menschenrechte, bei der Hilfe für Bedürftige, leisteten gerade im öffentlichen Gesundheitswesen, das außerhalb Sao Paulos oft katastrophal sei, ganz Erstaunliches, weit über ihr Einstein-Hospital hinaus. Ob das den „judeus“ bewusst ist, in einer von Desorganisation und Laissez-faire geprägten Gesellschaft? Redet man mit ihnen, fällt das hohe Maß an Selbstkritik auf, das Messen an höchsten Qualitätsmaßstäben. Für Außenstehende scheint die seit über hundert Jahren existierende Gemeinde stabil zu sein – die Juden selbst beobachten indessen Rückgang, gar Schwächung. Viele, die teils noch vor den Nazis aus Deutschland flohen, erleben bestürzt, dass ihre hoch qualifizierten Kinder just in dieses Land, doch auch in die USA, nach Australien und selbst Israel auswandern, weil sie in Brasilien keine Arbeitsmarkt-und Lebenschancen sehen. Würde die wirtschaftlich-soziale Lage besser, sagt Nelson Rozenchan, Direktor des jüdischen Peretz-Gymnasiums, kämen viele Juden zurück oder migrierten gar hierher. Manche junge Juden Sao Paulos sagen ihren Eltern unumwunden, dass sie in einem Land mit solch einer reaktionären politischen Klasse, unglaubwürdigen Politikern, soviel Unehrlichkeit, ungesundem gesellschaftlichem Klima nicht leben wollen – und weggehen. Rozenchan nennt Zahlen: Vor 20 Jahren gab es in den jüdischen Schulen von Sao Paulo etwa 5.000 Heranwachsende, heute nur noch rund 3.000. In die Synagogen kamen an den Festtagen bis zu 8.000 Juden, heute nur noch etwa 5.000. „Vielen in Sao Paulo Geborenen ist es anders als den vor Pogromen, dem Nazismus Geflohenen leider nicht mehr so wichtig, ihre jüdische Identität zu zeigen, zu stärken, zu betonen – sie nutzen die Synagoge nur noch bei Taufe, Heirat Tod. Viele Juden geben ihr Judentum auf.“
Medienmacher Roni Gotthilf sieht seine Gemeinde im gigantischen, unübersichtlichen Sao Paulo in kleine Inseln zerstreut, deren Bewohnern es lediglich um die eigenen Interessen, vielleicht auch die der eigenen Synagoge gehe. Gotthilf fiele es schwer, die Interessen der gesamten Gemeinde klar zu benennen – doch dass sie schrumpft, steht für ihn außer Zweifel. Viele Juden haben sich assimiliert, dem Lebensstil der anderen Brasilianer angepasst – in einer von Stress, Hektik, Kriminalität und überraschend viel Einsamkeit geplagten Metropole. Junge Juden heiraten immer öfter Nicht-Juden, schicken ihre Kinder nicht mehr in jüdische Schulen, stehen dem Judentum ihrer Eltern fern. „Im neoliberalen Kontext der heutigen Welt kann man sicher relativieren. In Sao Paulo gehen die Leute eher oberflächlich miteinander um – wogegen wir Juden enger zusammenleben, besser zusammenhalten. Doch das Klima hier prägt alle: Wenn die Gesellschaft egoistisch und individualistisch ist, sind wir es in gewisser Weise dann eben auch.“
Durch die schicke Rua Oscar Freire ziehen bei Tropenhitze Gruppen orthodoxer Juden in schwarzem Anzug mit Weste, schwarzem Mantel und Filzhut, umringt von ihren Kinderscharen. Die Familien haben fünf bis sieben Sprösslinge – Liberale, Reformisten oder Konservative bringen es dagegen auf höchstens zwei. Die Orthodoxen, etwa 15 Prozent der Gemeinde, gleichen den Rückgang nicht aus und sind, wie Roni Gotthilf betont, gar nicht gut angesehen. Andere relativieren, sehen bei aller Kritik auch positive Aktivitäten, wie die der Hilfsorganisation Ten Yad mit über 300 Freiwilligen und einer Garküche, die zudem Sozialprojekte der Präfektur leitet und durchweg öffentliches Lob erntet. Die orthodoxe Kleiderordnung gilt indessen als lächerlich und für die jüdische Gemeinde blamabel. „Wer sogar bei schwüler Hitze mit diesen dicken, hochgeschlossenen Klamotten rumläuft, leidet, schwitzt, ermüdet rasch – das ist doch kein Judaismus, sondern Fundamentalismus!“, lauten drastische Kommentare. Andere halten den Orthodoxen zugute, dass sie besonders intensiv versuchen, junge abgedriftete Juden ins Gemeindeleben zurückzuholen, deren jüdische Identität wiederzubeleben.
Der konservative Schuldirektor Nelson Rozenchan stellt unbequeme Fragen. „Zehn Rabbiner haben zur Abtreibung zehn verschiedenen Auffassungen.“ Jetzt, nach Bin Ladens Tötung, erhitzt ihn das Thema Folter. „Wäre ich absolut sicher, dass Folter Menschenleben rettet, würde ich sie anwenden! Ich habe in Israel selbst erlebt,wie es durch Folter gelang, aus Jordanien eindringende Terroristen zu fangen und dadurch etwa 50 Menschen vor dem Tod durch Selbstmordattentate zu bewahren. An dieser Lebenserfahrung kann ich nicht vorbei!“
Mag die Mitgliederzahl der Gemeinde auch abnehmen, die Zahl ihrer identitätsstiftenden Aktivitäten nicht. Herausragend wirkt dabei Sao Paulos Hebraica-Klub, das größte jüdische Gemeindezentrum außerhalb Israels, eine grüne Oase im Betonmeer der Megacity. Viele der jährlich etwa 700 Veranstaltungen, ob Theater, Filmfestival, Konzerte oder Sport, laufen hier – dazu immer neue Aktionen gegen den Antisemitismus. Niemand in Lateinamerika hat soviel über Antisemitismus geforscht und publiziert wie Maria Luiza Tucci Carneiro von der Bundesuniversität Sao Paulo. „Die Gemeinde ist sehr besorgt über zunehmenden Antisemitismus nicht nur in Brasilien, sondern vor allem in Europa – will, dass endlich auch die Regierung mehr dagegen tut.“ Der Lula-Regierung wird von den Juden allgemein vorgeworfen, nicht eben hilfreich gewesen zu sein – des Staatschefs Freundschaft zum Holocaust-Leugner Ahmadinedschad spreche Bände. Neonazi-Gruppen wüchsen täglich mehr in Brasilien, nazistische Symbole, Figuren von Hitler und Himmler würden für 350 Euro ganz offen in Sao Paulo verkauft, Antisemitismus entlade sich auf bizarrste Weise. Taxifahrer schimpfen, an Sao Paulos irrwitzigen Verkehrsstaus seien nur die Juden schuld. Im auch von 15.000 Juden bewohnten Viertel Higienopolis schimpft ein Vater lautstark in der Impf-Schlange, dass er nur wegen dieser „verdammten Juden“ solange warten müsse. „Den Impfstoff für dein Kind hat ein Jude entwickelt“, kontert ein Kipa-Träger. Sei der dann auch ein „judeu maldito?“ Der Vater wird ganz still.
Vale, ThyssenKrupp, Greenpeace, Davos: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/27/brasiliens-bergbaukonzern-vale-das-video-anklicken-brasiliens-regierung-hat-de-facto-die-kontrolle-uber-den-grosten-eisenerzproduzenten-der-welt-laut-handelsblatt/
Tags: , Brasiliens Tränengas für Bahrein, Hitlers Condor-Spezialeinheiten, Spanischer Bürgerkrieg
Laut Brasiliens größter Qualitätszeitung “Folha de Sao Paulo” wird das Tränengas in Nova Iguacu bei Rio de Janeiro hergestellt – der Name “Condor” erinnere an Hitlers Spezialeinheiten, die neue Waffen im spanischen Bürgerkrieg testeten. Die Produktaufschrift des Spezial-Tränengases ist in englischer Sprache – “Made in Brazil”. Im arabischen Frühling liefere Brasilien Waffen an die kriminelle Macht, damit Teil des Verbrechens gegen die Menschlichkeit.
Die Zeitung kommentiert den Fall mit Ironie und Bitterkeit, bezieht sich auf die “Stolz auf Brasilien” – Kampagnen. “Ein brasilianischer Beitrag für jene, die seit Monaten sich gegen die Diktatur von König Hamad Al -Kalifa wenden und die brüderlichen Militärs und Polizisten, beim Verteidigen der Diktatur.” In Bahrein sei deshalb sogar das Formel-Eins-Rennen nicht abgehalten worden. Die USA besäßen dort einen großen Militärstützpunkt, fühlten sich gut mit dem lokalen Regime.
“Sentimentos brasileiros” – “Orgulhe-se, quem for capaz”.
“Ah, nisso sim, poe -se entre as potencias”
Laut der Qualitätszeitung “O Globo” betonte ein Menschenrechtsaktivist, das brasilianische Gas sei viel schlimmer als das nordamerikanische.
“Ein Kleinkind starb als Opfer des brasilianischen Tränengases.” Die Herstellerfirma bei Rio de Janeiro betonte, ihre Produkte in 35 Länder, darunter arabische, zu liefern – kontrolliert vom Verteidigungsministerium und Außenministerium Brasiliens.
Das Tränengas war laut Aufschrift im ersten Amtsjahr von Präsidentin Dilma Rousseff hergestellt worden, die im Unterschied zu brasilianischen Medien auch aus dem deutschen Mainstream sehr viel Lob erhält. In nicht wenigen deutschsprachigen Analysen über das erste Amtsjahr von Dilma Rousseff ist offenbar verboten, die gravierende Menschenrechtslage, darunter Folter und Todesschwadronen, auch nur zu erwähnen. Das Deutschlandjahr in Brasilien 2013/2014 ist in Vorbereitung.
Tränengaseinsatz gegen demonstrierende Systemkritiker vor der Kathedrale von Sao Paulo – das brasilianische Gas erweist sich als außerordentlich effizient.
“Der Linksruck in Lateinamerika in den vergangenen Jahren weckt Hoffnungen.” Rosa-Luxemburg-Stiftung
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/
http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html
Hilfe ins Land der Milliardäre: http://www.rp-online.de/region-duesseldorf/ratingen/nachrichten/sternsinger-hilfe-kommt-an-1.2667039
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/668242/
Tags: , Brasilien, Castro, Günter Nooke, Jürgen Rüttgers, Kindersoldaten, Kuba, Lula, Menschenrechte, Morde an Geistlichen, Nachrufe, persönliche Sicherheit, Reisen, Rio de Janeiro, Rogerio Reis, Sao Paulo, Schutz des Lebens, Tourismus
O-Globo-Kolumne 2012 zu Brasiliens Tourismussituation:”Mehr Brasilianer reisen ins Ausland als Ausländer zu uns. Brasilien ist ein teures Reiseziel – die Infrastruktur des Landes ist prekär.”
“Kriminalität
Die Großstädte Brasiliens, insbesondere Belem, Recife, Salvador, Rio de Janeiro und Sáo Paulo, weisen eine hohe Kriminalitätsrate auf (Eigentumsdelikte, Gewaltverbrechen, Entführungen; siehe auch Allgemeine Reiseinformationen). Grundsätzlich ist Vorsicht angebracht, auch in als sicher geltenden Stadtteilen.”
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/ewelten/1651902/
Scheiterhaufen “microondas” in Rio de Janeiro – laut Lokalzeitung. Populärer Scheiterhaufen-Rap zum Anklicken: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/16/rio-de-janeiro-popularen-scheiterhaufen-rap-microondas-der-scheiterhaufen-stadt-anklicken-vacilou-bem-na-favela-microondas-te-torrou-a-tua-chance-acabou/
Wie starb der mehrfach preisgekrönte TV-Reporter Tim Lopes? Laut Polizeibericht entdeckten ihn Banditen in der Favela Vila Cruzeiro von Rio de Janeiro – Tim Lopes wurde zuerst gefoltert, dann rammten ihm die Gangster einen Spieß in den Brustkorb, hackten seine Füße ab und verbrannten ihn lebendig in Autoreifen – siehe Szene aus ”Tropa de Elite”.
Zeitungsausriß NZZ.
Scheiterhaufen in Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/05/scheiterhaufen-in-sao-paulo-mindestens-15-menschen-in-der-megacity-seit-jahresbeginn-lebendig-verbrannt-laut-landesmedien-fogo-para-matar-rivais/
(Brasiliens Presse, darunter die von Rio de Janeiro, hat in den letzten Jahrzehnten noch weitaus grauenhaftere Nahaufnahmen von Scheiterhaufenopfern veröffentlicht. Auf Scheiterhaufen Rio de Janeiros sind auch immer wieder Bürgerrechtler lebendig verbrannt worden, die sich gegen das Normendiktat der Slum-Diktatoren aufgelehnt hatten. Entsprechende Proteste von eigentlich zuständiger Seite sind indessen bis heute ausgeblieben. Eine auf dem Uni-Campus von Rio vergewaltigte und danach lebendig verbrannte 20-jährige Frau wurde in einer populären Zeitung als „Presunto”(Schinken) bezeichnet. Das Opfer wurde sexistisch-appellativ fotografiert und kannibalistisch mit zubereitetem Grillfleisch verglichen, im Bildtext mit Toastbrot. Der Beitrag war humorig gehalten.) Siehe auch Rogerio Reis: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/07/rogerio-reis-microwaves-microondas-fotoinstallation-uber-scheiterhaufen-brasiliens-vom-maison-de-la-europeenne-de-la-photographie-in-paris-angekauft/
Zeitungsfoto zur Faktenlage in den Slums. Das Desinteresse an den tatsächlichen Lebensbedingungen der Slumbewohner ist enorm.
Steinigen im Iran und in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/14/steinigen-im-iran-unter-ahmadinedschad-und-in-brasilien-unter-lula-lula-konnte-sich-uber-die-tatsache-beunruhigen-das-brasilien-zu-den-landern-gehort-in-denen-am-meisten-gelyncht-wird-jose/
“Rüttgers-Besuch bei den Gangstern angemeldet”: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/01/nrw-ministerprasident-dr-jurgen-ruttgerscdu-im-kinderdorf-rio-ev/
Tödliche Auskunftsbitte an Rio-Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/25/brasiliens-no-go-areas-unter-lula-schon-eine-simple-auskunftsbitte-kann-todlich-sein/
Überfallenes, von Banditen mit Messern verwundetes Ehepaar aus Frankreich mit Polizist am Tatort in Maranhao.
Formel-1-Fahrer Jenson Button: http://www.focus.de/panorama/boulevard/brasilien-button-entkommt-nur-knapp-ueberfall_aid_569564.html
NGO “Rio de Paz”: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/20/rio-de-paz-brasilianische-ngo-mit-interessanten-angaben-uber-die-menschenrechtsbilanz-der-lula-regierung/
Touristen posieren neben Leiche am Strand unterm Zuckerhut, “Praia Vermelha”. Ausriß.
Moderne Wegelagerer in Rio de Janeiro: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/13/moderne-wegelagerer-in-rio-de-janeiro-bewaffnete-banditen-stoppen-serienweise-pkw-rauben-insassen-aus-uber-50-erstatten-anzeige-wegelagerei-dieser-art-auch-in-anderen-millionenstadten-ublich-offe/
Bewaffnete Überfälle auf Busse in Rio de Janeiro: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/05/25/wieviele-bewaffnete-uberfalle-auf-nahverkehrsbusse-gibts-taglich-in-ihrer-stadt-in-rio-sinds-23-alle-elf-minuten-ein-mord-in-brasilien-deutsche-botschaft-warnt-das-menschenrecht-auf-sicherheit-unt/
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/03/14/hinter-gittern-atras-das-grades-die-schweinestallchen-chiqueirinhos-von-sao-paulo-zwecks-banditenabwehr-im-eingangsbereich-von-wohnblocks-installiert-dennoch-werden-regelmasig-wohnan/ “Besonders betroffen sind Elendsviertel (Favelas). Von Favela-Besuchen wird dringend abgeraten. Diese Gebiete werden teilweise von Kriminellen kontrolliert. Bewaffneten Auseinandersetzungen, auch mit der Polizei, fallen häufig auch Unbeteiligte zum Opfer.Auf auffällige Kleidung und Wertgegenstände (Uhren, Schmuck) sollte beim Straßenbummel verzichtet werden. Bei Überfällen sollte kein Widerstand geleistet werden. Die oft unter Drogeneinfluss stehenden Täter sind in aller Regel bewaffnet und schrecken vor Gewaltanwendung auch aus nichtigem Anlass nicht zurück. Es ist ratsam, stets einen Geldbetrag im Wert von ca. 50,- Euro zur widerstandslosen Herausgabe mitzuführen.Überfälle können überall stattfinden. Eine Häufung ist vor allem in weniger belebten Straßen der Innenstädte, an Stränden sowie auf Zubringerautobahnen zum Flughafen zu verzeichnen. Taxis sollten nach Möglichkeit nur per Bestellservice in Anspruch genommen werden. In größeren Flughäfen können Taxis auch schon im Flughafengebäude gebucht und bezahlt werden. Bei der Reise sollten Ausweispapiere nicht im Gepäck aufbewahrt werden. Am Zielort ist es empfehlenswert, Originale der Ausweispapiere im Safe des Hotels zu lassen und nur Kopien und eine Broschüre/Visitenkarte des Hotels mit sich zu führen. Laptops sollten unauffällig, z.B. in einer Reisetasche, verstaut werden.Auf Straftaten im Umfeld der Prostitution (Diebstähle, Raub, Überfälle etc.) wird besonders hingewiesen. Die sog. Beischlafdelikte erfolgen häufig nach Verabreichung von Getränken mit Schlaf- bzw. willensverändernden Mitteln. Es wird dringend empfohlen, vor allem in Bars und anderen Lokalitäten Getränke nie unbeaufsichtigt zu lassen. Von der Mitnahme von Prostituierten oder flüchtigen Bekannten in das eigene Hotelzimmer wird ausdrücklich abgeraten.“Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.” ( deutschsprachige Tourismuspropaganda) Reisewarnung der Schweiz: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/03/09/gewaltkultur-in-brasilien-unter-lula-die-schweizer-botschaft-informiert-rio-de-janeiro-in-dieser-stadt-besteht-die-gefahr-auf-offener-strase-unversehens-in-eine-schieserei-zwischen-rivalisiere/
US-Reisewarnung für Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/04/27/us-reisewarnung-fur-kustenstadte-brasiliens-wegen-mordserie-guaruja-santos-praia-grande-sao-vicente-vermeiden-freier-massenhafter-verkauf-von-raubgut-und-sogar-waffen-direkt-vor-polizeibasis/
Copacabana-Protest gegen verirrte Kugeln, Menschenrechtsverletzungen: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/19/copacabana-protest-wegen-tod-des-schulers-wesley-durch-verirrte-kugel-menschenrechte-der-slum-bewohner-unter-lula/
Crack und Kinderprostitution in Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/13/crack-business-auch-unter-rousseff-regierung-weiter-auf-vollen-touren-crack-madchen-prostituieren-sich-fur-mini-preise/
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/18/schweizer-an-der-copacabana-erschossen/
Lateinamerikas größte Demokratie liegt auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung an 73. Stelle.Brasilianischer Leserkommentar zu niedrigen Touristenzahlen Brasiliens: “Gewalt hat seinen Preis.” Violencia tem seu preço. S o “desgoverno” náo percebe que a violencia e a impunidade destroi o pais. Eu mesmo náo viajo mais no Brasil. Náo é so tiro que o turista recebe no Brasil. Sáo também assaltados, furtados, enganados e explorados.”
Kuba hat annähernd soviel Einwohner wie Rio de Janeiro – die deutsche Botschaft in Havanna informiert überraschend kurz, anders als in Rio de Janeiro sind über ermordete Touristen keine Angaben zu finden. Zudem fehlen Hinweise auf sichere oder unsichere Stadtteile, auf Slums, Todesschwadronen, Massaker sowie unter Drogeneinfluß stehende bewaffnete Kriminelle und Scheiterhaufen:Kriminalität Im Vergleich zu anderen Fernreisezielen ist der Tourismus auf Kuba immer noch sicher. Allerdings werden auch auf Kuba Touristen Opfer von Eigentumsdelikten, von Körperverletzung, in seltenen Fällen auch von Gewaltverbrechen. Vor allem Individualreisende sollten daher ähnliche Vorkehrungen wie in anderen Ländern in der Region treffen:Sie sollten nicht Ihr gesamtes Bargeld bei sich führen und es auf mehrere Stellen am Körper verteilen, den mitgeführten Geldbetrag nicht zur Schau stellen sowie Bargeld und Originalreisepass im Hotelsafe verwahren. Offizielle Sicherheitshinweise der Schweiz(EDA): KriminalitätDie Kleinkriminalität hat in den letzten Jahren infolge der Wirtschaftskrise zugenommen. Gewarnt wird vor allem vor Entreissdiebstählen, bei denen vereinzelt auch Waffengewalt angewendet wird. Einbruchdiebstähle in Privatunterkünften (casas particulares) kommen ebenfalls vor. Beachten Sie unter anderem nachstehende Vorsichtsmassnahmen:
Achtung, Gringos in Sao Paulo – Gefahr durch Motorradgang-Überfälle: Der weiße David aus Südafrika war im April 2009 gerade in der Megacity angekommen, als er im Innenstadtbereich auf dem Weg zum Hotel  Opfer eines der typischen Überfälle wurde. Ein Motorrad stoppt neben ihm, der Mann auf dem Hintersitz bedroht David mit einer Pistole, nimmt ihm sämtliche wertvollen Dinge ab, auch den Rucksack- nach wenigen Sekunden prescht das Motorrad davon. David mußte Ausländer(wie mich) daher um Geld anbetteln, zeigte die Anzeige bei der brasilianischen Polizei vor. Auch in bisher als sicher geltenden Küstenregionen Sao Paulos, darunter sogar Militär-Areas von Praia Grande, sind derartige Überfälle so häufig geworden, daß nunmehr ständig bewaffnete Sicherheitsleute auf dem Motorrad auch tagsüber durch die betreffenden Viertel fahren, mit laut tönender, nervender Warnsirene. Interessanterweise befinden sich in diesen Vierteln stets Polizeiwachen, vor denen jeweils bis zu sechs Streifenwagen stehen – auf Motorrad-Gangster hat das offensichtlich keinerlei abschreckende Wirkung. In Rio de Janeiro sind Überfälle, bestellte Morde durch Motorrad-Gangster so häufig geworden, daß auf Gouverneursanweisung alle mit zwei Personen besetzten Motorräder seit Anfang 2009 von der Polizei zwecks Durchsuchung und Leibesvisitation gestoppt werden sollen.
In Rio de Janeiro besteht laut Presseberichten von 2010 nach wie vor kein politischer Wille der Autoritäten, den Taxiverkehr zu zivilisieren – immer wieder werden Fälle bekannt, in denen bewaffnete Taxifahrer ihre Insassen im Wagen ausrauben und dann “aussteigen” lassen, Betrugsversuche aller Art sind nach wie vor in der Olympia-und Scheiterhaufenstadt an der Tagesordnung.
Herzschrittmacher und Metalldetektoren in Banken: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/14/bank-wachmann-erschiest-mann-mit-herzschrittmacher-der-wegen-des-gerats-nicht-durch-die-sicherheitspforte-kommt-und-dies-ankundigte-vielfaltige-folgen-immer-niedrigeren-bildungsniveaus-in-brasilien/#more-5410
Straßenverkehr: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/12/17/weiter-stimmenkauf-mit-autofuhrerscheinen-in-brasilien-uber-40000-verkehrstote-jahrlich/
Todesschwadronen, “Barbarei”: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/14/nach-wie-vor-hemmungslose-aktionen-der-todesschwadronen-institutionalisierte-barbarei-lulas-menschenrechtsminister-paulo-vannuchi-raumt-gegen-ende-der-zweiten-amtszeit-erneut-fortbestehen-der-b/
Fotograf von TV Globo erschossen: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/21/brasilianischer-fotograf-von-tv-globo-in-rio-de-janeiro-mit-mpi-salve-exekutiert/
Behinderter Junge in Rio zu Tode geschleift(2007)Brasilianische Öffentlichkeit reflektiert über Normalität sadistischer Verbrechen
Bestsellerautor Paulo Coelho: Wir sind alle schuldig
Rund eine Woche vor dem weltberühmten Karneval hat die barbarische Tat mehrerer Slum-Banditen Rios in dem Tropenland eine sehr emotionale Diskussion über zur Alltagsnormalität zählende sadistische Verbrechen ausgelöst.
Die Banditen hatten gemäß den Polizei-und Medienberichten in der Zuckerhutstadt zwecks Autoraub den Wagen einer Frau gestoppt, die mit ihrer 13-jährigen Tochter und dem behinderten sechsjährigen Sohn unterwegs war. Die Insassen wurden zum Aussteigen gezwungen, wobei es nicht gelang, den Sitzgurt des auf der Hinterbank befindlichen Jungen zu lösen. Die Banditen fuhren mit dem Wagen los, obwohl der Junge noch außerhalb der hinteren Wagentür im Gurt festhing. Er wurde auf rund zehn Kilometern durch vier Stadtviertel Rios mitgeschleift, was eine enorme Blutspur hinterließ. Die Banditen wollten durch verschiedene Manöver, wie Zickzackkurs und nahes Vorbeifahren an Verkehrshindernissen, sich des Körpers entledigen, was indessen mißlang. Zahlreiche Passanten, andere Verkehrsteilnehmer versuchten, die Banditen im Interesse des Lebens des Jungen zum Anhalten zu bewegen, wurden indessen mit der Waffe bedroht. Einem Zeugen wurde gesagt, bei dem Mitgeschleiften handele es sich um eine Judas-Puppe. Die Gangster stoppten den Wagen schließlich an ihrem Slum, gingen kurz zum Umziehen nach Hause, amüsierten sich dann auf einem Straßenfest. Von dem behinderten Jungen waren nur noch zerfetzte Reste übrig. Aufgrund von telefonischen Anzeigen konnte Rios Polizei mehrere Täter rasch fassen, die die Tat den Berichten zufolge sofort gestanden haben. Wie in Brasilien üblich, wurden zwei im Fernsehen interviewt – ein 18-jähriger Bandit beschrieb dabei die Tat und sagte, man habe den Jungen nicht gesehen. Der Bandit war, wie es hieß, als Minderjähriger bereits wegen Raubmordes vor Gericht. Ein 16-jähriger Mittäter dürfte gemäß brasilianischen Gesetzen höchstens drei Jahre in Gewahrsam bleiben.
An der Beerdigung des Jungen beteiligten sich sogar Rios Sicherheitschef sowie der Chef der Militärpolizei. In Rio de Janeiro weinten spontan viele Menschen auf den Straßen, darunter auch Polizeibeamte. Die Medien erhielten eine Rekordzahl von Leser-und Hörerreaktionen, in denen unter anderem die Einführung der von der Bevölkerungsmehrheit befürworteten Todesstrafe gefordert sowie die allgemeine Straffreiheit angeprangert wurde. In Rio de Janeiro werden jährlich deutlich weniger als fünf Prozent der Morde aufgeklärt.
Angesichts dieser barbarischen Tat, hieß es außerdem, sollte man den Rio-Karneval boykottieren. Erinnert wurde zudem an andere Verbrechen der jüngsten Zeit, bei denen u.a. Banditen Stadtbusse mit Benzin angezündet hatten, wodurch zahlreiche Menschen verbrannt waren.
Indessen handelt es sich bei diesen bekanntgewordenen Untaten nur um die Spitze des Eisberges, weil Brasiliens Medien im Interesse des Landesimage nur über einen Bruchteil der sadistischsten Taten überhaupt berichten. Gewöhnlich wird nur über Verbrechen informiert, die Angehörige der Mittel-und Oberschicht betreffen, nicht jedoch über schier unbeschreiblichen Sadismus, dem die Slumbevölkerung seit Jahrzehnten ausgesetzt ist. Daß von den die Slums neofeudal beherrschenden Banditenmilizen Mißliebige lebendig verbrannt oder zerstückelt werden, mit abgeschlagenen Köpfen Fußball gespielt wird, man Menschen durch Schweine auffressen läßt, haben zahlreiche Zeugen bestätigt. Ein Großteil der Slumbewohner, darunter bereits kleine Kinder, hat solchen Verbrechen zugesehen – mit den entsprechenden Wirkungen auf die Psyche. Es gibt zudem Berichte, demzufolge auf Rap-und HipHop-Massendiscos, die an der Slumperipherie Rios häufig vom organisierten Verbrechen veranstaltet werden, Jugendliche lebendig verbrannt worden sind. Die auf diesen “Bailes Funk” gespielten Titel sind extrem machistisch bzw. frauenfeindlich und verherrlichen detailliert sadistische Taten. Nicht zufällig wird in Deutschland von interessierter Seite versucht, derartige brasilianische Musik aus dieser Gewaltkultur gesellschaftsfähig zu machen, zu popularisieren.
Marina Maggessi, seit kurzem Kongreßabgeordnete und zuvor Rio de Janeiros Chefinspektorin der Zivilpolizei, hatte immer wieder die vom organisierten Verbrechen begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen angeprangert. Die Banditenbosse, mit denen sich sogar weltbekannte Topathleten und Prominente einlassen, nannte sie Tyrannen:”Sie verbrennen Menschen lebendig, zerstückeln Personen, begehen Greueltaten jeder Art, herrschen über die Slums mit aller Brutalität.”
Auffällig, daß zahlreiche NGOs, die auch mit europäischen Spendengeldern finanziert werden, in den Slums der größten bürgerlichen Demokratie Lateinamerikas zwar tätig sind, jedoch zu den Vorgängen weitestgehend schweigen. Gleiches gilt für teils vom Steuerzahler finanzierte Alibi-Menschenrechtsorganisationen.
In Brasilien werden jährlich über 55000 Menschen ermordet. In Rio de Janeiro wurde jetzt eine Website eingerichtet, die die aktuelle Zahl der Ermordeten angibt: http://www.riobodycount.com.br/
Im Teilstaate Rio de Janeiro wurde 2006 gemäß neuesten Angaben eine Rekordzahl von Homosexuellen umgebracht. Wie es hieß, waren es mindestens 45. “Dies zeigt den machistischen und gewalttätigen Charakter der Gesellschaft Rio de Janeiros”, wurde betont. Rio de Janeiro hat etwa die gleiche Einwohnerzahl wie Kuba, das indessen auch gemäß dem UNO-Index für menschliche Entwicklung völlig andere soziokulturelle Bedingungen aufweist.
Auch in Deutschland nimmt machistische Gewalt ständig zu, wird sogar von den Autoritäten ganz bewußt, u.a. durch Tolerierung, stark gefördert. Die deutsch-türkische Anwältin Seyran Ates, die jetzt den Margherita-von-Brentano-Preis der FU Berlin erhielt, hat über Machismus und Gewaltbereitschaft sowie über Sexualität und Gewalt zahlreiche Analysen angestellt.
Viele Deutsche, auch aus der Drittweltszene, reden gerne von der sogenannten “Einen Welt”, lehnen es indessen ab, darüber zu reflektieren, wie die Öffentlichkeit reagierte, wenn sich Verbrechen wie die oben beschriebenen in deutschen Städten wie Berlin oder München ereignen würden. Verdrängungsmechanismen funktionieren gut.
Schriftsteller Paulo Coelho von der Copacabana zum sadistischen Verbrechen:
“Wir sind alle schuldig”
Entáo estamos nos aproximando cada vez mais do Mal Absoluto. Quando rapazes, em pleno controle de suas faculdades mentais, sáo capazes de arrastar um menino pelas ruas de uma cidade, isso náo é apenas um ato isolado: todos nós, em maior ou menor escala, somos culpados. Somos culpados pelo silêncio que permitiu que a situaçáo em nossa cidade chegasse a este ponto. Somos culpados porque vivemos em uma época de ”tolerância, e perdemos a capacidade de dizer NÃO. Somos culpados porque nos horrorizamos hoje, mas nos esquecemos amanhá, quando há outras coisas mais importantes para fazer e para pensar. Somos os olhos que viram o carro passar, o medo que nos impediu de telefonar para a polÃcia. Somos a polÃcia, que recebeu alguns telefonemas através do número 190, e demorou para reagir, porque o Mal Absoluto parece já náo pedir urgência para nada. Somos o asfalto por onde se espalharam os pedaços de corpo e os restos de sonhos do menino preso ao cinto de segurança. A cada dia uma nova barbárie, em maior ou menor escala. A cada dia algum protesto, mas o resto é silêncio. Estamos acostumados, náo é verdade?Muitos séculos atrás, John Donner escreveu: ”nenhum homem é uma ilha, que se basta a si mesma. Somos parte de um continente; se um simples pedaço de terra é levado pelo mar, a Europa inteira fica menor. A morte de cada ser humano me diminui, porque sou parte da humanidade. Portanto, náo me perguntem por quem os sinos dobram: eles dobram por ti. Na verdade, podemos pensar que os sinos estáo tocando porque o menino morreu, mas eles dobram mesmo é por nós. Tentam nos acordar deste cansaço e torpor, desta capacidade de aceitar conviver com o Mal Absoluto, sem reclamar muito “ desde que ele náo nos toque. Mas náo somos uma ilha, e a cada momento perdemos um pouco mais de nossa capacidade de reagir. Ficamos chocados, assistimos à s entrevistas, olhamos para nossos filhos, pedimos a Deus que nada aconteça conosco. SaÃmos para o trabalho ou para a escola olhando para os lados, com medo de crianças, jovens, adultos. Entra ano, sai ano, mudam-se governos, e tudo apenas piora. O que dizer? Que palavra de esperança posso colocar aqui nesta coluna?Nenhuma. Talvez apenas pedir que os sinos continuem tocando por nós. Dia e noite, noite e dia, até que já náo consigamos mais fingir que náo estamos escutando, que náo é conosco, que estas coisas se passam apenas com os outros. Que estes sinos continuem dobrando, sem nos deixar dormir, nos obrigando a ir até a rua, parar o trânsito, fechar as lojas, desligar as televisões, e dizer: ”basta. Náo agüento mais estes sinos. Preciso fazer alguma coisa, porque quero de volta a minha paz. Neste momento, entenderemos que embora culpemos a polÃcia, os assaltantes, o silêncio, os polÃticos, o hábito, apenas nós podemos parar estes sinos. Nosso poder é muito maior do que pensamos “ trata-se de entender que náo somos uma ilha, e precisamos usá-lo. Enquanto isso náo acontecer, o Mal Absoluto continuará ampliando seu reinado, e um belo dia corremos o risco de acreditar que ele é a nossa única alternativa, náo existe outra maneira de viver, melhor ficar escutando os sinos e náo correr riscos. Náo podemos deixar que chegue este dia. Náo tenho fórmulas para resolver a situaçáo, mas sou consciente de que náo sou uma ilha, e que a morte de cada ser humano me diminui. Preciso parar minha cidade. Náo apenas por uma hora, um dia, mas pelo tempo que for necessário. E recomeçar tudo de novo. E, se náo der certo, tentar náo apenas mais uma vez, mas setenta vezes. Chega de culpar a polÃcia, os assaltantes, as diferenças sociais, as condições econômicas, as milÃcias, os traficantes, os polÃticos. Eu sou a minha cidade, e só eu posso mudá-la. Mesmo com o coraçáo sem esperança, mesmo sem saber exatamente como dar o primeiro passo, mesmo achando que um esforço individual náo serve para nada, preciso colocar máos à obra. O caminho irá se mostrar por si mesmo, se eu vencer meus medos e aceitar um fato muito simples: cada um de nós faz uma grande diferença no mundo.http://www.riobodycount.com.br/Â
“Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.” Deutschsprachige Tourismuspropaganda.
Brasiliens Massengräber
„Wenn die Toten da reingeschmissen werden, sind das Szenen wie in diesen Holocaustfilmen“, beklagen sich Anwohner von Massengräber-Friedhöfen der größten lateinamerikanischen Demokratie. In der Tat wird seit der Diktaturzeit vom Staat die Praxis beibehalten, nicht identifizierte, zu „Unbekannten“ erklärte Tote in Massengräbern zu verscharren. Die Kirche protestiert seit Jahrzehnten dagegen und sieht darin ein gravierendes ethisch-moralisches Problem, weil es in einem Land der Todesschwadronen damit auch sehr leicht sei, unerwünschte Personen verschwinden zu lassen. In der Megacity Sao Paulo mit ihren mehr als 23 Millionen Einwohnern empört sich der weltweit angesehene Menschenrechtspriester Julio Lancelotti: „In Brasilien wird monatlich eine erschreckend hohe Zahl von Toten anonym in Massengräbern verscharrt, verschwinden damit Menschen auf offiziellem Wege, werden als Existenz für immer ausgelöscht. Wir von der Kirche nehmen das nicht hin, versuchen möglichst viele Tote zu identifizieren, um sie dann auf würdige Weise christlich zu bestatten. Wir brauchten einen großen Apparat, ein großes Büro, um alle Fälle aufklären zu können – dabei ist dies eigentlich Aufgabe des Staates!“Padre Lancelotti erinnert daran, daß während der 21-jährigen Diktaturzeit in Sao Paulo von den Machthabern 1971 eigens der Friedhof Dom Bosco geschaffen wurde, um dort zahlreiche ermordete Regimegegner heimlich gemeinsam mit jenen unbekannten Toten, den sogenannten „Indigentes“, in Massengräber zu werfen. Wie die Menschenrechtskommission des Stadtparlaments jetzt erfuhr, wurden seit damals allen Ernstes 231000 Tote als Namenlose verscharrt – allein auf d i e s e m Friedhof. Heute kommen Monat für Monat dort zwischen 130 und 140 weitere Indigentes hinzu. Nach einem Massaker an Obdachlosen Sao Paulos kann Priester Lancelotti zufällig auf dem Friedhof Dom Bosco beobachten, wie sich der Staat der Namenlosen entledigt: “Als der Lastwagen kommt und geöffnet wird, sehe ich mit Erschrecken, daß er bis obenhin voller Leichen ist. Alle sind nackt und werden direkt ins Massengrab geworfen. Das wird zugeschüttet – und fertig. Sollten wir später noch Angehörige ermitteln, wäre es unmöglich, die Verstorbenen in der Masse der Leichen wiederzufinden. Was sage ich als Geistlicher dann einer Mutter?“ Lancelotti hält einen Moment inne, reflektiert: „Heute hat das Konzentrationslager keinen Zaun mehr, das KZ ist sozusagen weit verteilt – die Menschen sind nach wie vor klar markiert, allerdings nicht auf der Kleidung, sondern auf dem Gesicht, dem Körper. Und sie werden verbrannt, verscharrt, wie die Gefangenen damals, und es gibt weiter Massengräber.“ Was in Sao Paulo geschieht, ist keineswegs ein Einzelfall. In der nordostbrasilianischen Millionenstadt Fortaleza leiden die Anwohner des Friedhofs „Bom Jardim“ seit Jahren bei den hohen Tropentemperaturen unter grauenhaftem Leichengeruch. „Die Toten werden oft schon verwest hergebracht, wie Tiere verscharrt, wir müssen zwangsläufig zusehen, es ist grauenhaft“, klagt eine Frau. „Fast jeden Tag kommt der Leichen-LKW – doch bei den heftigen Gewitterregen wird die dünne Erdschicht über den Toten weggeschwemmt, sehen wir die Massengräber offen, wird der Geruch im Stadtviertel so unerträglich, daß viele Kopfschmerzen kriegen, niemand hier eine Mahlzeit zu sich nimmt.“ Der Nachbar schildert, wie das vergiftete Regenwasser vom Friedhof durch die Straßen und Gassen des Viertels läuft: „Das Wasser ist grünlich und stinkt, manchmal werden sogar Leichenteile mitgeschwemmt – und weggeworfene Schutzhandschuhe der Leichenverscharrer. Die Kinder spielen damit – haben sich an die schrecklichen Vorgänge des Friedhofs gewöhnt. Wir alle haben Angst, daß hier Krankheiten, Seuchen ausbrechen.“Selbst in Rio de Janeiro sind die Zustände ähnlich, werden zahllose Menschen von Banditenkommandos der über 1000 Slums liquidiert und gewöhnlich bei Hitze um die 35 bis 40 Grad erst nach Tagen in fortgeschrittenem Verwesungszustand zum gerichtsmedizinischen Institut abtransportiert. Wie aus den Statistiken hervorgeht, werden in den Großstädten monatlich stets ähnlich viele Tote als „Namenlose“ in Massengräber geworfen wie in Sao Paulo, der reichsten Stadt ganz Lateinamerikas. Priester Julio Lancelotti und seine Mitarbeiter stellen immer wieder Merkwürdigkeiten und verdächtige Tatbestände fest. „Werden Obdachlose krank und gehen in bestimmte öffentliche Hospitäler, bringt man an ihrem Körper eine Markierung an, die bedeutet, daß der Person nach dem Tode zu Studienzwecken Organe entnommen werden. Die Männer registriert man durchweg auf den Namen Joao, alle Frauen als Maria. Wir streiten heftig mit diesen Hospitälern und wollen, daß die Obdachlosen auch nach dem Tode mit den echten Namen geführt werden. Schließlich kennen wir diese Menschen, haben über sie Dokumente. Man meint eben, solche Leute sind von der Straße, besitzen also weder eine Würde noch Bürgerrechte. Wir haben in der Kirche eine Gruppe, die den illegalen, kriminellen Organhandel aufklären will, aber rundum nur auf Hindernisse stößt. Denn wir fragen uns natürlich auch, ob jenen namenlos Verscharrten vorher illegal Organe entnommen werden.“Fast in ganz Brasilien und auch in Sao Paulo sind Todesschwadronen aktiv, zu denen Polizeibeamte gehören, wie sogar das Menschenrechtsministerium in Brasilia einräumt. Tagtäglich würden mißliebige Personen außergerichtlich exekutiert, heißt es. Darunter sind auch Obdachlose, von denen allein in Sao Paulos Zentrum weit über zehntausend auf der Straße hausen. Wie Priester Julio Lancelotti betont, ist zudem die Zahl der Verschwundenen auffällig hoch. „Auf den Straßen Sao Paulos werden viele Leichen gefunden. Denn es ist sehr einfach, so einen Namenlosen zu fabrizieren. Man nimmt ihm die Personaldokumente weg, tötet ihn und wirft ihn irgendwo hin. Wir gehen deshalb jeden Monat ins gerichtsmedizinische Institut, um möglichst viele Opfer zu identifizieren. Die Polizei ist immer überrascht und fragt, warum uns das interessiert. Das Identifizieren ist für uns eine furchtbare, psychisch sehr belastende Sache, denn wir müssen monatlich stets Hunderte von Getöteten anschauen, die in großen Leichenkühlschränken liegen – alle schon obduziert und wieder zugenäht. Und man weiß eben nicht, ob da Organe entnommen wurden.“Solchen Verdacht hegen nicht wenige Angehörige von Toten, die seltsamerweise als „Namenlose“ im Massengrab endeten. In der nordostbrasilianischen Küstenstadt Maceio geht letztes Jahr der 69-jährige Sebastiao Pereira sogar mit einem Protestplakat voller Fotos seines ermordeten Sohnes auf die Straße. Dem Vater hatte man im gerichtsmedizinischen Institut die Identifizierung der Leiche verweigert – diese dann mysteriöserweise auf einen Indigentes-Friedhof gebracht. Kaum zu fassen – ein Friedhofsverwalter bringt es fertig, Sebastiao Ferreira später mehrere Leichenteile, darunter einen Kopf zu zeigen. „Mein Sohn wurde allein am Kopf von vier MG-Schüssen getroffen – und dieser Kopf war doch intakt! Ich setzte eine DNA-Analyse durch – der Kopf war von einem Mann, das Bein von einem anderen, der Arm wiederum von einem anderen – doch nichts stammte von meinem Sohn“, sagt er der Presse. In Sao Paulo hat Priester Lancelotti durchgesetzt, daß ein Mahnmal auf dem Friedhof Dom Bosco an die ermordeten Regimegegner, aber auch an die mehr als 200000 „Namenlosen“ erinnern wird. Neuerdings macht der Friedhof in Brasilien immer wieder Schlagzeilen, allerdings nicht wegen der Massengräber von heute. Progressive Staatsanwälte versuchen das Oberste Gericht in Brasilia zu überzeugen, den zur Diktaturzeit für den Friedhof verantwortlichen Bürgermeister Paulo Maluf und den damaligen Chef der Politischen Polizei, Romeu Tuma, wegen des Verschwindenlassens von Oppositionellen vor Gericht zu stellen. Erschwert wird dies jedoch durch den Politikerstatus der Beschuldigten: Paulo Maluf ist Kongreßabgeordneter und Romeu Tuma sogar Kongreßsenator – beide gehören zum Regierungsbündnis von Staatspräsident Lula.
“Favela-Tours”: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/16/der-spiegel-favela-tour-in-rio-de-janeiro-vorzeige-favelas-und-die-uber-1000-anderen/
Junger Bandit – Zeitungsfoto.
Feuergefechte 2010 in Rio de Janeiro, erneute Besetzung von Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/25/rio-de-janeiro-weiter-panik-terror-brennende-busse-feuergefechte-autoritaten-haben-seit-sonntag-lage-nicht-im-griff-guerrillhataktik-der-banditenkommandos/
Geköpfte in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/02/08/gekopfte-in-brasilien-landesmedien-zeigen-realitat-des-gefangnishorrors-haftlingsaufstand-beendet-laut-amtlichen-angaben/
Brasilien auf Tourismus-Ranking des Weltwirtschaftsforums: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/09/brasilien-fallt-auf-tourismus-ranking-des-weltwirtschaftsforums-auf-52-platz-zuruckzuvor-45-rang-tourismuspolitik-unter-lula-und-rousseff/
http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/ressorts/reisen/wke/index,page=1860564.html
Rechtsanwälte – Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/19/httpwwwrechtsanwalt-brasiliende-anwalte-infur-brasilien/
München (ots) – Am 29. August 2011 ist die erste Klappe für eine neue Folge von “Das Traumhotel” gefallen. Dieses Mal entführt Das Erste seine Zuschauer ins farbenfrohe und temperamentvolle Brasilien. Die Reise mit Hotelbesitzer Markus Winter führt nach Rio de Janeiro und Salvador da Bahia.(Pressetext)
Köln schließt eine Städtepartnerschaft mit Rio de Janeiro:
“Jeden Tag wird in Brasilien gefoltert.” Ausriß 2011
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/
“Stolz, ein Brasilianer zu sein”: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/25/stolz-ein-brasilianer-zu-sein-aufschrift-auf-der-arbeitskleidung-der-strasenkehrer-in-der-megacity-sao-paulo-anregung-fur-deutsche-stadtreinigungen/
Ausriß.
Tags: , Amazonien, Brasilien, Cacau Pirera
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/07/indios-rio-negro-amazonien-gesichter-brasiliens-2/
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/02/amazonasindianerin-2009-rio-negro-gesichter-brasiliens/
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/10/presidente-figueiredo-amazonien-gesichter-brasiliens/
Mittwoch, 01. Februar 2012 von Klaus Hart **
Sao Paulo – Schlafen unter dem Karren mit allen Habseligkeiten.
Ausriß Folha de Sao Paulo. “Ist die Wirtschaftspolitik nach deiner Meinung, gut, regulär oder schlecht?” “Kann ich antworten, nachdem ich meine Anti-Hungerhilfe erhalten habe?” (Bolsa-Familia – Anti-Hungerhilfe der Regierung, lediglich an einen Teil der anspruchsberechtigten Bedürftigen gezahlt)
Das Elend, die deutsche Missionarin Marianne Diemer, die neuen Atomkraftwerke:
Tags: Atomkraftwerk Angra 3 bei Rio de Janeiro, Brasiliens Atompolitik mit deutscher Hilfe, Christian Wulff
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/
Wie es hieß, habe Wulff gegenüber Rousseff auf internen Druck zugunsten der Aufkündigung der Exportbürgschaft hingewiesen, die dem zuständigen deutsch-französischen Nuklearkonzern AREVA gewährt worden sei. Ein brasilianischer Regierungsfunktionär habe kommentiert, daß bislang anzunehmen sei, daß Deutschland den Kontrakt nicht einseitig breche – und sei es aus Imagegründen. Es handele sich um eine Bürgschaft über 1,5 Milliarden Euro.
Wulff in Synagoge von Sao Paulo.
Foto Rousseff-Wulff – anklicken: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Bilder/DE/Bilderstrecke/110507-Brasilien/110507-Brasilien.html#
Wie es hieß, sind 3700 Menschen auf der Baustelle bei Rio de Janeiro beschäftigt, entsteht derzeit das Reaktorgebäude, bewarben sich fünf Firmen um die Montage der Nukleartechnik. Das nächste Atomkraftwerk sei für das Hinterland des Nordostens geplant.
Doppelseitige Regierungspropaganda in Zeitungen für das neue Atomkraftwerk “Angra 3? bei Rio de Janeiro:
“Energia para novos tempos”. (Energie für neue Zeiten)
“Brasilien war noch nie so stark. Es ist eine neue Zeit. Eine Zeit von Wachstum und Entwicklung.”
Am 30. Dezember 2010, während seiner letzten Amtsstunden, so die Landesmedien, unterzeichnete Lula das entsprechende Dekret. Man möge sich dabei an Japan erinnern, hieß es.
Aus welchen Ländern die Nuklearimporte kommen, ist leicht zu erraten.
Entsprechend stark ist das Lob für Lulas Politik aus Europa.
Einfach mal nachschauen, wer heute alles gegen Atomkraft wettert, aber den deutsch-brasilianischen Atomvertrag aus der Folterdiktaturzeit kurioserweise immer wieder verlängerte…Stoff für Nachdenkliche, die politische Scheinheiligkeit nicht mögen.
“Um die künftige Atomkooperation mit Brasilien nicht zu erschweren, hatte die rot-grüne Bundesregierung im November 2005 das umstrittene deutsch-brasilianische Nuklearabkommen aus der Diktaturzeit nicht gekündigt, sondern offiziell und automatisch verlängert. 18 Umwelt-und Entwicklungsorganisationen hatten 2005 die rot-grüne Regierung aufgefordert, mit der Atomkooperation Schluß zu machen. “Das ist die Chance, ein Signal zu setzen, daß es der Bundesregierung mit ihrem Atomausstieg ernst ist, auch international”, betonte Sergio Dialetachi von Greenpeace Brasilien. Grüne wie Joseph Fischer(Ex-”Revolutionärer Kampf”) und Jürgen Trittin, dachten indessen gar nicht daran, schließlich hätte man den Atomvertrag gemäß den fünfjährigen Kündigungsfristen bereits 1999 aufheben können.”
Der deutschstämmige Militärdiktator, General Ernesto Geisel, und Willy Brandt.
Die Diktatur begann mit dem Militärputsch von 1964 – 1969 schloß Bonn mit dem Militärregime laut Jahreschronik ein Kulturabkommen.
Weltsozialforum-Erfinder Oded Grajew aus Sao Paulo über die deutsch-brasilianische Nuklearkooperation: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/28/der-judische-weltsozialforum-erfinder-oded-grajew-uber-die-deutsch-brasilianische-atomkooperation-weltsozialforum-2010/
“Willkommen bei der AREVA NP GmbH
AREVA NP, ein Unternehmen von AREVA und Siemens, ist das weltweit führende Kerntechnikunternehmen. An unseren Standorten in Frankreich, Deutschland und den USA setzen sich rund 18.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür ein, dass Kernkraftwerke rund um den Globus ihren Beitrag zu einer sicheren, wettbewerbsfähigen sowie Kohlendioxid-freien und damit umweltschonenden Stromversorgung leisten.”(Zitat Firmenwebsite)
Deutsche Hilfe für AKW “Angra 3? bei Rio de Janeiro – Basis ist der deutsch-brasilianische Atomvertrag, deshalb von Grün-Rot zweimal verlängert:
Bundespräsident Christian Wulff nach Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/27/deutscher-bundesprasident-christian-wulff-besucht-vom-4-bis-7-mai-2011-brasilien-weilt-mit-seiner-hochrangigen-delegation-in-brasilia-sao-paulo-und-rio-de-janeiro-strategische-partnerschaft/
“Biosprit” und die Selbstverbrennung von Francelmo
2005 verbrennt sich Francisco Anselmo de Barros, genannt Francelmo, selbst, um ein Zeichen gegen die immer brutalere Umwelt-und Naturvernichtung in Brasilien zu setzen. Francelmo ist einer der wichtigsten, bekanntesten Umweltaktivisten des Tropenlandes. Direkter Anlaß seines Protests ist die Ausweitung der Ethanolproduktion auf Kosten der Natur.Unter der Lula-Regierung erklärt Francelmo, „in Umweltfragen werden wir heute hintergangen durch Interessen schlechter Politiker, schlechter Unternehmer. In Bezug auf Brasilien sehen wir, wie das Schiff untergeht – doch niemand sagt etwas dagegen. In den Süden werden genmanipulierte Pflanzen eingeschmuggelt – und die Regierung unterstützt das. Brandrodungen in Amazonien – die Regierung ist unempfindlich, gleichmütig. Es gibt Leute mit Landbesitz so groß wie ein Teilstaat – und es gibt die Landlosen. Der Rio Sao Francisco wird umgeleitet, statt ihn zu revitalisieren.“ Brasiliens Umweltministerin Marina Silva gehört einer großen Wunderheilersekte an – die Resultate von Silvas Politik sieht, spürt man in Amazonien genauso wie in Sao Paulo. Europäische Alibi-Umwelt-und Menschenrechtsorganisationen, die der Öffentlichkeit vorgaukeln sollen, daß sich jemand für Natur und Bürgerrechte engagiert, belassen es wie im Falle der Selbstverbrennung Francelmos gewöhnlich bei Alibi-Erklärungen – echte, wirksame Aktionen werden, weil unerwünscht, unterlassen. Wie es um Deutschlands Natur, die biologische Vielfalt, die Artenentwicklung und den Schutz der Landschaften dank des „Engagements“ dieser teils hoch gesponserten Alibi-Organisationen steht, zeigen die Fakten überdeutlich. Und daher ist auch Francelmo in Europa so gut wie unbekannt, wird sein Name, sein Protest in der Diskussion um „Todes-Sprit“ (Frei Betto) nur selten erwähnt. „Menschen ernähren, nicht Autos“, fordern hunderte Umweltgruppen Lateinamerikas, zudem einen EU-Verzicht auf Agrotreibstoffe wie Ethanol. Doch Wirtschaftsinteressen von Minoritäten setzen sich durch – mehr Autos, mehr Agrotreibstoffe statt Schutz von Umwelt und Gesundheit.
Francelmo setzte sich auch für den bedrohten Nordost-Strom Rio Sao Francisco ein – 2005, im Jahr der Selbstverbrennung, startet dort Bischof Luiz Flavio Cappio seinen ersten Hungerstreik gegen jenes gigantische Umleitungsprojekt der Regierung.ThyssenKrupp: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/12/thyssenkrupp-in-rio-de-janeiro-rede-von-ekkehard-schulz-inzwischen-auch-aus-dem-aufsichtsrat-befordert-bei-der-einweihung-des-stahlwerks-im-mangrovensumpf/
In Rio de Janeiro, WM-und Olympia-Stadt, haust laut amtlichen Angaben rund ein Viertel der Bewohner in Slums, landesweit nimmt die Wohndichte in den Favelas zu, wächst dort die Bewohnerzahl stärker als im Rest des Stadtgebiets. Gravierende Probleme bestehen dort weiter, hieß es in Medienanalysen. Slums seien in den reichsten Teilstaaten konzentriert. Die Geburtenrate der Favelas übersteige deutlich den Landesdurchschnitt.
Hausen an stinkender Kloake – in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo. “Ich lebe hier schon 14 Jahre so in dieser Kate.”(Mutter von vier Kindern)
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/07/eu-lateinamerika-karibik-stiftung-startet-in-hamburg/
Der Teilstaat Sao Paulo ist die führende Wirtschaftsregion Lateinamerikas mit der entsprechenden Konzentration von Ober-und Mittelschicht – man kann sich daher vorstellen, wie die Slums in den stark unterentwickelten Regionen des Nordens und Nordostens der siebtgrößten Wirtschaftsnation aussehen.
Infolge der menschenunwürdigen Überlebensbedingungen sind in den Favelas von Sao Paulo typische Slumkrankheiten überall sichtbar – von Behinderungen fast jeder Art bis hin zu Asthma, verschiedenstem Hautausschlag und Lepra. Der Slum Rocinha in Rio de Janeiro hat laut Landesmedien die höchste Tuberkuloserate Brasiliens.
“Brasilien ist eine Industriemacht, die achtgrößte Wirtschaftsnation der Welt, modern und fortschrittlich.”
“Progressive Regierung”.
Derartige Lebensverhältnisse in der siebtgrößten Wirtschaftsnation verletzen, legt man bestimmte Wertvorstellungen zugrunde, Basis-Menschenrechte, Gesetze, Verfassung, internationale Konventionen – gemäß heute in neoliberalen Ländern wie Deutschland dominierenden Bewertungskriterien ist die Situation in den Slumhütten, das gesamte komplexe Spektrum der sozialen Lage Brasiliens, indessen Ausdruck fortschrittlicher, moderner Politik in einem Boomland, das daher, ebenso wie seine politisch Verantwortlichen, entsprechend viel Lob erhält.
http://www.adveniat.de/blog/?p=960
“Die Wirtschaftskrise hat Brasilien kaum gespürt”(WAZ)
Der soziale Aufstieg von Lula: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/04/lula-bekommt-500000-dollar-von-lg-fur-vortrag-in-sudkorea-laut-brasilianischen-landesmedien-uber-eine-million-dollar-damit-vier-monate-nach-ende-der-amtszeit-kassiert-laut-kalkulation-von-parte/
“Ich habe sechs Kinder – mit dem im Bauch sinds dann sieben.”
Eingang zu völlig fensterloser Kate.
“Wirtschaftsmacht der Zukunft”:
Spürbare Preissprünge bei brasilianischen Lebensmitteln in den letzten Monaten.
Lateinamerikas teure Lebensmittel – Preissteigerungen um 40 Prozent in den letzten vier Jahren – Gefahr für Hungerbekämpfung: http://exame.abril.com.br/economia/mundo/noticias/precos-dos-alimentos-na-america-latina-sobem-40-em-4-anos–2
Wie in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften die Situation interpretiert wird:
Brasiliens soziale Kontraste: http://www.hart-brasilientexte.de/tag/soziale-ungleichheit-in-brasilien/
Aktivisten der katholischen Basisgemeinde von Cachoeirinha. “Das ist gegen die Menschenwürde, so viele Leute in diesem Schlamm, diesem Moder hausen zu lassen. So viele Familien, mit vielen Kindern, leben hier nur in einem einzigen Hüttenraum, vor der Türöffnung hängt ein Lappen – so ist das. Die Mafia der Drogengangster ist hier sehr stark, die beobachten alles und jeden hier, das ist furchtbar. Wer jemanden aus dem Drogenmilieu, aus der Sucht rausholen will – also jemanden, der für deren Profit sorgt, da werden die böse, da wird man gnadenlos verfolgt. Die Polizei kommt und geht wieder – aber die Banditenkommandos bleiben, terrorisieren, zwingen den Bewohnern das Gesetz des Schweigens auf. Wer sich nicht unterwirft, weiß, was ihn erwartet. 2014 ist die Fußball-WM, da will man Brasilien als Land der Ersten Welt erscheinen lassen – aber hier an der Peripherie ist es nach wie vor triste. Die meist kinderreichen Familien haben monatlich nur so um die 200, 220 Real maximal. Doch im Ausland wird verbreitet, alles toll, alles gut in Brasilien. Wir merken, es ist schwierig, Menschen von außerhalb für diese Situation zu sensibilisieren, die das hier nicht kennen, es sich nicht vorstellen können. Wir haben unsere christlichen Kriterien, und wir haben Ausdauer – das macht den Unterschied. Denn entweder ist man Christ – oder ist mans nicht, halbe-halbe geht nicht.”
2011 hat die Rousseff-Regierung gemäß Landesmedien die Grenze für extreme Armut auf 70 Real pro Kopf monatlich, also umgerechnet etwa 29 Euro, festgelegt.Faustao, Moderator der beliebten Sendung “Domingao do Faustao” von TV Globo, erhält laut Landesmedien für jeden TV-Propagandaspot 2 Millionen Real. Richter bekommen monatlich über 40000 Real brutto.
In Rio de Janeiro, eine der inzwischen teuersten Städte der Welt, definiert die Präfektur die Armutsgrenze, wie es hieß, auf 105 Real pro Kopf, umgerechnet etwa 45 Euro. Familien, die in Rio de Janeiro die staatliche Hilfe Bolsa Familia bekommen, erhalten im Monat für alle Personen durchschnittlich 95 Real, umgerechnet etwa 39 Euro. Indessen wird diese Hilfe keineswegs allen Anspruchsberechtigten gezahlt – auch in Slums von Sao Paulo fällt die große Zahl in absolutem Elend lebender Familien auf, die keine Bolsa Familia erhalten.
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/07/brasiliens-boom-und-die-slumhutten/
Familie in Sao Paulo 2011, mit umgerechnet rund 31 Euro pro Kopf, Bolsa Familia(sechs Personen in der Kate) leicht oberhalb der offiziellen Grenze absoluter Armut. Hausen an stinkender Kloake – in Lateinamerikas reichster Stadt. “Ich lebe hier schon 14 Jahre so in dieser Kate.”(Mutter von vier Kindern)
Hintergrund:
Brasiliens kuriose Armutsgrenze – ab 65 Euro schon nicht mehr arm, ab 500 Euro Familieneinkommen schon Mittelschicht:
Mittwoch, 11. Mai 2011 von Klaus Hart **
Avenida Paulista, Sao Paulo.
Texte von 2011:
Der Militär-und Medien-Zirkus um die „Erstürmung“ und „Eroberung“ der Rio-Slumregion „Complexo do Alemão“ wäre schon jetzt ein heißes Thema auch für Deutschlands Kommunikationswissenschaftler – aber wie es aussieht, trauen sie sich nicht. Als „Farce“ hatten brasilianische Rechtsexperten und Menschenrechtspriester die Slumbesetzung vom letzten November verurteilt – und schneller als erwartet ausgerechnet von der Gegenseite die Beweise geliefert bekommen. Die schwerbewaffneten Banditenkommandos des organisierten Verbrechens sind rasch zurückgekehrt, zitieren Brasiliens Landesmedien aus vertraulichen Militärberichten. Die Gangster haben, wie es heißt, wieder Verkaufspunkte für harte Drogen installiert, der hochprofitable Rauschgifthandel geht perfekt neoliberal weiter. Der Terror gegen Bewohner des Parallelstaats der Slums ebenfalls – trotz Militärpräsenz sind mindestens vier Menschen ermordet worden. Eine Frau wird zur Abschreckung totgeschlagen, weil sie an der Plünderung eines Banditenhauses teilnahm – TV-Teams auch des Auslands hatten solche Volkszorn-Szenen am Start der Militäroperation gern gefilmt. Doch nun beklagen sich die Bewohner ausgerechnet über eine unzureichende Präsenz von brauchbaren Polizisten – von den Militärs würden die herumstreunenden Banditen gar nicht bemerkt. Viele Soldaten stammen ja just aus diesen Slums. Zudem seien 42 Militärpolizisten zwar wegen Raub, Erpressung und Übergriffen gegen die Bewohner angezeigt, doch bisher nicht bestraft worden.
Die militärische Besetzung ist Modell und Beispiel für das ganze Land, sagt der neue Justizminister Cardozo – hat er es gar böse-ironisch gemeint? Panzer, martialisch wirkende Militärpatrouillen, deren Fotos gern auch in die Erste Welt durchgeschaltet werden, sind den Angaben zufolge jedenfalls keinerlei Hindernis für die Banditenkommandos des organisierten Verbrechens. Das mag für Mitteleuropäer bizarr, grotesk, unglaublich erscheinen, für unsereinen hier ist es banale Normalität.
Immer wieder wird in der Ersten Welt behauptet, in den lateinamerikanischen Ländern zeige sich deutlich, dass die bisher praktizierte Drogenbekämpfung per Polizei und Militär nichts bringe, man sich andere Konzepte überlegen müsse. Was denn für eine Drogenbekämpfung, möchte man gegenfragen. In der Banken-City von Sao Paulo beispielsweise, der führenden Wirtschaftsmetropole Lateinamerikas, wird Crack, die zerstörerischste harte Droge, direkt neben Polizeipräsidien, Polizeiwachen massenhaft und offen verkauft und ebenso offen gleich von Hunderten konsumiert. Die Beamten im Hauptsitz der Stadtgendarmerie schauen direkt auf eine kilometerlange Straße, in der sich ganze Horden grauenhaft verwahrloster und abgemagerter Gestalten mit Crack zügig ins Jenseits befördern. Manche Brasilianer fragen daher, ob es nicht eher so ist, dass die Sicherheitskräfte, von Ausnahmen abgesehen, der unter Staatschef Lula aufgeblühten Crack-Branche eine ordentlich-angenehme Abwicklung der Geschäfte garantieren. 1,2 Millionen Brasilianer sind laut Expertenschätzungen bereits Crack-süchtig. Kenarik Felippe von der angesehenen nationalen Richtervereinigung für Demokratie (AJD): „Der Staat ist ins organisierte Verbrechen verwickelt. Besonders die Slumbewohner leiden stark unter der Gewalt durch Polizei, paramilitärische Milizen und die Banditenkommandos. Im ganzen Land, und nicht nur in Rio de Janeiro, foltern Staatsangestellte, gibt es Todesschwadronen, zu denen Staatsbeamte gehören. Man redet nur von den kleinen Fischen im Rauschgiftgeschäft, nicht von den Drogenbaronen.“ Der Richter und AJD-Präsident Luis Barros Vidal fordert, die „Farce von Rio“ auf keinen Fall zu unterstützen. „Die Geheimdokumente der Militärs zeigen, dass die Drogenmafia, der Drogenhandel in diesen Slums fortbestehen. Die regierenden Autoritäten, die von einem groß angelegten Krieg gegen die organisierte Kriminalität sprachen, machten also leere, falsche Versprechen, handeln unredlich. Wir sehen die Resultate – Tote und nochmals Tote. Selbst UNO-Friedenstruppen wären erfolglos, weil vordringlich soziale und wirtschaftliche Probleme gelöst werden müssen, die Slumbewohner vor allem feste Arbeitsplätze brauchen.“ Niemand wisse das besser als die brasilianische Regierung, früher unter Lula, jetzt unter Dilma Rousseff. „Todesschwadronen sind derzeit in Rio aktiv – doch auch in Sao Paulo, landesweit, straflos“, fügt Richter Vidal gegenüber dem Blättchen hinzu, in Brasilien fehle eine Kultur der Menschenrechte. Zu erkennen seien „starke Merkmale eines totalitären Staates, der das Gesetz nicht respektiert“; mit Blick auf Fußball-WM und Olympische Spiele am Zuckerhut werde ein Medienspektakel veranstaltet.
Und das hatte es von Anfang an in sich. In brasilianischen Qualitätsmedien, die nur einen winzigen Bruchteil der Bevölkerung erreichen, hieß es immerhin, die jüngsten Polizei-und Militäroperationen seien nur für das Ausland gedacht – de facto ändere sich nichts. Rio habe wegen der geplanten Sportereignisse international Kompetenz demonstrieren müssen, um Milliardeninvestitionen zu erhalten. Es werde wieder Wahlen geben – und die Politiker würden erneut Gelder des organisierten Verbrechens brauchen.
In mitteleuropäischen Medien weiß man’s offenbar viel besser. Rio de Janeiro wolle mit dem Drogenhandel Schluss machen, wird freundlicherweise unterstellt, obwohl sogar Rios Sicherheitschef Beltrame öffentlich erklärt, dies keineswegs vorzuhaben.
Aber richtig klasse ist der Mediengag über die „heldenhafte“ Einnahme jenes „Complexo do Alemão“: Unentwegt ballern Polizei und Militär fotogen auf nicht vorhandene Gegner, was das Zeug hält. Alles wird von zahlreichen TV-Teams direkt an der Seite der Einheiten begeistert abgefilmt und teuer weltweit verbreitet. Sozusagen „sturmreif geschossen“ fehlt nur noch die „Eroberung“ des Slumkomplexes. Dies geht so vonstatten, dass Soldaten und Elitepolizisten mit handverlesenen Journalisten einfach die Gassen zur Slumspitze hochgehen und dort die Landesfahne hissen. Schließlich hatte man den Banditenkommandos tage-und nächtelang reichlich Zeit und Möglichkeiten zum Rückzug in üblicher Guerilla-Taktik gegeben und auf eine Einkesselung verzichtet – die Gangster verteilten sich auf andere der weit über 1.000 Rio-Slums.
Wohl einmalig in der Fernsehgeschichte, wie der TV-Globo-Nachrichtenkanal vom Hubschrauber aus den problemlosen Rückzug der schwerbewaffneten Banditenkommandos aus dem Slum Vila Cruzeiro direkt übertrug. Die Konditionen, um die Banditen zu schnappen, waren bestens.Warum, so ist zu fragen, ließen Polizei und Armee die Gangster entkommen? Man saß vor dem Fernseher und traute seinen Augen nicht. Stundenlang sah man von nahem, wie sich die Verbrecherkommandos davonmachten, und bekam es von Polizeiexperten auch noch kommentiert: „Kampfhubschrauber wie die im Vietnamkrieg greifen jetzt nun mal leider nicht ein.“
Jahrzehntelang, so wird in Europa verbreitet, wagten sich die Sicherheitskräfte angesichts übermächtiger Banditenpräsenz nicht in den „Complexo do Alemão“ – umso mehr sei daher die Rückeroberung zu würdigen. Sind Lula und seine Nachfolgerin Dilma Rousseff also wahrhaft todesmutig, weil sie den Slumkomplex noch vor der „Erstürmung“ besuchten? Spaß beiseite – Lula war 2008, 2009 und sogar im Oktober 2010, kurz vor dem Militäreinsatz, im „Complexo do Alemão“, hatte teils sogar Ehefrau Marisa dabei. Rios Polizei und Militär kennen die Favela-Gegend bestens, 2002 wurden zur Besetzung gar 50.000 Mann aufgeboten. Mehr Sicherheit gibt’s deshalb nicht – seit 2007 wurden in Rio über 25.000 Gewalt-Tote gezählt.
Jetzt, nach vertraulichen Militärberichten, weist die Leiterin eines angesehenen kirchlichen Rio-Sozialprojekts auf ein „großes Massaker im „Complexo do Alemão“, wobei vor allem Jugendliche getötet, doch keinerlei Informationen darüber freigegeben wurden. Laut Uni-Anthropologen Luiz Mott, angesehenster Schwulenaktivist des Tropenlandes, hält Brasilien bei Morden an Homosexuellen weltweit eine „grauenhafte Führungsrolle“, verschlechterte sich unter Lula die Situation der Gays. Bei Tötungen durch Schusswaffen liegt Brasilien gemäß NGO-Daten an der Spitze, 92 Prozent der Rio-Morde bleiben straffrei.
Gregor Gysi von der deutschen Partei DIE LINKE gilt als Rechtsexperte, war 2010 in Brasilien, kennt daher sicherlich die Positionen der dortigen Richtervereinigung für Demokratie gut – und schlussfolgert: „Von allen linken Präsidenten hat Lula, der als am wenigsten links eingeschätzt wird, die größten Erfolge.“
Brasiliens neue Staatspräsidentin, zuvor Lulas Chefministerin, verschont die Nation bisher mit dem vom Ziehvater gewohnten Schwall aus Propagandareden – dafür haben es die politischen Ereignisse in sich.
Der angesehene kirchliche Menschenrechtsanwalt Sebastiao Bezerra da Silva wurde sadistisch gefoltert und ermordet – auch in den acht Regierungsjahren zuvor war das Verfolgen von Menschenrechtsaktivisten normal. Silva ermittelte gegen die landesweit aktiven, von Staatsangestellten geleiteten Todesschwadronen, gegen folternde Militärpolizisten und bekam deshalb Morddrohungen. Im archaischen nordöstlichen Teilstaat Maranhao, der laut Kirchenangaben bei Gefängnis-Folter an der Spitze steht, kam es zur ersten Häftlingsrevolte unter Rousseff – sechs Männer wurden getötet, Fotos der abgeschlagenen Köpfe waren in den Regionalzeitungen zu sehen. Maranhao wird von Gouverneurin Roseane Sarney regiert, die mit Dilma Rousseff befreundet ist, und bei nettem privaten Beisammensein mit ihr zur Laute allerlei populäre Liebeslieder sang. Eine unabhängige Untersuchungskommission zum Häftlingsaufstand gibt es nicht, Brasilia reichen die Angaben der Militärpolizei – ein Relikt der Militärdiktatur. Der Teilstaat ist zudem Herrschaftsgebiet des Oligarchen José Sarney, der einst die Folterdiktatorenpartei ARENA führte – und heute als Senatspräsident den brasilianischen Nationalkongress. Mit ihm, dem hochwichtigen politischen Bündnispartner, feierte Dilma Rousseff ihren Wahlsieg – auch das spricht Bände.
Auch die neue Menschenrechtsministerin Maria do Rosario beschreibt – wie ihr Vorgänger – die größte lateinamerikanische Demokratie als Folterstaat, nennt Torturen in total überfüllten Gefängnissen und selbst in psychiatrischen Anstalten ein „gravierendes nationales Problem“. Als Dilma Rousseff noch zuständige Chefministerin war, hatten derartige Eingeständnisse allerdings keinerlei praktische Bedeutung. Gleiches gilt für den jetzt auf der Berlinale gezeigten sozialkritischen Streifen „Tropa de Elite 2“, der Brasiliens bedrückende Menschenrechtslage eindrücklich abbildet. Wie im Vorgängerfilm, der 2008 den Goldenen Bären gewann, gibt es wieder eine der für Rio de Janeiro typischen Scheiterhaufenszenen – weder Lula noch Rousseff haben sich jemals zu dieser in den Slums unweit des neuen ThyssenKrupp-Stahlwerks gängigen Hinrichtungs-und Einschüchterungspraxis geäußert.
Wie es sich gehört, hat Brasilien als vielgelobte Demokratie und strategischer Partner auch der Berliner Regierung natürlich die UNO-Menschenrechtsabkommen unterzeichnet. Von möglichen Sofortmaßnahmen der Rousseff-Regierung zwecks Umsetzung ist aber nichts bekannt. Dafür erfährt man aus einer jetzt veröffentlichten Studie, was sich unter dem Gespann Lula-Rousseff noch so entwickelte. Bei Tötungen durch Schusswaffen liegt Brasilien weltweit an der Spitze – und von drei Ermordeten sind zwei schwarz. Der Soziologe Julio Waiselfisz, dessen Team die Studie erarbeitete, spricht von „Merkmalen der Ausrottung, Vernichtung“ und von fehlender öffentlicher Sicherheit für die arme, mehrheitlich schwarze Bevölkerung. Mit der öffentlichen Sicherheit passiere dasselbe wie bei Bildung, Gesundheit, Sozialversicherung – es werde privatisiert. „Wer kann, zahlt für privaten Sicherheitsdienst. Die Schwarzen gehören zu den Ärmsten, leben in Risikozonen und können nicht zahlen.“
Laut unvollständigen Statistiken werden in Brasilien jährlich immerhin etwa 55.000 Menschen ermordet. Die UNICEF ergänzt: Bei Morden an 15-bis 19-Jährigen liegt Brasilien weltweit an der Spitze, 38 Prozent der brasilianischen Jugendlichen leben in Armut und Misere. Die Rousseff-Regierung sollte daher in Programme für Gesundheit, Bildung und Sicherheit investieren, die sich gezielt an die 33 Millionen Heranwachsenden zwischen 10 und 19 Jahren richten. Aber irgendwie scheint Brasilia gar nicht so gut bei Kasse zu sein, wie Lula unter Hinweis auf angeblich fette Devisenreserven stets verkündete. Als die hausgemachte Erdrutsch-Umweltkatastrophe im Januar bei Rio de Janeiro rund tausend Todesopfer forderte – etwa 500 Menschen werden noch vermisst – fehlte es den Rettungsmannschaften arg an Mitteln und Ausrüstung, weil zuvor beim Katastrophenschutz extrem gespart worden war. Als Präsidentin Rousseff die Region besuchte, wurde sie mit ihren eigenen Fehlleistungen aus der Zeit als Chefministerin direkt konfrontiert. Das großflächige Abholzen und Bebauen von Steilhang-Risikozonen war erlaubt und wurde sogar gefördert– doch nun bettelt Rousseff gar die Weltbank um einen Milliardenkredit an, damit Slumbewohner aus entsprechenden Zonen umgesiedelt werden können. Bereits 2008 wurde die Region von einer solchen Umweltkatastrophe heimgesucht – und der Lula-Regierung vorgerechnet, für Präventivmaßnahmen nur 12 Prozent (!) der vorgesehenen Haushaltsmittel investiert zu haben. Sogar die UNO wirft Lula vor, bereits 2005 ein Katastrophenwarnsystem versprochen zu haben, das aber immer noch nicht funktioniere.
Um 2010 Rousseffs Wahlsieg zu garantieren, wurden die Regierungsausgaben, darunter für Propaganda, stark erhöht. Derzeit werden sie, notgedrungen, drastisch zurückgefahren, denn die Sozialbewegungen protestieren heftig, weil Präsidentin Rousseff die Anhebung des Mindestlohns deutlich unter der kräftigen Teuerungsrate hielt. Die umgerechnet etwa 248 Euro brutto monatlich passen schwerlich zu den erneuten Versprechen, nun aber wirklich Hunger und Misere auszutilgen. Das Mindestsalär bekommen laut offiziellen Angaben 29,1 Millionen registriert oder unregistriert Beschäftigte sowie 18,6 Millionen Sozialversicherte, darunter zwei von drei Rentnern. Doch ein Großteil der unregistriert, ohne Arbeitsvertrag und rechtliche Absicherung Beschäftigten hat deutlich geringere Einkünfte – in einem Land mit inzwischen oft deutlich höheren Preisen als in Deutschland, gerade bei Grundnahrungsmitteln als in Deutschland – und in einer Phase schmerzhafter Preisanstiege.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch das Phänomen, dass Gewerkschaften inzwischen sogar Rechtsparteien applaudieren, weil die einen höheren Mindestlohn vorschlugen. Zugleich wird an die enormen Diätenerhöhungen der Kongresspolitiker sowie an das Einkommen von „Working Class Hero“ Lula erinnert. Seit Januar bekommt er monatlich allein als Ehrenpräsident der Arbeiterpartei umgerechnet rund 6.000 Euro, dazu die satten Bezüge als Ex-Staatschef. Zudem erhält er seit seinem 51. Lebensjahr eine Entschädigung von 1.900 Euro monatlich, weil er 31 Tage in Diktatur-Haft saß. Als ihm jetzt ein Unternehmen für einen Vortrag 100.000 Dollar Honorar anbot, lehnte Lula laut Landesmedien ab – entweder 200.000 Dollar oder kein Vortrag. Da bietet sich ein Vergleich mit den Hilfen des Anti-Hunger-Programms „Bolsa Familia“ an – denn 42 Prozent der Empfänger, also 5,3 Millionen Menschen, leben gemäß neuen Studien nach wie vor im Elend. Zwischen 14 und maximal 105 Euro werden monatlich ausbezahlt – pro Familie wohlgemerkt, meist sind sie kinderreich. Die Möglichkeit, Elend und Hunger unter den Bezugsempfängern rasch durch eine angemessene Hilfe zu beseitigen, werde nicht einmal erwogen, empören sich Kommentatoren. Die Regierung kürzt jetzt stattdessen sogar die Gelder eines Hausbauprogramms für die Unterschicht fast um die Hälfte.
Im Zuge des Rousseff-Starts erfuhr man auch, wie Brasilien heute kulturell tickt. Nach der Umweltkatastrophe erklärte die Präsidentin für mehrere Tage Staatstrauer, der Teilstaat Rio de Janeiro sogar für eine ganze Woche – doch selbst am Zuckerhut gingen die Vorkarnevalsfeste der Sambaschulen und andere karnevalistische Aktivitäten auf vollen Touren weiter. Renommierte Therapeuten und Sozialwissenschaftler haben auf diesen befremdlichen Umgang mit Tragödien aufmerksam gemacht. Andererseits – beim Kulturexport kommt das Riesenland laut UNO-Daten nur auf 0,2 Prozent des Weltvolumens, liegt auf Platz 26, gleichauf mit Rumänien. Zum Rousseff-Start verließ der Komponist und Dirigent John Neschling nach 14 Jahren frustriert das Land in Richtung Schweiz. Er hatte das völlig unbedeutende Sinfonieorchester Sao Paulos zu einem international anerkannten aufgebaut, wurde jedoch von der reaktionären Teilstaatsregierung gefeuert. Beim Weggang verwies er auf fehlende Kulturpolitik, eine paralysierende und unsensible Staatsbürokratie, brutalen Umgang mit Kulturgütern. Neschlings Rückkehr nach Europa ist symptomatisch, ein schmerzhafter Verlust für Brasilien.
In Ländern wie Deutschland betreibt eine bestimmte Gutmenschen-Szene um den einst interessanten brasilianischen Befreiungstheologen einen regelrechten Kult. Sie bewahrt ihn vor öffentlicher Kritik, die als politisch unkorrekt gälte. Im Tropenland dagegen wird Boff seit den neunziger Jahren zunehmend heftig kritisiert. Selbst frühere Anhänger werfen ihm Fehleinschätzungen über die katholische Kirche, intellektuelle Unehrlichkeit und Opportunismus vor. Boff sei eitel auf Medienpräsenz aus – was mit Verbalattacken auf Papst und Vatikan natürlich am leichtesten gelinge.
In der Tat wirkt Boffs Eindreschen auf den Papst infantil und lächerlich. Nationale Religionsexperten bescheinigen ihm eine unbestreitbare Rolle in der Reflexionsgeschichte Brasiliens, nennen ihn sehr intelligent und intuitiv. Boff spüre sehr gut bestimmte gesellschaftliche Probleme und Tendenzen, sei ein brillanter Professor. Doch seine Äußerungen müssten kritisch analysiert werden – andernfalls akzeptiere man häufig Dinge, die nicht der Wahrheit entsprächen.
In Deutschland sind evangelikale Wunderheiler-Sekten unbeliebt – Boff begrüßte indessen bereits im Jahr 2000 öffentlich die Expansion der Evangelikalen vorbehaltlos als Bereicherung. In Brasilien fasste man sich an den Kopf. Denn die evangelikalen Sektenkirchen propagieren massiv die „Theologie der Prosperität“, wonach materieller Wohlstand eine Gabe Gottes sei und durch die Macht des Glaubens erreicht werden könne. An Misere, persönlichem Misserfolg sei der Teufel schuld, den man auf speziellen Tempelsitzungen austreibe – wobei natürlich jeder Gläubige soviel Geld wie möglich an die Kirche spenden müsse. Mit dieser Theologie, analysieren Sozialwissenschaftler, verbreiten die Evangelikalen Illusionen, beuten die Leute aus, schaffen Leiden. Und fördern sogar Rassismus und Diskriminierung, da die schwarze Bevölkerung nunmehr nur deshalb arm sei, weil sie sündige. Gemäß aus Afrika ererbten Schlechtigkeiten werde sie als eine verfluchte Rasse angesehen, die sich von allen Vorfahren und Wurzeln lösen müsse.
Wenn Boff diese wie Wirtschaftsunternehmen funktionierenden Kirchen als Bereicherung auffasse, müsse man seine Bewertungen relativieren, zeige sich zunehmende Oberflächlichkeit. Im akademischen Umfeld, bei den Studenten sei Boffs frühere Attraktivität weg.
Boff müsste wissen, dass evangelikale Kirchen im Christlich-Ethischen mancherlei Sonderwege fahren. So wurde ein Bischof der politisch einflussreichen „Universalkirche vom Reich Gottes“, der Brasiliens zweitgrößter TV-Sender gehört, wegen Mordes eingesperrt. In Salvador da Bahia hatte er laut Polizei im Tempel gemeinsam mit zwei Pastoren einen 14-jährigen Jungen sexuell missbraucht und danach lebendig verbrannt.
Manche mögen Boff zustimmen, wenn er die Evangelikalen-Ausbreitung begrüßt, weil ihm „jede Art von Vielfalt“ so gefällt. Denn nun ist in rappelvollen „Gotteshäusern“ endlich mal echt was los, ziehen Ex-Killer und Ex-Frauenaufreißer wie Pastor Salles vom Leder:„Ich war reich, hatte Villen und tausende Frauen – in Rio hörten tausende schwerbewaffnete Banditen auf mein Kommando. Ich war Bankräuber, Berufskiller, Monster, Psychopath – so viele Opfer flehten vergeblich um Barmherzigkeit! Wie von den Dämonen gefordert, habe ich mit meiner Frau unseren sechs Monate alten Sohn getötet, in der Pfanne gebraten, sein Fleisch gegessen – ich war schon in der Hölle!“
Frei Betto, wichtigster Befreiungstheologe Brasiliens, hochangesehen bei Kardinälen, Bischöfen und Padres der Kirche des Riesenlandes, analysiert solche evangelikalen Sekten tiefgründig, fühlt sich durch ihre nervende Präsenz im Alltag nicht eben bereichert. Leonardo Boff indessen wirft kurioserweise dieser Kirche „feudale Mentalität“, „totalitäre Ideologie“ und „mittelalterliche Strukturen“ vor, gar die Ablehnung von Kritik und Alternativen. Damit hat er schlichtweg die Dynamik, Entwicklung und Komplexität der katholischen Kirche nicht begriffen. Als anschauliches Beispiel gilt, dass Rom zwar Kondome kritisiert, deren massive Verteilung in der pastoralen Aids-Prävention indessen zulässt – und fördert, gemäß katholischer Moraltheologie.
Der Soziologe Claudio Monteiro leitet in Sao Paulo die bischöfliche Aids-Pastoral – direkt neben seiner Bürotür kann sich jedermann aus einem stets gut gefüllten Plastikbehälter gratis und überreichlich mit Kondomen eindecken. Monteiro lacht über Boffs Vorwurf, dass die katholische Kirche in der Kondomfrage lebensfeindlich, verantwortungslos und intolerant handele. „Leonardo Boff gehörte zum Franziskanerorden, der in Brasilien eines der ersten Aids-Präventionsprojekte startete und natürlich Kondome verteilt – seit über 16 Jahren. Unsere nationale Aids-Pastoral, von einem Bischof geführt, verfährt genauso. Völlig unmöglich, daß Boff davon nicht weiß. Wenn er die Ausbreitung der Evangelikalen, die Expansion des religiösen Fundamentalismus positiv bewertet, ist dies fragwürdig und anfechtbar.“
Boff greift immer wieder auch in die Politik ein. Im letzten Präsidentschaftswahlkampf unterstützte er zuerst die evangelikale Predigerin Marina Silva. Die Ex-Umweltministerin zählte zur Revolutionären Kommunistischen Partei Brasiliens, wuchs im befreiungstheologischen Spektrum der Katholiken auf und ging dann zur „Assembleia de Deus“. Richtig, die von Pastor Salles, dem Ex-Killer und Ex-Frauenaufreißer, die zudem laut Eigendarstellung Homos zu Heteros umdreht und Strich-Transvestiten zu Geistlichen macht.
Zuletzt wechselte Marina Silva von Lulas Arbeiterpartei zu den brasilianischen Grünen. Die verkaufen sie als lupenreine Umweltschützerin – obwohl zahlreiche verhinderbare Umweltverbrechen in ihre Amtszeit fallen. Amazonas- und Savannenwälder werden vernichtet, Brasilien avanciert zum weltgrößten Agrargiftverbraucher, das Geschäft mit Gen-Pflanzen boomt. Umweltschützer laufen Sturm gegen das gigantische Umleitungsprojekt am Rio Sao Francisco – Marina Silva verteidigt es als „ökologisch nachhaltig, wirtschaftlich machbar und sozial gerecht“. Was sie von massenhafter Folter durch Staatsangestellte oder von den landesweit operierenden Todesschwadronen hält, erfährt man bis heute nicht.
2002 nahm Leonardo Boff begeistert an der Wahlkampfkarawane von Lula teil, verglich ihn mit Mahatma Gandhi, lobte sogar dessen Vize, den Milliardär und Diktaturaktivisten José Alencar. Angesichts der Korruptionsskandale schwenkte er später um, verurteilte Lulas Politik als niederträchtig neoliberal.
2010 aber, als Marina Silva die Stichwahl nicht erreichte, wechselte Boff flugs zu Lulas Wunschkandidatin und bisheriger Chefministerin Dilma Roussef – und wieder zu Lob über den grünen Klee: „Lula machte die größte Revolution der sozialen Ökologie des Planeten, eine Revolution für die Bildung, ethische Politik.“ Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, den strikt antiökologischen Kurs von Lula-Rousseff kritisiert er nicht, die von ihm so heftig gescholtene, stark systemkritische katholische Kirche Brasiliens tut das umso kräftiger: Fehlende soziale Besorgnis bei Lula und Rousseff trotz Hunger, Misere und rasch wachsenden Slums, Zementierung der grauenhaft ungerechten Einkommensverteilung, Begünstigen der ohnehin Privilegierten. Boff faselt von sozialer Ökologie-Revolution, dabei ist längst klar, dass Dilma Rousseff das umweltvernichtende Mega-Wasserkraftwerk „Belo Monte“ in Amazonien unbedingt realisieren will. Nach ihrem Wahlsieg erneut ein Schwenk: Boff geißelt das Belo-Monte-Projekt.
Mancher hat vielleicht den desillusionierenden ARD-Weltspiegel-Beitrag „Brasilien: Kindsmord am Amazonas“ über das Töten von Kindern bei Indianerstämmen gesehen – rund 600 Babies werden danach jährlich allein in Amazonien umgebracht. Viele Indianer sitzen wegen Sex mit Kindern im Gefängnis, auch Indios sind als Naturzerstörer bekannt. Yanomami pflegen gar das Verprügeln der eigenen Ehefrau mit Freunden, bei Fremdgeh-Verdacht – von Schamanen als Hexen beschuldigte Indiofrauen wurden ermordet – das Blättchen hatte über diese Praktiken berichtet. Boff indessen ignoriert diese Fakten: „Und ich habe sie immer bewundert, sie sind unsere großen Meister im Hinblick auf die Haltung gegenüber der Natur. Die sind technologisch gesehen rückständig, aber zivilisatorisch, sie sind vorwärts, sie sind reicher als wir. Wenn wir lernen wollen, was wir für eine Beziehung mit der Natur eingehen sollen, die Beziehung zwischen dem Alter und den Kindern, den Erwachsenen und alten Leuten, die Beziehung zwischen Arbeit und Freizeit, die Beziehung zwischen Leben und Tod, dann müssen wir die Indianer hören. Die haben eine große Weisheit und vieles haben sie uns zu sagen.“ Kommentar überflüssig.
Obama in Brasilien
Auf Gesten und Symbolik, sorgsam abgestimmt zwischen beiden Seiten, sei besonders zu achten, hatte Brasilia vor der Ankunft des US-Präsidenten verlauten lassen. Und als Barack Obama dann in den Amtssitz von Präsidentin Dilma Rousseff schritt, ging es Schlag auf Schlag. Mitten in der persönlichen Unterredung befahl Obama über einen Mitarbeiter die Attacke auf Libyen mit zunächst 110 Tomahawk-Raketen. Und etwas später, mitten im Bankett für Obama im brasilianischen Außenministerium, ging es richtig los mit den Bombardements. „Ein historischer Tag“, titelten die Zeitungen – und „historisch“ verhielt sich Brasiliens neue Staatschefin, die einst als Guerilleira gegen die Militärdiktatur kämpfte, eingesperrt und gefoltert wurde. Erst nach der Abreise Obamas äußerte sie Missfallen über die Kriegserklärung ausgerechnet in Brasilien – vermied indessen, wie viele Brasilianer erwartet hatten, dies Obama sofort und direkt zu sagen, womöglich die offiziellen Gespräche abzubrechen. Mit einer Note, die einen Waffenstillstand in Libyen erbat, wurde ebenfalls solange gewartet, bis Obama abgereist war. Brasiliens wichtigster Befreiungstheologe, Frei Betto, nannte es gegenüber dem Blättchen „zumindest takt- und geschmacklos, den Krieg gegen Libyen just in Brasilien zu erklären, das gegen eine solche kriegerische Aggression ist.“ Der Diskurs des Westens sei Demokratie, das Interesse indessen Öl und nicht etwa die Verteidigung der Menschenrechte in Libyen. Brasilia hatte sich im UN-Sicherheitsrat, abgestimmt mit Russland, Indien und China, wenigstens der Stimme enthalten, eine friedliche Lösung befürwortet.
Absolut symbolträchtig ging es beim Bankett zu – denn wie zu hören war, hatte Rousseff offenbar mit Ziehvater Lula da Silva abgemacht, dass am Tische direkt neben den beiden Obamas just der hochwichtige Regierungspartner José Sarney sitzen sollte. Die USA hatten 1964 zur Unterstützung des Militärputschs sogar eine Kriegsflotte vor die Küste Brasiliens entsandt. Und nun prosteten sich just der Präsident dieses Landes und der damalige Chef der brasilianischen Folterdiktatorenpartei ARENA freundlichst zu, unterhielten sich auch Michelle Obama und Sarney sichtlich nett miteinander. Er gilt in Brasilien nach wie vor als der archaischste, reaktionärste und politisch mächtigste Oligarch, ist Präsident des Kongresssenats und wurde trotz seiner Verwicklung in zahllose Skandale von Lula stets hochgeschätzt und umworben. „I love this guy“, sagte Obama einmal über Lula – und wollte ihn gerne mit am Tisch. Doch der mit scharfem politischen Instinkt gesegnete Ex-Gewerkschaftsführer lehnte die Einladung ab. Als hochbezahlter Ehrenpräsident seiner Arbeiterpartei PT hatte er womöglich Rücksicht zu nehmen auf jenen Parteiflügel, der sich scharf gegen einen Libyenkrieg wandte, an die Kriege im Irak und in Afghanistan erinnerte, die Obama-Regierung als „Feind des Weltfriedens“ einstufte. Vor Obamas Ankunft brodelte es in diesem Teil der PT, der sich den Sozialbewegungen eng verbunden fühlt, die Obama zur „persona non grata“ erklärt hatten. Zorn erregte daher, dass Brasiliens Regierung, eingeschlossen Dilma Rousseff, und die Führungsspitze der Arbeiterpartei die von PT-Mitgliedern angekündigten Proteste gegen den Besuch Obamas verurteilten. Wie durchsickerte, sollten solche Aktivitäten erstickt, unzufriedene Kader auf Linie gebracht werden. Zu den Abweichlern gehörte sogar Rousseffs Frauenministerin Iriny Lopes. Zu Kriegsbeginn nicht am Tische mit Obama sitzen zu wollen, könnte Lula eines Tages Lorbeeren einbringen – wer erinnert sich dann noch an die Hintergrund-Details? Sehr aufschlussreich, was dann in Chile ganz anders lief als in Brasilia. Eine weit politisiertere Öffentlichkeit erreichte, dass beim Obama-Besuch die Diktaturproblematik nicht ausgeklammert wurde. Anders als unter Dilma Rousseff wurde im chilenischen Regierungssitz natürlich eine Pressekonferenz anberaumt, konnte ein chilenischer Journalist offen fragen, ob Obama und dessen Regierung bereit seien, sich für die Beteiligung am Militärputsch vom 11. September 1973 zu entschuldigen – und bei den gerichtlichen Ermittlungen über Diktaturverbrechen zu kooperieren. Der Journalist erinnerte an bezeichnende Fälle, darunter die Ermordung von Orlando Letelier, Außenminister von Salvador Allende, 1976 in Washington. Dem überraschten Obama blieb nichts weiter übrig, als zuzustimmen – er vermied indessen, um Entschuldigung zu bitten.
Obama plante vor Rio de Janeiros Opernhaus eine Rede ans Volk, zog sich dann aber wegen der drohenden Proteste ins Innere des imposanten Gebäudes zurück, wollte handverlesenes Publikum. Draußen PT-Fahnen und „Obama-go-home“-Plakate – drinnen fragwürdigste Symbolik. Die nationale Schwarzenbewegung forderte, dass sich der erste dunkelhäutige US-Präsident zum grauenhaften Rassismus klar positionieren muss. Schwarzen-Aktivist Mauricio Pestana: ”Es gibt keinerlei Zweifel, dass im ‚demokratischen’ Brasilien von heute schwarze Bürger mehr Opfer von Folter, Mord und Verschwindenlassen sind als in irgendeiner autoritären Epoche unserer Geschichte.“ Die Schwarzenbewegung hatte versucht, über die neue Ministerin für Rassengleichheit, Luiza Bairros, das Rassismusthema auf die Besuchs-Agenda zu setzen, wurde jedoch abgeblockt. Der Studentenverband UNEAFRO nannte Obama „den Verräter der Schwarzen in aller Welt“ – und wird sich jetzt vermutlich bestätigt fühlen. Obama hatte nicht vor, den Rassismus, andere gravierende Menschenrechtsverletzungen in Brasilien zu kritisieren. Seine Besuchsvorbereiter griffen daher tief in die Symbol-Kiste, ließen vor der Rede eine Afro-Band aufspielen und platzierten viele Schwarzen-Aktivisten gut sichtbar vor dem US-Präsidenten. Die Ansprache wurde von Brasiliens wichtigsten Kommentatoren arg verrissen: Denn Obama lobte ausgerechnet die brasilianische Demokratie als beispielhaft, stellte damit klar, welche Menschenrechtskriterien er nach eigenem Werteverständnis an Brasilien anlegt. Systematische Folter durch Staatsangestellte, Todesschwadronen, Scheiterhaufen, neofeudale Banditen-Diktatur in den Armenvierteln, Morde an Menschenrechtsaktivisten, Sklavenarbeit – „no problem“ fürs Weiße Haus. Brasilien werde zum Modell für die Welt, so Obama. In Rio wurde ganz in der Nähe seines Copacabana-Hotels kurz nach der Abreise der Systemkritiker und Anwalt Ricardo Gama, der hohe Politiker auf seiner Website aufs Korn nahm, bei einem Attentat von zwei Kopfschüssen getroffen. Er wird hoffentlich überleben. Zuvor war ein kirchlicher Menschenrechtsanwalt in Nordostbrasilien ermordet worden. In Sao Paulo liquidierten zwei Militärpolizei-Todesschwadronen seit 2006 mindestens 150 Menschen, steht in einem neuen Untersuchungsbericht. Als ausgesprochenen Folterstaat beschrieb sogar Brasiliens neue Menschenrechtsministerin Maria do Rosario ihr eigenes Land – kein einziges Massenmedium brachte die Äußerung. Nicht zufällig ist Brasilien jetzt auf dem britischen Welt-Demokratie-Index vom 41. auf den 47. Platz zurückgefallen – liegt auf dem neuesten UNO-Ranking für menschliche Entwicklung nur auf Platz 73. – Libyen immerhin auf dem 53., Chile auf dem 45., Argentinien auf dem 46 und der Iran auf dem 70. Platz.
Aber heißt es nicht immer, seit Lula zeige Brasilia gegenüber den USA zunehmend Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit? Brasiliens Qualitätsmedien analysierten ironisch Wikileaks- Enthüllungen. Öffentlich habe es nur zu oft leere antiamerikanische Rhetorik gegeben – „ im vertraulich-privaten Umgang indessen Liebkosungen für die Brüder im Norden, Anerkennung der Hegemonie des Partners.“ US-Diplomateneinschätzungen lauteten, das Tropenland sei noch gar nicht reif, um ein Global Player zu sein. Für US-Sozialwissenschaftler sind die brasilianischen Regierenden unfähig zu längst überfälligen strukturellen Reformen, gibt es „gravierende interne Probleme“. Menschenrechtsaktivist Fabio Konder Comparato, Rechtsprofessor an Brasiliens führender Bundesuniversität in Sao Paulo: “Wir hatten bis heute nie Demokratie, leben immer unter einem oligarchischen Regime. Unsere Politik hat stets zwei Gesichter. Eines für außen, zivilisiert – und eines für innen, grausam. Wir halten diese Doppelzüngigkeit des Charakters im gesamten politischen Leben aufrecht. Die Wahlen sind Theater. Lula bewies, dass er für die Oligarchie nicht gefährlich ist. Ich widerspreche dem Begriff Redemokratisierung.“
Frankreichs Rafale-Kampfflugzeuge starteten auf Befehl von Präsident Nicolas Sarkozy als erste gen Libyen, bombten, was das Zeug hielt, feuerten neueste Hightech-Raketen auch auf zivile Ziele, zeigten aller Welt, was in den Kisten steckt. Der überstürzt wirkende Rafale-Einsatz hatte womöglich seinen besonderen, zynischen Hintersinn – denn Lateinamerikas größte Kriegswaffenmesse LAAD in Rio de Janeiro stand vor der Tür. Rafale-Oberverkäufer Sarkozy bemüht sich seit Jahren meist vergeblich, bei seinen Auslandsreisen die superteuren Jagdbomber an den Mann zu bringen, auch in Brasilien. 2010 schien der Ankauf durch die Lula-Regierung fast sicher – doch selbst in französischen Medien wurde herumgemäkelt, größtes Verkaufshindernis sei die fehlende Praxiserprobung im Kriegseinsatz. Das Argument ist nun wohl vom Tisch. Am Tag der Messeeröffnung von Rio schrieb die „O Globo“, dass die Rafales nun „mit Erfolg bei den Attacken gegen Libyen“ getestet worden seien, und in einer LAAD-Sonderbeilage warb der französische Rüstungskonzern gleich ganzseitig, die Vortrefflichkeit der Bomber sei im Kampf bewiesen worden. Deutsche Medien zitieren Jean-Pierre Maulny, stellvertretender Direktor des französischen Instituts für Internationale und Strategische Beziehungen (IRIS), wonach der Libyen-Einsatz ein Weg sein könne, um für die nunmehr „kampferprobten“ Rafale-Bomber Propaganda zu machen. Dabei war es in Libyen vorhersehbar zu keinerlei Luftkämpfen gekommen, wurden durch die Bombardements, wie man inzwischen weiß, aber zahlreiche Zivilisten umgebracht, deren Häuser zerstört, immense Massenfluchten ausgelöst.
Die brasilianische Öffentlichkeit hat, anders als die mitteleuropäische, weit weniger Illusionen, worauf der Libyenkrieg tatsächlich zielt. Schließlich hatten führende Blätter, darunter Brasiliens auflagenstärkste Zeitung „Folha de Sao Paulo“, den Europa-üblichen Mainstream von Anfang an der Lächerlichkeit preisgegeben. Gleich auf einer ganzen Seite analysierte der renommierte Politikexperte und Universitätsprofessor José Luis Fiori, dass es um Libyens Öl und die Kontrolle einer Grenzregion zu Europa gehe, nicht aber um Menschenrechte. Die würden von den großen Mächten stets benutzt, um geopolitische Entscheidungen zu legitimieren. Afrika nannte Fiori den Schauplatz eines neuen imperialistischen Wettkampfs – es sei nicht ausgeschlossen, dass über eine neue Form des Kolonialismus ebenso nachgedacht werde wie über die Eroberung bestimmter afrikanischer Staaten, die durch europäische Kolonialisten geschaffen worden waren. Lokale Konflikte würden künftig immer häufiger – und stets seien die USA involviert.
Wer das womöglich linkslastig fand, bekam „ausgewogen“ im selben Blatt die Version des konservativen Politikers und Ex-Finanzministers Luiz Carlos Bresser-Pereira präsentiert, wonach Libyen lediglich abgestraft werde, weil es sich dem informellen Kolonialismus der Großmächte nicht unterwerfe. Der Libyenkrieg werde nicht mit guten Absichten geführt. Man versuche dort nicht, wie behauptet werde, „das Massaker an einem revoltierenden Volk zu verhindern“, sondern wolle die Herrschaft über ein ölreiches Land wiedergewinnen. In Libyen, so Bresser-Pereira, gebe es im übrigen gar kein revoltierendes Volk. Einzige „Massenmanifestation“, von der Journalisten Fotos machten, sei eine Masse von Autos in Bengasi gewesen – zwecks Feier der NATO-Bombardements. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei der offene Kolonialismus durch einen informellen ersetzt worden – die alten Metropolen assoziierten sich mit korrupten Eliten der armen Länder. Dies treffe besonders auf den mittleren Osten sowie auf Staaten Lateinamerikas und Afrikas zu. Lediglich asiatische Länder und einige Staaten wie Libyen zeigten sich nicht fügsam für diese neue Herrschaftsform. „Deshalb verzeichneten sie Wachstum und verbesserten den Lebensstandard der Bevölkerung.“ Der Anwalt und Ex-Minister verwies auf den UNO-Index für menschliche Entwicklung und verglich – Libyen liege auf dem 53. Platz, Lateinamerikas größte Demokratie Brasilien indessen nur auf dem 73. Platz. Für Unbotmäßigkeit werde Libyen jetzt bestraft durch zwei alte imperiale Mächte, Frankreich und Großbritannien, gefolgt von den USA. Sarkozy meine, durch sein Vorgehen wiedergewählt zu werden – „doch die Franzosen wissen, dass dieser Krieg wenig Sinn hat und dass sie Sarkozy nicht vertrauen können“.
Kommentatoren, die solcher Sicht widersprechen? Keine. Leicht nachvollziehbar, dass sich auch Brasiliens Künstlerschaft nicht vom europäischen Mainstream beeindrucken lässt, darunter der populäre Schriftsteller ÉnricoVeríssimo in seiner landesweit nachgedruckten Kolumne: „Alles wiederholt sich in Libyen, angefangen mit der Scheinheiligkeit der selektiven Empörung: Einige Tyrannen, zuvor toleriert, wenn nicht gar offen unterstützt wie Saddam, werden unakzeptabel und attackierbar, während der Knüppel andere schont, die noch nütze sind. Danach folgen die Verluste an Zivilisten, angeklagt von der einen Seite und bestritten von der anderen, Fotos verstümmelter Kinder und Diskussionen über die Effizienz von ‚chirurgischen’ Luftschlägen. Und so haben wir ein weiteres Beispiel eines modernen Beitrags zu den Kriegstaktiken, die eigenartige Doktrin des humanitären Bombardements.“
Komponist Aldir Blanc fragt, wie viele unschuldige Zivilisten bereits durch das westliche Bombardement auf Libyen umgekommen seien. Und macht sich bitter-ironisch über „Hilaria Clinton“ lustig, legt ihr folgendes Zitat in den Mund: „Unsere Politik ist, das da zu bombardieren und das Wort Petroleum durch Menschenrechte zu ersetzen.“ Der Komponist erinnerte zudem an das US-Geheimgefängnis in Ägypten, in dem des islamischen Terrors Verdächtigte gefoltert worden seien.
Da erübrigt es sich beinahe, Positionen aus der recht befreiungstheologisch orientierten Kirche des größten katholischen Landes zu erwähnen. Frei José Francisco, Leiter des Franziskaner-Sozialwerks in der Megacity Sao Paulo, eine der angesehensten Franziskaner-Persönlichkeiten Brasiliens, nennt die Einschätzung des Weltsozialforum-Gründers Oded Grajew völlig korrekt, wonach die Waffenverkäufer Regierungen wollen, die Kriege führen. „Eine große Wirtschaft, zu deren Stützen die Rüstungsindustrie gehört, muss Kriege haben – denn zur kapitalistischen Basis gehört Konsum. Für die Rüstungsindustrie bedeutet dies – sie wird durch Kriege stimuliert. Die unterstützen die Wirtschaft jener großen Länder, die heute die Welt beherrschen.“ Für Andersdenker Francisco versucht in Libyen lediglich eine Gruppierung, an die Macht zu kommen – „doch eine Mobilisierung des Volkes gibt es dort nicht. Bemerkenswert, dass Vatikan und katholische Friedensbewegung Pax Christi mit ihrer Position zum Libyenkrieg der NATO-Haltung komplett widersprechen. Der Krieg zeigt, wie oft die UNO leider instrumentalisiert wird.“ Für den Franziskaner ist völlig klar, dass das Völkerrecht jetzt auf jene anzuwenden ist, die durch Bombardements in Libyen ungezählte Zivilisten umbrachten. „Die an den Luftangriffen beteiligten Länder müssen raschestmöglich Wiedergutmachung und Entschädigung an die Hinterbliebenen der Todesopfer sowie an Verletzte und anderweitig Geschädigte leisten. Die Täter und ihre politisch-militärischen Auftraggeber müssen gemäß Völkerrecht bestraft werden. Ich weiß, dass in der brasilianischen Kirche sehr viele denken wie ich.“
Zu ihnen zählt Waldemar Rossi. Einst war er aktiver Diktaturgegner, bereitete mit Gewerkschaftsführer Lula Streiks vor – heute leitet er unter einem deutschstämmigen Kardinal in Sao Paulo die bischöfliche Arbeiterseelsorge. „Seit den ersten Bombardements hat die NATO nicht nur die Streitkräfte Libyens attackiert, sondern auch Zivilisten, die dabei umkamen. Auf normale libysche Bürger wurde keinerlei Rücksicht genommen. Notwendige Entschädigung, Wiedergutmachung bringt indessen die Getöteten nicht zurück ins Leben. Zur Verteidigung von Ölinteressen nehmen sich die an den Luftschlägen beteiligten Regierungen das Recht heraus, jegliche Verbrechen zu begehen – wie zuvor bereits im Irak und in anderen Staaten. Absolut verrückt, dass Barack Obama den Libyenkrieg anfangs von einem Copacabana-Hotel aus koordiniert hat.“ (Während seines jüngsten Brasilienaufenthaltes – Anm. d. Red.) Schwer vorauszusagen, ob auch westliche Libyenkrieger Fronturlaub an der Copacabana machen werden – die Kollegen aus dem Irakkrieg sind längst da und sorgen als Sextouristen für reichlich Negativschlagzeilen. „Die Truppe auf der Suche nach Sex provoziert Polemik“, titelte schon 2007 ein Rio-Blatt. Washington finanziere diesen Fronturlaub, habe das US-Konsulat bestätigt.
Wie wäre das in Deutschland – dürfte man selbst nach richterlichem Verbot noch offen auf der Straße und vor Konzertmikros singen, dass schwarze Frauen stinken und mit diesen Kraushaaren hässlich aussehen? In Brasilien darf man – ein Lied dieses Inhalts machte 1996 Furore, Komponist Tiririca, ein Musikclown und Kinderstar, ging mit dem Song in die Fernsehshows und forderte alle zum Mitsingen, Mittanzen auf. Bis heute kann sich jedermann „Veja os cabelos dela“ von brasilianischen Websites herunterladen. Obwohl die nationalen Schwarzenorganisationen über ein Jahrzehnt lang gegen Sony Music wegen des rassistischen Lieds klagten – und jetzt schließlich gewonnen haben. Der Musikkonzern muss umgerechnet über eine halbe Million Euro Entschädigung zahlen und durfte das Lied bereits seit Jahren nicht mehr vertreiben. Der Text indessen ist überall greifbar und hat es in sich. Diese Negerin stinkt wie verrückt, mehr noch als ein Stinktier, singt Tiririca, der Geruch dieser Frau ist nicht zum Aushalten. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich waschen – aber sie ist stur, will nicht hören. Und dann schau dir mal die grauenhaften Kraushaare von der Negerin an – die sind wie dieser Putzschwamm, mit dem man Töpfe und Pfannen scheuert.
Blonde Mädchen und Jungen Brasiliens trällern das Lied lustvoll in den teuren Privatkindergärten der weißen Mittelschicht, es klingt durch Schulkorridore, wird auf Feten gesungen, eignet sich prächtig, um Schwarze zu hänseln, zu beleidigen. Aber wieso kann ausgerechnet so ein offen rassistisches Lied in Brasilien diesen Erfolg haben? Ein führender Schwarzenaktivist, Mauricio Pestana, Herausgeber der einzigen Schwarzenzeitschrift, „Raca Brasil“, sagte dem Blättchen in Sao Paulo: „Brasilien ist das rassistischste Land der Erde – hier wirken die Strategien des Rassismus seit jeher sehr intelligent. Es gibt keinerlei Zweifel, dass im `demokratischen` Brasilien von heute schwarze Bürger mehr Opfer von Folter, Mord und Verschwindenlassen sind als in irgendeiner autoritären Epoche unserer Geschichte. Dagegen kämpfen wir an.“
Nicht einfach, wie der Fall des Tiririca-Lieds zeigt. Die Schwarzenorganisationen protestierten 1996 sofort, beriefen sich auf ein Gesetz gegen Rassendiskriminierung, reichten Klage ein – sogar im Nationalkongress wurde darüber diskutiert. Eine Richterin verbot den Verkauf der Tiririca-CD wenigstens für den Teilstaat Rio de Janeiro – Sony Music ging in Berufung. Die Lieder Tiriricas seien unschuldig, für Kinder gemacht und ohne Vorurteile. „Die Ausdrucksfreiheit unserer Künstler ist unantastbar“, betonte ein Sony-Music-Manager. Der Musikkonzern musste das Lied schließlich von der CD nehmen.
Aber wieso ist wegen der erfolgreichen Entschädigungsklage eigentlich Sony Music am Pranger – und nicht der Liedermacher Tiririca, fragen derzeit viele. Da zeigt sich ein Dilemma der Schwarzenbewegung – denn dieser unheimlich populäre Tiririca ist ja selber dunkelhäutig. Auch er wurde gleich am Anfang mit verklagt: „Aber meine eigene Frau ist doch eine Schwarze – und ich bin ein Mulatte!“, sagte er den Richtern. Freispruch.
Denn schmerzhafte Tatsache ist, dass sich in Brasilien Schwarze gegenseitig rassistisch beschimpfen, herabsetzen – selbst als „hässlich schwarz“ titulieren. Immer wieder kommt es vor, dass sogar schwarze Frauen, die schwarze Männer beleidigend als „preto“ beschimpften, von schwarzen Militärpolizisten vorübergehend festgenommen werden.
Mit acht Jahren arbeitete jener Francisco Everardo Oliveira Silva, genannt Tiririca, bereits als Zirkusclown, sitzt heute, mit 45 Jahren, sogar im Nationalkongress, gehört zum Regierungsbündnis der neuen Präsidentin Dilma Rousseff. Und hievte durch ein Rekordergebnis von 1,3 Millionen Stimmen eine ganze Reihe belasteter Politiker seiner Republikanischen Partei mit ins Parlament. „Was macht so ein Kongressabgeordneter? Ich weiß es nicht. Votiere für mich und ich erzähle es dir!“ Dieses banale Wahlkampfmotto Tiriricas hat bestens funktioniert – viele Brasilianer finden es zum Heulen, doch bezeichnend für den Zustand des Politikbetriebs. Und der tief verwurzelte Rassismus ist weiterhin vertrackt, äußert sich auf überraschende Weise, selbst im öffentlichen Gesundheitswesen. „Man muss sich das so vorstellen“, sagt Lucia Xavier von der Schwarzenorganisation „Criola“ in Rio. „Eine schwarze Frau geht zur Behandlung und auch zur Krebsvorsorge in eine öffentliche Klinik, doch der weiße Arzt tastet nicht einmal ihre Brust ab, weil er sich vor der Frau ekelt, ja, wegen ihrer Hautfarbe Ekel empfindet. Und damit wird die Frau ihres Rechts auf korrekte medizinische Behandlung beraubt. Die Frau teilt mit, dass sie Schmerzen habe, doch den Arzt interessiert das nicht, dessen Team ebenso wenig – weil man die Frau wegen ihres ganzen Erscheinungsbildes nicht mag.“ Nicht zufällig sind die Sterblichkeitsraten der Schwarzen weit höher als die der Weißen. Dunkelhäutige, immerhin die Bevölkerungsmehrheit, besetzen nur 3,5 Prozent der Führungsposten, sind im höheren Management extrem selten. Erklärt wird dies gewöhnlich mit dem sehr begrenzten Zugang dieser Bevölkerungsgruppe zu besserer Qualifikation. Das weitverbreitete Vorurteil, dass Schwarze keine intellektuelle Kompetenz besäßen, wird dagegen kaum einmal als Hinderungsgrund genannt. Befragte schwarze Manager räumten ein, sich lange Zeit tatsächlich als weit weniger kompetent eingestuft und unter einem tiefsitzenden Minderwertigkeitskomplex gelitten zu haben. Eine Folge dieses geringen Selbstwertgefühls: Als Lebenspartner, Freunde oder Bekannte werden erstaunlich häufig hellhäutige Personen bevorzugt. Es gibt dafür sogar eine gängige Redewendung – „melhorar a raça“, die Rasse verbessern. Und das heißt, Kinder mit Weißen zu zeugen, um so die Farbe der Familie aufzuhellen und dadurch in der Gesellschaft an Wert zu gewinnen. Als eine schwarze Favela-Frau nach sechs kaffeebraunen Kindern zum ersten Mal eine auffällig helle, beinahe weiße Tochter zur Welt bringt, bei einem dunkelhäutigen Vater, freut sich die ganze Sippe wie wild und feiert das Ereignis. Schwamm drüber, dass da irgendwas mit der Vaterschaft nicht stimmen kann – der Papa freut sich ja auch, dass die Kleine so überraschend hell geraten ist. In ungezählten Slumfamilien bläut man die Aufhell-Idee besonders den Mädchen frühzeitig ein, sucht ihnen Beziehungen zu schwarzen Jungen auszureden. Als ein Mädchen zum ersten Mal zu Hause mit dem schwarzen Freund auftaucht, fallen schon die Schwestern über sie her: Willst du denn die Rasse verschlechtern, die Familie noch schwärzer machen, bist du verrückt? Dunkelhäutige Frauen, die sich hocharbeiten und dann auf einmal in einem Großraumbüro allein unter 100, 200 Weißen sitzen, berichten davon, als „schwarzes Schaf“ tituliert zu werden, sich diskriminiert zu fühlen.
Besonders in den Slums von Sao Paulo sind auch andere Verhaltensmuster möglich. Politisierte Schwarze suchen sich für ein Abenteuer, eine nicht-feste Beziehung, gern eine Hellhäutige – aber zum Heiraten, zum Familiegründen muss es eine Schwarze sein. So werde die eigene Identität gestärkt. Eigentlich auch eine Form des Rassismus, kommentiert eine dunkle Paulistana. Auffällig wiederum, dass schwarze Männer, die Karriere machen, gar als Fußballspieler zu viel Geld kommen, Blondinen als Statussymbol bevorzugen. Der dunkelhäutige Historiker Joel dos Santos formulierte es bitter so: „Die Weiße ist schöner als die Schwarze – und wer vorankommt, wechselt nun einmal automatisch den Wagen.“
Wirtschaften in Brasilien
Jetzt in der Erntezeit brennen sie wieder bis zum Horizont – die riesigen Zuckerrohrplantagen des Tropenlandes. Fliegt man über das Flammenmeer, vergisst man’s nie wieder. Nossa Senhora – der ätzende Qualm steigt ja höher als die Maschine! Unten kriegt man Angstzustände, wenn der Bus plötzlich von dichtem Rauch eingehüllt wird, an beiden Straßenseiten Flammen züngeln, Gluthitze eindringt, der Fahrer flucht, weil er nichts mehr sieht. Während der gefürchteten „Queimadas da cana“ häufen sich tödliche Verkehrsunfälle, explodieren gar Tanklaster. „Niemals hatte ich soviel Angst um die Kinder, meine Frau und mich wie im PKW in einer solchen Feuerzone – ich dachte, jetzt sind wir alle geliefert“, sagt Mario Mantovani, Präsident der Umweltstiftung „SOS Mata Atlantica“, in Sao Paulo. „Und dabei kam ich grade von einem Umweltschutzkongress, hielt einen Vortrag über den Wahnsinn der Treibstoffproduktion aus Zuckerrohr!“ Deutsche Multis, deutsche Zuckerunternehmen, deutsche Banken und Spekulanten sind seit Jahren in die Ethanol- und Zuckerbranche Brasiliens groß eingestiegen, mischen heftig mit, tragen entsprechende Mitverantwortung. Unter Staatschef Lula hat die Branche einen Boom erlebt, wuchs in seinen acht Amtsjahren der Anteil ausländischer Multis von fünf auf über 35 Prozent. In der Megacity wirbt die „Industria Sucroalcooleira“ gerne mit Großfotos des grünen, wogenden Meers aus Zuckerrohr, Cana. Das wirkt auf viele direkt sympathisch, wie die so schön gelben, doch extrem umweltschädlichen, massiv mit gefährlichsten Agrargiften besprühten Rapsfelder in Deutschland. Abgefackelt werden seit der Kolonialzeit kurz vorm Ernten die störenden, unnützen Zuckerrohr-Seitenblätter. Brasilianische Wissenschaftler nennen die Flächenbrände „pervers“ und ein Umweltverbrechen – Mario Mantovani machen sie Naturschutzgebiete kaputt. Auch jetzt, 2011, sind wieder reichlich Schutzzonen draufgegangen, weil das Feuer außer Kontrolle gerät, sich in Wälder hineinfrisst. Und immer werden sogar Plantagenarbeiter von den Flammen eingekreist und verbrennen lebendig – ebenso wie Unmengen an theoretisch streng geschützten Tieren. „Alle denkbaren Vorteile des Ethanoltreibstoffs werden allein durch das Abfackeln aufgehoben. Man braucht sich nur den Ausstoß an klimaschädlichem Dioxin und Kohlenmonoxid anzuschauen. Die Gesundheitsposten in Städten bei Sao Paulo sind voll von Leuten, die wegen der Plantagenbrände Sauerstoff-Behandlungen machen müssen, schwere Atemprobleme haben. Unser Staat dürfte diese Ethanolunternehmen nicht auch noch finanzieren, sogar über die Entwicklungsbank! Es gibt kein Umweltbewusstsein in Brasilien. Die Kultur des Landes ist Zerstörung.“ Mantovani klassifiziert Brasilien als viertgrößten Erzeuger klimaschädlicher Gase – wegen der Brandrodungen im Regenwald und dieser Plantagenbrände. „Doch der heutige Weltmarkt will garnicht wissen, ob das Zuckerrohr von Sklavenarbeitern geerntet wurde und ob man die Plantagen abgebrannt hat.“
Hauptbetroffene sind die Zuckerrohrarbeiter, die zudem über Haut und Atmung den krebserzeugenden Brandruß aufnehmen. Die Feuer zerstören die Bodenfruchtbarkeit und kontaminieren Oberflächen- und Grundwasser, vernichten zudem sämtliche natürlichen Feinde von Schädlingen, daher werden immer mehr Agrargifte eingesetzt. Brasilien ist wegen der Zuckerrohr-Monokulturen heute weltgrößter Verbraucher selbst solcher Gifte, die in der EU und in den USA längst verboten sind. Klar, ein Großteil kommt von deutschen Multis. Alles dummes Zeug, was Mantovani da erzählt – ginge es nach den auch in Deutschland überreichlich verbreiteten Argumenten zugunsten der brasilianischen Ethanolproduktion. Die wird als ökologisch und „Bio“ gerühmt. Bitte, es geht doch, so wie bei der Windkraft. „E 10 – mehr Bio im Benzin“, wirbt das Bundesumweltministerium: „Biokraftstoffe spielen eine wichtige Rolle beim Klimaschutz und bei der Energieversorgung.“
Francisco Anselmo de Barros, genannt Francelmo, einer der wichtigsten, bekanntesten Umweltaktivisten Brasiliens, verbrannte sich 2005 selbst, um gegen die Ausweitung der „Biosprit“-Produktion zu protestieren. Doch das Tropenland bleibt weltweit führender Zuckerproduzent und -exporteur, zudem zweitwichtigster Hersteller von Ethanol. Zwischen 2009 und 2010 hat die EU ihre Zuckerkäufe in Brasilien verdreifacht – das Bundesumweltministerium rechnet mit großen Ethanol-Importen. Für Roberto Malvezzi, kirchlicher Umweltexperte wie Francelmo, ist „Biosprit“ jedenfalls kein sauberer Kraftstoff: „Um die Anbauflächen zu erweitern, vertreibt das exportorientierte Agrobusiness Indiostämme und Kleinbauern sogar durch Terror und Mord. Hinter moderner Fassade verstecken Großfirmen nur zu oft Sklavenarbeit.“ Nur durch solch abstoßendes Sozialdumping seien brasilianischer Zucker und Ethanol auf dem Weltmarkt so billig und wettbewerbsfähig.
Anfang 2011 passiert eine kuriose Panne, ist monatelang Ethanol an den Tankstellen häufig teurer als Benzin, dieses die landesweit beste und billigste Kraftstoffalternative. Denn der Wirkungsgrad von Benzin ist deutlich größer. Wegen der hohen Weltmarktpreise für Zucker stellten die Ethanolfabriken auf Zuckerproduktion um, provozierten eine „Biosprit“-Versorgungskrise, musste die Regierung große Ethanol-Mengen ausgerechnet aus den USA importieren. „Das ist so, als würde Saudi-Arabien Öl einführen“, spottete die Wirtschaftspresse. Universitätsprofessor Dr. Eduardo Moreira, Ethanolexperte aus Sao Paulo, rechnet mit solchen Krisen immer wieder. Ethanol könne Benzin nicht ersetzen – nicht einmal in Brasilien, sei nur eine Art Neben-Treibstoff: „Obwohl unsere Produktionsbedingungen extrem vorteilhaft sind, kann dieser Kraftstoff nicht einmal hier mit Benzin konkurrieren.“ An diesen Produktionsbedingungen sind in- und ausländische Teilhaber natürlich höchst interessiert, weil sich nur so hohe Profite erzielen lassen. Deutsche und österreichische Landwirte haben wiederholt vergeblich auf das brasilianische Sozialdumping hingewiesen und faire Spielregeln gefordert. „Durch diese gewissenlose Form der Produktion ist es der Landwirtschafts-Industrie Brasiliens möglich, die Preise am Weltmarkt zu unterbieten”, hieß es in einer Bauernzeitschrift. „Weder europäische Bauern noch solche aus den Entwicklungsländern können mithalten.” Wird Brasilien die gigantischen, durch die Zucker- und Ethanolproduktion verursachten Umweltschäden rückgängig machen, all die vernichteten Tierarten der Natur zurückgeben? Über politische Positionen dazu von deutscher Seite ist nichts bekannt.
„Wer Ethanol tankt, kippt sich Blut in den Tank“, sagt Brasiliens katholischer Priester Tiago – „Biosprit ist Todessprit“, urteilt Befreiungstheologe Frei Betto. „Denn die Ethanolproduktion bringt zahllosen Armen und Hungernden der Erde den Tod.“ Zu den komplexen Auswirkungen des Biosprit-Booms gehören derzeit in Brasilien brutale Preissprünge bei Lebensmitteln. „Wenn man die Ackerflächen für Nahrungsmittel verkleinert, steigen deren Preise, sterben viele Menschen, die sich keine guten Grundnahrungsmittel leisten können. Unsere Regierung spricht von 16,2 Millionen hungernden Brasilianern in absolutem Elend – aus meiner Sicht sind es doppelt so viel!“, sagte er dem Blättchen. Hungernde, Unterernährte seien besonders anfällig für viele auch tödliche Krankheiten, vegetieren mit stark geschwächtem Immunsystem dahin, verlieren Initiative und Konzentrationsfähigkeit. „Wegen immer mehr Zuckerrohrplantagen wurden riesige Urwaldgebiete Amazoniens abgeholzt, das ökologische Gleichgewicht, die Ökosysteme in Nord- und Südamerika geschädigt, was sich auf die ganze Welt negativ auswirkt. Denn Amazoniens Tropenwald ist der größte des Planeten. Und die Regenfälle, ob im Süden Floridas oder Argentiniens, hängen von der Verdunstung in Amazonien ab.“
Die Förderung des Zuckerrohranbaus bewirke zudem Landvertreibung, starkes Slumwachstum, mehr Morde und Drogenhandel, mehr Kinderprostitution. „84 Prozent der Brasilianer leben bereits in den Städten“, so Frei Betto. „Die Menschen migrieren dorthin auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen, was aber gravierende zerstörerische Konsequenzen hat, weil Risikozonen illegal mit Slums bebaut werden. Deshalb haben wir jedes Jahr Erdrutschkatastrophen mit vielen Toten. Ein Heer von Arbeitslosen zieht im Lande umher und verdingt sich bei der Zuckerrohrernte, haust den Rest der Zeit aber in Armenvierteln mit Drogen, Gewalt, Prostitution. Es fehlt eben dringlich eine Bodenverteilungsreform, um die Menschen auf dem Lande zu halten.“
Brasiliens Kreuz mit dem Sex
Bei Morden an Homosexuellen habe das Land im Weltvergleich „eine grauenhafte Führungsrolle“, prangert der Schwulen-Führer und Anthropologe Luiz Mott an. Es handele sich um „Hass-Verbrechen, ausgeführt mit besonderer Grausamkeit“. In Brasilien würden mehr Gays getötet als bei Homosexuellen-Hinrichtungen im Iran, Saudi-Arabien, Sudan, Nigeria und weiteren sieben Staaten, in denen die Todesstrafe für Schwule gelte. „In den USA, mit etwa 100 Millionen mehr Bewohnern, tötet man 25 Gays pro Jahr, hier 250!“ Die Dunkelziffer sei indessen sehr hoch, man erfahre nur von einem Bruchteil der Morde. Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gehe in die Geschichte als „Vampiro dos Gays“ ein. Da erschien lobenswert, dass die neue Regierung unter Präsidentin Dilma Rousseff an 6.000 öffentlichen Mittelschulen des größten bisexuellen Landes der Erde eine intensive Aufklärungskampagne zugunsten der Rechte von Schwulen, Lesben und Transvestiten starten, einen so genannten „kit anti-homofobia“ verteilen wollte. „Wir machen keine Propaganda für sexuelle Optionen“, erklärte dann jedoch überraschend die Präsidentin, zog den „kit“ zurück. Man werde sich in das Privatleben der Leute nicht einmischen.
Geplant war, den Heranwachsenden auch sehr anschauliche Videos vorzuführen, in denen als Vorteil der Bisexualität genannt wird, doppelt so viele Chancen zu haben, eine attraktive Person, einen Beziehungspartner zu finden. In einem Lande immerhin, in dem entgegen gängigen Klischees Einsamkeit ein Massenphänomen ist. Der Stimmungswandel bei Präsidentin Rousseff, hieß es in den Landesmedien, sei auf Druck der starken puritanischen Fraktion evangelikaler Sekten im Regierungsbündnis erreicht worden. Doch nicht wenige Brasilianer meinen, dass man mit dem Aufklärungs-Kit bei Brasiliens Jugendlichen ohnehin nur offene Türen eingerannt hätte – alles ist den Heranwachsenden ja aus ihrem Lebensumfeld bekannt. Die geplante Anti-Homophobie-Kampagne ginge an den Landesrealitäten vorbei, weil sie die gravierendsten Probleme aussparte – wohl um keine schlafenden Hunde zu wecken.
Einen wichtigen Hinweis hatte 2010 der brasilianische Erzbischof Dadeus Grings gegeben, der als Problem nannte, dass die heutige Gesellschaft pädophil sei – und die Menschen leicht dafür anfällig. Als Erzbischof konnte er schwerlich in die Details gehen. Yvonne Bezerra da Silva, bildende Künstlerin und Slum-Sozialexpertin kann das, nimmt kein Blatt vor den Mund. Bereits in den neunziger Jahren spricht sie sich für Sexualerziehung schon für Siebenjährige aus, will Kenntnisvermittlung über Familienplanung für Arme an sämtlichen Grundschulen. „Die große Mehrheit der Unterschichtskinder ist Teil völlig zerrütteter Familien, nicht selten hausen auf nur neun Quadratmetern zehn Personen; Jungen und Mädchen sehen täglich homo- und heterosexuellen Verkehr, betrachten diesen Umstand gleichwohl als natürlich, nicht etwa als unmoralisch oder Sünde.“ Auch der Umgang mit Rauschgift sei alltäglich. „Für die Mädchen gehört zu den gängigen Erfahrungen, mit acht, neun oder zehn Jahren vergewaltigt zu werden. Alles ist für sie Teil eines bekannten und akzeptierten Konzepts, integrierender Bestandteil ihrer Existenz.“ Als sehr dramatisch stuft Yvonne Bezerra de Mello die Situation der Jungen ein. Bereits von sechs oder sieben Jahren an ließen sie sich von Jugendlichen oder erwachsenen Männern sexuell missbrauchen, kennen bis 13 oder 14 nur homosexuellen Verkehr. „Keineswegs selten ist, dass bereits Zehnjährige zwei- bis dreimal pro Tag Sex mit Männern haben – und wie die anderen stets im Tausch gegen irgendetwas, häufig umgerechnet nur 75 Cents; im Unterschied zu den Mädchen, die sich sexuell missbrauchen lassen, als ob es ihr Schicksal wäre.” Nicht wenige Brasilianer nennen Fälle allgemein bekannt, dass sogar an öffentlichen Schulen schwächere Schüler von den stärkeren selbst in Gruppen vergewaltigt, zu Analverkehr gezwungen werden, was für die Betroffenen keineswegs selten zu einem lebenslangen Trauma und gestörten Beziehungen zum anderen Geschlecht führt. Denn was jene Jungen, die sich in der brutalen Macho-Gesellschaft nicht gegen Vergewaltigung wehren konnten, durch andere erlitten haben, wird verbreitet, herumerzählt – mit den entsprechenden psychologischen Wirkungen.
Den Roman „Ana in Venedig“ von Thomas-Mann-Experte Joao Silverio Trevisan aus Sao Paulo hat vielleicht mancher gelesen – in Brasilien ist der Autor indessen auch ein angesehener Schwulen-Aktivist, der den eigenen Haufen politisch unkorrekt immer wieder in die Mangel nimmt. Als Brasiliens Oberstes Gericht 2011 gleichgeschlechtlichen Partnerschaften die gleichen Rechte zubilligt wie verheirateten homosexuellen Paaren, hat dies Trevisan heftig begrüßt – und kommentiert. ”Die Menge an verheirateten Männern, die in Brasilien ihre Homosexualität heimlich ausleben, ist skandalös und erschreckend hoch. Bei der brasilianischen Bisexualität handelt es sich um eine heimlich ausgelebte Homosexualität … Männer schlafen gerne miteinander – und danach heiraten sie Frauen. Das ist in Brasilien historisch … Es ist die Scheinheiligkeit, in der wir leben. Brasiliens Kultur ist karnevalisiert. Es ist die Kultur der Maske … Wir benutzen die Maske im Guten wie im Bösen … Die falsche Bisexualität gehört zu dieser Maske … Ich übe ernste Kritik an der Homosexuellenbewegung. Es ist eine der Elite, und was sie erreichte, war durch Lobbyarbeit. Die brasilianische Homosexuellengemeinde ist politisch entfremdet…” Aber warum fühlen sich in Brasilien so viele Leute durch Gays gestört, warum gibt es all diese Gewalt? „Der Macho fühlt sich bedroht, man frage mich nicht, warum. Ich persönlich denke, dass sich hinter den ideologischen Motiven sehr ernste psychologische verstecken. Vereinfacht könnte man sagen: Sie sind bedroht, weil es irgendeine Art von Verzauberung, Anziehung gibt, gegen die sie sich verteidigen.”
Karnevalisierte Kultur und Kultur der Maske – Trevisan gibt wichtige Hinweise zum Verständnis soziokultureller Besonderheiten Brasiliens, die im Alltagsleben teils extrem widersprüchlich daherkommen. Wer wird schon gerne zugeben, dass ihm Analverkehr mit Tieren unheimlich liegt – aber beinahe auf jedem Marktplatz, bei großen Kabarettisten und Musikclowns wie Caçarola ist die verbreitete Zoophilie ein beliebtes Thema. Zum „Tarado do Sertao“, einem lustigen Forró, im Internet leicht zu finden, lässt es sich gut tanzen – und mitsingen: „Liebe machen mit der Eselin im Wald – ach war das schön!“ Wer meint, hier werde Sensationalismus betrieben, wird bei Wikipedia Brasilien über Zoophilie geschrieben finden, dass im Lande bekanntlich viele junge Menschen Geschlechtsverkehr mit Tieren pflegten. Hühner überleben ihn gewöhnlich nicht, heißt es. Gruppen von Jungen liquidierten auf diese Weise ganze Hühnerställe alter Frauen. Brasilianerinnen berichten, dass Sexpartner ihnen gestanden hätten, den ersten Geschlechtsverkehr des Lebens mit Tieren gehabt zu haben. Den Frauen war diese Praxis männlicher Jugendlicher und Männer indessen gut bekannt, überraschte gar nicht. Esel-Songs wie von Caçarola sind ja jedermann geläufig.
Heitere Szenen würden besonders im brasilianischen Nordosten auf den Straßen ausgelöst, wenn an Zoophilie gewöhnte Esel sich ihren Partnern näherten, an ihnen rieben und dadurch für jedermann das Zoophilie-Verhältnis offenbar werde. Bekannt ist der Habitus junger Männer, mit ihrer neuen Freundin jene Ecken von Stadt oder Dorf zu meiden, wo ein vorher zur Zoophilie genutzter Esel, eine Eselin plötzlich auftauchen und diese Männer kompromittieren könnte. Ist eine Weide in Sicht, wo solche Esel grasen, machten diese Männer mit ihren Partnerinnen schleunigst kehrt oder einen Bogen – ob im Nordosten oder im südlichen Paraná. Ein bekannter Musiker erläuterte im Interview, dass Jungen im Nordosten bei Eseln die nötige Höhe herstellten, indem sie hinter den Tieren Ziegelsteine aufschichten. Genug der Details, höchstens noch ein makabrer Schlenker in die Politik. Leonel Brizola aus Rio, zu Lebzeiten Vizepräsident der Sozialistischen Internationale und nach eigenen Angaben Freund von Willy Brandt, sprengte 1994 zu Ostern eigenhändig einen berüchtigten Kerker auf der paradiesischen Ilha Grande in die Luft, um sich von dunklen Punkten in seiner politischen Biographie zu befreien. Die Explosion tötete, so ein Gefängniswärter und zahlreiche Inselbewohner, auch etwa 300 zumeist von Lepra und anderen Krankheiten befallene Hunde, die von den zuletzt 700 Häftlingen zum Zwecke der Zoophilie gehalten wurden.
Was stimmt denn nun? Bis heute wird das Tropenland von europäischen Öko-Parteien, Umweltorganisationen wie Germanwatch sowie vielen Medien heftig gelobt, weil es den Strombedarf zu etwa 80 Prozent aus Wasserkraftwerken decke. Das sei sehr klima- und umweltfreundlich, es gebe keinerlei schädliche Emissionen, der Strom sei sauber. Beim Klimaschutz habe Brasilien die Nase vorn, hieß es in Kopenhagen. Doch dann kommt so ein schnauzbärtiger Öko-Ami wie Philip Fearnside daher, der als Biologe auch noch für ein brasilianisches Regierungsinstitut arbeitet, und sagt bereits seit 1995, alles Mumpitz – das Gegenteil sei richtig.
Die Bilder könnten ja nicht gegensätzlicher sein: Hier grausig rauchende Schlote von Kohlekraftwerken, dort dagegen die Idylle von Stauseen, in denen fröhliche Kinder baden und Touristendampfer sowie Segelboote unterwegs sind. Aber so einer wie Fearnside will uns weismachen, richtig schlimm seien die Staudämme besonders in Amazonien, schlimmer als die mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerke. Der geplante Staudamm von Belo Monte am Rio Xingú gar werde eine regelrechte Treibhausgas-Fabrik. Komischerweise behaupten so etwas auch andere Wissenschaftler Brasiliens – aber man muss nach ihnen regelrecht suchen, weil in der öffentlichen Meinung die Wasserkraft-Bewunderer dominieren.
Dr. Sergio Pacca von der Bundesuniversität in Sao Paulo ist jedenfalls so ein Quertreiber, der Wasserkraftwerke auch als extrem klimafeindliche Methan-Schleudern kritisiert. Giftiges Methan entstehe im Staubecken – durch Zersetzung organischer Materie mittels Mikroorganismen unter Ausschluss von Sauerstoff, bekommt man von Pacca zu hören. „Je höher die Temperatur, umso schneller läuft der Prozess ab. In tropischen Ländern vermehren sich die Mikroorganismen rascher und bilden entsprechend mehr Methangas als in den kühleren Ländern. Bei einem neuen Staubecken wird die dortige reiche Biomasse überflutet – Basis der Methanproduktion.“ Selbst wenn die teilweise noch vorhandenen Urwälder vorher abgeholzt worden seien, bleibe noch viel Wurzelwerk im Boden. Und das entstehende Methan, so Pacca, werde an die Atmosphäre abgegeben, trage sehr stark zum Treibhauseffekt bei.
Darauf muss man erstmal kommen, zumal das klimaschädliche Potenzial einer Tonne Methangas laut neueren Studien 34-mal größer als das einer Tonne Kohlendioxid ist, über das gewöhnlich immer geredet wird. „Selbst kleinere Mengen Methan müssen daher beim globalen Klimawandel wichtig genommen werden“, so Sergio Pacca. Es sei einfach nicht haltbar, Wasserkraftwerke mit anderen Energietechnologien zu vergleichen, ohne den Methan-Faktor zu berücksichtigen. Doch genau dies geschiehe.
Würden nicht Indianerstämme aus ihrem Lebensraum vertrieben, wäre Belo Monte eigentlich gar nicht so schlecht, ist auch in Deutschland zu hören – Brasilien wollw sich ja schließlich entwickeln, wirtschaftlich wachsen, habe ein Recht darauf. Leute wie Pacca oder gar Fearnside, der Amazoniens Stauwerke seit Jahrzehnten vor Ort am intensivsten beforscht, kommen mit ihren Einwänden da nie vor, was stutzig macht. In Brasilien wird Fearnside auch von Regierungsstellen kräftig beharkt, weil er Belo Monte ablehnt, das immerhin auch Ex-Präsident Lula und seine Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff unbedingt durchziehen wollen.
Fragt man den Biologen in der drückend heißen Amazonasmetropole Manaus, etwa 4.000 Kilometer nördlich von Sao Paulo, wie das eigentlich funktioniert – er als Ausländer am staatlichen Nationalinstitut für Amazonasstudien/INPE, aber in scharfer Gegnerschaft zu Brasilias gigantomanischen Wasserkraftprojekten – kommt als Antwort nur ein kurzes ironisches Lachen. Vielleicht kann man einem wie Fearnside schlecht an den Karren fahren – der Mann bekam den UN-Umweltpreis „Global 500“, dazu den brasilianischen Öko-Nationalpreis.Darüber hinaus gehört Fearnside zur Akademie der Wissenschaften Brasiliens und ist weltweit einer der führenden Experten für Klimaerwärmung. „Unter jenen, die die Erlaubnis für alle derzeit im Bau befindlichen Amazonas-Wasserkraftwerke erteilten, gibt es welche, die alles bestreiten, was ich sage. Ich zitiere sie natürlich ausführlich.“
Spricht man Fearnside auf das überschwängliche Kopenhagen-Lob für Brasilias Klimaschutzpolitik an, kommt noch so ein ironisches Lachen. „Zwar gibt es viele Studien wie die von mir über den Methan-Sachverhalt, doch wird in der Presse und in politischen Reden so oft wiederholt, dass diese Energie sauber sei, dass die Leute schließlich nur dies gehört haben und sich daher nicht weiter in die Sachlage vertiefen. Doch an den Fakten über die klimaschädlichen Emissionen ändert das nichts.“
Fearnside nutzt gerne anschauliche Beispiele – wie den Hinweis auf das beim Öffnen einer Colaflasche zischend entweichende Gas. „Alles organische Material, Kohlenstoff im Boden, Bäume und Wasserpflanzen zersetzen sich auf dem Grund des Stausees – das Wasser dort ist also unter hohem Druck stark methanhaltig und gelangt schließlich in die Turbinen der Wasserkraftwerke, wo ebenfalls noch hohe Drücke herrschen. Aber danach gelangen die Wassermassen dann an die freie Atmosphäre. Die im Wasser gebundenen Gase, darunter Methan, zischen in Bläschen heraus – deshalb mein Vergleich mit der Colaflasche. Und die Sicherheitsabläufe der Stauseen wirken auf ähnliche Weise. So wird der Treibhauseffekt erheblich befördert. In Amazonien wirken Wasserkraftwerke im Endeffekt häufig schädlicher, negativer, als die zur Elektrizitätsgewinnung verbrannten fossilen Energieträger.“ Die bereits in Amazonien existierenden Wasserkraftwerke produzierten daher keineswegs saubere Energie, seien in Bezug auf den Klimaschutz keineswegs nützlich. Belo Monte treibe es auf die Spitze. „Vier Monate im Jahr kann man wegen tiefen Wasserstands keine einzige Turbine betreiben, da entsteht dann ein Schlammbecken von 3.500 Quadratkilometern, wo üppig Pflanzen wachsen, die später zu Methan zersetzt werden. Doch in amtlichen Umweltgutachten für Brasiliens Wasserkraftwerke wird stets nur der geringe Gasaustritt über die Wasseroberfläche berücksichtigt, nicht der über Turbinen und Sicherheitsabläufe.
Ebenfalls in Manaus forscht André Muggiati von Greenpeace und kann ebenso wenig Gründe für soviel deutsches Lob an Brasilias Klimaschutzpolitik entdecken. „Die Abholzung ist Hauptursache der Treibhausgase aus Brasilien. Das Land ist daher der viertgrößte Luftvergifter der Welt – nach Indonesien, China und den USA.“ Und für den brasilianischen Umweltexperten Dr. Fabio Olmos ist jene Germanwatch-Statistik, die Brasilien an vorderste Stelle rückt, eine „unehrliche Form, die Situation darzustellen. Es ist unverständlich, wieso jemand diese Germanwatch-Statistik überhaupt für bare Münze nimmt.“
Inzwischen haben Brasiliens Umweltschützer zusätzliche altbekannte Sorgen, weil seit dem Start der Rousseff-Regierung gleich eine ganze Serie systemkritischer Öko-Aktivisten ermordet worden ist – allein fünf im April bei Curitiba, drei im Juni in Amazonien. Auch ein Menschenrechtsanwalt wurde erschossen. Entsprechend stark ist das Klima der Einschüchterung und Angst. Brasiliens neue Menschenrechtsministerin Maria do Rosario räumte ein, dass auch in Amazonien Todesschwadronen aktiv sind, zu denen bekanntlich Staatsangestellte gehören. Laut Landgewerkschaftsangaben wurden in den letzten Jahren, also unter der Lula-Regierung, nach 17 derartigen Morden nicht einmal Ermittlungsverfahren durch die Bundespolizei eingeleitet.
Indessen erhält die Rousseff-Regierung – ebenso wie die Vorgängerregierung – aus Europa, darunter Deutschland, sehr viel Lob und wird ausdrücklich als modern und progressiv eingestuft. Das wird wohl mit dem neoliberalen Wertewandel zusammenhängen. Auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung rangiert Brasilien jedenfalls nur auf Platz 73, und die UNO-Bildungsstatistik verzeichnet das Tropenland gar erst an 93. Stelle. Aufschlussreich ist da, welche Länder bessere Plätze belegen: Iran (89), Saudi-Arabien (84), Botswana (81), Libyen (66), Bolivien (61), Bahrein (49), Argentinien (40) Kuba (16).
Die Presselandschaft des Tropenlandes bietet ein eher erfreuliches Bild. Investigativer Journalismus ist auffällig stark in Qualitäts-und Alternativmedien – unabhängig agierende Reporter und Redakteure widersetzen sich den weltweit üblichen Medien-Eingriffen durch Parteien oder Regierungsfunktionäre und enthüllen kontinuierlich gravierende Skandale um Machtmissbrauch und Korruption an der Staatsspitze. Auch der Libyenkrieg zeigt es plastisch – es gibt viel weniger Mainstream als in Deutschland.
Kurz vor seinem Abtreten sorgte Staatschef Lula Ende 2010 für ein kommunikationswissenschaftlich bemerkenswertes Faktum: Vor Vertretern großer Auslandsmedien, besonders aus der Ersten Welt, lobte er in Rio de Janeiro die internationale Presse geradezu euphorisch für ihre Berichterstattung über das heutige Brasilien. Die günstige Darstellung sei verantwortlich für das gute Image, das das Land derzeit im Ausland habe. Die brasilianischen Landesmedien kommentierten Lulas Auftreten teils tief ironisch – denn die Auslandskorrespondenten behandelte er völlig anders als die nationale Presse, die er konstant und sogar wütend kritisierte, ihr sogar vorwarf, ihn zu verfolgen oder nicht die guten Seiten seiner Regierung zu zeigen. Auffällig war gerade in den letzten Jahren: Je schärfer die Kritik von innen an Lula, dessen Arbeiterpartei und seiner Chefministerin Dilma Rousseff, inzwischen Nachfolgerin im Präsidentenpalast, umso lauter das Lob von außen.
Noch mitten im Präsidentschaftswahlkampf von 2010 ärgerte sich Lula öffentlich heftig über Zeitungsenthüllungen, die ihn zum Entlassen von Regierungsmitgliedern zwangen: Wunschkandidatin Dilma Rousseff hatte für ihren Chefministerposten eine enge Freundin, Erenice Guerra, bestimmt. Lula nahm sie zunächst in Schutz, würdigte ihre „enormen Leistungen für das Land“. Doch Brasiliens investigative Journalisten förderten Tag für Tag mehr belastendes Material gegen Erenice Guerra zutage – bis Lula sie schließlich feuern musste. Und Dilma Rousseff bricht bereits im ersten Amtsjahr sämtliche Entlassungsrekorde, rutscht mit ihrer ganzen Regierung in eine tiefe Korruptionskrise. Wegen Presseenthüllungen musste sie sich zuerst ausgerechnet von ihrem engen Freund, Wahlkampfleiter und wichtigstem Minister, dem Chef des Zivilkabinetts, Antonio Palocci, trennen. Dann stürzten der Transportminister und über zwanzig weitere hohe Regierungsfunktionäre. Die Liste der Gefeuerten wird fast täglich länger.
Ohne wache, unabhängig agierenden Journalisten wäre im heutigen Brasilien kaum ein realistischer Einblick in die weiter von Lula mitbestimmte Regierungsarbeit unter Dilma Rousseff möglich. Aber immer noch ist eine Unmenge zwielichtiger Figuren auf höchsten Posten.
Brasiliens Presse unterscheidet sich soziokulturell erheblich von der mitteleuropäischen. Der Mainstream wird häufiger durchbrochen, das sachliche Gegenüberstellen von Positionen und Beobachtungen ist normal. Die Scheu vor unbequemen Fakten ist geringer, die Schilderung selbst schockierender Alltagstatsachen gewöhnlich authentischer, unbefangener und weit weniger politisch korrekt. Als Anfang 2011 bei einem Häftlingsaufstand Menschen geköpft wurden, zeigten Landesmedien die abgeschlagenen Köpfe, um den Brasilianern ein realistisches Bild der gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu vermitteln.
Brasiliens Qualitätsmedien stellen auch den Libyenkrieg anders dar als der mitteleuropäische Mainstream – sie wiesen sofort auf die zivilen Opfer der Bombardements hin, nannten als Hauptmotiv der Militäraktionen strategische Ressourcen wie Erdöl und betonten Parallelen zu den unter einem Vorwand begonnenen Irakkrieg.
Doch es gibt auch die andere Seite der Medaille. Eine Fundamentalkritik, wie sie die Universitätsprofessorin Zilda Iokoi, eine frühere politische Gefangene, auf einer Tagung des Goethe-Instituts Sao Paulo äußerte, ist durchaus zutreffend: „Die großen tonangebenden Medien Brasiliens berichten systematisch über viele brisante Fakten nicht – und das ist Zensur. Neun Familien beherrschen das nationale Mediensystem – man liest nur, was die Zeitungsbosse wollen. Oft schreiben Journalisten über Unerwünschtes, doch deren Texte werden gekürzt, zensiert. Mir sagen Journalisten beim Interview immer wieder: Ich weiß aber nicht, ob es gedruckt, gesendet wird.“ Welchem Kollegen in Mitteleuropa kommt dies nicht irgendwie bekannt vor …
Vieles, was große kommerzielle Medienkonzerne wie „O Globo“ trotz hervorragender, mit zahlreichen Publizistik-Preisen geehrter investigativer Journalisten nicht liefern – oder nicht liefern wollen, kommt allerdings seit Jahren wenigstens teilweise von alternativen Internet-Medien, darunter der befreiungstheologisch orientierten Nachrichtenagentur ADITAL, von der Wochenzeitung „Brasil de fato“ oder der Radioagencia NP. Längst sind Brasiliens Leitmedien gezwungen, Blogs und Community Media zu verfolgen und dort geäußerten Vorwürfen nachzugehen.
Anfang 2011 erinnerte Brasiliens nationaler Presseverband ANJ in ganzseitigen Anzeigen an die enorme Leistung jener investigativen Journalisten, die Lulas größtes politisches Desaster, den so genannten Mensalao-Skandal um Parteien-und Abgeordnetenkauf, an die Öffentlichkeit brachten. Lula drohte sogar die Amtsenthebung – in nicht wenigen Auslandsmedien wurde das Thema indessen auf sehr kleiner Flamme gehalten. Gleiches galt für die auffällig engen freundschaftlichen Beziehungen des angeblich linksorientierten Ex-Gewerkschaftsführers ausgerechnet zu Oligarch José Sarney, Ex-Chef der Folterdiktatorenpartei ARENA, starker Mann des rechtsgewirkten Partido do Movimento Democrático Brasileiro (PMDB) und wichtigster politischer Regierungspartner auch derzeit unter Dilma Rousseff. Als Lula von einem Journalisten auf die Unterstützung durch die „Sarney-Oligarchie“ angesprochen wurde, entgegnete er irritiert und verärgert: „Sie müssen sich medizinisch behandeln lassen, vielleicht eine Psychoanalyse machen, um das Vorurteil zu vermindern.“ Für die Hilfe der Sarney-Gruppe sei er durchaus dankbar.
Ein Hinweis darauf, dass in Brasilien die Uhren in der Politik und auch im Journalismus tatsächlich anders gehen als in Mitteleuropa, sind zudem die vom Steuerzahler finanzierten Ausgaben für Propagandaanzeigen der Regierung, etwa in den Zeitungen, die unverhältnismäßig hoch sind. Sie übersteigen ganze Sozialetats – bei fortdauerndem Hunger und weiter rasch wachsenden Slums.
Kritik einheimischer Journalisten geht jedoch nur zu oft ins Leere, wird kaum wahrgenommen. Laut José Arbex, Kommunikationsexperte und Universitätsprofessor aus Sao Paulo, verhinderte der Mensalao-Skandal die Wiederwahl Lulas nicht, weil dieser von einer Gesellschaftsschicht unterstützt werde, die keine Zeitung lese und sich daher nicht betroffen fühle. Aus dem gleichen Grunde habe auch der Skandal um Erenice Guerra keine größeren nachteiligen Wirkungen für die Wahl von Dilma Rousseff gehabt.
Ein TV-Wahlkampfspot zeigte die Verhältnisse ebenfalls exemplarisch: In der UNO-Vollversammlung von New York erheben sich Staatschefs, Außenminister und Diplomaten von den Plätzen und jubeln Lula stehend zu. Brasilianische Journalisten gingen der Sache nach. An jenem Tag nahmUNO-Generalsekretär Kofi Annan seinen Abschied und erhielt entsprechende Ovationen. Wahlkampfmanager montierten diese hinter den nur schwach applaudierten Lula-Auftritt. Als vorhersehbar beschrieben und kommentierten lediglich zwei, drei Qualitätszeitungen diesen alten PR-Trick und zitierten Oppositionspolitiker, die von „großem Betrug“, Verletzung der Wahlgesetze und „lächerlichen Lügen“ sprachen – weitere Reaktionen der Öffentlichkeit gab es nicht.
Doch Qualitätszeitungen sind im größten Teil des Landes gar nicht erhältlich. Und Manipulationen dieser Art werden auch dadurch erleichtert, dass aufgrund des laut Intellektuellen und kirchlichen Menschenrechtsaktivisten absichtlich niedrig gehaltenen Bildungsniveaus drei Viertel der Erwachsenen nicht in der Lage sind, einen simplen Zeitungs- oder Buchtext auch nur zu lesen, geschweige denn zu verstehen. So hat gemäß Umfragen das Gros der Pflichtwähler gar nicht begriffen, um was es bei den zahlreichen Korruptionsskandalen um Lula und dessen Regierung eigentlich ging – Skandale immerhin, die in Ländern wie Deutschland zu enormer öffentlicher Empörung geführt hätten. Auch die Wirkungsmöglichkeiten alternativer Internet-Medien sind dadurch stark eingeschränkt.
Die Interamerikanische Pressegesellschaft (SIP) hat Attacken von Lula und anderen hohen Politikern auf unbequeme Landesmedien scharf verurteilt. Angesehene Diktaturgegner veröffentlichten sogar ein „Manifest zur Verteidigung der Demokratie“, warfen Lula „Autoritarismus“ vor und wandten, wenden sich gegen offene und verdeckte Einschüchterung von Journalisten.
Die Auslandsmedien ignorieren derartige Vorgänge in der Regel ebenso wie die alltäglichen gravierenden Menschenrechtsverletzungen, darunter landesweite, systematische Folter durch Staatsangestellte, das Wüten der Todesschwadronen, die Scheiterhaufen von Rio de Janeiro, die Massengräber für „Nichtidentifizierbare“, die außergerichtlichen Exekutionen. Brasiliens Qualitätsmedien berichten darüber detailliert und kontinuierlich, kritisierten auch die jüngsten Slum-Besetzungen von Rio de Janeiro durch Militär und Polizei erstaunlich scharf. Von Auslandsmedien kommt dagegen fast nur Lob.
Entsprechend zufrieden ist Brasilia, das in den letzten Jahren erhebliche Summen in die Auslandspropaganda investierte. Laut Wirtschaftszeitschrift Brasil Economico wurden allein 2009 umgerechnet über 40 Millionen Euro verausgabt. Zitiert wird ein Regierungsfunktionär Brasilias: „Unsere Priorität ist, Brasiliens Image als das einer großen, sozial, politisch und wirtschaftlich stabilen Demokratie zu stärken.“ Auch die Inlandspropaganda wurde unter der Lula-Rousseff-Regierung enorm forciert. 2003, zum Amtsantritt, hätten 499 Medien Regierungsgelder für Propaganda-Verbreitung erhalten, 2009 seien es indes schon 7.047 Medien gewesen, heißt es in kritischen Analysen. Viele brasilianische Politiker besäßen Zeitungen, Radio-und TV-Stationen, und zahlreiche Medien seien von Regierungspropaganda regelrecht abhängig.
Für Propagandazwecke ausgegebene Mittel fehlen dann natürlich für die Hunger-und Elendsbekämpfung, für Bildung und Gesundheit.
Nicht ungewöhnlich ist schließlich, dass hohe Politiker, gegen die ermittelt wird, Medien gerichtlich untersagen lassen, darüber zu berichten.
Fast täglich drucken die Zeitungen aber weiterhin interessante, unbequeme, gut fundierte Texte, die Brasilienklischees und offiziellen Versionen widersprechen. Als die Lula-Rousseff-Regierung weltweit verbreiten ließ, dass die internationale Wirtschafts-und Finanzkrise auf Brasilien nur geringe Auswirkungen gehabt habe, belegten investigative Journalisten just das Gegenteil, weisen auf Rekordentlassungen, den Stopp vieler Industrieprojekte, auf Exportprobleme und Deindustrialisierung sowie auf geschönte offizielle Statistiken hin.
Und Wikileaks rennt mit seinen Brasilien-Enthüllungen bei den einheimischen Journalisten lediglich offene Türen ein. Leere antiamerikanische Rhetorik Brasilias wurde stets gegeißelt und die jetzt bekanntgewordene, ans Weiße Haus gerichtete „Bitte um Verständnis für Sprüche gegen die USA in Wahlkampfzeiten“ daher genüsslich zitiert. „Es existierten zwei Beziehungen zwischen Brasilien und den Vereinigten Staaten während der acht Lula-Jahre im Präsidentenpalast“, analysierte Fernando Rodrigues von der Folha de Sao Paulo, Brasiliens größter Qualitätszeitung. „In der Öffentlichkeit gab es Prügel für die Nordamerikaner – im vertraulich-privaten Umgang indessen Liebkosungen für die Brüder im Norden.“ In der Öffentlichkeit dominiere zwar ein bestimmter infantiler Antiamerikanismus – im Wirtschaftlichen dagegen die Anerkennung der Hegemonie des Partners. „Im kulturellen Bereich, um die Schizophrenie komplett zu machen, sieht man sogar eine enthusiastische Übernahme von Sitten, Gebräuchen, Moden.“
Dr. Claudio Guimaraes dos Santos in Sao Paulo zählt zu den wichtigsten Denkern Brasiliens und liefert zum Verständnis der widersprüchlichen (Medien-)Realität des Landes wichtige Argumente: „Das Volk schaut den schockierendsten Skandalen stumm zu – die immense Passivität des Brasilianers wird teils durch fehlende Bildung und Kultur verursacht. Es fehlt Bewusstsein dafür, dass man eine solidarische Gesellschaft aufbauen müsste. Die brasilianische Demokratie ist krank. Eine der Säulen der Demokratie, der freie, mündige, kritische, bewusste Bürger, existiert in Brasilien nicht. In den letzten zweihundert, dreihundert Jahren hat man eine unkritische Masse geschaffen – unfähig, zu entscheiden. Unsere Eliten sind immer kulturloser, ungebildeter. Niemand mag schlechtes, verdorbenes Essen – doch schlechte Informationen schlucken alle massenweise und völlig unkritisch. Hier fehlt intellektueller Dialog. Ich fordere meine Kollegen stets auf: Wenn ihr es nicht aussprecht, wer wird es dann tun? Der Fußballer, der Pagodesänger, der schlechte Politiker, der jede Chance zum Reden sofort nutzt? Wenn wir schweigen, beherrschen diese Leute die Szene. Deshalb dürfen wir auch Risiken nicht scheuen!“
Als Deutschlands Bundespräsident Christian Wulff 2011 die chaotische Megacity, Lateinamerikas führenden Wirtschaftsstandort mit über 1.200 deutschen Firmen besucht, wird am Ankunftstag im Zentrum ein Obdachloser lebendig verbrannt, am Abreisetag ein weiterer. In Sao Paulo wüten Todesschwadronen der Militärpolizei, gibt es Massengräber, über 2.000 grauenhafte Slums mit Hunger und Lepra, prostituieren sich schon zehnjährige Mädchen für weniger als einen Euro, um Crack zu kaufen – und vor aller Augen in ganzen Horden zu konsumieren. Man muss sich diese Zustände vergegenwärtigen, die von den allermeisten Paulistanos apathisch-passiv hingenommen oder sogar verdrängt werden, um Situation und Rolle der etwa 70.000 Juden im Menschenmeer der elf, zwölf Millionen zu verstehen. Denn diese „judeus“ scheinen schärfer zu diskutieren, sich effizienter zu engagieren, bringen Resultate, von denen dann alle, ob Arme oder Reiche, etwas haben. Lateinamerikas bestes Hospital, ein Riesenkomplex namens „Albert Einstein“ im Viertel Morumbi, haben die Stadt-Juden errichtet – geleitet wird es von dem weltbekannten Mediziner Claudio Lottenberg, Präsident der jüdischen Gemeinde ganz Brasiliens.
Der in Israel geborene Oded Grajew aus Sao Paulo, Erfinder, Aktivist des Weltsozialforums, verweist auf dessen Bedeutung für die jüngsten arabischen Entwicklungen. „Für jene, die das Weltsozialforum und unsere Spezialforen in Ägypten oder Tunesien mit Interesse und Sensibilität frequentierten, ist alles, was derzeit in der arabischen Welt geschieht, keinerlei Überraschung.“
Und dann Pedro Herz, dessen Kulturkaufhäuser, mit Kinos, Theatern, Kursen und Konzerten in ganz Brasilien tonangebend sind. In einem Land des Analphabetismus, in dem sogar ungezählte Uni-Studenten in ihrem Leben nicht einen einzigen Roman lasen, wird der Deutschstämmige zum Kulturpionier – die größte „Livraria Cultura“ Sao Paulos ist selbst am Wochenende voll wie ein Supermarkt, dort kaufen sogar lateinamerikanische Staatspräsidenten. „Da bin ich stolz drauf – wir verkaufen Ideen!“, sagt Pedro Herz.
Nachvollziehbar daher, dass viele im kosmopolitischen Sao Paulo die jüdische Gemeinde bewundern, stark und gut organisiert empfinden, ausdrücklich als ein Beispiel für die anderen Einwanderergemeinden nennen. Die Juden, heißt es, seien sich einig im Kampf für Menschenrechte, bei der Hilfe für Bedürftige, leisteten gerade im öffentlichen Gesundheitswesen, das außerhalb Sao Paulos oft katastrophal sei, ganz Erstaunliches, weit über ihr Einstein-Hospital hinaus. Ob das den „judeus“ bewusst ist, in einer von Desorganisation und Laissez-faire geprägten Gesellschaft? Redet man mit ihnen, fällt das hohe Maß an Selbstkritik auf, das Messen an höchsten Qualitätsmaßstäben. Für Außenstehende scheint die seit über hundert Jahren existierende Gemeinde stabil zu sein – die Juden selbst beobachten indessen Rückgang, gar Schwächung. Viele, die teils noch vor den Nazis aus Deutschland flohen, erleben bestürzt, dass ihre hoch qualifizierten Kinder just in dieses Land, doch auch in die USA, nach Australien und selbst Israel auswandern, weil sie in Brasilien keine Arbeitsmarkt-und Lebenschancen sehen. Würde die wirtschaftlich-soziale Lage besser, sagt Nelson Rozenchan, Direktor des jüdischen Peretz-Gymnasiums, kämen viele Juden zurück oder migrierten gar hierher. Manche junge Juden Sao Paulos sagen ihren Eltern unumwunden, dass sie in einem Land mit solch einer reaktionären politischen Klasse, unglaubwürdigen Politikern, soviel Unehrlichkeit, ungesundem gesellschaftlichem Klima nicht leben wollen – und weggehen. Rozenchan nennt Zahlen: Vor 20 Jahren gab es in den jüdischen Schulen von Sao Paulo etwa 5.000 Heranwachsende, heute nur noch rund 3.000. In die Synagogen kamen an den Festtagen bis zu 8.000 Juden, heute nur noch etwa 5.000. „Vielen in Sao Paulo Geborenen ist es anders als den vor Pogromen, dem Nazismus Geflohenen leider nicht mehr so wichtig, ihre jüdische Identität zu zeigen, zu stärken, zu betonen – sie nutzen die Synagoge nur noch bei Taufe, Heirat Tod. Viele Juden geben ihr Judentum auf.“
Medienmacher Roni Gotthilf sieht seine Gemeinde im gigantischen, unübersichtlichen Sao Paulo in kleine Inseln zerstreut, deren Bewohnern es lediglich um die eigenen Interessen, vielleicht auch die der eigenen Synagoge gehe. Gotthilf fiele es schwer, die Interessen der gesamten Gemeinde klar zu benennen – doch dass sie schrumpft, steht für ihn außer Zweifel. Viele Juden haben sich assimiliert, dem Lebensstil der anderen Brasilianer angepasst – in einer von Stress, Hektik, Kriminalität und überraschend viel Einsamkeit geplagten Metropole. Junge Juden heiraten immer öfter Nicht-Juden, schicken ihre Kinder nicht mehr in jüdische Schulen, stehen dem Judentum ihrer Eltern fern. „Im neoliberalen Kontext der heutigen Welt kann man sicher relativieren. In Sao Paulo gehen die Leute eher oberflächlich miteinander um – wogegen wir Juden enger zusammenleben, besser zusammenhalten. Doch das Klima hier prägt alle: Wenn die Gesellschaft egoistisch und individualistisch ist, sind wir es in gewisser Weise dann eben auch.“
Durch die schicke Rua Oscar Freire ziehen bei Tropenhitze Gruppen orthodoxer Juden in schwarzem Anzug mit Weste, schwarzem Mantel und Filzhut, umringt von ihren Kinderscharen. Die Familien haben fünf bis sieben Sprösslinge – Liberale, Reformisten oder Konservative bringen es dagegen auf höchstens zwei. Die Orthodoxen, etwa 15 Prozent der Gemeinde, gleichen den Rückgang nicht aus und sind, wie Roni Gotthilf betont, gar nicht gut angesehen. Andere relativieren, sehen bei aller Kritik auch positive Aktivitäten, wie die der Hilfsorganisation Ten Yad mit über 300 Freiwilligen und einer Garküche, die zudem Sozialprojekte der Präfektur leitet und durchweg öffentliches Lob erntet. Die orthodoxe Kleiderordnung gilt indessen als lächerlich und für die jüdische Gemeinde blamabel. „Wer sogar bei schwüler Hitze mit diesen dicken, hochgeschlossenen Klamotten rumläuft, leidet, schwitzt, ermüdet rasch – das ist doch kein Judaismus, sondern Fundamentalismus!“, lauten drastische Kommentare. Andere halten den Orthodoxen zugute, dass sie besonders intensiv versuchen, junge abgedriftete Juden ins Gemeindeleben zurückzuholen, deren jüdische Identität wiederzubeleben.
Der konservative Schuldirektor Nelson Rozenchan stellt unbequeme Fragen. „Zehn Rabbiner haben zur Abtreibung zehn verschiedenen Auffassungen.“ Jetzt, nach Bin Ladens Tötung, erhitzt ihn das Thema Folter. „Wäre ich absolut sicher, dass Folter Menschenleben rettet, würde ich sie anwenden! Ich habe in Israel selbst erlebt,wie es durch Folter gelang, aus Jordanien eindringende Terroristen zu fangen und dadurch etwa 50 Menschen vor dem Tod durch Selbstmordattentate zu bewahren. An dieser Lebenserfahrung kann ich nicht vorbei!“
Mag die Mitgliederzahl der Gemeinde auch abnehmen, die Zahl ihrer identitätsstiftenden Aktivitäten nicht. Herausragend wirkt dabei Sao Paulos Hebraica-Klub, das größte jüdische Gemeindezentrum außerhalb Israels, eine grüne Oase im Betonmeer der Megacity. Viele der jährlich etwa 700 Veranstaltungen, ob Theater, Filmfestival, Konzerte oder Sport, laufen hier – dazu immer neue Aktionen gegen den Antisemitismus. Niemand in Lateinamerika hat soviel über Antisemitismus geforscht und publiziert wie Maria Luiza Tucci Carneiro von der Bundesuniversität Sao Paulo. „Die Gemeinde ist sehr besorgt über zunehmenden Antisemitismus nicht nur in Brasilien, sondern vor allem in Europa – will, dass endlich auch die Regierung mehr dagegen tut.“ Der Lula-Regierung wird von den Juden allgemein vorgeworfen, nicht eben hilfreich gewesen zu sein – des Staatschefs Freundschaft zum Holocaust-Leugner Ahmadinedschad spreche Bände. Neonazi-Gruppen wüchsen täglich mehr in Brasilien, nazistische Symbole, Figuren von Hitler und Himmler würden für 350 Euro ganz offen in Sao Paulo verkauft, Antisemitismus entlade sich auf bizarrste Weise. Taxifahrer schimpfen, an Sao Paulos irrwitzigen Verkehrsstaus seien nur die Juden schuld. Im auch von 15.000 Juden bewohnten Viertel Higienopolis schimpft ein Vater lautstark in der Impf-Schlange, dass er nur wegen dieser „verdammten Juden“ solange warten müsse. „Den Impfstoff für dein Kind hat ein Jude entwickelt“, kontert ein Kipa-Träger. Sei der dann auch ein „judeu maldito?“ Der Vater wird ganz still.
Tags: Armut, extreme Armut in Brasilien, Lula-Rousseff
Wie es hieß, nutzte Unicef offizielle Regierungszahlen, nicht Daten regierungsunabhängiger Institutionen.
Gemäß November-Recherchen in Slums der reichsten lateinamerikanischen Stadt Sao Paulo müssen kinderreiche Familien, die in Hütten aus Pappe und Holzabfällen hausen, indessen häufig mit deutlich weniger auskommen als den angegebenen rund 56 Euro, haben Eltern und Kinder im Monat pro Kopf nur um die 20 Euro umgerechnet zur Verfügung.
http://www.adveniat.de/blog/?p=960
Lateinamerikas teure Lebensmittel – Preissteigerungen um 40 Prozent in den letzten vier Jahren – Gefahr für Hungerbekämpfung: http://exame.abril.com.br/economia/mundo/noticias/precos-dos-alimentos-na-america-latina-sobem-40-em-4-anos–2
Die Regierung der siebtgrößten Wirtschaftsnation erhält daher aus neoliberalen Ländern Mitteleuropas sehr viel Lob wegen der unter Lula-Rousseff verfolgten Sozialpolitik.
“O adolescente brasileiro está mais pobre e permanece exposto a casos de violência em nível preocupante, diz o relatório da Situação da Adolescência Brasileira do Fundo das Nações Unidas para a Infância, o Unicef, divulgado nesta quarta-feira (30).
Dos 21 milhões de adolescentes brasileiros de 12 a 17 anos, 38% – cerca de 7,9 milhões – vivem em situação de pobreza, em famílias com renda inferior a meio salário mínimo per capita (R$ 272,5 considerando o salário mínimo atual). 3,7 milhões de adolescentes na mesma faixa de idade, o correspondente a 17,6% da população adolescente, vivem na extrema pobreza, em famílias com até 1/4 do salário mínimo per capita por mês (R$ 136,25).
Os dados do Unicef mostram que a participação de adolescentes na faixa mais pobre da população aumentou. De 2004 a 2009, o número de adolescentes na extrema pobreza passou de 16,3% para 17,6%, em descompasso com a crescente redução da pobreza no país.”(O Globo)
“Die Wirtschaftskrise hat Brasilien kaum gespürt”(WAZ)
Leonardo Boff 2010 :“Lula machte die größte Revolution der sozialen Ökologie des Planeten, eine Revolution für die Bildung, ethische Politik.“
Fotos vom November 2011 in Sao Paulo.
Gemäß europäischen Sichtweisen hatte Brasilien die Finanz-und Wirtschaftskrise von 2008/2009 recht gut überstanden.
Der soziale Aufstieg von Lula: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/04/lula-bekommt-500000-dollar-von-lg-fur-vortrag-in-sudkorea-laut-brasilianischen-landesmedien-uber-eine-million-dollar-damit-vier-monate-nach-ende-der-amtszeit-kassiert-laut-kalkulation-von-parte/
Wie in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften die Situation interpretiert wird:
Tags: Aids in Brasilien, Sozialpolitik Brasiliens
Unter Bezug auf ein neues Dokument der UNO-Organisation Unaids hieß es, elf Länder, darunter Chile, Cuba und Namibia, verteilten an mindestens 80 Prozent der Infizierten entsprechende Aids-Medikamente. Brasilien folge nunmehr erst in der nächsten Länderkategorie. Laut Schätzungen wüßten bis zu 300000 Brasilianer nichts von ihrer Aids-Infektion.
“Erfolge im Kampf gegen Aids”.
http://www.blickpunkt-lateinamerika.de/nachrichten/msgf/brasilien:_erfolge_im_kampf_gegen_aids.html
Die Aidslage in Brasilien aus Sicht der Franziskaner vor Ort – wird die Zahl der Aidstoten korrekt registriert? Warum Brasilien aus der Ländergruppe flog…
“Proportion of eligible population receiving antiretroviral therapy in low- and middle-income countries at the end of 2010?(UNAIDS)
60%—79%ArgentinaBrazilCosta RicaDominican RepEcuadorEthiopiaGeorgiaKenyaMexicoParaguayRomaniaSwazilandThailandUruguay Zambia | >80% Botswana Cambodia Chile Comoros Croatia Cuba Guyana Namibia Nicaragua Rwanda Slovakia |
Wie es heißt, fehlen die Medikamente Abacavir, Lamivudina, Nevirapina, Zidovudina, Efavirenz. “Das ist die Zerstörung eines als beispielhaft bezeichneten Programms”, sagte William Amaral, Leiter eines Forums von Aids-NGO in Rio de Janeiro gegenüber der Presse. ” Aids-Medikamente fehlten keineswegs zum erstenmal. Angesichts der zunehmend heftigeren Kritik in Brasilien an der nationalen Aids-Bekämpfung nimmt in Mitteleuropa das Lob an Brasilias Aids-Politik weiter zu.
Katholische Aids-Expertin im Website-Interview in Manaus: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/01/29/fehlende-aidsmedikamente-in-brasilien-fehlende-arzte-fur-aidskranke-fur-die-infizierten-ist-es-das-todesurteil-die-sterben-dann-eben-weg-kritik-von-experten-und-kirche/
José Francisco in Sao Paulo beim Website-Interview.
Franziskaner José Francisco – Hintergrund:
In europäischen Medien wird seit Jahren das staatliche brasilianische Aids-Programm als vorbildlich hingestellt und zudem behauptet, die Gratis-Versorgung Aids-Infizierter mit dem Medikamenten-Cocktail sei garantiert. Wie der für die Sozialprojekte der Franziskaner Sao Paulos verantwortliche Ordensbruder José Francisco dos Santos gegenüber dieser Website erklärte, trifft dies nur teilweise zu, sterben deshalb Aids-Patienten, die den Medikamenten-Cocktail unbedingt ganz regelmäßig einnehmen müssen.
Laut Frei Santos war die Medikamentenversorgung der Aidspatienten 2007 im reichsten brasilianischen Teilstaat Sao Paulo so schlecht, daß über einen Monat der Medikamenten-Cocktail schlichtweg nicht ausgeteilt wurde. Die Franziskaner und Aids-NGO seien daraufhin Ende 2007 gegen die Regierung vor Gericht gezogen, um die Einhaltung des entsprechenden Gesundheitsgesetzes zu erreichen. Die brasilianischen Aids-Statistiken seien sehr ungenau, die wahre Datenlage werde versteckt. Es existiere verständlicherweise kein politisches Interesse, die Wahrheit über die Aids-Situation offenzulegen. Die behauptete Qualität der Aidspatienten-Versorgung existiere nicht. Aids betreffe in Brasilien heute vor allem die Armen. Wenn indessen jemand an einer Krankheit sterbe, die er sich durch die Immunschwäche zugezogen habe, werde Aids auf dem Totenschein nicht als Todesursache benannt, sei nur zu oft gar nicht bekannt, daß er Aids-infiziert gewesen sei.
Bereits 2006 hatte das auf Aidspatienten spezialisierte Hospital ”Gaffrée e Guinle” in Rio de Janeiro gegenüber der Presse beklagt, daß wegen fehlender Medikamente Aids-Kranke sterben. Es fehlten sogar nötige Antibiotika.
Presse-Zitat von 2008 über fehlende Aids-Medikamente, was bei Betroffenen zu schweren Konsequenzen und sogar zum Tode führen könne: Segundo a direçáo do órgáo, oito remédios para doenças infecciosas e anti-retrovirais que integram o coquetel antiaids estáo em falta. ”Pelo menos metade desses medicamentos sáo de uso contÃnuo, o que significa que a interrupçáo do uso, segundo especialistas, pode provocar graves conseqüências à saúde e até levar à morte, afirma Caetano. Já nas unidades básicas de saúde do municÃpio outros cinco remédios também estáo em falta, alguns desde março.
Indianer und Aids, Manaus, 2009:
Gerade ist eine Patientin des Pastoralzentrums gestorben – eine Indianerin. Über eine halbe Million Indios gibt es in Brasilien “ etwa die Hälfte lebt bereits in Großstädten wie Manaus am Rio Negro – fast durchweg in Slums. Die brasilianischen Aidsexperten nennen die Präventionsarbeit bei Indiostämmen besonders schwierig. Kondome würden aus soziokulturellen Gründen, vor allem der Mannesehre, gewöhnlich abgelehnt. Krankheiten wie Aids und Tuberkulose schreibe man dem Wirken böser Geister aus der übernatürlichen Welt zu, hoffe auf Heilung durch den Schamanen. Zudem existiere das Problem der Promiskuität, der häuslichen, der sexuellen Gewalt auch unter den Indios, könne sich eine Indianerfrau schwerlich gegen einen Mann durchsetzen, der kein Kondom wolle. Indianerinnen arbeiteten als Prostituierte. Indianer und Indianerinnen, die zu evangelikalen Sekten übertreten, sagen: ”Wegen meiner Religion kriege ich kein Aids, sind weder Aidstests noch Kondome nötig. Jesus heilt – Halleluja!”
http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/01/brasiliens-erfolgreiche-auslandspropaganda-2009-uber-40-millionen-euro-investiert-laut-brasil-economico-enge-zusammenarbeit-mit-medien-europas/Laut Landesmedien durchläuft Brasiliens Gesundheitswesen eine “gravierende Krise”, wurden in den letzten zehn Jahren 45,9 Milliarden Real, die für das Gesundheitswesen bestimmt waren, in Wirklichkeit garnicht investiert. Brasiliens privates Gesundheitswesen für die Bessergestellten habe viermal mehr Ärzte als das öffentliche Gesundheitswesen für die übergroße Mehrheit der Brasilianer.
Entsprechend groß ist das Lob für Brasiliens Sozialpolitik aus neoliberalen Ländern Mitteleuropas.
http://www.adveniat.de/blog/?p=960
Leonardo Boff 2010 :“Lula machte die größte Revolution der sozialen Ökologie des Planeten, eine Revolution für die Bildung, ethische Politik.“
Lulas Krebsbehandlung:
Lula über öffentliches Gesundheitswesen SUS: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/01/campanha-lula-no-sus-youtube-anklicken-gabe-es-sus-in-den-usa-ware-das-gut-fur-die-armenlula/
Sao Paulos Favela Cachoeirinha Sao Paulo 2011 – 70000 Bewohner, nicht einmal ein Gesundheitsposten, seit Jahren auch von der katholischen Kirche gefordert.
Der soziale Aufstieg von Lula: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/04/lula-bekommt-500000-dollar-von-lg-fur-vortrag-in-sudkorea-laut-brasilianischen-landesmedien-uber-eine-million-dollar-damit-vier-monate-nach-ende-der-amtszeit-kassiert-laut-kalkulation-von-parte/
Tags: Brasiliens Slums, Brasiliens Wirtschaft
Hausen an stinkender Kloake – in Lateinamerikas reichster Stadt Sao Paulo. “Ich lebe hier schon 14 Jahre so in dieser Kate.”(Mutter von vier Kindern)
Der Teilstaat Sao Paulo ist die führende Wirtschaftsregion Lateinamerikas mit der entsprechenden Konzentration von Ober-und Mittelschicht – man kann sich daher vorstellen, wie die Slums in den stark unterentwickelten Regionen des Nordens und Nordostens der siebtgrößten Wirtschaftsnation aussehen.
http://www.adveniat.de/blog/?p=960
Wie in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften die Situation interpretiert wird:
Favelakinder Sao Paulos – Fotoserie: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/11/28/favelakinder-in-sao-paulo-gesichter-brasiliens/
Zwei Crack-Süchtige, laut brasilianischen Augenzeugen, vor Bahnhofseingang, Dezember 2011, nahe der Kulturbehörde des Teilstaats Sao Paulo.
Crack-Epidemie unter der Lula-Rousseff-Regierung: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/03/brasiliens-crack-epidemie-unter-der-rousseff-regierung-wie-crack-wirktverkehrsumleitung-wegen-offener-crack-szene-die-strasen-total-verstopft-in-sao-paulo/
http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/16/brasil-cazuza-und-gal-costa-1989-youtube-anklicken/
Tags: Bundespräsident Christian Wulff in Brasilien 2011
Wulff und Menschenrechtspriester Julio Lancelotti.
Deutscher Bundespräsident Christian Wulff und die Obdachlosen Brasiliens: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/05/erneut-obdachloser-sao-paulos-verbrannt-polizei-ermittelt-wegen-verbrechenshintergrund-deutscher-bundesprasident-wulff-besucht-obdachlosengemeinde-der-megacity/
Deutscher Bundespräsident Christian Wulff 2011 in Obdachlosen-Werkstattprojekt der katholischen Kirche in Sao Paulo.
Wulff in der jüdischen Gemeinde Sao Paulos.
Die Wulffs und der Rabbiner.
http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html
Freitag, 06. Mai 2011 von Klaus Hart **
Wie es hieß, habe Wulff gegenüber Rousseff auf internen Druck zugunsten der Aufkündigung der Exportbürgschaft hingewiesen, die dem zuständigen deutsch-französischen Nuklearkonzern AREVA gewährt worden sei. Ein brasilianischer Regierungsfunktionär habe kommentiert, daß bislang anzunehmen sei, daß Deutschland den Kontrakt nicht einseitig breche – und sei es aus Imagegründen. Es handele sich um eine Bürgschaft über 1,5 Milliarden Euro.
Brasiliens Atomkraftwerke-Programm: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/27/brasiliens-atomkraftwerke-programm-lula-dekretierte-kurz-vor-amtsabtritt-noch-totale-steuerbefreiung-fur-nuklearimporte-laut-landesmedien/
Rousseff zur Libyen-Intervention: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/05/06/dilma-rousseff-und-deutscher-bundesprasident-christian-wulff-brasiliens-medien-stellen-auserung-zum-libyenkrieg-heraus-interventionistische-gewalt-in-nordafrika-und-im-mittleren-ostenrousseff/
Brasiliens Scheiterhaufen: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/04/29/brasiliens-scheiterhaufen-erstmals-in-einer-anklagenden-inszenierung-der-scheiterhaufenstadt-rio-de-janeiro-zu-sehen/
http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html
Bundespräsident Horst Köhler in Sao Paulo.
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1194092/”>http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1194092/
http://www.dradio.de/aktuell/1191138/
http://www.bundespraesident.de/-,2.636170/Bundespraesident-Horst-Koehler.htm?global.printview=2
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57822
http://www.welt.de/politik/ausland/article751532/Viele_Kinder_und_viele_Frauen.html
Brasiliens Korruptionskrise – nationale Politikexperten vergleichen stets politisches Vorgehen in Deutschland und Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/03/brasiliens-endlose-korruptionskrise-der-rousseff-regierung-keine-bestrafung-der-sechs-nach-medienenthullungen-wegen-korruptionsverdacht-entlassenen-minister-laut-folha-de-sao-paulo/
Slumwachstum im “Boom”-Land: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/26/boom-land-brasilienslum-wachstum-ist-ruckschritto-globo-mehr-slumbewohner-selbst-laut-offiziellen-angaben-erstes-rousseff-amtsjahr/
“Jeden Tag wird in Brasilien gefoltert.” Ausriß 2011http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/09/brasiliens-menschenrechtslage-in-den-slums-weiter-banditen-diktatur-selbst-im-complexo-do-alemao-von-rio-de-janeiro-bewaffnete-gangster-verkaufen-nach-wie-vor-drogen-trotz-militarprasenz-laut/
Auswanderungsland: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/26/bye-bye-brasil-auslander-verlassen-sao-paulo-und-rio-de-janeiro-laut-offizieller-statistik-auswanderungsland-brasilien/
Hunger in Brasilien:
Der jüdische Zweig-Experte Alberto Dines in Sao Paulo beim Website-Interview.
Dr. Mazzari, Professor an der Bundesuniversität Sao Paulo, betonte im Website-Interview seine tiefe Bewunderung für Johann Wolfgang von Goethe, ebenso für dessen engen Freund Carl Friedrich Philipp von Martius. Dies verleitet Dr. Mazzari indessen keineswegs zu Einseitigkeiten, wie nicht selten in der Goethe-Szene zu beobachten ist. Vielmehr besticht an dem Präsidenten der Goethe-Gesellschaft Brasiliens neben der profunden wissenschaftlichen Kenntnis beider Persönlichkeiten auch die kritische Sicht: “Sowohl Goethe als auch Martius haben eine Neigung zum Harmonisieren der Konflikte und Widersprüche. Die haben über vieles hinweggesehen in Brasilien. Martius schrieb an Goethe, daß Brasilien eine große Zukunft bevorstünde: `Brasilien macht eine harmonische Entwicklung durch.` Und so war es ja nicht. Diese tiefen Widersprüche in der brasilianischen Gesellschaft sind damals von Goethe nicht erfaßt worden. Heute sind diese Widersprüche noch tiefer.”
Als Martius Brasilien bereiste, herrschte dort u.a. grauenvollste Sklaverei. Bis heute ist die Sklavenarbeit nicht abgeschafft worden.
Goethe-Kongreß in Sao Paulo 2009 mit Dr. Marcus Mazzari und Dr. Jochen Golz aus Weimar: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/04/goethe-institut-sao-paulo-erster-internationaler-kongres-der-neu-gegrundeten-goethe-gesellschaft-brasiliens/
“Martius spricht von Brasilien als einem glückseligen Land – zur Sklavenzeit. Soviel Blut wurde in Brasilien vergossen. Das hat Martius nicht sehen wollen. Und Goethe auch nicht.”
Bereits zu Goethes Zeiten war Brasilien ein berüchtigter Folterstaat, wurden schwarze Sklaven lebendig verbrannt.
Bild von Angelo Agostino.
Indianerstämme versklavten andere indianische Gemeinschaften, folterten unterworfene Indios anderer Stämme. Heute ist in Lateinamerikas größter Demokratie laut UNO und Amnesty International weiterhin Folter üblich, lodern Scheiterhaufen in Rio de Janeiro, Sao Paulo oder Salvador da Bahia.
 http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/668242/
Professor Mazzari kritisiert zudem das Buch “Brasilien – ein Land der Zukunft” von Stefan Zweig: “Er hat vieles beschönigt – es ist ein Wunschbild.”
http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/21/stefan-zweig-und-judenhasser-getulio-vargas/
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/06/07/alberto-dines-stefan-zweig-experte-sao-paulo/#more-2523
Filmemacher Paulo Lins (City of God): http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/20/paulo-lins-gesichter-brasiliens/
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/15/httpwwwgoethebrasilde/
Goethe und der Kannibalismus: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/16/goethe-und-der-kannibalismus-in-brasilien-todeslied-eines-gefangenenbrasilianisch/
1830 ging der deutsche Naturforscher F.J.F. Meyen durch Rios Sklavenmarkt in der Rua Camerino und schrieb in sein Tagebuch:”Das Schicksal wird sich an den Weißen für die Unthaten rächen, die sie seit Jahrhunderten an Millionen von Negern begangen haben. Die Magazine der Sclavenhändler waren mit das Erste, das wir hier besuchten, um endlich selbst diesen, aller Würde der Menschheit entehrenden Handel mit anzusehen. Wir fanden mehrere Hundert dieser unglücklichen Geschöpfe in solchen Läden. Sie saßen reihenweise auf kleinen Bänken oder niedergekauert auf der Erde und ihr Zustand war schaudererregend. Es waren meistens Kinder, die hier angeboten wurden, fast alle waren gezeichnet mit glühenden Eisen. Zu unserem Erstaunen fanden wir auch zu Rio Landsleute, die durch ihre Bildung und Humanität allgemein bekannt sind, und die uns doch mit kalten Worten erklärten, wir mögten ja nicht glauben, daß die Neger zu unserem Menschen-Geschlecht gehörten und gleiche Ansprüche zu machen berechtigt wären. Die Menschheit wird es einst nicht glauben, wenn wir mittheilen, da man zuweilen die Neger selbst zur Zucht hält, wie man bei uns die Pferdezucht in Gestüten betreibt. Man kauft junge Negressen bloß zum Kinder-Erzeugen…Auch die Milch der Negressen benutzt man zum Handel und verkauft sie als Kuhmilch; deshalb kommt zu Rio, in den Häusern der Fremden, wenn sie nicht selbst Kühe besitzen, niemals Milch zum Vorschein, die hier überhaupt sehr teuer ist. Erst der Mangel an Sclaven wird die Brasilianer arbeiten lehren,und dann wird eine neue Epoche für Brasilien beginnen. Schon sehen sie mit neidischen Augen auf die Fremden, die sich in ihrem Lande niedergelassen haben, und durch bittere Erfahrungen und harte Arbeit mehr oder weniger zum Wohlstande gekommen sind. Wenn hier eine vornehme Familie einen Abend-Spaziergang macht, so gehen die Töchter voran; in einiger Entfernung folgt das Elternpaar und eine Menge Sclaven schließen den Zug; langsamen und angemessenen Schrittes bewegt sich die Gesellschaft fort.” In der Rua Camerino, in der bis heute nicht ein einziges Denkmal, keine Tafel an einen der größten Sklavenmärkte der Weltgeschichte erinnert, begingen viele Schwarze aus Verzweiflung Selbstmord.
…fanden wir auch zu Rio Landsleute…: Bezog sich Meyen etwa auf Personen auch aus dem Freundes-und Bekanntenkreis Goethes?
Brasilienreisender Martius: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/08/der-deutsche-brasilienreisende-martius-uber-kindstotung-kinderverkauf-kannibalismus-sklaverei-bei-den-indianern-brasiliens/
Hans Magnus Enzensberger im Goethe-Institut Sao Paulo: hthttp://www.hart-brasilientexte.de/2009/06/13/hans-magnus-enzensberger-sao-paulo-goethe-institut/
Sammlung von Theaterkritiken zur “Amazonasoper”: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/12/die-mit-grosen-medialen-vorschuslorbeeren-bedachte-amazonasoper-eine-sammlung-von-theaterkritiken-uber-das-resultat/
”Im Xingu-Reservat werden Zwillinge stets gleich bei der Geburt eliminiert. Gebrüder Villas-Boas, Indianerexperten.
Brasiliens Auslandspropaganda: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/02/01/brasiliens-erfolgreiche-auslandspropaganda-2009-uber-40-millionen-euro-investiert-laut-brasil-economico-enge-zusammenarbeit-mit-medien-europas/
http://www.youtube.com/watch?v=Xkv
Deutschlandradio Kultur – Hitlers “Mein Kampf” – ein Bestseller in Brasilien: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/676160/
„Das erfundene Paradies”
Biograph Alberto Dines: “Er hat die Augen vor vielem verschlossen”
Zu den geschicktesten Schachzügen der antisemitischen Diktatur des Hitlerverehrers Getulio Vargas gehörte, den Schriftsteller Stefan Zweig in die Auslandspropaganda des Regimes einzuspannen und gewünschte Brasilienklischees weltweit zu verbreiten. Die Wirkungen sind bis heute spürbar: Vor 65 Jahren veröffentlichte Stefan Zweig sein Buch “Brasilien – ein Land der Zukunft” – bis heute ist es ein Weltbestseller, ein Klassiker der Brasilienliteratur und weckt auch bei Deutschen aller Generationen nach wie vor Interesse, sogar Begeisterung für das Tropenland.
Wer Brasiliens gravierende Menschenrechtsprobleme, Rassismus und fortexistierende Sklavenhaltermentalität, die keineswegs neuen Sozialkontraste indessen genauer kennt, fragt sich bei der Lektüre des literarischen Meisterwerks, ob Zweig nicht gelegentlich irrte, idealisierte, romantisierte, übertrieb, gar opportunistisch mit historischen Wahrheiten umsprang, sich da realitätsfremd ein Tropenparadies zurechtschrieb. Der brasilianische Zweig-Biograph Alberto Dines aus Sao Paulo spart just aus solchen Gründen nicht mit Kritik.
Dines hat bei der edition Büchergilde in Frankfurt am Main seine rund 700 Seiten starke Zweig-Biographie „Tod im Paradies” veröffentlicht.
Der Journalist und Autor zählt zu den bekannten jüdischen Persönlichkeiten Brasiliens und hat als Junge Stefan Zweig in Rio de Janeiro noch persönlich kennengelernt. Wer heute dessen Werk „Brasilien “ ein Land der Zukunft” lesen und verstehen wolle, so Dines im Website-Exklusivinterview, müsse stets die Persönlichkeit, das Charakterprofil des Dichters sowie den damaligen historischen Kontext im Blick haben. Dies betreffe Zweigs Lob für Brasiliens Rassenharmonie ebenso wie seine Beschönigung des Lebens in den Slums. Neue Studien brasilianischer Wissenschaftler, aber auch der Vereinten Nationen, beschreiben das grauenhafte Ausmaß von Rassismus und Diskriminierung in Brasilien. „Just der brasilianische Staat”, so 2006 Lucia Xavier von der NGO „Criola” in Rio, „welcher den Mythos von der Rassendemokratie konstruierte, pflegt den institutionalisierten Rassismus.” War er während Stefan Zweigs Aufenthalt etwa abgemildert, schwächer als heute? „Damals war all das noch viel grauenhafter”, konstatiert Alberto Dines. Laut Stefan Zweig löste Brasilien die Rassenfrage geradezu beispielhaft und bewundernswert. Alle Rassen, so der Dichter, lebten in vollster Eintracht miteinander. Dines setzt dagegen, daß von einer Lösung der Rassenfrage weder damals noch heute die Rede sein kann. „Aber es gab damals nicht jenen aggressiven Rassismus, den Zweig aus Europa kannte. Stefan Zweig war kein Sozialwissenschaftler, kein Anthropologe, kein Wirtschaftsexperte – und sprach auch nicht portugiesisch.” Deshalb kommt er wohl zu der irrigen Annahme, in Brasilien fehlten ein abfälliges, rassistisches Vokabular, herabsetzende Worte über Negros. „Solche Begriffe gibt es durchaus”, meint Dines. „Es ist unbestreitbar, daß man viele Jahre braucht, um in das Leben Brasiliens wirklich einzutauchen – und Stefan Zweig sagt selbst, er sei nur kurze Zeit hier gewesen, habe nur wenige Orte besucht. Er war auch kein politisierter Mensch, er täuschte, irrte sich, auch in politischen Fragen Brasiliens. Ich denke, er hat die Augen vor vielem verschlossen, ich bin da sehr kritisch.”
So behauptet Zweig realitätswidrig, in Brasilien habe man noch nie von Brutalität gegenüber Tieren, gar von Hahnenkämpfen gehört. Der große Zweig kann für diese Anmerkung nur ungläubiges Kopfschütteln ernten – denn gerade die grausamen Hahnenkämpfe waren damals in Brasilien – und auch in der Region von Rio de Janeiro – außerordentlich beliebt. Schwer vorstellbar, daß Zweig davon nichts mitbekommen hatte. Das entsetzliche Vergnügen hatten die portugiesischen Kolonisatoren mitgebracht, seit 1530 gibt es darüber Berichte. Und selbst Staatschef Lulas PR-Manager Duda Mendonca ist bis heute Fan von Hahnenkämpfen, die ganze Spitze der Arbeiterpartei wußte stets davon. Bei den von Anbeginn der Kolonisierung bis heute üblichen Brandrodungen sterben ungezählte, auch seltenste, vom Aussterben bedrohte Tiere auf grausamste Art, verbrennen lebendig – und jeder Brasilianer weiß das genau. Angesichts des heute wie damals extrem sozialdarwinistischen Alltags von Brasilien erscheint Zweigs Beschreibung des brasilianischen Nationalcharakters, der Landesmentalität teilweise wie ein schlechter Witz. Hans Stern aus Rio, jüdischer Besitzer eines Juwelierkonzerns, nennt Zweigs Brasilienbuch daher „opportunistisch”:”Da schwärmt er von der Harmonie der Rassen, von der Herzensgüte des Volkes, von den bunten, lebhaften Tropen, in denen alles blüht, auch wenn es mal welkt.” Zu Zweigs Zeiten, in den vierziger Jahren sei Brasilien ein ganz primitiver Staat gewesen.
–Zweigs „Geschäft” mit der Vargas-Diktatur “ Buch im Tausch gegen Dauervisum
Alberto Dines erinnert daran, daß damals, 1941, in Brasilien der Diktator Getulio Vargas an der Macht war, es eine faschistische Partei mit 600000 Mitgliedern gab, die Politik, die öffentliche Meinung von grauenhaftem, aggressivem Antisemitismus geprägt waren. Das Außenministerium “ voller Antisemiten. „1941 schrieben Zeitungen, die Copacabana sei nicht wiederzuerkennen – verpestet von Leuten mit Judennasen!” Regimegegner wurden gefoltert. Ein Vargas-Dekret verbot zur Hitlerzeit, europäischen Juden, die nach Brasilien flüchten wollten, ein Einreisevisum auszustellen “ ungezählte endeten deshalb in den KZs. Für die brasilianische Historikern Maria Tucci Carneiro aus Sao Paulo ist die Vargas-Regierung mitschuldig an nazistischer Ausrottung, was sich jeder Brasilianer endlich einmal bewußt machen sollte.
Schon 1936 hatte der als antisemitisch verschriene Diktator Vargas in Rio taktisch geschickt Stefan Zweig empfangen “ genau zwei Tage später lieferte Vargas die Jüdin Olga Benario an Hitlerdeutschland aus, in Bernburg wurde sie vergast. „Am 27.August 1936 war die Nachricht von der Auslieferung in den brasilianischen Zeitungen.”
Damals ist der deutschstämmige Filinto Müller gefürchteter Chef der politischen Polizei, hält mit seinen Leuten enge Kontakte zur Gestapo, läßt von ihr in Berlin seine Nachwuchskader ausbilden. Alberto Dines konstatiert: ”Dieses Visum war damals eine kostbare Sache für jeden Juden, der aus Europa flüchten wollte. Und Stefan Zweig machte eben ein Negocio, Geschäft mit der Vargas-Regierung “ er schrieb ein Buch zugunsten Brasiliens im Tausch gegen ein Dauervisum, erhielt es mit unglaublicher Leichtigkeit. Und wenn er ein Buch verfaßt, das günstig für das Land ist, wird er eben bestimmte Dinge nicht sagen.” Jorge Amado nennt es ein Auftragswerk. Zweig, so heißt es, habe enge Kontakte zu Diktator Vargas unterhalten. Dieser wird stets positiv erwähnt.
Das Vargas-Regime macht vorhersehbar offen Propaganda für „Brasilien “ ein Land der Zukunft”. Lourival Fontes, rechte Hand von Vargas und sein Propagandachef, charakterisiert das Buch als Dienst an der brasilianischen Nation. Ausgerechnet vom Goebbels dieses Vargas ließ sich Zweig, der sich mit Brasilianern nicht in ihrer Landessprache unterhalten konnte(!), einen Übersetzer stellen sowie eine Reise in den Nordost-Teilstaat Pernambuco finanzieren. Biograph Dines erinnert daran, daß ausgerechnet Mussolini jenen hochintelligenten Propagandachef überschwenglich lobte. In der ganzen Welt verstünden nur drei Personen den Faschismus “ Fontes sei einer davon. „Mit Stefan Zweig und anderen jüdischen Persönlichkeiten ging Fontes sehr freundschaftlich um – dem vor den Nazis geflohenen französischen Juden Max Fischer half er sogar, einen Verlag zu gründen. Das ist wichtig “ man muß die brasilianische Ambiguidade, Zweideutigkeit verstehen, Brasilien ist ein zweideutiges Land.” Hat Zweig dies verstanden? „Ah “ das weiß ich nicht.”
Zudem war Stefan Zweig laut Dines eine empfindsame, ängstliche Person, die nicht polemisierte und auch nicht diskutierte. „Ich hätte nicht wie Zweig reagiert “ der damals bereits tief depressiv war. Denn Zweig hatte ja Angst vor dem Krieg, flüchtete deshalb nach Brasilien “ doch der Krieg kam ihm nach. In Rio wurden Zivilschutzübungen abgehalten, wegen der deutschen U-Boote lag nachts die Copacabana im Dunkel.”
Dines zitiert Zweigs Gastgeber in Rio, Abrahao Koogan, der über den Dichter auf einer Konferenz sagte: ”Er war ein feiger Mensch.”
Als „Brasilien “ ein Land der Zukunft” herauskam, wurde es von der Presse wegen verschiedenster Ungereimtheiten arg verrissen “ doch jeglicher Hinweis auf politische Aspekte, gar auf die unterlassene Kritik am Antisemitismus, fehlte durchweg. Denn wer dies gewagt hätte, so Alberto Dines, wäre unter der Vargas-Diktatur womöglich verhaftet worden. Zweig antwortet auf die Vorwürfe “ ausgerechnet in einer wenig gelesenen Zeitung der Vargas-Regierung. Manche Buch-Zitate Zweigs wirken wie pure Vargas-PR:”Wer das Brasilien von heute erlebt, hat einen Blick in die Zukunft getan.” Oder:”Wer Brasilien wirklich zu erleben weiß, der hat Schönheit genug für sein halbes Leben gesehen.” Bis heute werden solche Zweig–Sprüche selbst von der Reisebürowerbung gerne übernommen.
In dem Brasilienbuch brilliert er mit anschaulichen Beschreibungen der nationalen Industrie, der enormen Bodenschätze, der Landwirtschaft. Nichts davon stammt von ihm, alles hat er von dem Wirtschaftsexperten Roberto Simonsen übernommen, wie Alberto Dines betont.
Dann zählt er verschiedene Irrtümer Zweigs auf. In Sao Paulo begeisterte sich dieser an einem Modellgefängnis, das nach den Methoden eines deutschen Pädagogen und Mediziners geführt wurde. ”Stefan Zweig glaubte damals, Brasilien nutze Wissen und Erfahrung anderer Völker landesweit und habe daher alle Möglichkeiten zum Wachsen. Doch just dieses Modellgefängnis von Sao Paulo wurde zu einer entsetzlichen riesigen Anstalt namens Carandirù ausgebaut, zur Hölle für unzählige Häftlinge. Zweig konnte nicht voraussehen, daß Brasilien ins Stocken, ja zum Stillstand kommen würde. Man investierte weder in die Gefängnisse noch in die Schulbildung. Statt echter Entwicklung nur pharaonische Projekte, dazu die Auswirkungen der Bevölkerungsexplosion, der Korruption und vieler anderer negativer Faktoren. Brasilien hat sich brutalisiert.”
Stefan Zweig hätte auch die Folgen der tiefverwurzelten Sklavenhaltermentalität erwähnen, den Horror der brasilianischen Sklaverei schildern müssen. Nichts davon “ stattdessen betont er, in keinem anderen Land seien die Sklaven so relativ humanitär behandelt worden. Er gewinnt dem elenden Leben der schwarzen Sklavennachfahren sogar pittoreske Seiten ab, beschreibt die Schwarzen als fröhlich und glücklich.
–Dichterisch-journalistische Sorgfaltspflicht”„Er erfand das Paradies”–
”Nur ein einziges Mal war er in einem Slum und idealisierte daraufhin das einfache Leben der Leute dort. Andere prominente Zugereiste, darunter Soziologen und selbst Orson Welles, hoben ebenfalls nur die pittoresken Aspekte der Armut hervor. Zweig täuschte sich “ aber das entsprach ja seinem idealisierenden, romantisierenden Naturell. Er erfand das Paradies. Sicherlich hatte er dafür einige konkrete Elemente, denn es gab gute Dinge in Brasilien. Doch jenes Paradies, das er da erdichtete, hat seinen Selbstmord nicht verhindert.”
Tags: Brasiliens Menschenrechtslage, Gelson Domingos, Stadtkrieg von Rio de Janeiro
Ausriß. Gelson Domingos, verheiratet, drei Kinder – mehrfach preisgekrönt. Die MG-Salve durchdrang die Schutzweste.
Video anklicken:
Wie starb der mehrfach preisgekrönte TV-Reporter Tim Lopes? Laut Polizeibericht entdeckten ihn Banditen in der Favela Vila Cruzeiro von Rio de Janeiro – Tim Lopes wurde zuerst gefoltert, dann rammten ihm die Gangster einen Spieß in den Brustkorb, hackten seine Füße ab und verbrannten ihn lebendig in Autoreifen – siehe Szene aus ”Tropa de Elite”.
YouTube-Video von Feuergefecht in Rio anklicken:
In europäischen Analysen ist häufig von einer energischen Kriminalitätsbekämpfung im Vorfeld von Fußball-WM und olympischen Spielen die Rede – in Brasilien selbst wird dies wie üblich völlig anders gesehen.
Brasiliens Scheiterhaufen:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/668242/
Scheiterhaufen-Theaterstück in Deutschland, Österreich, der Schweiz offenbar noch nicht aufgeführt:
Wem nützt die Banditendiktatur?
http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/15/wem-nutzen-banditendiktatur-und-immer-mehr-no-go-areas/
Aus Europa erhält die Regierung unter Dilma Rousseff sehr viel Lob.
Zeitungsfoto aus Rio, Ausriß: Ermordeter in Favela neben Ziege.
Atomkraftwerk Angra 3:
Was Brasiliens Fotoreporter u.a. in Rio de Janeiro festhielten – Brasiliens unbequeme Realitäten:
Die Aufdringlichkeit der Sinne
Vom machtgeschützten Verlust der gesellschaftlichen Sehkraft – Oskar Negt(2000)
“Der Verlust jener in sinnlicher Erfahrung begründeten Urteilsfähigkeit der Menschen hat in unserem Jahrhundert für viele Menschen tödliche Folgen gehabt. Das Wegsehen, die machtgeschützte Sinnenblindheit, wenn Menschen verfolgt und getrieben, vergewaltigt und öffentlich gequält werden – das gehört nicht der Vergangenheit an.”
Laut Polizeiangaben kam der Fotograf mit seinem elfjährigen Sohn und zwei anderen Kindern am WM-Sonntag aus einem Fußballstadion und war auf dem Weg nach Hause, als die Killer auf einem Motorrad heranfuhren und aus einer Mpi und einer Pistole auf ihn feuerten. Die Täter hätten lediglich das Handy geraubt, hieß es. Alexandre war verheiratet, hatte drei Kinder.
Tags: , Complexo do Alemao, Menschenrechte, Militär, Polizei, Rio de Janeiro
Im Zuge der jüngsten Enthüllungen über die tatsächlichen Vorgänge bei der Besetzung der Slumregion “Complexo do Alemao” von Rio de Janeiro geraten inzwischen immer mehr die Mainstreammedien und Mainstreamjournalisten in die Kritik, die in heute üblicher Manier offizielle Versionen des Militär-und Polizeieinsatzes verbreitet hatten. Brasiliens wichtigste Qualitätszeitung “O Estado de Sao Paulo” betont inzwischen, was brasilianische Richter und kirchliche Menschenrechtsexperten bereits seit dem Beginn der Operation vom vergangenen November scharf verurteilt hatten, indessen vorhersehbar bei in-und ausländischen Mainstreammedien kein Gehör fanden. Gemäß der Analyse der Qualitätszeitung handelte es sich um eine große Raubzug-Operation. Die Reporter hätten sich als Teil der Kriegsoperation gesehen und ihr kritisches Potential verloren. “In der Schilderung war alles schön und wunderbar – während real im Schatten Raub und Plünderung abliefen.” “O Garimpo envolveu o saque de varias casas de cidadaos comuns, perplexos com a furia e a ganancia de seus salvadores…Aves de rapina agradecem.”Brasilianische Menschenrechtsaktivisten, die zu selber Zeit wie in-und ausländische Journalisten im Complexo do Alemao recherchierten, berichteten gegenüber der Website vom vorherrschenden Klima der Einschüchterung, Angst unter den Slumbewohnern, von staatlichem Terror, Raub. Massakrierte habe man in der üblichen Weise zwecks Beseitigung von Schweinen auffressen lassen. Menschenrechtsaktivisten im Complexo do Alemao fürchteten Repressalien und Ermordung, zögen es vor, daß jegliche Art von Protesten gegen die Menschenrechtsverletzungen fern der Slumregion stattfinde und von Gruppierungen außerhalb des Teilstaats Rio de Janeiro organisiert werde. Ein Blick auf Berichte über die Besetzungsaktion zeigt, daß in nicht wenigen Medien offenbar verboten war, derartige kritische Stimmen überhaupt zu erwähnen.
Nicht nur in Brasilien ist allgemein bekannt, daß es bei Polizei-und Militäraktionen in Favelas fast stets zu derartigen gravierenden Menschenrechtsverletzungen kommt. Umso merkwürdiger mutet an, daß just in Berichten von ausländischen Reportern, die vor Ort waren, solche nunmehr offengelegten Fakten komplett fehlen. Was war da passiert, welche Abstimmungen erfolgten mit den zuständigen Redaktionen? Fragen über Fragen, viel Stoff für Kommunikationswissenschaftler.
Zu den gerne weltweit verbreiteten offiziellen Versionen zählte just im November 2010, mitten in den Raub-und Gewaltaktionen, auch die Einschätzung eines Rio-Polizeichefs, wonach man den Bewohnern des Complexo do Alemao die Freiheit gebracht habe. Präsidentin Dilma Rousseffs neuer Justizminister nannte laut Landesmedien die Besetzungsaktion ein “Modell und Beispiel für das ganze Land”.
Militäreinsatz von 2006 im Complexo do Alemao – mit den bekannten Resultaten…
Folter und Haftbedingungen in Brasilien – Amnesty-Bericht 2010
Nach wie vor waren Häftlinge grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Bedingungen ausgesetzt. Folter wurde als gängige Verhörmethode zur Bestrafung, Kontrolle, Erniedrigung und Erpressung eingesetzt. Auch die Überbelegung der Haftanstalten blieb ein ernsthaftes Problem. Die Kontrolle der Hafteinrichtungen durch Banden führte zu einer hohen Gewalttätigkeit unter den Häftlingen. Das Fehlen unabhängiger Kontrollinstanzen sowie ein hohes Maß an Korruption sorgten für eine weitere Verfestigung der Gewaltprobleme im Straf- und Jugendstrafvollzug.
Hintergrund Favelas – Österreichs Südwind-Magazin:
http://www.suedwind-magazin.at/start.asp?ID=234729&rubrik=31&a
Der neue, ab sofort landesweit gezeigte Streifen von Regisseur José Padilha ist noch erheblich näher an der derzeitigen Realität der größten Demokratie Lateinamerikas als Vorläufer und Berlinale-Gewinner “Tropa de Elite”. Wer die hiesigen Zustände aus der Nähe kennt, ersetzt im Film gezeigte Figuren des öffentlichen Lebens beinahe zwangsläufig im Kopf sofort durch passende real existierenden Personen – denkt bei Opfern der Gewaltkultur, der Menschenrechtssituation an brasilianische Freunde und Bekannte, die ebenfalls sadistisch umgebracht, gar lebendig verbrannt worden sind. In dem Film werden eine Journalistin und ein Fotograf Rio de Janeiros verbrannt. Ein Menschenrechtsaktivist, der sich gegen die Slum-Diktatur auflehnt, Abgeordneter wird, erinnert sehr an einen real existierenden politischen Gegner der paramilitärischen Milizen, an Marcelo Freixo.
Banditen verbrennen die Journalistin und den Fotografen – ein Gangster hält in der Hand einen verkohlten Menschenkopf. Wie starb der mehrfach preisgekrönte TV-Reporter Tim Lopes? Laut Polizeibericht entdeckten ihn Banditen in der Favela Vila Cruzeiro von Rio de Janeiro – Tim Lopes wurde zuerst gefoltert, dann rammten ihm die Gangster einen Spieß in den Brustkorb, hackten seine Füße ab und verbrannten ihn lebendig in Autoreifen – siehe Szene aus Berlinale-Gewinner ”Tropa de Elite”. http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/02/28/cnn-brasilien-ist-coolste-nation-der-welt/
BOPE-Capitao Matias und Rio-Bandit.
”Die Politiker erkennen sich wieder. Es gibt keinen Politiker, der nicht auf Fotos an der Seite von Angehörigen paramilitärischer Milizen abgebildet ist.” Regisseur José Padilha. http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/19/erfolgsfilm-tropa-de-elite-2-und-ubersturzte-reaktionen-3-monate-vor-lulas-abtreten-besetzt-spezialeinheit-scheiterhaufen-hinrichtungsstatte-in-rio-slum/
“Mit Tropa de Elite 2 klagt Padilha die Politik und die Politiker an.” Kritiker Luiz Zanin Oricchio in “O Estado de Sao Paulo”
Bizarre Rio-Realität November 2010: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/25/rio-de-janeiro-polizeipannen-ohne-ende-tv-helikopter-zeigt-live-lange-zeit-uber-250-schwerbewaffnete-slum-banditen-wahrend-die-spezialeinheiten-unfahig-zu-entsprechendem-eingreifen-sind/
Brasiliens Schriftsteller Zuenir Ventura aus Rio weist in seiner Pressekolumne ebenfalls auf diese Ähnlichkeiten: “Um exercicio é identificar em “Tropa de elite 2? os personagens reais que se escondem ou se disfarcem em cada tipo criado pelo diretor José Padilha. Eles compoem a paisagem politica do Rio de Janeiro dos ultimos anos. Esse aqui lembra aquele ex-secretario de Seguranca que teria virado deputado federal com apoio dos milicianos. Esse outro é o deputado estadual Marcelo Freixo, ameacado de morte por sua acao contra as milicias. O governador ficticio, porem, `nao é nenhum e sao todos, como informa o diretor…Mais complexo do que o primeiro, o numero 2 desvenda a promiscuidade etre as forcas da ordem e da desordem…Padilha nao perdoa…A seguranca publica do Rio estava nas maos dos bandidos.” Immer wieder erstaunlich und sehr beneidenswert die Freiheit der brasilianischen Journalisten, über die Realität des eigenen Landes zu berichten.
“Lula besser als Wagner Moura”: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/11/19/lula-ist-der-groste-schauspieler-des-landes-besser-als-wagner-moura-laut-regisseur-fernando-meirellescity-of-god-blindness/
Lulas Sicherheits-und Menschenrechtspolitik und der Tourismus: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/03/braslien-tourismus-stagniert-seit-zehn-jahren-degradierung-und-gefuhl-der-unsicherheit-helfen-erklaren-warum-der-jahresdurchschnitt-auslandischer-touristen-seit-1999-nicht-funf-millionen-uberste/
Padilha erweist sich erneut als ausgezeichneter Kenner, intimer Beobachter Brasiliens, das wegen seiner Politik auch aus Mitteleuropa sehr viel Lob erhält – der Film macht mögliche Gründe nachvollziehbar. Teil der Film-Landeskunde ist ein Hubschrauberflug über die Regierungsbauten von Oscar Niemeyer in Brasilia, von den Ministerien bis zu Nationalkongreß und Präsidentenpalast – politisch-soziologisch eingebunden in die Handlung des Streifens. Die Realitätsnähe könnte dem Kunstwerk einen weiteren Berlinale-Gewinn einbringen – oder noch mehr Verrisse als beim Vorläufer.
Regisseur Constantin Costa-Gavras, der den Vorläufer “Tropa de Elite” 2008 mit dem “Goldenen Bären” der Berlinale auszeichnete, hat gegenüber der Presse erneut gewürdigt, wie Kollege José Padilha die Schuld des Staates für die Gewalt herausstellt.
Wem nützt die Slum-Diktatur? http://www.hart-brasilientexte.de/2008/02/15/wem-nutzen-banditendiktatur-und-immer-mehr-no-go-areas/
Rua Augusta, Sao Paulo.
“Die Realität ist schlimmer als der Film”: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/10/13/tropa-de-elite-2-die-realitat-ist-schlimmer-als-der-film-laut-regisseur-jose-padilha/
“Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.” Deutschsprachige Tourismuspropaganda, meist ganzseitig geschaltet.
Regisseur José Padilha in Sao Paulo.
Film und Realität, Fotodokumentation: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/05/brasiliens-zeitungen-eine-fundgrube-fur-medieninteressierte-kommunikations-und-kulturenforscher/
München (ots) – Am 29. August 2011 ist die erste Klappe für eine neue Folge von “Das Traumhotel” gefallen. Dieses Mal entführt Das Erste seine Zuschauer ins farbenfrohe und temperamentvolle Brasilien. Die Reise mit Hotelbesitzer Markus Winter führt nach Rio de Janeiro und Salvador da Bahia.(Pressetext)
Köln schließt Städtpartnerschaft mit Rio de Janeiro:
Ausriß – Rio de Janeiros Präfektur läßt Ausstellung von Menschenrechts-NGO über Morde und Gewalt in Rio entfernen. Zur Begründung hieß es, die Ausstellung schädige den Stadt-Tourismus. Die NGO “Rio de Paz” protestierte entsprechend.
Endstation Carandiru01.04.2006 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN Endstation Carandiru Ein brasilianisches Gericht spricht den Offizier frei, der das größte efängnismassaker in der Geschichte des Landes zu verantworten hat. Von Klaus Hart Ein Gericht in der brasilianischen Wirtschaftsmetropole São Paulo hat im Februar eine mehrfach lebenslängliche Gefängnisst …
Menschenrechtler besorgt über Terror von rechts01.11.2000 | Amnesty Journal Artikel | Brasilien Menschenrechtler besorgt über Terror von rechts Der brasilianische Schriftsteller Joao Silvèrio Trevisan, 56, Pionier und intellektueller Kopf der nationalen Schwulenbewegung, hat die Regierung von Präsident Fernando Cardoso aufgefordert, rigoros gegen rechtsextreme Gruppen vorzugehen, um die derzeiti …
Kolumne: Kopf unter Wasser04.06.2009 | Amnesty Journal Artikel | Kolumne zum Thema “Folter in Brasilien”.
Ganz normales Vorgehen : Ein Fall von Folter beschäftigt die brasilianische Öffentlichkeit01.05.2001 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN Ganz normales Vorgehen Ein Fall von Folter beschäftigt die brasilianische Öffentlichkeit. Er markiert jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Der Fall schien klar: Der 23-jährige Bauarbeiter Alexandre de Oliveira aus Bom Jardim de Minas, einem Ort etwa 200 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt, hatte s …
Sklavenarbeit nimmt wieder zu01.02.2002 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN SKLAVENARBEIT NIMMT WIEDER ZU Erst im Jahre 1888 hat Brasilien die Sklaverei offiziell abgeschafft, doch es gibt sie bis heute. Vor allem im Norden und Nordosten wird sie von etlichen Großgrundbesitzern in modifizierter Form weitergeführt. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Morde an Landgewerkschaftern …
Kein Ende des Mordens in Sicht01.04.1997 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN Kein Ende des Mordens in Sicht In Brasilien sind auch zehn Jahre nach Ende der Diktatur Todesschwadronen aktiv. Die Opfer sind Kinder, Jugendliche, Arme, Menschenrechtler oder politische Gegner – die Gewalt nimmt zu. An einem Februarnachmittag geschieht in Rio de Janeiro wieder einmal das, was …
Folter bleibt alltäglich01.11.2001 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN Folter bleibt alltäglich In Brasilien hat die Regierung eine Kampagne gegen die Folter gestartet. Menschenrechtler sind eher skeptisch, was den Erfolg betrifft. Denn auch das Anti-Folter-Gesetz von 1997 hat bisher nicht die gewünschte Wirkung gehabt. Der Dreißig-Sekunden-TV-Spot ist gut gemacht, drasti …
Sicherheitskräfte treiben Menschenrechtler in Exil01.10.2000 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN Sicherheitskräfte treiben Menschenrechtler ins Exil Der brasilianische Staatschef Cardoso ist stolz auf seine Menschenrechtspolitik. Doch engagierte Menschenrechtler und verfolgte Homosexuelle fliehen ins Ausland und erhalten dort politisches Asyl. Wer sich in Brasilien für die Rechte von Minderh …
Brasilien: Schießen mit “Wildwest-Zulage”01.02.1998 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN Schießen mit “Wildwest-Zulage” Die Militärpolizei Brasiliens ist heute gewalttätiger als während der Diktatur. Massaker an Häftlingen, Straßenkindern und Landlosen häufen sich. Menschenrechtler protestieren gegen eine “Wildwest-Zulage”, die Ermordungen belohnt und zum Töten Unschuldiger anreizt. …
Geld oder Gewehre: Mit Hilfe einer Kampagne versucht die Regierung Waffen abzukaufen01.09.2004 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN Brasilianisches Roulette In kaum einem anderen Land der Welt sterben so viele Einwohner durch Schusswaffen wie in Brasilien. Jetzt versucht die Regierung, die privaten Revolver und Gewehre einzusammeln. Was soll ich noch mit den Schießeisen – in meinem Alter“, sagt die 89-jährige Zulmira de Oli …
Die “Hölle auf Erden”01.12.1996 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN Die “Hölle auf Erden” Revolten, Hungerstreiks und Aids bestimmen den Alltag in den völlig überfüllten brasilianischen Gefängnissen. Brasilien gilt zwar als die zehntgrößte Wirtschaftsnation, leistet sich aber Haftanstalten, die man eher in Ruanda oder Burundi vermuten würde. Eine im April verkünde …
Staat im Staate01.10.2002 | Amnesty Journal Artikel | BRASILIEN STAAT IM STAATE In Brasilien haben sich einflussreiche Verbrechersyndikate entwickelt, die vor allem in den Favelas, den Elendsvierteln der Großstädte das soziale Leben kontrollieren. In den über achthundert Favelas von Rio de Janeiro häufen sich Szenen wie diese: Mehrere Dutzend schwer bewaff …
Ungesühnte Gewaltexzesse01.09.1999 | Amnesty Journal Artikel | Brasilien Ungesühnte Gewaltexzesse In den Armenvierteln der brasilianischen Großstädte gehört der Terror zum Alltag. Bewaffnete Banden, Paramilitärs und die Polizei treiben hier ihr Unwesen. Der Staat schaut zu. Rio de Janeiro, Ende Juli 1999: In Sichtweite des Rathauses und einer Polizeikaserne, ganz in …
Nachrichten01.11.2000 | Amnesty Journal Artikel | NACHRICHTEN Brasilien Menschenrechtler besorgt über Terror von rechts Der brasilianische Schriftsteller Joao Silvèrio Trevisan, 56, Pionier und intellektueller Kopf der nationalen Schwulenbewegung, hat die Regierung von Präsident Fernando Cardoso aufgefordert, rigoros gegen rechtsextreme Gruppen vorzugehen, …
Nachrichten01.06.1999 | Amnesty Journal Artikel | Nachrichten Brasilien/Deutschland Keine Schelte für Präsident Cardoso Menschenrechtler hatten sich vor dem Deutschland-Besuch des brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso gefragt, was diesmal wohl anders sein würde. Kam Cardoso zu Bundeskanzler Kohl an den Rhein, schlugen ihm Freundlichkeiten und …
Nachrichten01.06.1998 | Amnesty Journal Artikel | NACHRICHTEN Brasilien Ein Folterer macht Karriere Ricardo Fayad ist heute Brigadegeneral – während der Diktatur von 1964 bis 1985 hatte er sich als ausgebildeter Mediziner an Folterungen politischer Gefangener beteiligt. In einer Kaserne in Rio de Janeiro bestimmte er die Methoden: Celia Manes erhielt im …
“Cities of Terror” – WOXX:
http://archiv.woxx.lu/0700-0799/700-709/703/703p5.pdf
http://www.ila-web.de/brasilientexte/inhalt.
Brasilianische Sozialwissenschaftler analysieren die bürgerliche Demokratie des Tropenlandes und spezielle Menschenrechtsverletzungen.
Die rasch wachsenden Slums der brasilianischen Millionenstädte sind nach Darstellung von Sozialwissenschaftlern und Sicherheitsexperten regelrechte Parallel-Staaten, No-Go-Areas, in denen hochbewaffnete Banditenkommandos des organisierten Verbrechens neofeudal die Normen bestimmen, die Bevölkerung terrorisieren. Dies habe verheerende Auswirkungen auf die Sozialbeziehungen der Slumbewohner und paralysiere Protestpotential. In den Diktaturjahrzehnten habe das Militär die Ghettos “niedergehalten “ heute habe das organisierte Verbrechen diese Rolle übernommen. Immer wieder wird daher die Frage gestellt, wem derartige Slumstrukturen am meisten nützen.
Rio – Zeitungsausriß.
„Die Tyrannei des organisierten Verbrechens verhindert jegliche demokratische Partizipation der Slumbewohner, das Protestpotential der Armenviertel wird von den lokalen Despoten völlig erstickt”, analysiert Luiz Eduardo Soares, einer der renommiertesten brasilianischen Sozialwissenschaftler, der das Bestseller-Buch zum sozialkritischen Berlinale-Film „Tropa de Elite” mitverfaßt hatte, im Website-Exklusivinterview.
„Das Interessante ist: Beim Übergang von der Militärdiktatur zur Demokratie am Anfang der achtziger Jahre wurden in den Slums geradezu massenhaft Verbände, Organisationen, Bürgerrechtsgruppen gebildet, erlebten die Sozialbewegungen einen enormen Aufschwung. Doch dann haben die schwerbewaffneten Verbrecherkommandos dies alles wieder zunichte gemacht. Sie kontrollieren ihre Territorien mit brutaler Gewalt “ und in Politik und Wirtschaft kann es durchaus Leute geben, die das begrüßen. Solche Zustände gelten für Rio de Janeiro und alle anderen brasilianischen Städte “ überall wird eine Selbstorganisation der Armen und Verelendeten blockiert.”
Die nordöstliche Küstenstadt Fortaleza hat annähernd so viele Einwohner wie Berlin und belegt ebenfalls die These von Sozialwissenschaftler Soares. In den riesigen Slums der Peripherie haben die Bewohner geradezu panische Angst vor Greueltaten, Gewaltexzessen marodierender Banditenkommandos. Allein an den Weihnachtsfeiertagen von 2007 wurden mehr als einhundert Menschen ermordet, waren selbst Heiligabend überall Schüsse zu hören. Die meisten Geschäfte sind sogar tagsüber, während der Öffnungszeiten, mit Stahlgittern verriegelt. Abends und nachts sind die meisten Straßen und Gassen der dichtbesiedelten Peripherie wie ausgestorben, haben sich viele Menschen in ihren Katen hinter Gitterstäben und dem überall frei verkauften NATO-Stacheldraht verbarrikadiert. Gesellschaftliche Apathie, Mißtrauen und Entsolidarisierung sind in diesen No-Go-Areas deutlich zu spüren. ”Das ist eine biblische Plage “ solche Gewalt wird bereits in der Heiligen Schrift beschrieben”, betont Ricardo Mendes, Pastor einer der vielen Sekten in den Slums von Fortaleza. „Hinter dieser Gewalt steckt der Satan “ ohne das Evangelium hätten wir hier die pure Barbarei.”
Die Anthropologin Alba Zaluar, eine der führenden Gewalt-Forscherinnen Brasiliens, argumentiert indessen ähnlich wie der Soziologe Soares: ”Die Slum-Assoziationen waren selbst in der Diktaturzeit sozusagen die Seele der Ghettos, hatten eine enorme Bedeutung für das kulturelle, soziale Leben, für den Karneval und selbst für den Fußball. Doch dann intervenierten die Verbrecherorganisationen und haben diese Strukturen zerschlagen. Heute können die Slumbewohner nicht mehr gegen die Verletzung ihrer Bürgerrechte protestieren “ denn sie leben in einer brutalen Diktatur. Die Slums sind heute voller psychisch gestörter Menschen “ dort herrschen soziales Chaos und Verwahrlosung.”
José Murilo de Carvalho, Mitglied der brasilianischen Dichterakademie und Lehrstuhlinhaber für Geschichte an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro, schlußfolgert, daß diese bedrückende Lage indessen systemstabilisierend wirkt. ”Die Existenz des organisierten Verbrechens in den Slums blockiert die Politisierung der Bewohner, hält sie ruhig, verhindert eine Rebellion, Protestaktionen jeder Art. Die Gangsterkommandos dienen damit der Aufrechterhaltung von politischer Stabilität im Lande “ und das ist den Autoritäten sehr recht, ist gut für sie. Natürlich würden sie das nie eingestehen. Ohne Zweifel gehört zum strategischen Kalkül auch der jetzigen Regierung, daß es wegen der so hilfreichen Gangsterkommandos keine soziale Explosion geben wird “ und das ist natürlich reiner Zynismus. Wir haben soviele Gewalttote wie in Bürgerkriegen.” Falls die Lage in den Slums doch einmal außer Kontrolle gerät, setzt der Staat die Armee oder Sondereinheiten der Polizei in Marsch. Nicht zufällig ist der Spielfilm „Tropa de Elite” der erfolgreichste und meistdiskutierte Streifen der letzten Jahre.
Benedita da Silva – politisch verantwortliche Staatssekretärin für Menschenrechte im Teilstaat Rio de Janeiro, bei Teilen der europäischen NGO-Szene hoch angesehen.
Hintergrund von 2002:
“PT-Gouverneurin für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich
Erschwerend kommt hinzu, daß die PT derzeit nicht nur im Teilstaat Sao Paulo, sondern auch in Rio de Janeiro – mit einem Bruttosozialprodukt über dem von ganz Chile – wegen Mißwirtschaft und Skandalen stark an Ansehen verliert. Am Zuckerhut regiert die schwarze, unangenehm populistische PT-Gouverneurin Benedita da Silva, Mitglied einer Sektenkirche, vorhersehbar desaströs – tolerierte bereits als privilegiensüchtige Kongreßsenatorin in den Slums schwerwiegendste Menschenrechtsverletzungen, ließ den hochgerüsteten, rivalisierenden Verbrechersyndikaten und Banditenmilizen freien Lauf, die bis heute zahlreiche Schulen schließen, in den Elendsvierteln der Peripherie sogar Ausgangssperren verhängen, die Bewohner terrorisieren, einen beträchtlichen Teil der Slumkinder rekrutieren. Besonders schwerwiegend: In den letzten Wochen akzeptierte die von manchen deutschen Drittweltbewegten, sogar Drittwelt-Gazetten gefeierte Gouverneurin allen Ernstes, daß Banditenmilizen kinderreiche Familien aus ihren Slumkaten vertrieben. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten sicherten zumindest den Abtransport der wenigen Habe aus dem Elendsviertel. Auch unter Benedita da Silva werden Slum-Bürgerrechtler, die sich dem Diktat des organisierten Verbrechens widersetzen, zur Abschreckung sadistisch umgebracht. Zuletzt ermordeten die international vernetzten, politisch einflußreichen Gangstersyndikate den 47-jährigen Leiter einer Slum-Bürgerassoziation, zudem Musikchef einer großen Sambaschule – in den letzten Jahren starben auf gleiche Weise, aus gleichen Gründen weit über einhundert. Und selbst das ist unter der “progressiven” Benedita da Silva weiter möglich: Zwei direkt benachbarte Slums werden von rivalisierenden Banditenmilizen dominiert, die den Bewohnern verbieten, sich dem anderen Elendsviertel auch nur zu nähern. Ein Fischer stieg jetzt zufällig, unbeabsichtigt am “gegnerischen” Slum aus dem Peripherie-Bus – wurde von Gangstern identifiziert und auf der Stelle erschossen. Indessen – PT-Präsidentschaftskandidat Lula ist des Lobes voll für die Gouverneurin, verliert über derartige gravierende Menschenrechtsverletzungen in seinen Wahlkampfreden nicht ein einziges Wort. Seit unter Benedita da Silva selbst laut offiziellen Angaben in Rio de Janeiro monatlich mehr als sechshundert Menschen ermordet werden, macht die Stadt erschreckend negative Schlagzeilen, sind die Touristenhotels die letzten Monate nicht einmal zur Hälfte belegt.”
http://www.bundestag.de/dasparlament/2010/12/Beilage/006.html
http://www.suedwind-magazin.at/start.asp?ID=234433&rubrik=7&ausg=200210
“Kriminalität
Die Großstädte Brasiliens, insbesondere Belem, Recife, Salvador, Rio de Janeiro und Sáo Paulo, weisen eine hohe Kriminalitätsrate auf (Eigentumsdelikte, Gewaltverbrechen, Entführungen; siehe auch Allgemeine Reiseinformationen). Grundsätzlich ist Vorsicht angebracht, auch in als sicher geltenden Stadtteilen.”
Scheiterhaufen “microondas” in Rio de Janeiro – laut Lokalzeitung. Populärer Scheiterhaufen-Rap zum Anklicken: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/16/rio-de-janeiro-popularen-scheiterhaufen-rap-microondas-der-scheiterhaufen-stadt-anklicken-vacilou-bem-na-favela-microondas-te-torrou-a-tua-chance-acabou/
Wie starb der mehrfach preisgekrönte TV-Reporter Tim Lopes? Laut Polizeibericht entdeckten ihn Banditen in der Favela Vila Cruzeiro von Rio de Janeiro – Tim Lopes wurde zuerst gefoltert, dann rammten ihm die Gangster einen Spieß in den Brustkorb, hackten seine Füße ab und verbrannten ihn lebendig in Autoreifen – siehe Szene aus ”Tropa de Elite”.
Zeitungsausriß NZZ.
Scheiterhaufen in Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/05/scheiterhaufen-in-sao-paulo-mindestens-15-menschen-in-der-megacity-seit-jahresbeginn-lebendig-verbrannt-laut-landesmedien-fogo-para-matar-rivais/
(Brasiliens Presse, darunter die von Rio de Janeiro, hat in den letzten Jahrzehnten noch weitaus grauenhaftere Nahaufnahmen von Scheiterhaufenopfern veröffentlicht. Auf Scheiterhaufen Rio de Janeiros sind auch immer wieder Bürgerrechtler lebendig verbrannt worden, die sich gegen das Normendiktat der Slum-Diktatoren aufgelehnt hatten. Entsprechende Proteste von eigentlich zuständiger Seite sind indessen bis heute ausgeblieben. Eine auf dem Uni-Campus von Rio vergewaltigte und danach lebendig verbrannte 20-jährige Frau wurde in einer populären Zeitung als „Presunto”(Schinken) bezeichnet. Das Opfer wurde sexistisch-appellativ fotografiert und kannibalistisch mit zubereitetem Grillfleisch verglichen, im Bildtext mit Toastbrot. Der Beitrag war humorig gehalten.) Siehe auch Rogerio Reis: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/10/07/rogerio-reis-microwaves-microondas-fotoinstallation-uber-scheiterhaufen-brasiliens-vom-maison-de-la-europeenne-de-la-photographie-in-paris-angekauft/
Zeitungsfoto zur Faktenlage in den Slums. Das Desinteresse an den tatsächlichen Lebensbedingungen der Slumbewohner ist enorm.
Steinigen im Iran und in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/09/14/steinigen-im-iran-unter-ahmadinedschad-und-in-brasilien-unter-lula-lula-konnte-sich-uber-die-tatsache-beunruhigen-das-brasilien-zu-den-landern-gehort-in-denen-am-meisten-gelyncht-wird-jose/
“Rüttgers-Besuch bei den Gangstern angemeldet”: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/01/nrw-ministerprasident-dr-jurgen-ruttgerscdu-im-kinderdorf-rio-ev/
Tödliche Auskunftsbitte an Rio-Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/25/brasiliens-no-go-areas-unter-lula-schon-eine-simple-auskunftsbitte-kann-todlich-sein/
Überfallenes, von Banditen mit Messern verwundetes Ehepaar aus Frankreich mit Polizist am Tatort in Maranhao.
Formel-1-Fahrer Jenson Button: http://www.focus.de/panorama/boulevard/brasilien-button-entkommt-nur-knapp-ueberfall_aid_569564.html
NGO “Rio de Paz”: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/20/rio-de-paz-brasilianische-ngo-mit-interessanten-angaben-uber-die-menschenrechtsbilanz-der-lula-regierung/
Moderne Wegelagerer in Rio de Janeiro: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/13/moderne-wegelagerer-in-rio-de-janeiro-bewaffnete-banditen-stoppen-serienweise-pkw-rauben-insassen-aus-uber-50-erstatten-anzeige-wegelagerei-dieser-art-auch-in-anderen-millionenstadten-ublich-offe/
Bewaffnete Überfälle auf Busse in Rio de Janeiro: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/05/25/wieviele-bewaffnete-uberfalle-auf-nahverkehrsbusse-gibts-taglich-in-ihrer-stadt-in-rio-sinds-23-alle-elf-minuten-ein-mord-in-brasilien-deutsche-botschaft-warnt-das-menschenrecht-auf-sicherheit-unt/
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/03/14/hinter-gittern-atras-das-grades-die-schweinestallchen-chiqueirinhos-von-sao-paulo-zwecks-banditenabwehr-im-eingangsbereich-von-wohnblocks-installiert-dennoch-werden-regelmasig-wohnan/ “Besonders betroffen sind Elendsviertel (Favelas). Von Favela-Besuchen wird dringend abgeraten. Diese Gebiete werden teilweise von Kriminellen kontrolliert. Bewaffneten Auseinandersetzungen, auch mit der Polizei, fallen häufig auch Unbeteiligte zum Opfer.Auf auffällige Kleidung und Wertgegenstände (Uhren, Schmuck) sollte beim Straßenbummel verzichtet werden. Bei Überfällen sollte kein Widerstand geleistet werden. Die oft unter Drogeneinfluss stehenden Täter sind in aller Regel bewaffnet und schrecken vor Gewaltanwendung auch aus nichtigem Anlass nicht zurück. Es ist ratsam, stets einen Geldbetrag im Wert von ca. 50,- Euro zur widerstandslosen Herausgabe mitzuführen.Überfälle können überall stattfinden. Eine Häufung ist vor allem in weniger belebten Straßen der Innenstädte, an Stränden sowie auf Zubringerautobahnen zum Flughafen zu verzeichnen. Taxis sollten nach Möglichkeit nur per Bestellservice in Anspruch genommen werden. In größeren Flughäfen können Taxis auch schon im Flughafengebäude gebucht und bezahlt werden. Bei der Reise sollten Ausweispapiere nicht im Gepäck aufbewahrt werden. Am Zielort ist es empfehlenswert, Originale der Ausweispapiere im Safe des Hotels zu lassen und nur Kopien und eine Broschüre/Visitenkarte des Hotels mit sich zu führen. Laptops sollten unauffällig, z.B. in einer Reisetasche, verstaut werden.Auf Straftaten im Umfeld der Prostitution (Diebstähle, Raub, Überfälle etc.) wird besonders hingewiesen. Die sog. Beischlafdelikte erfolgen häufig nach Verabreichung von Getränken mit Schlaf- bzw. willensverändernden Mitteln. Es wird dringend empfohlen, vor allem in Bars und anderen Lokalitäten Getränke nie unbeaufsichtigt zu lassen. Von der Mitnahme von Prostituierten oder flüchtigen Bekannten in das eigene Hotelzimmer wird ausdrücklich abgeraten.“Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.” ( deutschsprachige Tourismuspropaganda) Reisewarnung der Schweiz: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/03/09/gewaltkultur-in-brasilien-unter-lula-die-schweizer-botschaft-informiert-rio-de-janeiro-in-dieser-stadt-besteht-die-gefahr-auf-offener-strase-unversehens-in-eine-schieserei-zwischen-rivalisiere/
US-Reisewarnung für Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/04/27/us-reisewarnung-fur-kustenstadte-brasiliens-wegen-mordserie-guaruja-santos-praia-grande-sao-vicente-vermeiden-freier-massenhafter-verkauf-von-raubgut-und-sogar-waffen-direkt-vor-polizeibasis/
Copacabana-Protest gegen verirrte Kugeln, Menschenrechtsverletzungen: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/07/19/copacabana-protest-wegen-tod-des-schulers-wesley-durch-verirrte-kugel-menschenrechte-der-slum-bewohner-unter-lula/
Crack und Kinderprostitution in Sao Paulo: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/13/crack-business-auch-unter-rousseff-regierung-weiter-auf-vollen-touren-crack-madchen-prostituieren-sich-fur-mini-preise/
http://www.hart-brasilientexte.de/2009/09/18/schweizer-an-der-copacabana-erschossen/
Lateinamerikas größte Demokratie liegt auf dem UNO-Index für menschliche Entwicklung an 73. Stelle.Brasilianischer Leserkommentar zu niedrigen Touristenzahlen Brasiliens: “Gewalt hat seinen Preis.” Violencia tem seu preço. S o “desgoverno” náo percebe que a violencia e a impunidade destroi o pais. Eu mesmo náo viajo mais no Brasil. Náo é so tiro que o turista recebe no Brasil. Sáo também assaltados, furtados, enganados e explorados.”
Kuba hat annähernd soviel Einwohner wie Rio de Janeiro – die deutsche Botschaft in Havanna informiert überraschend kurz, anders als in Rio de Janeiro sind über ermordete Touristen keine Angaben zu finden. Zudem fehlen Hinweise auf sichere oder unsichere Stadtteile, auf Slums, Todesschwadronen, Massaker sowie unter Drogeneinfluß stehende bewaffnete Kriminelle und Scheiterhaufen:Kriminalität Im Vergleich zu anderen Fernreisezielen ist der Tourismus auf Kuba immer noch sicher. Allerdings werden auch auf Kuba Touristen Opfer von Eigentumsdelikten, von Körperverletzung, in seltenen Fällen auch von Gewaltverbrechen. Vor allem Individualreisende sollten daher ähnliche Vorkehrungen wie in anderen Ländern in der Region treffen:Sie sollten nicht Ihr gesamtes Bargeld bei sich führen und es auf mehrere Stellen am Körper verteilen, den mitgeführten Geldbetrag nicht zur Schau stellen sowie Bargeld und Originalreisepass im Hotelsafe verwahren. Offizielle Sicherheitshinweise der Schweiz(EDA): KriminalitätDie Kleinkriminalität hat in den letzten Jahren infolge der Wirtschaftskrise zugenommen. Gewarnt wird vor allem vor Entreissdiebstählen, bei denen vereinzelt auch Waffengewalt angewendet wird. Einbruchdiebstähle in Privatunterkünften (casas particulares) kommen ebenfalls vor. Beachten Sie unter anderem nachstehende Vorsichtsmassnahmen:
Achtung, Gringos in Sao Paulo – Gefahr durch Motorradgang-Überfälle: Der weiße David aus Südafrika war im April 2009 gerade in der Megacity angekommen, als er im Innenstadtbereich auf dem Weg zum Hotel  Opfer eines der typischen Überfälle wurde. Ein Motorrad stoppt neben ihm, der Mann auf dem Hintersitz bedroht David mit einer Pistole, nimmt ihm sämtliche wertvollen Dinge ab, auch den Rucksack- nach wenigen Sekunden prescht das Motorrad davon. David mußte Ausländer(wie mich) daher um Geld anbetteln, zeigte die Anzeige bei der brasilianischen Polizei vor. Auch in bisher als sicher geltenden Küstenregionen Sao Paulos, darunter sogar Militär-Areas von Praia Grande, sind derartige Überfälle so häufig geworden, daß nunmehr ständig bewaffnete Sicherheitsleute auf dem Motorrad auch tagsüber durch die betreffenden Viertel fahren, mit laut tönender, nervender Warnsirene. Interessanterweise befinden sich in diesen Vierteln stets Polizeiwachen, vor denen jeweils bis zu sechs Streifenwagen stehen – auf Motorrad-Gangster hat das offensichtlich keinerlei abschreckende Wirkung. In Rio de Janeiro sind Überfälle, bestellte Morde durch Motorrad-Gangster so häufig geworden, daß auf Gouverneursanweisung alle mit zwei Personen besetzten Motorräder seit Anfang 2009 von der Polizei zwecks Durchsuchung und Leibesvisitation gestoppt werden sollen.
In Rio de Janeiro besteht laut Presseberichten von 2010 nach wie vor kein politischer Wille der Autoritäten, den Taxiverkehr zu zivilisieren – immer wieder werden Fälle bekannt, in denen bewaffnete Taxifahrer ihre Insassen im Wagen ausrauben und dann “aussteigen” lassen, Betrugsversuche aller Art sind nach wie vor in der Olympia-und Scheiterhaufenstadt an der Tagesordnung.
Herzschrittmacher und Metalldetektoren in Banken: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/05/14/bank-wachmann-erschiest-mann-mit-herzschrittmacher-der-wegen-des-gerats-nicht-durch-die-sicherheitspforte-kommt-und-dies-ankundigte-vielfaltige-folgen-immer-niedrigeren-bildungsniveaus-in-brasilien/#more-5410
Straßenverkehr: http://www.hart-brasilientexte.de/2008/12/17/weiter-stimmenkauf-mit-autofuhrerscheinen-in-brasilien-uber-40000-verkehrstote-jahrlich/
Todesschwadronen, “Barbarei”: http://www.hart-brasilientexte.de/2009/12/14/nach-wie-vor-hemmungslose-aktionen-der-todesschwadronen-institutionalisierte-barbarei-lulas-menschenrechtsminister-paulo-vannuchi-raumt-gegen-ende-der-zweiten-amtszeit-erneut-fortbestehen-der-b/
Fotograf von TV Globo erschossen: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/06/21/brasilianischer-fotograf-von-tv-globo-in-rio-de-janeiro-mit-mpi-salve-exekutiert/
Behinderter Junge in Rio zu Tode geschleift(2007)Brasilianische Öffentlichkeit reflektiert über Normalität sadistischer Verbrechen
Bestsellerautor Paulo Coelho: Wir sind alle schuldig
Rund eine Woche vor dem weltberühmten Karneval hat die barbarische Tat mehrerer Slum-Banditen Rios in dem Tropenland eine sehr emotionale Diskussion über zur Alltagsnormalität zählende sadistische Verbrechen ausgelöst.
Die Banditen hatten gemäß den Polizei-und Medienberichten in der Zuckerhutstadt zwecks Autoraub den Wagen einer Frau gestoppt, die mit ihrer 13-jährigen Tochter und dem behinderten sechsjährigen Sohn unterwegs war. Die Insassen wurden zum Aussteigen gezwungen, wobei es nicht gelang, den Sitzgurt des auf der Hinterbank befindlichen Jungen zu lösen. Die Banditen fuhren mit dem Wagen los, obwohl der Junge noch außerhalb der hinteren Wagentür im Gurt festhing. Er wurde auf rund zehn Kilometern durch vier Stadtviertel Rios mitgeschleift, was eine enorme Blutspur hinterließ. Die Banditen wollten durch verschiedene Manöver, wie Zickzackkurs und nahes Vorbeifahren an Verkehrshindernissen, sich des Körpers entledigen, was indessen mißlang. Zahlreiche Passanten, andere Verkehrsteilnehmer versuchten, die Banditen im Interesse des Lebens des Jungen zum Anhalten zu bewegen, wurden indessen mit der Waffe bedroht. Einem Zeugen wurde gesagt, bei dem Mitgeschleiften handele es sich um eine Judas-Puppe. Die Gangster stoppten den Wagen schließlich an ihrem Slum, gingen kurz zum Umziehen nach Hause, amüsierten sich dann auf einem Straßenfest. Von dem behinderten Jungen waren nur noch zerfetzte Reste übrig. Aufgrund von telefonischen Anzeigen konnte Rios Polizei mehrere Täter rasch fassen, die die Tat den Berichten zufolge sofort gestanden haben. Wie in Brasilien üblich, wurden zwei im Fernsehen interviewt – ein 18-jähriger Bandit beschrieb dabei die Tat und sagte, man habe den Jungen nicht gesehen. Der Bandit war, wie es hieß, als Minderjähriger bereits wegen Raubmordes vor Gericht. Ein 16-jähriger Mittäter dürfte gemäß brasilianischen Gesetzen höchstens drei Jahre in Gewahrsam bleiben.
An der Beerdigung des Jungen beteiligten sich sogar Rios Sicherheitschef sowie der Chef der Militärpolizei. In Rio de Janeiro weinten spontan viele Menschen auf den Straßen, darunter auch Polizeibeamte. Die Medien erhielten eine Rekordzahl von Leser-und Hörerreaktionen, in denen unter anderem die Einführung der von der Bevölkerungsmehrheit befürworteten Todesstrafe gefordert sowie die allgemeine Straffreiheit angeprangert wurde. In Rio de Janeiro werden jährlich deutlich weniger als fünf Prozent der Morde aufgeklärt.
Angesichts dieser barbarischen Tat, hieß es außerdem, sollte man den Rio-Karneval boykottieren. Erinnert wurde zudem an andere Verbrechen der jüngsten Zeit, bei denen u.a. Banditen Stadtbusse mit Benzin angezündet hatten, wodurch zahlreiche Menschen verbrannt waren.
Indessen handelt es sich bei diesen bekanntgewordenen Untaten nur um die Spitze des Eisberges, weil Brasiliens Medien im Interesse des Landesimage nur über einen Bruchteil der sadistischsten Taten überhaupt berichten. Gewöhnlich wird nur über Verbrechen informiert, die Angehörige der Mittel-und Oberschicht betreffen, nicht jedoch über schier unbeschreiblichen Sadismus, dem die Slumbevölkerung seit Jahrzehnten ausgesetzt ist. Daß von den die Slums neofeudal beherrschenden Banditenmilizen Mißliebige lebendig verbrannt oder zerstückelt werden, mit abgeschlagenen Köpfen Fußball gespielt wird, man Menschen durch Schweine auffressen läßt, haben zahlreiche Zeugen bestätigt. Ein Großteil der Slumbewohner, darunter bereits kleine Kinder, hat solchen Verbrechen zugesehen – mit den entsprechenden Wirkungen auf die Psyche. Es gibt zudem Berichte, demzufolge auf Rap-und HipHop-Massendiscos, die an der Slumperipherie Rios häufig vom organisierten Verbrechen veranstaltet werden, Jugendliche lebendig verbrannt worden sind. Die auf diesen “Bailes Funk” gespielten Titel sind extrem machistisch bzw. frauenfeindlich und verherrlichen detailliert sadistische Taten. Nicht zufällig wird in Deutschland von interessierter Seite versucht, derartige brasilianische Musik aus dieser Gewaltkultur gesellschaftsfähig zu machen, zu popularisieren.
Marina Maggessi, seit kurzem Kongreßabgeordnete und zuvor Rio de Janeiros Chefinspektorin der Zivilpolizei, hatte immer wieder die vom organisierten Verbrechen begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen angeprangert. Die Banditenbosse, mit denen sich sogar weltbekannte Topathleten und Prominente einlassen, nannte sie Tyrannen:”Sie verbrennen Menschen lebendig, zerstückeln Personen, begehen Greueltaten jeder Art, herrschen über die Slums mit aller Brutalität.”
Auffällig, daß zahlreiche NGOs, die auch mit europäischen Spendengeldern finanziert werden, in den Slums der größten bürgerlichen Demokratie Lateinamerikas zwar tätig sind, jedoch zu den Vorgängen weitestgehend schweigen. Gleiches gilt für teils vom Steuerzahler finanzierte Alibi-Menschenrechtsorganisationen.
In Brasilien werden jährlich über 55000 Menschen ermordet. In Rio de Janeiro wurde jetzt eine Website eingerichtet, die die aktuelle Zahl der Ermordeten angibt: http://www.riobodycount.com.br/
Im Teilstaate Rio de Janeiro wurde 2006 gemäß neuesten Angaben eine Rekordzahl von Homosexuellen umgebracht. Wie es hieß, waren es mindestens 45. “Dies zeigt den machistischen und gewalttätigen Charakter der Gesellschaft Rio de Janeiros”, wurde betont. Rio de Janeiro hat etwa die gleiche Einwohnerzahl wie Kuba, das indessen auch gemäß dem UNO-Index für menschliche Entwicklung völlig andere soziokulturelle Bedingungen aufweist.
Auch in Deutschland nimmt machistische Gewalt ständig zu, wird sogar von den Autoritäten ganz bewußt, u.a. durch Tolerierung, stark gefördert. Die deutsch-türkische Anwältin Seyran Ates, die jetzt den Margherita-von-Brentano-Preis der FU Berlin erhielt, hat über Machismus und Gewaltbereitschaft sowie über Sexualität und Gewalt zahlreiche Analysen angestellt.
Viele Deutsche, auch aus der Drittweltszene, reden gerne von der sogenannten “Einen Welt”, lehnen es indessen ab, darüber zu reflektieren, wie die Öffentlichkeit reagierte, wenn sich Verbrechen wie die oben beschriebenen in deutschen Städten wie Berlin oder München ereignen würden. Verdrängungsmechanismen funktionieren gut.
Schriftsteller Paulo Coelho von der Copacabana zum sadistischen Verbrechen:
“Wir sind alle schuldig”
Entáo estamos nos aproximando cada vez mais do Mal Absoluto. Quando rapazes, em pleno controle de suas faculdades mentais, sáo capazes de arrastar um menino pelas ruas de uma cidade, isso náo é apenas um ato isolado: todos nós, em maior ou menor escala, somos culpados. Somos culpados pelo silêncio que permitiu que a situaçáo em nossa cidade chegasse a este ponto. Somos culpados porque vivemos em uma época de ”tolerância, e perdemos a capacidade de dizer NÃO. Somos culpados porque nos horrorizamos hoje, mas nos esquecemos amanhá, quando há outras coisas mais importantes para fazer e para pensar. Somos os olhos que viram o carro passar, o medo que nos impediu de telefonar para a polÃcia. Somos a polÃcia, que recebeu alguns telefonemas através do número 190, e demorou para reagir, porque o Mal Absoluto parece já náo pedir urgência para nada. Somos o asfalto por onde se espalharam os pedaços de corpo e os restos de sonhos do menino preso ao cinto de segurança. A cada dia uma nova barbárie, em maior ou menor escala. A cada dia algum protesto, mas o resto é silêncio. Estamos acostumados, náo é verdade?Muitos séculos atrás, John Donner escreveu: ”nenhum homem é uma ilha, que se basta a si mesma. Somos parte de um continente; se um simples pedaço de terra é levado pelo mar, a Europa inteira fica menor. A morte de cada ser humano me diminui, porque sou parte da humanidade. Portanto, náo me perguntem por quem os sinos dobram: eles dobram por ti. Na verdade, podemos pensar que os sinos estáo tocando porque o menino morreu, mas eles dobram mesmo é por nós. Tentam nos acordar deste cansaço e torpor, desta capacidade de aceitar conviver com o Mal Absoluto, sem reclamar muito “ desde que ele náo nos toque. Mas náo somos uma ilha, e a cada momento perdemos um pouco mais de nossa capacidade de reagir. Ficamos chocados, assistimos à s entrevistas, olhamos para nossos filhos, pedimos a Deus que nada aconteça conosco. SaÃmos para o trabalho ou para a escola olhando para os lados, com medo de crianças, jovens, adultos. Entra ano, sai ano, mudam-se governos, e tudo apenas piora. O que dizer? Que palavra de esperança posso colocar aqui nesta coluna?Nenhuma. Talvez apenas pedir que os sinos continuem tocando por nós. Dia e noite, noite e dia, até que já náo consigamos mais fingir que náo estamos escutando, que náo é conosco, que estas coisas se passam apenas com os outros. Que estes sinos continuem dobrando, sem nos deixar dormir, nos obrigando a ir até a rua, parar o trânsito, fechar as lojas, desligar as televisões, e dizer: ”basta. Náo agüento mais estes sinos. Preciso fazer alguma coisa, porque quero de volta a minha paz. Neste momento, entenderemos que embora culpemos a polÃcia, os assaltantes, o silêncio, os polÃticos, o hábito, apenas nós podemos parar estes sinos. Nosso poder é muito maior do que pensamos “ trata-se de entender que náo somos uma ilha, e precisamos usá-lo. Enquanto isso náo acontecer, o Mal Absoluto continuará ampliando seu reinado, e um belo dia corremos o risco de acreditar que ele é a nossa única alternativa, náo existe outra maneira de viver, melhor ficar escutando os sinos e náo correr riscos. Náo podemos deixar que chegue este dia. Náo tenho fórmulas para resolver a situaçáo, mas sou consciente de que náo sou uma ilha, e que a morte de cada ser humano me diminui. Preciso parar minha cidade. Náo apenas por uma hora, um dia, mas pelo tempo que for necessário. E recomeçar tudo de novo. E, se náo der certo, tentar náo apenas mais uma vez, mas setenta vezes. Chega de culpar a polÃcia, os assaltantes, as diferenças sociais, as condições econômicas, as milÃcias, os traficantes, os polÃticos. Eu sou a minha cidade, e só eu posso mudá-la. Mesmo com o coraçáo sem esperança, mesmo sem saber exatamente como dar o primeiro passo, mesmo achando que um esforço individual náo serve para nada, preciso colocar máos à obra. O caminho irá se mostrar por si mesmo, se eu vencer meus medos e aceitar um fato muito simples: cada um de nós faz uma grande diferença no mundo.http://www.riobodycount.com.br/Â
“Das Leben in Brasilien ist leicht und unbeschwert. Probieren Sie es selbst.” Deutschsprachige Tourismuspropaganda.
Brasiliens Massengräber
„Wenn die Toten da reingeschmissen werden, sind das Szenen wie in diesen Holocaustfilmen“, beklagen sich Anwohner von Massengräber-Friedhöfen der größten lateinamerikanischen Demokratie. In der Tat wird seit der Diktaturzeit vom Staat die Praxis beibehalten, nicht identifizierte, zu „Unbekannten“ erklärte Tote in Massengräbern zu verscharren. Die Kirche protestiert seit Jahrzehnten dagegen und sieht darin ein gravierendes ethisch-moralisches Problem, weil es in einem Land der Todesschwadronen damit auch sehr leicht sei, unerwünschte Personen verschwinden zu lassen. In der Megacity Sao Paulo mit ihren mehr als 23 Millionen Einwohnern empört sich der weltweit angesehene Menschenrechtspriester Julio Lancelotti: „In Brasilien wird monatlich eine erschreckend hohe Zahl von Toten anonym in Massengräbern verscharrt, verschwinden damit Menschen auf offiziellem Wege, werden als Existenz für immer ausgelöscht. Wir von der Kirche nehmen das nicht hin, versuchen möglichst viele Tote zu identifizieren, um sie dann auf würdige Weise christlich zu bestatten. Wir brauchten einen großen Apparat, ein großes Büro, um alle Fälle aufklären zu können – dabei ist dies eigentlich Aufgabe des Staates!“Padre Lancelotti erinnert daran, daß während der 21-jährigen Diktaturzeit in Sao Paulo von den Machthabern 1971 eigens der Friedhof Dom Bosco geschaffen wurde, um dort zahlreiche ermordete Regimegegner heimlich gemeinsam mit jenen unbekannten Toten, den sogenannten „Indigentes“, in Massengräber zu werfen. Wie die Menschenrechtskommission des Stadtparlaments jetzt erfuhr, wurden seit damals allen Ernstes 231000 Tote als Namenlose verscharrt – allein auf d i e s e m Friedhof. Heute kommen Monat für Monat dort zwischen 130 und 140 weitere Indigentes hinzu. Nach einem Massaker an Obdachlosen Sao Paulos kann Priester Lancelotti zufällig auf dem Friedhof Dom Bosco beobachten, wie sich der Staat der Namenlosen entledigt: “Als der Lastwagen kommt und geöffnet wird, sehe ich mit Erschrecken, daß er bis obenhin voller Leichen ist. Alle sind nackt und werden direkt ins Massengrab geworfen. Das wird zugeschüttet – und fertig. Sollten wir später noch Angehörige ermitteln, wäre es unmöglich, die Verstorbenen in der Masse der Leichen wiederzufinden. Was sage ich als Geistlicher dann einer Mutter?“ Lancelotti hält einen Moment inne, reflektiert: „Heute hat das Konzentrationslager keinen Zaun mehr, das KZ ist sozusagen weit verteilt – die Menschen sind nach wie vor klar markiert, allerdings nicht auf der Kleidung, sondern auf dem Gesicht, dem Körper. Und sie werden verbrannt, verscharrt, wie die Gefangenen damals, und es gibt weiter Massengräber.“ Was in Sao Paulo geschieht, ist keineswegs ein Einzelfall. In der nordostbrasilianischen Millionenstadt Fortaleza leiden die Anwohner des Friedhofs „Bom Jardim“ seit Jahren bei den hohen Tropentemperaturen unter grauenhaftem Leichengeruch. „Die Toten werden oft schon verwest hergebracht, wie Tiere verscharrt, wir müssen zwangsläufig zusehen, es ist grauenhaft“, klagt eine Frau. „Fast jeden Tag kommt der Leichen-LKW – doch bei den heftigen Gewitterregen wird die dünne Erdschicht über den Toten weggeschwemmt, sehen wir die Massengräber offen, wird der Geruch im Stadtviertel so unerträglich, daß viele Kopfschmerzen kriegen, niemand hier eine Mahlzeit zu sich nimmt.“ Der Nachbar schildert, wie das vergiftete Regenwasser vom Friedhof durch die Straßen und Gassen des Viertels läuft: „Das Wasser ist grünlich und stinkt, manchmal werden sogar Leichenteile mitgeschwemmt – und weggeworfene Schutzhandschuhe der Leichenverscharrer. Die Kinder spielen damit – haben sich an die schrecklichen Vorgänge des Friedhofs gewöhnt. Wir alle haben Angst, daß hier Krankheiten, Seuchen ausbrechen.“Selbst in Rio de Janeiro sind die Zustände ähnlich, werden zahllose Menschen von Banditenkommandos der über 1000 Slums liquidiert und gewöhnlich bei Hitze um die 35 bis 40 Grad erst nach Tagen in fortgeschrittenem Verwesungszustand zum gerichtsmedizinischen Institut abtransportiert. Wie aus den Statistiken hervorgeht, werden in den Großstädten monatlich stets ähnlich viele Tote als „Namenlose“ in Massengräber geworfen wie in Sao Paulo, der reichsten Stadt ganz Lateinamerikas. Priester Julio Lancelotti und seine Mitarbeiter stellen immer wieder Merkwürdigkeiten und verdächtige Tatbestände fest. „Werden Obdachlose krank und gehen in bestimmte öffentliche Hospitäler, bringt man an ihrem Körper eine Markierung an, die bedeutet, daß der Person nach dem Tode zu Studienzwecken Organe entnommen werden. Die Männer registriert man durchweg auf den Namen Joao, alle Frauen als Maria. Wir streiten heftig mit diesen Hospitälern und wollen, daß die Obdachlosen auch nach dem Tode mit den echten Namen geführt werden. Schließlich kennen wir diese Menschen, haben über sie Dokumente. Man meint eben, solche Leute sind von der Straße, besitzen also weder eine Würde noch Bürgerrechte. Wir haben in der Kirche eine Gruppe, die den illegalen, kriminellen Organhandel aufklären will, aber rundum nur auf Hindernisse stößt. Denn wir fragen uns natürlich auch, ob jenen namenlos Verscharrten vorher illegal Organe entnommen werden.“Fast in ganz Brasilien und auch in Sao Paulo sind Todesschwadronen aktiv, zu denen Polizeibeamte gehören, wie sogar das Menschenrechtsministerium in Brasilia einräumt. Tagtäglich würden mißliebige Personen außergerichtlich exekutiert, heißt es. Darunter sind auch Obdachlose, von denen allein in Sao Paulos Zentrum weit über zehntausend auf der Straße hausen. Wie Priester Julio Lancelotti betont, ist zudem die Zahl der Verschwundenen auffällig hoch. „Auf den Straßen Sao Paulos werden viele Leichen gefunden. Denn es ist sehr einfach, so einen Namenlosen zu fabrizieren. Man nimmt ihm die Personaldokumente weg, tötet ihn und wirft ihn irgendwo hin. Wir gehen deshalb jeden Monat ins gerichtsmedizinische Institut, um möglichst viele Opfer zu identifizieren. Die Polizei ist immer überrascht und fragt, warum uns das interessiert. Das Identifizieren ist für uns eine furchtbare, psychisch sehr belastende Sache, denn wir müssen monatlich stets Hunderte von Getöteten anschauen, die in großen Leichenkühlschränken liegen – alle schon obduziert und wieder zugenäht. Und man weiß eben nicht, ob da Organe entnommen wurden.“Solchen Verdacht hegen nicht wenige Angehörige von Toten, die seltsamerweise als „Namenlose“ im Massengrab endeten. In der nordostbrasilianischen Küstenstadt Maceio geht letztes Jahr der 69-jährige Sebastiao Pereira sogar mit einem Protestplakat voller Fotos seines ermordeten Sohnes auf die Straße. Dem Vater hatte man im gerichtsmedizinischen Institut die Identifizierung der Leiche verweigert – diese dann mysteriöserweise auf einen Indigentes-Friedhof gebracht. Kaum zu fassen – ein Friedhofsverwalter bringt es fertig, Sebastiao Ferreira später mehrere Leichenteile, darunter einen Kopf zu zeigen. „Mein Sohn wurde allein am Kopf von vier MG-Schüssen getroffen – und dieser Kopf war doch intakt! Ich setzte eine DNA-Analyse durch – der Kopf war von einem Mann, das Bein von einem anderen, der Arm wiederum von einem anderen – doch nichts stammte von meinem Sohn“, sagt er der Presse. In Sao Paulo hat Priester Lancelotti durchgesetzt, daß ein Mahnmal auf dem Friedhof Dom Bosco an die ermordeten Regimegegner, aber auch an die mehr als 200000 „Namenlosen“ erinnern wird. Neuerdings macht der Friedhof in Brasilien immer wieder Schlagzeilen, allerdings nicht wegen der Massengräber von heute. Progressive Staatsanwälte versuchen das Oberste Gericht in Brasilia zu überzeugen, den zur Diktaturzeit für den Friedhof verantwortlichen Bürgermeister Paulo Maluf und den damaligen Chef der Politischen Polizei, Romeu Tuma, wegen des Verschwindenlassens von Oppositionellen vor Gericht zu stellen. Erschwert wird dies jedoch durch den Politikerstatus der Beschuldigten: Paulo Maluf ist Kongreßabgeordneter und Romeu Tuma sogar Kongreßsenator – beide gehören zum Regierungsbündnis von Staatspräsident Lula.
“Favela-Tours”: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/16/der-spiegel-favela-tour-in-rio-de-janeiro-vorzeige-favelas-und-die-uber-1000-anderen/
Junger Bandit – Zeitungsfoto.
Feuergefechte 2010 in Rio de Janeiro, erneute Besetzung von Slums: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/25/rio-de-janeiro-weiter-panik-terror-brennende-busse-feuergefechte-autoritaten-haben-seit-sonntag-lage-nicht-im-griff-guerrillhataktik-der-banditenkommandos/
Geköpfte in Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/02/08/gekopfte-in-brasilien-landesmedien-zeigen-realitat-des-gefangnishorrors-haftlingsaufstand-beendet-laut-amtlichen-angaben/
Brasilien auf Tourismus-Ranking des Weltwirtschaftsforums: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/03/09/brasilien-fallt-auf-tourismus-ranking-des-weltwirtschaftsforums-auf-52-platz-zuruckzuvor-45-rang-tourismuspolitik-unter-lula-und-rousseff/
http://www.wissen.de/wde/generator/wissen/ressorts/reisen/wke/index,page=1860564.html
Rechtsanwälte – Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2010/11/19/httpwwwrechtsanwalt-brasiliende-anwalte-infur-brasilien/
München (ots) – Am 29. August 2011 ist die erste Klappe für eine neue Folge von “Das Traumhotel” gefallen. Dieses Mal entführt Das Erste seine Zuschauer ins farbenfrohe und temperamentvolle Brasilien. Die Reise mit Hotelbesitzer Markus Winter führt nach Rio de Janeiro und Salvador da Bahia.(Pressetext)
Köln schließt eine Städtepartnerschaft mit Rio de Janeiro:
Hintergrund 1997, Lateinamerika-Nachrichten:
Immer mehr Straßenkinder Brasiliens werden von der organisierten Kriminalität rekrutiert und landen damit in den Kreisläufen der täglichen Barbarei und Gewalt. Das „Missionsobjekt“ Straßenkind hat hierdurch neue Dimensionen erfahren, die bislang allerdings von den Straßenkinderprojekten im Ausland kaum zur Kenntnis genommen wurden. Unser Autor Klaus Hart aus Rio de Janeiro schildert die wenig erfreuliche Entwicklug des Problems.
Bis zum entsetzlichen Candelaria-Massaker von 1993 (vgl. LN Nr. 231/232) gehörten die Meninos de Rua zum normalen Erscheinungsbild der Sieben-Millionen-Stadt Rio de Janeiro. Ob in Copacabana, Ipanema oder in der City – immer zogen sie in Gruppen herum, bettelten, stahlen. Und schlimmer noch: Eine sichtbare Minderheit unter den Straßenkindern überfiel, terrorisierte regelrecht bevorzugt schwangere Frauen und alte Leute.
Im Stadtzentrum bin auch ich mehrfach von Straßenkindern verfolgt worden, flüchtete mich in Restaurants oder in von bewaffneten Pförtnern bewachte Hauseingänge. Wenn die Gruppen mich dennoch erwischten, waren eben Geld und teures Arbeitsgerät wie Sony-Recorder oder Kamera weg. Eine Bande ritzte mir vorm Wegrennen in Richtung Polizeikabine einmal Arm und Hand blutig. Aber das ist alles harmlos im Vergleich zu den Erlebnissen vieler Einheimischer. Eine brasilianische Bekannte fuhr mit dem Wagen die famose Avenida Atlantica entlang, ihr Kleinkind auf dem Rücksitz. An der Ampel wird das Auto von Straßenkindern umringt, eines schneidet ihrer Tochter die Kehle durch, sie verblutet. Einem Nordamerikaner, zum Arbeiten in Rio, schlägt eine Gruppe eine abgeschlagene Flasche ins Gesicht, einfach so, ohne Raubabsicht.
Derzeit muß man in Rios Kernbereichen Meninos de Rua allerdings fast mit der Lupe suchen. Statt der Tausenden von Anfang der 90er Jahre verlieren sich im Straßengewühl bestenfalls einige hundert. Will ich zur nächsten Metrostation, kommen mir gelegentlich ausgeraubte traumatisierte Frauen entgegen: „Gehen Sie nicht weiter, an der Ecke lauern drei Meninos mit Messern!“ Also laufe ich zurück, nehme am Stand ein Taxi, fahre an den Kids vorbei, höre vom Motorista: „Die da werden nicht alt, hinter denen sind schon die Kollegen her.“ Diskutieren sinnlos. Grundtenor an den Stehbars: Sofort umlegen, bevor die Blödsinn machen.
Straßenkinder-Experten wie Roberto Santos, Leiter der angesehenen Stiftung Sâo Martinho, bestätigen, daß die Gesellschaft, besonders die Mittel- und Oberschicht, auf Repression setzt und Gewalt gegen die Minderjährigen wie nie zuvor befürwortet. Gemäß einer neuen seriösen Umfrage sind rund 52 Prozent der BewohnerInnen von Rio generell für Lynchjustiz. Den Intellektuellen, ebenso wie den in-und ausländischen NGOs, gelang es nicht, einen Meinungsumschwung herbeizuführen – die brasilianische Gesellschaft ist neoliberaler, individualistischer und deutlich egoistischer geworden. Das früher bestehende Mitgefühl etwa der Mittelschicht mit den Armen hat spürbar abgenommem. Weiter gilt, was der inzwischen verstorbene Betinho konstatierte: Das Beseitigen von als störend empfundenen Minderjährigen wird von einem Großteil der BrasilianerInnen hingenommen, toleriert, und im Sinne einer geistigen Komplizenschaft mit den Mördern sogar befürwortet.
Anti-NGO-Kampagne
Inzwischen hat sich das Problemfeld verändert. Heute über gute oder schlechte Straßenkinderprojekte, über die Unterschlagung von Spendengeldern und über Kinderelend als Bereicherungsquelle für unehrliche NGOs zu debattieren, wäre müßig. Regierungsunabhängige Organisationen, die sich direkt den Straßenkindern widmen, gibt es kaum noch. Die meisten sind schlichtweg eingegangen, seit das Ausland weit weniger Spenden überweist und die Regierung nach einer geschickt betriebenen Anti-NGO-Kampagne Gelder stoppte. Cristina Leonardo, die couragierte Leiterin des Centro Brasileiro de Defesa dos Direitos da Crianca e do Adolescente (Brasilianisches Zentrum für die Verteidigung der Rechte von Kindern und Jugendlichen) und Verteidigerin von Opfern und Überlebenden des Candelaria-Massakers, wie auch Roberto Santos bestreiten vehement, daß die Regierung etwa durch gute Präventivprojekte die Zahl der Straßenkinder gesenkt habe. Unter Präsident Fernando Henrique Cardoso sei die Situation gerade im Sozialbereich, ob Bildung oder Gesundheit, so schlecht wie noch nie. Ausländische Unterstützergruppen, so ist immer wieder zu hören, hätten eine völlig falsche, oft sozialromantische Sicht der Dinge. Größtenteils werde übersehen, was sich bereits vor dem Candelaria-Massaker 1993 deutlich abzeichnete: Das organisierte Verbrechen offeriert den Kindern und Jugendlichen vergleichsweise gutbezahlte Jobs, bei keineswegs geringerem, sondern weit höherem Lebensrisiko, doch für umgerechnet bis zu tausend Mark die Woche. In sämtlichen Slums von Rio de Janeiro, auch dies ist inzwischen ein Gemeinplatz, funktionieren selbst die vom Ausland finanzierten Hilfsprojekte nur, wenn das organisierte Verbrechen seine Zustimmung gibt. In Europa denken immer noch viele, Kinder und Jugendliche der Unterschicht würden mehrheitlich von der Militärpolizei erschossen. Seriöse Untersuchungen stellten jedoch bereits 1993 richtig, daß der große „Exterminador“ eben das organisierte Verbrechen ist. Keiner weiß das besser als die mit Cristina Leonardo kooperierende Künstlerin Yvonne Bezerra de Mello. Kinder, die nicht richtig mitziehen, etwa drogensüchtig werden und statt Profiten Verluste bringen, werden kurzerhand eliminiert. Die Leichen, so Yvonne Bezerra de Mello, verschwinden meistens. Die großen Bosse, sagt sie, wohnen natürlich nicht im Slum, sondern in den Nobelvierteln Rios. In diesen Vierteln der Geld- und Politikerelite werden derzeit Drogen verbraucht wie nie zuvor – daher die enorme Nachfrage, die den Straßenkindern Jobs verschafft.
Das beste Beispiel für die jüngeren Entwicklungen sind die Candelaria-Überlebenden: Der Trafico, wie die auf Drogen-und Waffenhandel, Entführungen und Rauberüberfälle spezialisierten Gangsterkommandos genannt werden, hat sie adoptiert. Die Leute vom organisierten Verbrechen, so Roberto Santos, zeigten sich in der Tat weitaus besser organisiert und professioneller als der Staat und die NGOs. Kinder und Jugendliche brauchen die rund 800 Slums von Rio nicht mehr zu verlassen. Die Kleinsten verdienen als Fogueteiro (Leuchtrakete) über fünfzig Mark pro Tag. Sie warnen die schwerbewaffneten Gangster mittels Feuerwerksraketen vor herannahenden gegnerischen Verbrechermilizen oder der Polizei. Fünfjährige transportieren als sogenannte Aviôes, Flugzeuge, Drogen in der Stadt, und bringen sie auch zu den privaten Bestellern der Mittel-und Oberschicht. Sieben- oder Achtjährige haben für gewöhnlich schon Pistole oder Revolver im Hosenbund. Als Soldados schließlich gehören sie zum martialischsten Teil der nach militärischem Vorbild streng hierarchisch gegliederten wichtigsten Syndikate Comando Vermelho (Rotes Kommando) und Terceiro Comando (Drittes Komando). Soldados kontrollieren die Ein- und Ausgänge der Steilhangslums. Sie schießen auf Verdächtige, nehmen an Gefechten und Massakern teil, führen Mordbefehle aus und sind bei Entführungen und Banküberfällen dabei.
Kultur feudalistisch-machistischer Werte
Mit Reinaldo Guarany, militanter Diktaturgegner und einer der Entführer des deutschen Botschafters Ehrenfried von Holleben im Jahre 1970, fahre ich eine enge steile Straße des malerisch wirkenden Bergstadtteils Santa Teresa hinunter. An der ersten Biegung richtet am Favela-Eingang ein nur mit Shorts und Sandalen bekleideter Zwölfjähriger seine verchromte MP auf uns. Er bräuchte nur einmal durchzuziehen, und alle im Wagen wären tot. Das passiert auch gelegentlich – im Drogenrausch sehen die Soldados in jedem einen Gegner, erschießen sogar die eigene Freundin oder Frau. Guaranys Kommentar: „Noch vor zwei Jahren habe ich hier viele von den Jungs, die mir heute mit MPs begegnen, Murmeln spielen sehen – sie wurden zu Soldaten des organisierten Verbrechens, prahlen damit herum und rühmen die Banditen als ihre Helden.“
Guarany sieht es nicht anders als Anwältin Cristina Leonardo: „Daß heute die große Mehrheit der Meninos de Rua beim Trafico ist, bedeutet, daß Staat und Regierung sie im Stich ließen und die Sozialprogramme einschränkten. Wenn ein Junge mit acht Jahren schon mit einer nordamerikanischen Heeres-MP umzugehen weiß, wird es kompliziert. Darüber spricht niemand, aber genau das müßte das Hauptthema sein!“ Die Drogenprobleme und das Ausmaß des organisierten Verbrechens herunterzuspielen, ist für sie „scheinheilig“.
Alba Zaluar, Brasiliens führende Gewaltexpertin, sieht inzwischen in den Slums eine neue tyrannische Kultur feudalistisch-machistischer Werte fest installiert – hingenommen von den Autoritäten des Staates. Denn die Herrschaft des organisierten Verbrechens über Rios Slums verhindert auf perfide Weise, daß deren BewohnerInnen politisch für ihre Rechte kämpfen. Immer wieder werden engagierte BürgerrechtlerInnen, die Selbsthilfegruppen in den Slums leiten und sich dem Normendiktat der Gangster nicht beugen wollen, zur Einschüchterung aller ermordet. Auch von ehemaligen, vom Trafico rekrutierten Straßenkinder.
So wollte im September eine 83-jährige Frau nicht mehr akzeptieren, daß Gangsterkommandos bei Gefahr stets ihr winziges Slum-Grundstück passierten. Sie diskutierte mit den Banditen. Eines Nachts wurde sie deshalb von einer Gruppe grausam ermordet. Ein brasilianischer Bekannter wohnt unglücklicherweise nur wenige Schritte von einem Kommando-Treffpunkt entfernt. Er muß mitansehen, wie dort Kinder, Jugendliche und Erwachsene gefoltert, gekreuzigt, mit Schüssen durchsiebt werden. Mehrfach feuerten Jugendliche unter Drogeneinfluß in seine Haustür, und hätten die zwei kleinen Söhne treffen können. Die Kids tragen übrigens bevorzugt deutsche G-3 – und schweizerische Sig-Sauer-Sturmgewehre. Weil diese eine besonders große Reichweite haben, werden immer mehr Stadtbewohner durch verirrte Kugeln getötet oder verwundet.
In Rio ist die Gewöhnung an diese tägliche Barbarei die Regel – in Deutschland dagegen, so scheint es, haben nur wenige die Entwicklungen der letzten Jahre und deren politische Dimension zur Kenntnis genommen. Andere wollen sie nicht wahrnehmen. Sie müßten sich sonst von ihren liebgewordenen Brasilien-Klischees trennen.
In einem 17stündigen Prozeß wurde der Führer der brasilianischen Landlosenbewegung MST José Rainha zu 26 Jahren und sechs Monaten Haft wegen angeblicher Beteiligung an einem Doppelmord verurteilt. Mit vier zu drei Stimmen befand die Jury den 36jährigen für schuldig, obwohl der zur Tatzeit 1000 Kilometer vom Tatort entfernt war.
Lange vor dem Prozeß gegen den populärsten, charismatischsten Landlosenführer kündigte amnesty international an, daß es im Verfahren nicht mit rechten Dingen zugehen wird. Aber die bösen Erwartungen wurden noch übertroffen. Der 36jährige José Rainha erhielt im Juni 26 Jahre und sechs Monate Haft wegen angeblicher Beteiligung an einem Doppelmord, der 1989 im Bundesstaat Espírito Santo begangen wurde. Amnesty international protestierte umgehend und erklärte Rainha für unschuldig: Das Urteil erinnere an Diktaturzeiten. Bleibe es auch beim zweiten Verfahren im September bei diesem Strafmaß, werde er zum politischen Gefangenen erklärt und ai rund um den Erdball für seine Freilassung mobilisieren. Nicht einmal die juristischen Mindestregeln seien im Prozeß eingehalten worden, kritisierte ai: Weder durch Beweise noch durch Zeugenaussagen konnte bestätigt werden, daß Rainha am Tatort war. Im Gegenteil gibt es Nachweise, daß er sich tausend Kilometer entfernt aufgehalten hat. Mit dem Gerichtsverfahren sollte viel mehr die Landlosenbewegung MST eingeschüchtert werden, die zur zweitwichtigsten Stimme der Opposition geworden ist.
Auch die katholische Kirche Brasiliens, in der Rainha seine politische Laufbahn begann, steht weiterhin zu ihm und unterstrich, daß den 922 Morden an BauerngewerkschaftlerInnen, kirchlichen MitarbeiterInnen, Landlosen, Kleinbauern und Kleinbäuerinnen von 1990 bis 1995 nur 47 Gerichtsverfahren und nur fünf verurteilte Täter gegenüberstehen, von denen zwei aus dem Gefängnis flohen.
Im Visier: Das MST
Daß Rainha noch lebt, grenzt fast an ein Wunder: Seit 1987 verfolgt ihn die berüchtigte Todesschwadron Escuderie Le Cocq seines Heimatstaates Espírito Santo, in dem er als Landarbeitersohn aufwuchs. Rainha entging Hinterhalten, überlebte Mordanschläge und konnte nur einmal durch Schüsse verwundet werden. Zwei seiner engen Freunde, Pfarrer Gabriel Maire und Gewerkschaftsführer Edson Ramos, dagegen starben 1988 im Kugelhagel der Pistoleros.
Ein Jahr später kam es zu einem Schußwechsel zwischen einem Großgrundbesitzer, seinem ihn begleitenden Militärpolizisten und einer Gruppe von Landlosen. “In Wahrheit verteidigten sich die Sem Terra, die Landlosen, gegen jenen Fazendero, der ein Blutbad anrichten wollte.” meint Anwalt Osmar Barcellos. Zeugen wollen Rainha bei der Schießerei gesehen haben, beschreiben ihn als ziemlich dick, mit rundem Gesicht und kastanienfarbigen Haaren. Rainha ist jedoch geradezu dürre, hat ein längliches Gesicht und schwarze Haare. Und vor allem wurde er zur Tatzeit nicht nur von zwei Lokalparlamentariern, sondern auch einem Obersten der Militärpolizei des nordöstlichen Bundesstaates Ceará gesehen. Beim Prozeß wurden aber weder Zeugen der Anklage noch der Verteidigung angehört. Die laut Nachrichtenmagazin Veja gravierendste Verurteilung einer brasilianischen Führungspersönlichkeit seit der Rückkehr zur Demokratie wird deshalb von zahlreichen Juristen und Kriminalisten des Landes als schlechter Witz bezeichnet, die Strafe als “absurd”. Auch das Pastoralbüro für Landangelegenheiten der Bischofskonferenz kritisierte, daß mit dem Schauprozeß nicht Rainha, sondern die gesamte Landlosenbewegung getroffen werden sollte. In vielen Medien dagegen wurde das Urteil einseitig dargestellt und sogar begrüßt: das MST also doch die Bande von Mördern, gewalttätigen Gesellen und Gesetzesbrechern, wie die mächtigen Großgrundbesitzer immer behaupten?
Käme Rainha tatsächlich hinter Gitter, wäre das für das MST ein herber Verlust. Niemand sonst hat in Brasilien so viele Besetzungen brachliegender Latifundien mit durchgeführt, hat so große Erfahrungen und kennt Brasilien und die Landlosenbasis so gut. An die zwanzig Prozesse wurden gegen Rainha geführt, etwa 50 Untersuchungsverfahren gegen ihn eingeleitet – ohne Erfolg. Hinter Gittern saß er bereits mehrfach, internationale Proteste führten jedoch stets zu seiner Freilassung.
Ist Rainha nur eine Art MST-Profi-Funktionär? Er besitzt vier Hektar im Hinterland des Bundesstaates Sâo Paulo, pflanzt Paprika, Mais, Tomaten und Melonen, und gehört zu einer Associaçao comunitaria mit 16 Familien. Von der brasilianischen Zeitschrift Imprensa nach seiner Schulbildung gefragt, antwortete er: “Ich war nie in der Schule. Lesen und Schreiben habe ich mir mit fünfzehn zuhause beigebracht. Wir waren eben verdammt arm, meine Brüder arbeiteten auf dem Feld, um zu Überleben. … Ich lese gerne. Von Frei Betto kenne ich fast alle Bücher – der ist mein Freund.”
Unter dem Druck von Gerichtsmedizinern, Kriminalisten und der Öffentlichkeit sieht sich Brasiliens Justiz gezwungen, den Mord an Paulo Cesar Farias, Symbolfigur für Korruption in Politik und Wirtschaft, erneut zu untersuchen. Die bislang verbreitete offizielle Tatversion ist nicht mehr haltbar.
Mit der finanziellen Unterstützung des Multimillionärs Paulo Cesar Farias, im Volksmund PC, gewann Collor de Mello 1989 die Präsidentschaftswahlen. Aber auch nach der Wahl versorgte PC seinen Präsidenten, der 1992 wegen Korruption und Machtmißbrauch seines Amtes enthoben wurde, mit reichlich Geld (siehe LN 222). “Wegen Mangels an Beweisen” 1994 in einem offensichtlich politisch motivierten Korruptionsprozeß freigesprochen, lebt Collor heute in Miami. PC bekam sieben Jahre, die er größtenteils höchst komfortabel im offenen Strafvollzug von Maceio / Alagoas absaß. Damit könnte die Geschichte ein Ende haben.
PCs Comeback
Als ihn 1996 in seiner Wochenendvilla im Nordoststaat Alagoas der tödliche Schuß traf, hatte PC Farias gerade sein politisches Comeback, die Gründung einer Tageszeitung angekündigt. Der zuständige Polizeichef gab noch am selben Tag bekannt, der fünfzigjährige kahlköpfig-charmante Tangotänzer sei wegen Beziehungsproblemen von seiner Freundin Suzana Marcolino erschossen worden, die anschließend an seiner Seite Selbstmord begangen habe. – Spott und Ironie war der Tenor von Brasiliens Leitartikeln. Als Tatmotiv wurde allgemein Queima de Archivo, die Vernichtung von Archiven angenommen, da PC exzellenter Kenner der brasilianischen Korruptionsmechanismen war und strenggehütete Geheimnisse der jüngeren Politik mit ins Grab nahm. Zur allgemeinen Verblüffung bestätigte zwei Monate später der bis dahin landesweit hochangesehene Gerichtsmediziner Badan Palhares nach vor Ort angestellten Untersuchungen die Version des Polizeichefs. Für die Regierung schien der Fall damit erledigt.
Von Anfang an hatte der alagoanische Gerichtsmediziner und Militärpolizeioberst George Sanguinette mit einem hohen Maß an Zivilcourage öffentlich auf Ungereimtheiten bei dem Mord hingewiesen. Seine ermittelnden Kollegen würden von “oben” gewaltig unter Druck gesetzt, bei dem Verbrechen handele es sich um einen Doppelmord. Sanguinette erhielt daraufhin Morddrohungen und wurde wegen seiner Aufmüpfigeit zeitweise unter Hausarrest gestellt. Der Oberst ließ sich nicht einschüchtern, wies überzeugend grobe Ermittlungsfehler nach, und veröffentlichte darüber sogar ein Buch. Die Untersuchungen wurden schließlich wiederaufgenommen. Die jüngste definitive Expertise vom Mai macht die bisherige offizielle Version zu Makulatur. Suzana Marcolino konnte nicht auf PC geschossen und sich danach in der beschriebenen Weise umgebracht haben — gemäß der zuständigen Staatsanwältin weisen die Indizien nunmehr auf Doppelmord hin. Als PC und dessen Freundin bereits tot waren, wurden nachweislich Telefongespräche mit der Wochenendvilla geführt. Die Leichen “entdeckte” man aber erst rund vier Stunden später.
Zivilcourage eines Gerichtsmediziners
Laut Sanguinetti steht die Mafia von Alagoas hinter der Tat. Mittlerweile wurden auch Verbindungen PCs zur italienischen Mafia nachgewiesen. Ein Partner soll in Geldwäsche, Drogen und Waffenhandel verwickelt sein. Zwei Kinder von PC studierten auf einem Privatgymnasium der Schweiz, wo die italienische Polizei vier Konten des Ermordeten ausmachen konnte. Auf diesen und sechs weiteren Konten in den USA, den Niederlanden und Uruguay hatte PC über sechs Millionen Dollar deponiert: Ein Bruchteil seines Vermögens.
PC Farias eigener Einschätzung nach säßen bei strengeren Gesetzen gegen Korruption im Wahlprozeß – wie zum Beispiel in Italien – die Politiker, die Bauunternehmer und Bankiers des Landes allesamt hinter Gittern. Und er muß es wohl am besten wissen.
KASTEN
Würden Sie Ihr Kind “Hitler” nennen?
Antonio Callade, der auch in Deutschland und Österreich vielverlegte brasilianische Romancier, staunte nicht schlecht, als er bei der Premiere eines seiner Stücke im Teatro Ziembinski von Rio de Janeiro auf den Mosaikfußboden schaute: auf über zehn Metern Länge ein Hakenkreuz nach dem anderen kunstvoll aufgereiht, saubere Handwerksarbeit aus den 30er und 40er Jahren. Seit das alte Haus 1985 von einem Schauspieler erworben und in ein Theater umgewandelt worden war, hatte niemand Anstoß an der auch vom angrenzenden öffentlichen Platz deutlich erkennbaren Hakenkreuzornamentik genommen.
Obwohl in den brasilianischen Zeitungen häufig über Hakenkreuzschmierereien in Deutschland und anderen europäischen Ländern sowie über die entsprechenden Proteste jüdischer Organisationen berichtet wird, verkaufen Straßenhändler in Rio oder Sâo Paulo sogar nachproduzierte Metall-Erinnerungsplaketten an den “Gautag der Bayrischen Ostmark, Pfingsten 1933 in Regensburg”, darauf das Hakenkreuz unter’m Reichsadler. Bis heute tragen nicht wenige Brasilianer den Vornamen Hitler – die Eltern waren eben Bewunderer des Naziführers. Richter Hitler Cantalice läßt einen Parlamentsabgeordneten wegen Autoraubs verhaften – und als die Insassen einer total überfüllten Haftanstalt revoltieren, behält Polizeichef Hitler Mussolini Pacheco kühlen Kopf, führt persönlich die Verhandlungen über Geiselfreilassungen. Weiße Hitler sitzen in Universitätshörsälen, schwarze Hitler hausen in Slums der Sklavennachfahren. “Hitler” steht auch auf Straßenschildern: In der Stadt Barra do Bugres befindet sich das Hospital in der “Avenida Hitler Sansâo”. Auch der Vornahme “Rommel” ist sehr häufig.
Viele Juden flüchteten vor der drohenden Verfolgung und Ermordung auch nach Brasilien – die den Deutschen aus der Nazizeit bekannte üble Verunglimpfung der jüdischen Minderheit ist jedoch bis heute selbst in Wörterbüchern und Lexika beibehalten worden – trotz entsprechender Proteste. Vergangenes Jahr hat erstmals auch die jüdische Weltorganisation B’NAT B’RITH scharf verurteilt, daß sogar im wichtigsten brasilianischen Nachschlagwerk Aureliano der Jude als “schlechter Mensch, Geizhals, Habgieriger, Wucherer” definiert bzw. charakterisiert wird.
Der Präsident will wiedergewählt werden. Die entsprechende Verfassungsänderung kam Ende Januar nur mittels Stimmenkauf und andere Machenschaften durchs Parlament – sagten damals Kirche, Opposition und Medien. Doch niemand konnte es beweisen. Jetzt liegen Gesprächsmitschnitte vor, denen zufolge Cardosos rechte Hand, Kommunikationsminister Sergio Motta, den Stimmenkauf veranlaßte. Eine unbekannte Zahl von Abgeordneten erhielt demnach jeweils umgerechnet an die 300.000 DM in bar. Cardoso war noch nie so in der Bredouille.
Was Brasiliens größte Qualitätszeitung, die Folha de Sâo Paulo, Mitte Mai abdruckte, schlug ein wie eine Bombe: Zwei zur Rechtspartei PFL der Regierungsallianz zählende Kongreßabgeordnete erläutern klar und unzweideutig eine großangelegte Stimmenkaufoperation. Cardosos Intimfreund Sergio Motta von der Sozialdemokratischen Partei (PSDB) habe veranlaßt, daß über die PFL-Gouverneure der Teilstaaten Acre und Amazonas umgerechnet rund 300.000 DM in bar – oder sogar noch viel mehr – an Parlamentarier ausgezahlt wurde, damit sie Ende Januar für die Wiederwahl-Novelle votierten. Der Abstimmung war von der Mitte-Rechts-Regierung allergrößte Bedeutung beigemessen worden.
Überraschend hatte eine große Zahl von Abgeordneten, die die Verfassungsänderung stets öffentlich ablehnten, dann doch der Novelle zugestimmt. In den abgedruckten Gesprächsmitschnitten werden fünf bestochene Deputados aus Acre namentlich genannt, doch weit mehr sollen Summen zwischen 200.000 und 300.000 Reais erhalten haben. Diese bezeichen die Darstellungen als falsch und absurd. Die PFL, stärkster Partner Cardosos, schloß indessen sofort jene zwei Acre-Abgeordneten aus der Partei aus, die den Stimmenkauf erläuterten und selber Geld erhielten. Mit anderen Worten: Beide werden als geständig angesehen, die Mitschnitte somit als authentisch betrachtet. Warum nur diese beiden und nicht die anderen Deputados – die zwei Gouverneure und der Minister?, fragt sich alle Welt. Die in Folha-Kommentaren gegebene Antwort: Entläßt Cardoso Minister Motta, wie sogar die PFL-Spitze empfiehlt, gesteht er auch seine eigene Schuld ein – und dann ist alles möglich. Erinnert sei hier an das Collor-Impeachment von 1992.
Kurse der Stimmenbörse
Motta, der mit Cardoso eine Großfarm betreibt, ist in einer heiklen Situation. Vorwürfe, daß er als Hauptorganisator des Stimmenkaufs fungiert, erhob sogar Paulo Maluf, Führer der nicht zur Regierung gehörenden Rechtspartei PPD. Deren Kongreßabgeordneter Jair Bolsonari beschrieb, wie es am Tage der Abstimmung im Januar in den Kongreßkorridoren zuging: Wie bei Geschäftsverhandlungen auf einer Stimmenbörse. Am Morgen wurde ein Votum noch für 200.000 Reais gehandelt, weil die Regierung nicht sicher war, ob die Verfassungsänderung passieren würde. Einige Parlamentarier verlangten sogar 300.000 Reais. Kurz vor der Abstimmung glaubte die Regierung an ihren Sieg und ging deshalb mit dem Kurs herunter, zahlte nur noch 50.000 Reais. “Ich weiß nicht, wer Stimmen an- beziehungsweise verkaufte, doch den Kauf und Verkauf gab es tatsächlich.”
Die Cardoso-Regierung hat seit dem Amtsantritt eine Reihe von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen verhindert, die ihr hätten gefährlich werden können. Zwar bekam die Opposition die nötigen Unterschriften der Abgeordneten zusammen, ohne die ein Ausschuß nicht gebildet werden kann. PFL und PSDB entsandten jedoch nicht die vorgeschriebenen Repräsentanten – und damit war die Untersuchung ganz “demokratisch” blockiert.
Nach dem Abdruck der Gesprächsmitschnitte hatte die Opposition die Unterschriftenliste rasch komplett – auf Anweisung Cardosos mußten indessen PFL- und PSDB-Abgeordnete ihre Unterschriften zurückziehen. Es wurde öffentlich spekuliert, wieviel Reais sich die Regierung die Rückzieher wohl habe kosten lassen – wieder 200.000 pro Kopf?
Brasiliens Bischofskonferenz CNBB hat den Megaescândalo nicht kommentiert, sie verwies nur auf ein jüngst veröffentlichtes CNBB-Dokument, in dem die Regierung der aktiven Korruption beschuldigt wird. Im Bezug auf die Wiederwahlnovelle heißt es, die Regierung besorge sich bei für sie interessanten Vorlagen die nötigen Stimmen ohne Skrupel. Cardosos Allianzpartner PFL, der den Vizepräsidenten stellt, ist gemäß Untersuchungen und Zeugenaussagen bereits seit langem in Wahlstimmenkauf verwickelt. Im archaischen Nordosten, so Anwälte gegenüber den Lateinamerika Nachrichten, sei allgemein bekannt, daß der deutschstämmige PFL-Chef Jorge Bornhausen mit prallgefülltem Geldkoffer herumreise, Politiker besteche und den Stimmenkauf organisiere. Bornhausen ist Mitgründer der einstigen Militärdiktatur-Partei Arena. Cardosos Vize Marco Maciel gehörte ebenfalls zur Arena und zählte zu den aktivsten Unterstützern der Foltergeneräle.
Alte Kameraden
Die PFL stand an der Seite Präsident Fernando Collor de Mellos, der 1992 wegen Korruption und Machtmißbrauch abgesetzt wurde.
Jener Senhor X, von dem die Folha de Sâo Paulo die Mitschnitte erhielt, hat inzwischen betont, weitere Tonbänder zu besitzen, auf denen noch mehr Personen belastet werden.
Zwei Mitglieder der PSDB-Spitze erklärten interessanterweise vor der Veröffentlichung der Mitschnitte gegenüber dem Nachrichtenmagazin Veja, sie seien überzeugt davon, daß der PFL-Gouverneur von Amazonas mit der Absicht des Stimmenkaufs nach Brasilia gekommen sei. Mit Koffern voll Geld sei der Gouverneur in den Wiederwahl-Prozeß hineingegangen. Warum stellte die Cardoso-Regierung ihn nicht zur Rede, fragt die Veja.
Gemäß einer neuen Meinungsumfrage führt die Popularitätskurve des Staatschefs nach langer Stabilität erstmals deutlich nach unten. Brasiliens Börsen reagierten auf die Veröffentlichung der ersten, brisanten Mitschnitte in der Folha am 13. Mai sofort mit Kursabfall. Die Echtheit der Mitschnitte wurde am 20. Mai bestätigt. Jene zwei Abgeordnete, die den Wortlaut des Abdrucks bestritten, stehen bös’ da. Ganz zu schweigen von den anderen Verwickelten.
Sie hatten angenommen es sei nur ein Bettler, verteidigten sich die fünf jungen Täter, die in Brasilia das schlafende Oberhaupt der Pataxó-Indianer Galdino Jesus dos Santos anzündeten. Der Fall erregte gerade deshalb Aufmerksamkeit, weil es sich um einen Indigena handelte, reiht sich jedoch ein in die zunehmende Gewalt gegen Wohnungslose. Die Täter kommen meist aus der Mittel- und Oberschicht.
Die Avenida Rio Branco, einstige Prachtstraße Rio de Janeiros, bietet nachts ein deprimierendes Bild. Weil seit 1995 infolge von neoliberalen Regierungsprogrammen die Arbeitslosigkeit steil anstieg und Sozialeinrichtungen schlossen, liegen so viele Obdachlose, Bettler, psychisch Kranke und Straßenkinder wie selten zuvor aufgereiht nebeneinander auf dem Bürgersteig; nicht wenige nutzen als Unterlage oder zum Zudecken lediglich Zeitungspapier oder Pappe. Neuerdings hat ein Großteil von ihnen Angst, Opfer jener Brandattacken zu werden, die sich auch in Sâo Paulo und selbst in der Hauptstadt Brasilia häufen: Nur Schritte von der Avenida Rio Branco entfernt, übergoß vormittags eine gutgekleidete Frau einen sitzenden Bettler mit reichlich Alkohol, warf zynisch lachend ein brennendes Streichholz auf ihn. Und verschwand im Menschengewühl, während der Mann die Flammen zu ersticken suchte. Dreißig Prozent der Haut verbrannten, derzeit liegt er in einem öffentlichen Hospital der Sieben-Millionen-Stadt, das pro Monat mindestens zwei wohnungslose Brandopfer behandelt. Oft kommt indessen jede Hilfe zu spät, wie die fast täglich veröffentlichten Fotos von verkohlten Leichen beweisen.
Ivan Bertanha, Leiter einer Hospitalabteilung für Verbrennungen in Sâo Paulo, betont, daß die Eingelieferten fast nie gerichtsverwertbare Angaben liefern können: “Sie sagen, daß sie in Flammen stehend aufgewacht sind und keine Verdächtigen gesehen haben.” Pataxó-Häuptling Jesus dos Santos verbrannte in Brasilia lebendig, nachdem nicht weniger als zwei Liter Alkohol über ihn ausgegossen worden waren. Die inzwischen gefaßten fünf Täter aus Elitefamilien verteidigten mit dem Argument, sie hätten ihn “nur” für einen Bettler gehalten. Für regierungskritische Menschenrechtler und Soziologen spricht dieser Satz Bände. Herbert de Souza Betinho, Führer der nationalen Kampagne gegen Hunger und für Bürgerrechte, nennt das Handeln der jungen Männer einen Hinweis “auf den Grad der Degenerierung in bestimmten höheren Schichten der brasilianischen Gesellschaft.” Helio Bicudo, enger Mitarbeiter des Kardinals von Sâo Paulo und Kongreßabgeordneter der Arbeiterpartei PT, konstatiert, die brasilianische Gesellschaft entwürdige die Armen und banalisiere das Leben. Der angesehene Sozialwissenschaftler und Therapeut Jurandir Freire Costa bringt sogar die Globalisierung mit ins Spiel: Junge Männer, wie jene fünf von Brasilia, kennen die reiche “Erste Welt” sehr gut und glauben, eher per Zufall in Brasilien zu leben. Widerwillig sind sie dort mit einer Mehrheit von “Häßlichen, Armen, Zahnlosen und Nicht-Weißen” konfrontiert, analysiert Costa weiter. Eine Art von Umgang mit dieser Realität sei, sie nicht wahrzunehmen, eine andere, diese sogar physisch zu eliminieren. “Wir reden viel über die Modernisierung Brasiliens, doch wenig über die Befriedung der Gesellschaft”, sagt Oscar Vieira, Generalsekretär des UN-Lateinamerika-Instituts und weist auf die Straffreiheit hin, von der besonders die High Society profitiert. Gemäß neuesten UNO-Angaben werden in Brasilien mehr Menschen durch Feuerwaffen getötet als in jedem anderen nicht durch Krieg gezeichneten Land. In Sâo Paulo kann die Polizei bestenfalls in zwanzig Prozent der Fälle die Täter identifizieren, was nicht bedeutet, daß diese auch verhaftet werden.
Der neue Sport der Besserbetuchten
Inzwischen wurden sehr unvollständige Angaben über die Anzahl wohnungsloser Brandopfer veröffentlicht. Allein in der Hauptstadt Brasilia sind seit 1988 mindestens 29 Bettler angezündet worden. In Sâo Paulo und Rio sind mehrere Wohnungslose pro Monat betroffen. Brandattacken sind jedoch nicht alles: So gehört es in den genannten drei Städten zum makabren Sport Besserbetuchter, etwa nach der Disco vom Wagen aus auf schlafende Wohnungslose zu schießen. Auch ein Polizeioffizier Rios pflegte, gerichtlichen Zeugenaussagen von 1994 zufolge, seine Waffen nachts an Bettlern zu testen.
Schließlich wurden 1990 in der Stadt Matupá drei arbeitslose Landarbeiter, die versucht hatten, eine Fazenda zu überfallen, in Anwesenheit von Polizisten und einem Politiker auf offener Straße lebendig verbrannt: das von einem Amateur gedrehte Video der Untat übergab die katholische Kirche internationalen Menschenrechtsorganisationen. 22 Personen wurden zwar angeklagt – zu einer Bestrafung ist es aber bis heute nicht gekommen.
Wegen des spektakulären Brandanschlags auf Galdino Jesus dos Santos interessiert sich die brasilianische Öffentlichkeit auf einmal für das Leben der Pataxó. Nach Angaben der Kirche wurden in den letzten Jahren in Südbahia 24 Pataxó-Indios von Pistoleros der Großgrundbesitzer oder diesen selbst erschossen, 47 überlebten Mordversuche, 48 Indios starben wegen unterlassener Hilfeleistung.
Ein Großteil Südbahias war ursprünglich Pataxó-Land. Doch vor und während der Militärdiktatur legten Latifundistas im Stammesgebiet Kakaofarmen an, von denen auch große internationale Schokoladenmarken ihren Rohstoff beziehen. Vor Gericht streiten die Pataxó seit 15 Jahren um die Rückgabe von etwa 36.000 Hektar – 788 Hektar waren ihnen zwar von der Justiz zugesprochen, de facto aber nie übergeben worden. Der Stamm nutzt jetzt die Gunst der Stunde: Zur Beerdigung von Häuptling Jesus dos Santos kamen TV-Teams, Presse und sogar der Chef der staatlichen Indianerschutzbehörde FUNAI, Julio Geiger. Nach der Beisetzung durften weder er noch die Journalisten das Reservat verlassen, vielmehr wurden sie gezwungen, die Pataxó beim Besetzen von vier benachbarten Kakaofarmen zu begleiten. Umringt von Indios mit Feder-Kokarden, Wurfspiessen, Pfeil und Bogen, mußte Geiger grimmigen Blickes als erster das aufgebrochene Farmtor jenes Großgrundbesitzers durchschreiten, der die Pataxó am meisten terrorisiert – während diese aufpaßten, daß die Szene für die TV-Abendnachrichten auch ordentlich gefilmt wurde. Erst nachdem das Gebiet ohne Gewalt und Zwischenfälle besetzt worden war, ließen sie den FUNAI-Chef und den Medientroß von dannen ziehen.
Die Aufnahmen gehen um die Welt: Polizisten errichten eine Straßensperre und terrorisieren vorbeikommende PassantInnen. Niemand wehrt sich: aus Angst, erschossen zu werden. Der Präsident ist international entrüstet und die heimischen Intellektuellen schweigen.
Zehn Militärpolizisten Sâo Paulos machen sich einen sadistischen Spaß daraus, in einem Slum alle paar Tage eine Strassensperre zu errichten und zufällig vorbeikommende BewohnerInnen auf brutalste Art zu foltern, mit Hartholzstücken blutig zu schlagen und auszurauben. Ein völlig unschuldiger Mann wird vor aller Augen erschossen, ein anderer schwer verwundet.
Wer in brasilianischen Elendsvierteln lebt oder dort Sozial- und Menschenrechtsarbeit betreibt, weiß, daß Derartiges seit Diktaturzeiten absolut normal und alltäglich ist. Der jüngste Fall von Polizeiterror erregt indessen enormes Aufsehen, weil jemand gut versteckt tagelang alles filmt, das Video schließlich nicht nur im brasilianischen, sondern auch im nordamerikanischen, europäischen und asiatischen Fernsehen gezeigt wird.
Sâo Paulos Kardinal Evaristo Arns und seine Bischöfe und Padres protestieren vehement, stellen nicht anders als amnesty international (ai) und Human Rights Watch klar, daß die Greueltaten nicht überraschen. In ganz Brasilien würden die Menschenrechte von der Militärpolizei gravierend verletzt, Opfer seien stets Angehörige der unterprivilegierten Schichten, Anzeigen fruchteten gewöhnlich nichts.
Der neue Fall zeigt dies exemplarisch. Zwei der zehn Militärpolizisten gelten als Mitglieder einer Todesschwadron, die in jüngster Zeit mindestens dreizehn Menschen ermordet hat. Fünf Beamte standen bereits wegen acht Morden sowie Mordversuchen und schwerer Körperverletzung unter Anklage, die Verfahren wurden, wie fast durchweg üblich, eingestellt. Ganz offenkundig unter dem Druck der Medien und der Entrüstung im Ausland wurden inzwischen alle zehn Tatbeteiligten verhaftet – die Mitte-Rechts-Regierung instruierte in Windeseile auch die Botschaften in Bonn, Bern und Wien, wie zu reagieren ist.
Scheinheiligkeit und fragwürdige Aufregung
Ricardo Ballestreri, Präsident der brasilianischen ai-Sektion, mag ebensowenig wie die Kirche in den jetzt von den Medien geschürten Chor der Entrüstung einstimmen, wirft der Gesellschaft Scheinheiligkeit vor. Bei jenen, die sich über Polizeibrutalität aufregen, handelt es sich ihm zufolge um dieselben, die mehr Gewalt bei der Verbrechensbekämpfung und auch die Todesstrafe verlangen. ai hatte wie die Erzdiözese Sâo Paulos bereits vielfach angeprangert, daß die “High Society” und auch die Mittelschicht in Lateinamerikas erstem Wirtschaftsstandort Greueltaten gegen SlumbewohnerInnen schlichtweg ignorierten. In Brasilien, so ai auf Anfrage, gebe es ein Kontingent von Personen, deren Folterung absurderweise als sozial gerechtfertigt angesehen werde. Unter der Folter hatten erst kürzlich neun Männer der Unterschicht gestanden, ein Nobellokal überfallen und dabei zwei Gäste erschossen zu haben. Glücklicherweise fand man eher durch Zufall die wahren Täter mit der Beute, die Neun bleiben dennoch für ihr Leben gezeichnet.
“Beifall” für Todesschwadrone
Cecilia Coimbra, couragierte Präsidentin der brasilianischen Menschenrechtsorganisation “Nie mehr Folter”, erinnert jetzt daran, daß die sich in Sâo Paulo häufenden chacinas, Blutbäder, sowie andere Aktionen der Todesschwadronen von sehr vielen BrasilianerInnen mit “Beifall” aufgenommen werden. Nach der Ausstrahlung des Amateurvideos sei zu hoffen, daß es nie mehr zu derartigem Applaus komme. Jurandir Freire Costa, Therapeut und Direktor des Instituts für Sozialmedizin an der Universität von Rio, teilt diesen Optimismus nicht. Die Mittel- und Oberschicht, so Costa, spreche SlumbewohnerInnen den Gleichheitsgrundsatz ab, definiere sie quasi als “Nicht-Menschen” und reagiere daher mit extremer Indifferenz und Akzeptanz auf jede Art von Gewalt gegen diesen Teil der Bevölkerung.
Befreiungstheologe Frei Betto, enger Mitarbeiter von Kardinal Arns, teilt den Standpunkt von Costa, zählt den Sozialwissenschaftler außerdem zu den ganz wenigen Mitgliedern der geistig-künstlerischen Elite Brasiliens, die auf Massaker an Landlosen, Polizeiterror gegen Arme und von Todesschwadronen begangene Morde nicht mit Schweigen reagieren. Im Gespräch sagt Frei Betto, Hunderte von führenden Intellektuellen Frankreichs oder Italiens protestierten in Manifesten an die Mitte-Rechts-Regierung von Präsident Fernando Henrique Cardoso gegen all diese Greueltaten und verlangten energische Maßnahmen. Deren brasilianische KollegInnen duldeten indessen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die gravierende Verletzung der Menschenrechte in der größten Demokratie Lateinamerikas, seien daher mitschuldig.
Das Schweigen, so Frei Betto, sei Resultat der Unterstützung jener Intellektuellen für die Cardoso-Regierung und deren neoliberale Politik. Viele aus der geistigen Elite, die besonders hohes Prestige in der öffentlichen Meinung genössen, würden von Brasilia mit Posten, Positionen und Geldern begünstigt. Oder klarer ausgedrückt: korrumpiert. Der Theologe erinnerte auch daran, daß viele Intellektuelle, aber auch in Deutschland sehr bekannte Schriftsteller wie Jorge Amado oder Sänger wie Gilberto Gil, Caetano Veloso, Elba Ramalho und Joâo Bosco, Filmemacher wie Héctor Babenco sich 1994 in einem Manifest für die Wahl Cardosos ausgesprochen hatten. Positive Ausnahme: Chico Buarque. “Daß all diese Personen sich heute passiv verhalten”, so Frei Betto weiter, “wird von den Intellektuellen Europas natürlich bemerkt. Warum protestieren wir, fragt man dort, doch die Kollegen in Brasilien nicht – wie steht es daher um deren Seriosität?” Sie sei nicht vorhanden, fügt der Theologe hinzu.
Der schwarze Intellektuelle Milton Santos: “Brasiliens Geisteswissenschaftler kapitulieren vor der Situation ihres Landes, nähern sich dem Establishment an.”
Frei Betto wurde während der Diktatur im berüchtigten Carandiru-Gefängnis Sâo Paulos eingekerkert und gefoltert. 1992 wurde er vom Gouverneur des Bundesstaats vor Gericht gestellt, weil er Gewalttaten der Militärpolizei öffentlich angeprangert hatte. Im selben Jahr erschossen Spezialeinheiten jener policia militar in Carandiru mindestens 111 Häftlinge.
Zum Lärm um das Amateurvideo meint Frei Betto, das brasilianische Medienecho werde wie in vorangegangenen Fällen rasch verhallen.
Für Präsident Cardoso kommt der Vorfall doppelt ungelegen. Denn Sâo Paulo mit seinen weit über eintausend deutschen Firmenfilialen wird von einem Gouverneur und engem Vertrauten aus des Staatschefs Sozialdemokratischer Partei PSDB regiert. Gleiches trifft auf den politisch Hauptverantwortlichen des Landlosenmassakers von 1996 im Amazonasbundesstaat Pará zu – und auch auf den Gouverneur Rio de Janeiros, wo ein Blutbad an Minderjährigen dem anderen folgt.
KASTEN
Männer des Gesetzes
Vorsicht, Leute aus Sâo Paulo, Osasco und ABC,
Die Polizei von Sâo Paulo ist zum Beschützen da.
Ist ein Polizist ein Verbrecher?
Es gilt das Gesetz des Hundes.
Die Polizei tötet das Volk,
Aber ins Gefängnis kommt sie nicht.
Immer mehr Leute, deren Wege sich verlieren
Aber sagen können wir nichts,
Denn wir sind nicht auf der Seite des Gesetzes.
Oh mein Gott, wann werden sie bemerken,
Daß Sicherheit zu geben nicht bedeutet
Angst einzujagen?
Song von Thaíde und DJ HUM
KASTEN
Männer des Gesetzes
Vorsicht, Leute aus Sâo Paulo, Osasco und ABC,
Die Polizei von Sâo Paulo ist zum Beschützen da.
Ist ein Polizist ein Verbrecher?
Es gilt das Gesetz des Hundes.
Die Polizei tötet das Volk,
Aber ins Gefängnis kommt sie nicht.
Immer mehr Leute, deren Wege sich verlieren
Aber sagen können wir nichts,
Denn wir sind nicht auf der Seite des Gesetzes.
Oh mein Gott, wann werden sie bemerken,
Daß Sicherheit zu geben nicht bedeutet
Angst einzujagen?
Song von Thaíde und DJ HUM
In der größten Demokratie Lateinamerikas gehören die berüchtigten “Esquadrôes da Morte” auch über zehn Jahre nach Diktaturende zum Alltag. Sie ermorden Kinder, Jugendliche, Menschenrechtsaktivisten und politische Gegner. Unter der Mitte-Rechts-Regierung von Staatschef Fernando Henrique Cardoso hat laut ai die Gewalt stark zugenommen.
An einem Februarnachmittag geschieht in Rio de Janeiros Slumgürtel Baixada Fluminense erneut, was viele in der Ersten Welt für unvorstellbar, unmöglich halten: Sechs aufgeweckte Jugendliche zwischen fünfzehn und siebzehn springen auf einen Linienbus auf und machen sich zweier “Vergehen” schuldig: Um nicht bezahlen zu müssen, passieren sie nicht das Drehkreuz des Buskassierers sondern bleiben, wie es täglich unzählige Schüler und Arbeitslose tun, auf den hintersten Bänken, lärmen, trommeln Disco-Rhythmen. Dem Kassierer wird es zu bunt. Er fordert zwei bewaffnete Sicherheitsleute der Busgesellschaft auf, die Jungen zum Schweigen zu bringen. Der Fahrer hält an, die sechs werden mit vorgehaltener Pistole zum Aussteigen gezwungen, müssen sich in einer Reihe auf die Erde knien. Dann werden sie kaltblütig mit Kopfschüssen außergerichtlich exekutiert, wie es ai und andere Menschenrechtsorganisationen stets in Untersuchungsberichten nennen. Die Mörder unterziehen sich, wie üblich, nicht der Mühe, die Toten zu verstecken oder zu verscharren. Ein Jugendlicher überlebte die Schüsse noch eine halbe Stunde, hätte gerettet werden können. Doch niemand der vielen herbeigelaufenen Neugierigen rührte aus Angst vor Rache eine Hand: Die Killer hatten es verboten, keiner der Gruppe sollte davonkommen.
Schlag für Rios Olympia-Bewerbung
Bereits in den 80er Jahren war die Baixeda Fluminense von den Vereinten Nationen als gefährlichste Stadtzone der Welt eingestuft worden – bis heute werden hier Morde selten aufgeklärt. Gemäß einer neuen Untersuchung sahen über dreißig Prozent der minderjährigen Slumbewohner schon einen Mord.
Auch diese Bluttat wäre gemäß jüngster Praxis von Öffentlichkeit und Medien übergangen worden, wenn nicht das Internationale Olympische Komitee gerade über die Kandidatur der Sieben-Millionen-Metropole am Zuckerhut für die Spiele 2004 entscheiden würde. In weltweit verbreiteten Imagekampagnen hatten Brasiliens Autoritäten für Rio getrommelt und stets argumentiert, daß sich Gewalttaten doch schließlich heute in allen großen Städten ereigneten. Die Nervosität der Politiker war nach dem Massaker groß. Anders als bei vorangegangenen Verbrechen dieser Art mußten Rios beste Kriminalisten Tag und Nacht nach den Tätern fahnden. Zeugen hatten sie laut Presseangaben zweifelsfrei erkannt. Einer gehört zu Rios Munizipalgarde und wird gemäß der engagierten Staatsanwältin und Killerkommando-Expertin Tania Salles Moreira stets dann als Mittäter genannt, wenn es in Bussen zu “Exekutionen” gekommen sei. Der andere leitet eine der zahlreichen regionalen Todesschwadronen.
Morddrohungen gegen holländischen Menschenrechtsaktivisten
Immer mehr brasilianische Pfarrer, Bischöfe, Sozialarbeiter, Künstler und Menschenrechtsaktivisten, die gegen das Wüten der Killerkommandos protestieren, werden durch Morddrohungen unter Druck gesetzt, müssen aus Sicherheitsgründen ihren Aktionsradius stark einschränken. Dies gilt auch für das neueste Blutbad. Zwei der Ermordeten stammten aus Slums, in denen das auch mit Geldern der deutschen Bundesregierung arbeitende Sozialinstitut IBISS seit Jahren Projekte realisiert. Der holländische Direktor Nanko van Buuren hatte als Arzt im zuständigen gerichtsmedizinischen Institut die beiden ihm bekannten Jugendlichen identifiziert – an der Ausgangspforte wurde er derweil von zwei Bewaffneten erwartet. Sie zeigten sich über alle Details der IBISS-Projekte gut informiert und drohten, den 48-jährigen umzubringen, falls er sich in die Ermittlungen einmische und juristisch gegen jene Busgesellschaft vorgehe, zu deren Sicherheitspersonal die Todesschützen nach bisherigen Ermittlungen gehören. Van Buuren hatte 1996 Bundespräsident Herzog während dessen Rio-Aufenthalts mit den IBISS-Projekten vertraut gemacht, hält zu ihm ständig Kontakt. “In Europa”, so der Experte, “schenkt man wahrheitsgemäßen Berichten über die Realitäten Rios gewöhnlich keine Beachtung. Das Ausmaß der Greueltaten gegen Arme und Verelendete wird für unwahrscheinlich gehalten.”
Politiker verwickelt
Duque de Caxias, Satellitenstadt Rios in der Baixada Fluminense, ist seit langem wegen der Todesschwadronen berüchtigt. Gegen Bürgermeister Zito dos Santos läuft ein Prozeß, weil er den Mord an einem seiner politischen Gegner befohlen haben soll. Mehrere seiner Kritiker, aber auch Menschenrechtler beschuldigen ihn, in Killerkommando-Aktivitäten verwickelt zu sein. Zito dos Santos gehört zur Sozialdemokratischen Partei von Staatschef Fernando Henrique Cardoso, dem Rios Pfarrer Caio Fabio vorwirft, zwar die monetäre Inflation, nicht aber die Abwertung des Lebens gestoppt zu haben. Todesschwadronen sind in ganz Amazonien und in Millionenstädten wie Manaus, Sâo Paulo, Salvador de Bahia, Recife, Fortaleza und Natal aktiv. In letzterer Provinzhauptstadt hatte der angesehene Menschenrechtler und Anwalt Francisco Negueira gegen die größtenteils aus Polizisten bestehenden Kommandos ermittelt: Vergangenen Oktober wurde er auf offener Straße durch MPi-Salven ermordet. Daraufhin forderte die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Brasilia auf, weiteren zehn von Kommandos in Natal Verfolgten Personenschutz zu gewähren.
KASTEN
Was ist das für ein Land?
In den Favelas, im Senat
Überall Dreck.
Die Verfassung achtet niemand,
Aber alle glauben an die Zukunft der Nation.
Was ist das für ein Land?
In Amazonas, in Arraguaia, in der Baixada Fluminense,
Mato Grosso, den Geraes und im Nordosten alles ruhig.
Im Tod finde ich Frieden, aber das Blut fließt weiter,
Befleckt die Papiere, die wahren Dokumente,
Auf denen der Patron sich ausruht.
Was ist das für ein Land?
Song von Renato Russo (Legiâo Urbana)
Schweine in Uniform
Die Männer des Gesetzes sind alle Verbrecher
Sie töten unschuldige Leute und machen in Ruhe weiter.
Unausgebildet, inkompetent handeln sie wider die Vernunft,
Anstatt für Sicherheit zu sorgen
Verängstigen sie die Bevölkerung.
Sie sind darauf trainiert, eine reiche Minderheit zu beschützen
Vor der armen Mehrheit, die mit ihrem Leben bezahlt.
Und wenn Du ein Arbeiter bist,
Dann hast Du die idealen Voraussetzungen,
Um in das Netz zu stürzen
Der offiziellen Todesschwadronen,
Schweine in Uniform.
Sie halten sich für Männer
Aber in Wirklichkeit ehren sie
Nicht einmal ihren Namen.
Bulle, mit Verlaub,
Ich werde die Dinge beim Namen nennen:
“Mit der Pistole in der Hand bist Du ein grimmiges Tier, ohne sie schwänzelst Du rum und Deine Stimme kiekst wie im Stimmbruch.”
Song von Marcelo D2 und Rafael (Planet Hemp)
Brasilianische Rapper- und Hip-Hop-Gruppen verarbeiten die brutale Realität in ihren Songs.
Übersetzung: Alina González / Elisabeth Schumann
Von 1964 bis 1985 unterdrückte Brasiliens Militärregime Andersdenkende und militante Oppositionelle auf grausamste Weise: Todesschwadronen ermordeten unzählige Gegner der Diktatur, politische Gefangene wurden Haien lebendig zum Fraß vorgeworfen oder aus Helikoptern gestoßen, in Stücke gehackt, verscharrt an Stränden Rio de Janeiros – Brutalität war alltäglich. Daß der US-Geheimdienst CIA den Repressionsapparat der Generäle auf vielfältige Weise unterstützte, wußten Menschenrechtsgruppen aus dem In- und Ausland schon damals. Jetzt sorgen Dokumente über die damaligen CIA-Aktivitäten in Brasilien für Schlagzeilen.
Wie die angesehene Zeitung O Estado de Sâo Paulo berichtet, konnte die nordamerikanische Soziologin Martha Huggins bislang geheimgehaltene Kongreßdokumente einsehen, die die Komplizenschaft des CIA mit dem Unterdrückungsapparat von damals bestätigen. Das Fazit der 53-jährigen Wissenschaftlerin: “Die Teilnahme der CIA am Alltag der politischen Repression ist bewiesen – die Dokumente sprechen sogar von gemeinsamen Operationen – die amerikanische Demokratie partizipierte an der Schaffung eines unterdrückerischen Staates.”
Besonders gravierend ist für Martha Huggins, daß die CIA Spezialkommandos für die brasilianische Polizei ausbildete. In Rio de Janeiro wurde eine “Elite” von vierzig Beamten zum Grundstock der berüchtigten Todesschwadrone: “CIA-Agenten nahmen an Operationen in den Slums teil, aber auch an der politischen Unterdrückung – und berichteten alles, was sie sahen, nach Washington.” Bis heute sei in den USA wenig bekannt, daß die CIA bei der Ausbildung von Polizisten in anderen Ländern mitmacht: “Unsere Demokratie benutzte die Polizeibeamten, um in anderen Ländern eine ideologische Kontrolle auszuüben.”
CIA läßt Dokumente verschwinden
Ein anderes interessantes Detail der Recherchen von Martha Huggins: Die CIA half beim Aufbau des Diktaturgeheimdienstes SNI mit, “lieferte sogar eine Liste mit den Namen geeigneter, vertrauenswürdiger Mitarbeiter.” Auf einer anderen Liste waren alle Personen verzeichnet, die gemäß CIA-Einschätzung nach dem Militärputsch von 1964 verhaftet werden sollten.
Ärgerlich für die Soziologin, die bereits drei Bücher über Brasilien veröffentlichte, ist, daß laut Gesetz zwar jeder US-Bürger offizielle Dokumente über Regierungsaktivitäten einsehen darf, wenn diese länger als 25 Jahre zurückliegen – jene Seiten jedoch der Kongreßpapiere mit CIA-Berichten über Folterungen der politischen Polizei Brasiliens sind unleserlich gemacht; manchmal fehlen sogar ganze Blätter.
In mühseliger Kleinstarbeit gelang es der Expertin, 26 Folterer von politischen Gefangenen ausfindig zu machen und unter Wahrung der Anonymität zu interviewen. Einer davon, Militärpolizist, mochte nicht, wie seine Kollegen, bei einem Einsatz gefangengenommene “Subversive” mit Schlägen traktieren und die Frauen vergewaltigen. “Ich forderte, daß es doch besser sei, alle zu töten, anstatt sie zu foltern”, sagte der Militärpolizist zu Martha Huggins und berichtete auch über den Abschluß der Operation: Alle Gefangenen wurden hoch über der Wildnis lebendig aus einem Helikopter gestoßen.
Folterer heute in führenden Positionen
Helio Bicudo, während der Diktatur Präsident einer kirchlichen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden, hat die Aussagen der Soziologin bestätigt. Bicudo untersuchte damals die CIA-Aktivitäten ebenso wie das Wüten der Todesschwadronen. Polizisten und Armeeoffiziere Brasiliens seien in den USA ausgebildet worden – manche, die damals zum Repressionsapparat gehörten, machten und machen Karriere. Romeu Tuma, nach der Diktatur Chef der Bundespolizei, ist heute Kongreßsenator der starken Rechtspartei PPB. Regimeaktivist Marco Maciel wurde gar Vize des jetzigen Staatspräsidenten Fernando Henrique Cardoso – für Bicude auch Beleg dafür, daß von echter Vergangenheitsbewältigung keine Rede sein kann: “Hier in Brasilien haben die Leute ein kurzes Gedächtnis.”
Wie die Jahresberichte von amnesty international und Human Rights Watch zeigen, gehören Folter und Todesschwadronen auch zwölf Jahre nach dem offiziellen Ende der Diktatur weiterhin zum Alltag Brasiliens, es “verschwinden” sogar mehr Menschen als damals nach der polizeilichen Festnahme. Die katholische Kirche beklagt, daß immer mehr nichtidentifizierte Gewaltopfer beerdigt werden, ein Großteil auf den überall im Lande anzutreffenden “geheimen Friedhöfen”.
Durch die neoliberale Wirtschaftspolitik der jetzigen Mitte-Rechts-Regierung ist in ganz Brasilien die Arbeitslosigkeit deutlich angestiegen; im Hinterland von Maranhao wurde deshalb laut Experteneinschätzung die Prostitution von Kindern und Jugendlichen erschreckenderweise zur wichtigsten und manchmal einzigen Einkommensquelle armer Familien. Nicht zuletzt die Kirche hat sich dem Problem angenommen.
Zu Dutzenden stehen zwölf- und dreizehnjährige Mädchen bereits in der Nachmittagsschwüle an der Brücke über dem von Hütten gesäumten Rio Mearim und bieten sich den Passanten für nur fünf Realen an,- das sind nicht einmal acht Mark. Andere warten in den von madames oder früheren Amazonas-Goldgräbern geführten Billigbordellen der neuen Rua do Campo auf Kunden. Doch auch dort sind sie keineswegs geschützt vor der Brutalität, die das Milieu prägt: Messerstechereien, Schußwechsel mit tödlichem Ausgang sind keine Seltenheit, wobei häufig Drogenkonsum die Hemmschwelle herabsetzt. Ausländische Sextouristen spielen hier nur eine geringe Rolle, da das im Nordosten Brasiliens gelegene Pedreiras zu weit von Touristengebieten entfernt liegt. Geradezu gierig auf möglichst junge Mädchen sind sexbesessene Machos aller sozialen Schichten aus der Stadt selbst: Nachbarn, Familienväter der Rua do Campo, Polizisten, Politiker. “Viele Mädchen prostituieren sich, weil die eigenen Eltern sie dazu anregen oder zwingen”, sagt die 52jährige Franziskanerin Maria Oliveira von der lokalen Frauenpastorale gegenüber. Sie verweist auf die Gründe der Misere: Von den rund 50 000 BewohnerInnen hat nicht einmal ein Viertel Arbeit, von denen wiederum verdienen 40 Prozent höchstens den Mindestlohn von umgerechnet 160 Mark.
Versteigerung von Jungfrauen
Pedreiras hat auch deshalb traurige Berühmtheit erlangt, weil dort in Bordellen makabere Auktionen abgehalten werden, wo Großgrundbesitzer, Politiker und Unternehmer Jungfrauen zwischen neun und vierzehn Jahren ersteigern, für eine einzige Nacht in einem besseren Stundenhotel. Anschließend werden die Mädchen gewöhnlich gezwungen, als Prostituierte zu arbeiten; manche enden in den Goldgräbercamps Amazoniens.
Die Kirchengemeinde von Pedreiras fand sich mit der Situation nie ab. Pfarrer Luiz Mario Luís gründete bereits 1963 ein Rehabilitationszentrum, in dem Prostituierte lesen und schreiben sowie einen Beruf erlernen konnten.
Da die Zahl der Lernwilligen rasch zunahm, mußte das Zentrum vergrößert werden, und die Bezirksverwaltung stieg als finanzielle Trägerin mit ein. Schulunterricht erhalten inzwischen auch die Kinder der Frauen, derzeit sind es über 160 Mädchen und Jungen. Mehrere Dutzend jugendliche oder erwachsene Prostituierte sitzen auf den Bänken des Zentrums, das eher einer einfachen Lagerhalle ähnelt, und lernen Nähen sowie andere Handarbeiten. Inzwischen haben sie zum Teil Kolleginnen als Lehrkräfte. Die Direktorin und Mitbegründerin Benedita Leite versucht, sie davon abzubringen, weiter auf den Strich zu gehen, jedoch ohne Erfolg. Denn wie in tausenden anderen Städten und Gemeinden der zehntgrößten Wirtschaftsnation der Welt erhalten LehrerInnen und andere öffentliche Bedienstete auch in Pedreiras nicht einmal den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von umgerechnet etwa 160 Mark. Schlimmer noch: Die Bezirksverwaltung, der wichtigste lokale Arbeitgeber, zahlt das Hungersalär um bis zu elf Monate verspätet aus. “Ich gebe gerne Unterricht”, sagt eine Prostituierte, “doch das letzte Mal habe ich im August Geld gekriegt”. Viel ist es ohnehin nicht, nur an die neunzig Mark. Und Brasilien hat derzeit ein ähnliches Preisniveau wie Europa.
Erfolge – Rückschläge
Daß krasse Armut brutalisieren, verrohen und abstumpfen kann und die Betroffenen häufig dazu bringt, sich aufzugeben, beobachten Benedite Leite und die Franziskanerin Maria Oliveira täglich. In den Bretterhütten am Rio Mearim dominiert in den vielköpfigen Familien Promiskuität; Die Mädchen lernen nur die Gesetze ihres Milieus kennen und sehen die Prostitution als einzige – und attraktive – Möglichkeit, im Leben voranzukommen. Ihnen Unterricht zu geben, ist extrem schwierig, denn die Mädchen sind nicht daran gewöhnt, sich zu konzentrieren und lange Zeit zuzuhören. “Wir dürfen sie nicht verurteilen, sie uns zu Feinden machen” betont Maria Oliveira, “sondern müssen immer wieder auf sie zugehen, ihnen helfen, den Raum der Kirche als Alternative anbieten.” Erfolge beim Schwimmen gegen den Strom gibt es. In der Straße am Fluß treffen sich Kinder und Erwachsene im neuen Gemeindesaal zu kirchlichen Aktivitäten, eine Jugendgruppe stabilisiert sich. Maria Oliveira lehrt Katechismus, feiert Weihnachten und Ostern in den Familien, bringt diesen die Brüderlichkeitskampagne der Bischofskonferenz nahe, und hält Kontakt zu denjenigen Frauen, die mit ihrer Hilfe aus dem Bordell in einen Beruf wechselten.
Doch die madames besorgen sich immer wieder Mädchennachschub. Dabei rekrutieren sie jetzt schon im Hinterland, ködern mit der Aussicht auf “ehrliche Arbeit” und locken damit Jugendliche in den Schuldenkreislauf. Versucht Maria Oliveira, solche Minderjährigen zur Rückkehr zu bewegen, hört sie immer wieder ein Argument: “Ich kann nicht weg, weil ich von der madame neue, schicke Kleider angenommen habe, die ich erst abbezahlen muß!” Die Franziskanerin stellt deshalb eine Bordellbesitzerin zur Rede und bekommt wie stets eine drastisch-grobe Antwort: “Meine Schuld ist das nicht. Diese Hündinnen kommen doch angelaufen und bitten mich um Arbeit!” Weil die madames den Neuankömmlingen weder den Besuch des Zentrums noch der Kirche gewähren, geht die Franziskanerin selbst zu ihnen an den Brückenstrich und setzt sich notfalls an die Bordelltischchen: “Einmal spreche ich mit den Mädchen über Gott, ein anderes Mal über Geschlechtskrankheiten und Aids. An der Brücke kommen viele schon auf mich zugerannt und umarmen mich!”
Kinderprostitution ist typisch für Brasiliens Norden und Nordosten. UNICEF, Kirche und NGOs haben in Maranhao bereits eine Kampagne gegen die praktisch straffreie sexuelle Ausbeutung Minderjähriger gestartet, denn laut Menschenrechtsaktivistin Sandra Torres gehört es bereits zur Gesellschaftskultur, abnorme Situationen als normal zu betrachten und hinzunehmen.
Während in Pedreiras Kinder aus Hunger und Not ihren Körper verkaufen, zeichnet der Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso im nur 277 Kilometer entfernt Sao Luis, der Hauptstadt Maranhaos, vor Mikrophonen ein positives Bild der Lage im Lande. Der Soziologe weist auch die Kritik der Bischöfe an seiner neoliberalen Politik zurück, erwähnt weder Kindersklaverei noch Kinderprostitution oder Jungfrauenversteigerungen. Neben Cardoso steht der jetzige Kongreßpräsident und Ex-Staatschef José Sarney – seit Diktaturzeiten reichster und mächtigster Mann in Maranhao. Daß hier alles beim alten bleibt, liegt nach Aussagen von Menschenrechtlern vor allem an ihm und seinen politischen Freunden.
Der 47-jährige Schwarze Volmer do Nacimento wagte als einer der ersten Brasilianer, auf Straßenkinder spezialisierte Todesschwadronen und deren Drahtzieher öffentlich anzuzeigen. 1993 wurde er wegen vorgetäuschter Entführung und “Verleumdung von Richtern” zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, die er im halboffenen Strafvollzug verbringt (siehe LN 261). Die brasilianische Menschenrechtsorganisation Projeto Legal in Rio de Janeiro kämpft für seine Freilassung.
Am schlimmsten sind die Sonn- und Feiertage. Dann muß Volmer den ganzen Tag in einer engen Gefängniszelle verbringen, im fünf Autostunden nördlich von Rio gelegenen Provinzstädtchen Natividada. Seine Frau und seine Kinder sitzen derweil traurig nur rund 300 Meter von Nacimento entfernt. Der Bürgerrechtler liest dann stapelweise Bücher und Zeitungen, schmiedet Pläne für die Zeit nach der Haft, und erinnert sich auch an die Gespräche mit dem Präsidenten des Europaparlaments. Wütend macht Nacimento, daß er die nach wie vor aus Straßburg hereinflatternden Einladungen nicht annehmen darf. “Ich bin ein Gefangener, weil ich es selbst will, denn mit meinem Wagen könnte ich fast jederzeit fliehen – und niemand würde mich finden.” Der langjährige Koordinator der nationalen Straßenkinderbewegung tut es nicht. Schließlich trägt Nacimento die Verantwortung für mehrere von ihm selbst gegründete Projekte, die er selbst leitet. Zu einem der wichtigsten, einer auch mit deutschen Geldern finanzierten Landwirtschaftsschule für Jugendliche, eilt er an Arbeitstagen jeden Morgen. Der gelernte Buchhalter, dessen sozialpolitisches Engagement in Basisgemeinden und Pastoralen der katholischen Kirche begann, empfängt die bislang neunzig SchülerInnen, berät sich mit AgronomInnen, ZootechnikerInnen und LehrerInnen, verteilt Aufträge: “Die Eltern der meisten Jugendlichen hier sind verelendete Wanderarbeiter der Region, mit ihnen ziehen sie herum, schuften auf Plantagen der Großgrundbesitzer, gehen so gut wie nie in die Schule, flüchten aus Perspektivlosigkkeit in die Slums von Rio. Die Schule wurde gegründet, damit die Kinder hier bleiben, die Landflucht gestoppt wird.”
Die Landflucht stoppen
Jeder Schüler bekommt monatlich umgerechnet rund neunzig Mark und damit weit mehr als für Plantagenarbeit. Das Geld stammt von zwei holländischen Unternehmern. Der deutsche Children Mission Fund in Überlingen zahlt die Löhne der LehrerInnen und beteiligte sich am Bau des Schulhauses am Rande von Natividade in tropischer Idylle. Es ist nur halbfertig, ein Provisorium – in Deutschland würde niemand darin lernen und lehren wollen. Und auch die vom deutschen Konsulat in Rio finanzierten Ausrüstungen für ein Laboratorium zur einfachen Heilmittelherstellung können nicht installiert, rund 300 Kursanwärter nicht aufgenommen werden. Die Schuld trägt laut Volmer do Nacimento die Mitte-Rechts-Regierung von Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso und dessen Freund aus der Sozialdemokratischen Partei PSDP, Rio-Gouverneur Marcello Alencar. Während eines Belgienbesuches 1995 traf Cardoso überraschenderweise auf eine Gruppe von MenschenrechtlerInnen, die ein Poster von Nacimento trugen und dessen Freilassung forderten. Wie stets in solchen eigentlich brenzligen Fällen stimmte Cardoso taktisch geschickt mit den KritikerInnen überein: “Ihr habt recht – wir werden damit aufhören.” Das Versprechen blieb folgenlos und auch die zum Jahresbeginn 1996 vertraglich zugesicherten rund 90.000 DM von Comunidade Solidaria, dem von der Präsidentengattin geleiteten Wohlfahrtsprogramm, trafen bisher nicht ein. Ebensowenig, trotz mehrfacher Mahnung, die etwa 100.000 DM des Rio-Gouverneurs. “Wir werden immer nur mit Ausflüchten abgespeist”, kommentiert Nacimento, “aber viele andere NGOs bekommen versprochene Mittel ebenfalls nicht – wofür ist die Comunidade Solidaria dann eigentlich da? Wir können nicht immer nur mit Geld aus dem Ausland arbeiten – wo bleibt da die eigene Verantwortung Brasiliens?” Den britischen Konsul in Rio, der dem Schulprojekt einen Traktor spendierte, verblüfft ebenfalls, daß die Regierung nichts überweist. Dagegen wird laut Presseangaben ein existierender “Sozialer Dringlichkeitsfonds” fast täglich vom Mitte-Rechts-Kabinett angezapft, um Diplomatenempfänge, Bankette oder üppige Geschenke für ausländische Gäste zu finanzieren.
Die achtzehnmonatigen Kurse der Escola Fasenda laufen dennoch weiter. “Fast alle, die mit amtlichem Zertifikat abschließen werden, haben bereits eine Arbeitsstelle sicher,” freut sich Nacimento, “nach der Präfektur sind wir hier der zweitgrößte Arbeitgeber!” Abends muß der nicht nur in Europa bekannteste Häftling Brasiliens wieder in die Zelle. Der Polizeichef von Natividade bekam bereits aus aller Welt über tausend Protest- und Solidaritätsbriefe, mindestens ebensoviele landeten beim Gouverneur von Rio und im Justizministerium.
Nacimento leidet indessen sichtlich unter der Situation, wollte 1996 durch einen Hungerstreik die Wiederaufnahme seines Verfahrens und Ermittlungen gegen Todesschwadronen und deren Hintermänner erreichen – was nicht gelang. Eine der wichtigsten moralischen vor allem aber juristischen Stützen ist die Menschenrechtsorganisation Projeto Lagal in Rio de Janeiro. Sie erreichte bisher, daß Nacimento seine Haft nicht unter ständiger Lebensgefahr in einer völlig überfüllten Zelle Rios, sondern im halboffenen Vollzug in Natividade verbringt. Für Anwalt Carlos Nicodemos, Leiter des ebenfalls vom deutschen Children Mission Fund unterstützten Projeto Legal, ist der Prozeß gegen Nacimento kafkaesk: “In Untersuchungsberichten des Bundesparlaments und selbst der Abgeordnetenkammer des Bundesstaates Rio über die Ermordung von Kindern und Jugendlichen, ebenso in der Presse, werden dieselben Richter wegen ihrer Verwicklung in Aktivitäten von Todesschwadronen aufgeführt, die auch Volmer do Nacimento nannte.”
Anwalt Nicodemos eilt mindestens einmal im Monat mit dem Wagen nach Natividade, spricht seinem Mandanten Mut zu. Dessen Geburtstag im vergangenen November fiel ausgerechnet auf einen Sonntag. Daß er ihn dank Nicodemos nicht durchweg in der Zelle verbringen mußte, sondern mit seiner schwangeren Frau und den Kinder zusammensein konnte, war wieder ein kleiner Sieg.
Letzte Meldung: Seit Anfang Januar hat Volmer rund um die Uhr Freigang, d.h. er muß sich jetzt lediglich regelmäßig bei der Polizei melden. Und die schlechte Nachricht: Nach heftigen Regenfällen versank das Gelände der Landwirtschaftsschule unter einer vierzig Zentimeter dicken Schlammschicht. Die Gebäude stehen zwar noch, aber die Ernte ist völlig zerstört.
Der Ehemann ist weiß, die Ehefrau ist schwarz. Am Hoteleingang verwehrt ein Wächter der Ehefrau den Zutritt: Prostituierte dürfen nicht mit aufs Zimmer. Wer glaubt, dieser Vorfall wäre die Ausnahme, irrt. Unter der Oberfläche scheinbarer Integration zeigt sich das Bild einer verdeckten Apartheid.
Die Schwarzen müssen wissen wo ihr Platz ist, lautet eine uralte, immer noch hochaktuelle Redewendung in Brasilien. Gemeint ist damit: Sklavennachfahren haben nichts in der Mittel- und Oberschicht, deren Kreisen und Ambiente zu suchen. Sie werden entsprechend stigmatisiert und behandelt. Wie dies in der Praxis funktioniert, bekam jetzt der Züricher Fritz Müller, Fachdirektor der Credite-Suisse-Bank, in Rio de Janeiro zu spüren. Als er mit seiner schwarzen, aus Rio stammenden Ehefrau Adriana nach einem Restaurantbesuch ins First-Class-Hotel Intercontinental zurückkehrte, wurde Adriana von einem muskulösen Wachmann grob gestoppt: Eine Garota de Programa, so heißen Prostituierte im Rio-Slang, dürfe nicht mit aufs Zimmer. Direktor Müller ließ sich von seiner Frau übersetzen worum es ging und schlug gehörigen Krach, stellte den Wachmann zur Rede, verlangte von der Hotelleitung eine formelle Entschuldigung. Denn ohne entsprechende Vorschrift hätte der Wächter kaum so gehandelt.
Rassismus – Machismus
Die Zeitung O Globo beschrieb den Fall unter der treffenden Überschrift “Fünf-Sterne-Rassismus”. Kaum ein mit einer dunkelhäutigen Brasilianerin befreundeter oder verheirateter Europäer, der in Rio, Sâo Paulo, Salvador de Bahia oder Fortaleza nicht ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Wer brasilianisches Portugiesisch nicht versteht, bekommt kaum mit, daß der Gang über die Strandpromenade für seine Partnerin gelegentlich einem Spießrutenlauf gleicht. Weiße Mittelschichtsmachos der übelsten Sorte, in Brasilien alles andere als dünn gesät, lassen eine Bösartigkeit oder Obszönität nach der anderen fallen, gehen davon aus, daß der tumbe Gringo sicher nichts versteht und wohl immer noch glaubt, was die meisten Reiseführer kolportieren: Brasilien, ein wundervoller Schmelztiegel der Rassen, ein Beispiel gelungener Integration verschiedener Hautfarben, von Diskriminierung keine Spur.
Wer aber die Oberfläche, die schillernde Erscheinungsebene verläßt, stößt auf Brasiliens hocheffiziente verdeckte Apartheid. Die ist von den schwachen, wenig respektierten Schwarzenorganisationen weit schwerer zu packen und zu attackieren als die aus Südafrika bekannte offene Rassentrennung. Schwarze, MulattInnen gehören in die Slums, in die Unterschicht, in die drekkigsten, schlechtbezahltesten Berufe. Schwarze Frauen sind gemäß diesem Denk- und Verhaltensmuster Hausdienerinnen, Reinemachefrauen, bestenfalls Supermarktkassiererinnen. Oder aber: Schwarze Frauen sind bis zum Beweis des Gegenteils Prostituierte, Touristenhuren, die man entsprechend behandeln kann.
Untersuchungen belegen, daß informelle Mechanismen gewöhnlich den Aufstieg Dunkelhäutiger in gutbezahlte qualifizierte Mittelschichtsberufe verhindern. Privatbanken bilden da keine Ausnahme. Bei mehreren spricht das gängige System der zwei Kundenschlangen Bände. Wer besser verdient und umgerechnet mindestens einige tausend Mark auf seinem Konto hat, steht in der kürzeren Fila, wird bevorzugt behandelt und ist gewöhnlich weiß. Wer zu den Schlechtbezahlten gehört, aber glücklich ist, dennoch ein Konto besitzen zu dürfen, muß in der längeren Schlange gelegentlich Stunden warten, schaut neidisch, frustriert oder mit Groll auf die Bevorzugten mit dem dickeren Geldbeutel. Welche Hautfarbe in der langen Fila dominiert, läßt sich in Rio gut beobachten.
Wer mit dunkler Haut dennoch den sozialen Aufstieg schafft, hat im Alltag fast pausenlos Ärger. In Sâo Paulo wird eine erfolgreiche schwarze Schauspielerin von weißen Madames immer wieder auf der Straße gefragt, ob sie nicht als Hausdienerin anfangen wolle, sie sehe so gut und gesund aus. Der schwarze Sänger und Komponist Dicró wird in Rio de Janeiro von Sicherheitsleuten zu seiner eigenen Show nicht auf die Bühne gelassen. Ironisch erklärt er: “Mehrmals haben sie mich auch schon geschnappt, als ich meinen eigenen Wagen klauen wollte.” Wie überführte Autodiebe werden ebenfalls immer wieder gutverdienende schwarze Fußballspieler traktiert, die teure Importwagen fahren. Oleude Ribeiro vom Verein Portuguesa von Sâo Paulo wurde mit Blaulicht in seinem Ford-Jeep gestoppt und mit dem Revolver am Kopf gründlich durchsucht: “Mein tiefentsetzter kleiner Sohn wollte danach wissen, ob diese Männer Banditen waren. Schwierig, ihm zu erklären, daß alles nur geschah, weil wir Schwarze sind.”
Der auch in Europa bekannte schwarze brasilianische Musiker Djavan erläutert: “Wenn du berühmt wirst, verlierst du sozusagen deine Hautfarbe. Das heißt nicht, daß dich die Leute auf einmal mögen. Sie beginnen nur, dich zuzulassen.”
Unter der Regierung von Präsident Cardoso verschlechtert sich die Lage in den total überfüllten Gefängnissen weiter. “Niemand ist an einer Resozialisierung der Häftlinge interessiert,” so Padre Mauzeroll von der Gefangenenseelsorge der katholischen Kirche.
Eine mittelalterlich anmutende Gefängniszelle in Rios Stadtteil Realengo. Gesetzlich hat jeder der mehreren Dutzend Insassen Anspruch auf mindestens acht Quadratmeter, hier dagegen hat er nicht einmal einen einzigen. Geschlafen wird deshalb in Schichten. Während ein Teil auf dem feuchten Beton liegt, hängt der andere in Stoffschlaufen darüber, die an den Gitterstäben befestigt sind. In einer Zelle im Stadtteil Bangu bietet sich ein ähnliches Bild: 35 fast nackte, schwitzende Männer auf nur sechzehn Quadratmetern, beißender Fäkaliengeruch, nachts Ratten, die psychische Spannung fast mit Händen greifbar. Neun von zehn haben Krätze und Furunkel. In der heißesten Jahreszeit herrschen bis zu sechzig Grad in den Zellen, täglich fallen dann an die zwanzig Insassen ohnmächtig um, werden von den Wärtern herausgezerrt und durch andere ersetzt. Um aus dieser Hölle herauszukommen, in eine weniger überfüllte Zelle verlegt zu werden, bestechen Häftlinge ihre Aufseher mit umgerechnet bis zu 5.000 DM. Es gibt auch Gefängnisse, in denen die Insassen das nötige Geld zusammenlegen und dann den Begünstigten wie in einer Lotterie per Los bestimmen. In Bangu kommen die notwendigen Reais von der Familie oder von Verbrechersyndikaten. Je größer, je unerträglicher die Hitze, umso höher steigen die Preise auf diesem Schwarzmarkt. Nur einmal am Tag gibt es Essen von haarsträubender Qualität, Lebensmittelpakete der Angehörigen werden gewöhnlich nicht ausgehändigt. Folterungen sind die Regel, nicht nur in Rios Gefängnissen. Ein Anwalt beschreibt einen Fall aus dem Jahr 1996: “Polizisten mit Kapuzen mißhandelten 116 Gefangene mit Elektroschocks, alle wiesen Blutergüsse auf und wurden darüberhinaus zu sexuellen Handlungen gezwungen.”
Fast täglich werden Fälle totgefolterter, erschlagener Häftlinge bekannt. Doch die politisch Verantwortlichen rühren sich kaum, nur wenige Intellektuelle protestieren und die Gesellschaft scheint sich an die grauenvollen Zustände gewöhnt zu haben.
Nach dem letzten offiziellen Zensus bieten die 511 Gefängnisse Brasiliens Platz für höchstens 60.000 Personen. Mit über 148.000 Gefangenen sind sie damit mehr als doppelt belegt. Notwendig, so heißt es, seien 145 neue Gefängnisse. Rund 95 Prozent der Häftlinge sind Arme, 96 Prozent Männer, etwa drei Viertel Voll- und Halbanalphabeten. Der typische Gefangene, so eine Studie, ist dunkelhäutig und jünger als 25 Jahre. Jeden Monat kommt es laut Statistik zu mindestens drei großen Häftlingsrevolten; die meisten von ihnen werden allerdings der Öffentlichkeit verheimlicht.
Pervertieren statt resozialisieren
Amnesty international und Human Rights Watch/Americas prangern die Zustände in den brasilianischen Haftanstalten als “puren Horror” an. Aber auch die Gefangenenseelsorge der katholischen Kirche läßt nicht locker. Padre Geraldo Mauzeroll von der Pastoral Carçeraria im Bundesstaat Sâo Paulo: “Wer ins Gefängnis kommt, wird pervertiert, wird angesehen und behandelt wie ein Tier. Niemand ist an einer Besserung oder Resozialisierung der Insassen interessiert. Die Gesellschaft rächt sich an ihnen. Sie läßt sie intellektuell, seelisch, moralisch, kulturell und nicht selten sogar physisch sterben.” Padre Mauzeroll hört auf Polizeiwachen und in Gefängnissen sehr häufig den Spruch: “Nur ein toter Häftling ist ein guter Häftling!” Der Padre geht seit 1973 in die Gefängnisse und leitete die letzten sechs Jahren die Seelsorge. Was er täglich zu sehen bekommt, scheint kommerziellen Horrorfilmen entlehnt: Häftlinge verfaulen buchstäblich in ihren Zellen. Die Gefängnisärzte sind selbst Kriminelle, weil sie Kranke bewußt nicht behandeln, sie sterben lassen, dafür aber nie zur Rechenschaft gezogen werden. Tuberkulose grassiert, über die Gesichter Todkranker laufen Ameisen. Kriminell handeln auch Richter und Staatsanwälte, die sehr wohl über Folter und alle anderen Menschenrechtsverletzungen detailliert informiert sind und dennoch nicht eingreifen.
Gefängnisleitungen und Wärter ermöglichen den Drogenhandel und -konsum hinter den Gitterstäben. Ein Direktor zu Padre Mauzeroll: “Drogen müssen dort drin sein, damit die Gefangenen ruhig bleiben.”
Ein besonders finsteres Kapitel ist darüber hinaus die sexuelle Gewalt, die von perversen Aufsehern sogar gefördert wird. Padre Mauzeroll: “Wird ein wegen Vergewaltigung Verurteilter eingeliefert, stecken ihn die Wärter extra in bestimmte Massenzellen, damit er dort von fünfzehn, zwanzig Häftlingen vergewaltigt wird. Das ist Gesetz in den Kerkern, und so verbreitet sich Aids sehr schnell.” Selbst nach amtlichen Angaben haben sich bereits über zwanzig Prozent der Insassen mit dem Aids-Virus infiziert. Ein Großteil der rund 150.000 brasilianischen Gefangenen hat homosexuellen Verkehr, gewöhnlich ungeschützt, Promiskuität ist normal.
Vitor Carreiro teilte in Rio eine Zelle jahrelang mit 47 anderen Häftlingen, hat jetzt sichtbar Aids und sagt es deutlich: “Alle Welt weiß, daß die Frau des Gefangenen der andere Gefangene ist.” José Ferreira da Silva, ebenfalls HIV-positiv, berichtet von vier festen und acht gelegentlichen Partnern. Keiner hatte Präservative benutzen wollen.
“Wenn die Lage in den Gefängnissen in Sâo Paulo und Rio de Janeiro bereits so schlimm ist”, gibt Padre Mauzeroll zu bedenken, “wie muß sie dann erst in den stark unterentwickelten Gebieten des Nordens und Nordostens sein?” Padre Mauzeroll drückt sich im Gegensatz zu so vielen Landsleuten um solche unbequemen Wahrheiten nicht. Er hat keine Probleme damit, die von den Autoritäten gerne versteckten und verdrängten Probleme offen anzusprechen. “Doch wer über die Zustände redet und informiert, stirbt”, lautet eine andere Regel – Pistoleiros, Berufskiller, erledigen dies. Padre Mauzeroll weiß, daß auch sein Leben in Gefahr ist. Dennoch klagt er offen die soziale Ordnung Brasiliens an: “Sie ist schuld an der grauenhaften Situation!”
Wärter und Spezialeinheiten gehen gewöhnlich äußerst brutal gegen meuternde Häftlinge vor. 1992 wurden im Gefängnis Carandiru von Sâo Paulo mindestens 111 Insassen von Militärpolizisten massakriert. Politisch Verantwortliche und direkt Beteiligte blieben bisher straffrei. Die letzte Revolte in Carandiru ereignete sich Ende Oktober. 670 Gefangene nahmen dort 27 Wärter als Geiseln und forderten die Verlegung in eine andere Haftanstalt. Fünf Gefangene versuchten mit einem Müllfahrzeug zu fliehen, vier von ihnen wurden von Militärpolizisten erschossen.
Die Rechtanwältin Zoraide Fernandez weist noch auf eine besondere Absurdität hin. Tausende von Häftlingen werden nach verbüßter Strafe oft noch jahrelang festgehalten, allein in Rio waren es 1995 mindestens 560. Hinzu kommen jene, die unrechtmäßig in die Zellen von Polizeiwachen gepfercht und dort mitunter regelrecht vergessen werden.
Staatspräsident Cardoso präsentierte in Brasilia mit großem Pomp einen “Nationalen Plan für Menschenrechte” – doch die Show stahl ihm Luiz Mott, intellektueller Führer der brasilianischen Schwulenbewegung. Weil die Homosexuellen in dem Dokument nicht einmal erwähnt werden, entrollte Mott ein Transparent “Gays querem Justiça”- (Schwule wollen Gerechtigkeit) und nannte Fakten zur systematischen Verfolgung der Homosexuellen in Brasilien.
Laercio, 22, und Mariquinhos, 30, wohnten in Rios armseliger Nordzone in einem simplen Häuschen, waren beliebt und galten als hilfsbereit, fröhlich. In einer Novembernacht werden sie von einem der berüchtigten “Kommandos zur Jagd auf Gays” überwältigt – fünf Kapuzenmänner stoßen die beiden bis zur nahen Bahnlinie, dann krachen Pistolenschüsse. Anwohner finden Laercio und Mariquinhos in ihrem Blut, stellen erschüttert Kerzen auf.
Luiz Mott erläutert: “In Brasilien sind mindestens vierzehn Todesschwadronen hinter Homosexuellen her. Seit 1980 wurden über 1300 Schwule ermordet, 1996 waren es bisher 85, aber unsere Statistik ist sehr unvollständig.” Das stimmt, denn von den Serienmorden der letzten Wochen in Rio wußte Mott zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Hinzu kommt, daß Angehörige wegen der bestehenden Vorurteile gegen die Schwulen oftmals die Natur des Verbrechens verschweigen.
Universitätsprofessor Mott, 50 Jahre alt, Präsident der Grupo Gay do Bahia (GGB) und Sekretär für Menschenrechte der Brasilianischen Vereinigung für Gays, Lesben und Transvestiten (ABGLT), lehrt in der nordostbrasilianischen Küstenmetropole Salvador da Bahia – auch dort werden Schwule diskriminiert, verfolgt und ermordet. Mott spricht von “Opfern des Machismus”, die Täter gingen gewöhnlich straffrei aus. So seien bei über vierzig Prozent der Schwulenmorde die Täter ermittelt worden, nur zehn Prozent kamen jedoch letztlich vor Gericht und wurden dann fast immer freigesprochen.
Archiv über Homosexualität
Ein schönes Kolonialhaus in Salvador da Bahia beherbergt im ersten Stock den kleinen Sitz der Grupo Gay do Brasil mit dem immerhin größten lateinamerikanischen Archiv über Homosexualität. Die GGB ist die älteste und aktivste Homosexuellenvereinigung in Lateinamerika. Nach dem Klingeln schaut der Leiter zunächst prüfend auf den Besucher und wirft danach den Schlüssel hinunter. Oben kann man sich eine Ausstellung über homosexuelle Männer und Frauen ansehen, von Platon, Leonardo da Vinci, Shakespeare, Cleopatra und James Dean bis hin zu der berühmten Sängerin der Musica Popular Brasileiro, Maria Bethânia. Man wird höflich zu den zwei wöchentlichen Versammlungen eingeladen, an denen auch Bi- und Heterosexuelle teilnehmen. Vor dem Abstieg über die steile Holztreppe teilt der GGB-Leiter Präservative, “Camisinhas”, aus – schließlich ist die Gruppe besonders aktives Mitglied in der vom Gesundheitsministerium geführten Nationalen Kommission zur AIDS-Bekämpfung.
In der Stadt selbst machen die Homosexuellen drastisch auf sich, ihre Freuden und Probleme aufmerksam. “Liebe mit Vorsicht – suche Deine amantes besser aus”, steht groß auf Schautafeln, und “Laß Dich nicht von AIDS ins Jenseits befördern, aber laß Dich auch nicht ermorden!” Die Warnung ist nicht unbegründet, druckte doch gar eine große lokale Zeitung regelmäßig folgende Anzeige: “Halte Salvador sauber – töte jeden Tag einen Homo!”
Erscheinungsebene – Wirklichkeit
Brasiliens Schwulenszene präsentiert sich anders als zum Beispiel jene in San Francisco oder gar in Deutschland. Gays fallen viel mehr auf, haben ihre Kneipen, Discos, Strände, Zeitschriften. Der Terror gegen Schwule existiert indessen weiter, scheint sogar stark zuzunehmen. Motts Grupo Gay do Bahia hat deshalb ein “Überlebenshandbuch” publiziert, das zahlreiche praktische Tips zur Selbstverteidigung gibt. Mott hat das Handbuch in Brasilia, Belo Horizonte, Curitiba und Recife vorgestellt. In jeder Stadt gab er die Namen der dort in den letzten Jahren ermordeten Schwulen bekannt. Die meisten Verbrechen ereigneten sich aber in Rio de Janeiro, Sâo Paulo und Salvador da Bahia.
Umfragen und Machismus
Daß Schwule diskriminiert werden, zeigen neue repräsentative Umfragen: So würden 36 Prozent der BrasilianerInnen einem Homosexuellen selbst dann nicht eine Arbeit geben, wenn er der bestqualifizierte Bewerber wäre. JedeR Fünfte würde sich von einem homosexuellen Kollegen bewußt fernhalten, 56 Prozent würden zumindest ihr Verhalten ändern. 79 Prozent, im Nordosten sogar 87 Prozent, akzeptierten auf gar keinen Fall, daß ihr Sohn mit einem Homosexuellen ausginge. Und 62 Prozent meinen, daß Eltern die Änderung der homosexuellen Orientierung ihrer Söhne erzwingen müßten.
Politisches Asyl für Schwule
Gay-Menschenrechtsgruppen in San Francisco prangern seit Jahren die Zustände in Brasilen an. 1993 gewährten die USA erstmals einem brasilianischen Schwulen politisches Asyl. Der Begünstigte heißt Marcelo Tenorio, Luiz Mott trat in dem Asylverfahren als Zeuge auf und wurde dafür zuhause in den Medien niedergemacht. Das Asyl, hieß es, basiere auf einer Lüge über Brasilien; Schwule würden nicht systematisch getötet. In den letzten Wochen erhielten zwei weitere Homosexuelle Asylstatus, wollen aber anonym bleiben, aus Angst, daß Familienangehörige in Brasilien Repressalien erleiden könnten. Eine unbekannte Zahl brasilianischer Homosexueller lebt illegal in den USA. Möglicherweise werden jetzt weitere einen Asylantrag stellen.
KASTEN
Staatstrauer für Ex-Diktator
Nach dem Tod des Ex-Generalpräsidenten Ernesto Geisel im September 1996 ordnete Fernando Henrique Cardoso per Dekret acht Tage Staatstrauer an. Geisel war von 1974 bis 1979 der dritte Generalpräsident der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985). Geisel war bereits zur Amtseinführung von Cardoso geladen worden. 1995 traf sich der Präsident mit dem EX-Diktator und wollte dies ausdrücklich als “Würdigung” verstanden wissen.
Die Homenagem weckte in der Tat Aufmerksamkeit. Denn bei Geisel und seinem ebenfalls im Regimeapparat dienenden Bruder Orlando handelte es sich um Vertreter der “harten Linie”, die keineswegs nur militante Diktaturgegner rücksichtslos verfolgen, foltern und ermorden ließen. Dies hat gerade ein wichtiger Zeitzeuge bestätigt: Reserveoberst Jarbas Passarinho, Mitautor der berüchtigten Ausnahmegesetze von 1968 und Minister unter drei Diktaturgenerälen, sagte im brasilianischen Fersehen, daß ein Großteil der Greueltaten an Linken in Geisels Regierungszeit begangen worden seien. Die Medien pflegten dagegen stets dessen Amtsvorgänger Emilio Garrastazzu Medici die Verantwortung für die größten Schlechtigkeiten des Militärregimes aufzubürden.
“Zwölf Jahre nach dieser Fusion ist der Ruhrkonzern aber mit 6,25 Milliarden Euro verschuldet. Das ist mehr als das Dreifache des für das Geschäftsjahr 2010/11 geplanten operativen Gewinns. Grund für die Schuldenlast sind die neuen Stahlwerke in Brasilien und den USA, die mit zehn Milliarden Euro viel teurer wurden als geplant. Nun fehlt in allen Geschäftsfeldern das Geld für Investitionen.”
“Ein gutes Beispiel für gelungene Globalisierung”:
http://www.hart-brasilientexte.de/2011/12/07/brasiliens-boom-und-die-slumhutten/
Samstag, 10. Dezember 2011 von Klaus Hart **
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1624771/
http://brueckenbauer.blogspot.com/2011_05_01_archive.html
Brasiliens hausgemachte Krisenfaktoren: http://www.hart-brasilientexte.de/2011/09/30/brasiliens-viele-hausgemachte-krisenfaktoren-hochzinspolitik-uberbewertete-landeswahrung-deindustrialisierung-absurd-ineffiziente-und-kostentrachtige-infrastruktur/
Einkommen im “Boomland” Brasilien: http://www.hart-brasilientexte.de/2012/01/04/leben-wie-die-halfte-der-einkommensbezieher-brasiliensamtliche-angaben-fur-samtliche-ausgaben-pro-tag-umgerechnet-zwischen-26-und-5-euro-zur-verfugung/
http://www.hart-brasilientexte.de/2008/11/20/afro-missa-im-franziskanerkloster-von-sao-paulo/
« Brasiliens Bürgerrechte – im Falle eines Polizei-Streiks wie in Bahia: Ausufernde Gewalt, steiler Anstieg der Mordrate, Plünderungen, Stopp aller kulturellen Aktivitäten. Mutter beim Stillen erschossen, laut Augenzeugen. Touristen stornieren massenhaft Hotelbuchungen. “Sorria, você está na Bahia”.(Offiz. Slogan) – Brasiliens „Tourismus“-Teilstaat Bahia: Mordzahl mehr als vervierfacht nach Start des Polizei-Streiks, Kugelhagel auf Obdachlose, laut Landesmedien. Touristen stornieren massenhaft Hotelbuchungen. “Sorria, você está na Bahia”.(Offiz. Slogan) »
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